SPOX: Das gilt auch für die Insolvenz Ihres Ex-Klubs Alemannia Aachen, nach dem SC Verl und dem VfB Lübeck der dritte Verein, den Sie in Ihrer Karriere trainiert haben. Zwischen 2004 und 2006 spielten Sie am Tivoli mit dem damaligen Zweitligisten Europa League und stiegen in die Bundesliga auf, nun steht der Verein vor einem Scherbenhaufen.
Hecking: Und das stimmt mich sehr traurig. Der Weg zurück wird für sie sehr beschwerlich sein. Es ist ja bereits die zweite Insolvenz in Aachen. Die Alemannia müsste mit dem Stadion und der Stadt eigentlich Minimum in der 3. Liga spielen.
SPOX: Wie blicken Sie auf diese Situation? Es ist ja nicht der erste Traditionsverein, den es trifft.
Hecking: Gerade die Vereine, die in ihrer Stadt den Anspruch haben, ein Profiklub zu sein, werden ihm nicht mehr gerecht - nach wie vor. Es wird in den unteren Ligen viel zu viel Geld gezahlt, doch dort kannst du es irgendwann kaum mehr auffangen. Bei allen Erwartungen und Hoffnungen muss die Wirtschaftlichkeit über allem stehen. Viele Traditionsvereine bekommen durch den Anspruch und die Erwartungen Probleme. Manche Verantwortliche werden sicherlich wissen, dass ihr Konzept finanziell am seidenen Faden hängt, doch sie spüren den Druck der Stadt, der Fans und der eigenen Tradition, zu können und zu müssen. Doch im Endeffekt können sie gar nicht.
SPOX: Liegt das nicht zumindest auch teilweise an den kruden Regularien?
Hecking: Ja. Der Spielbetrieb unterhalb des Lizenzbereichs müsste neu strukturiert werden. Das kann so nicht weitergehen. Irgendwann wird es den großen Knall geben und dann werden nicht ein oder zwei Vereine insolvent gehen, sondern sieben oder acht. Gerade die Aufstiegsregelung in den Regionalligen ist katastrophal. Warum sollten in der 3. Liga nicht vier Mannschaften absteigen können? Man muss als Regionalligist aufsteigen können, wenn man Meister wird. Ich denke, dass der DFB bei diesem Thema in Zukunft sehr gefordert sein wird, da Insolvenzen sonst kaum aufzuhalten sind.
SPOX: Zumal es doch auch schlicht dem Leistungsgedanken im Fußball widerspricht, wenn man sich sportlich für eine höhere Liga qualifiziert, die Teilnahme aber aufgrund größerer Auflagen des Verbands nicht stemmen kann.
Hecking: So ist es. Meister sollen aufsteigen können. Ich bin andererseits aber froh über Vereinsverantwortliche, die genau einschätzen können, dass sie sich eine höhere Liga nicht leisten können. Wie aber soll ich die Spieler dafür begeistern, trotz einer gewonnenen Meisterschaft nicht aufzusteigen, weil ansonsten der Verein kaputt geht? Das ist eine Gefahr, zumal auch beispielsweise innerhalb der Regionalliga eine Diskrepanz besteht.
SPOX: Was meinen Sie genau?
Hecking: Ich habe etwas Einblick bei einem kleineren Verein in Niedersachsen. Er ist aufgestiegen, muss seinen Dorf-Sportplatz nun aber komplett umbauen. Tribüne, Bandenwerbung, Sicherheitsvorkehrungen, ein umzäunter Gästebereich - das wurde dort alles in Eigenleistung gemacht. Aber es hat den Verein kurz vor die Grenze gebracht. Dort spielen Spieler für ganz kleines Geld, weil sie einfach Spaß am Abenteuer Regionalliga haben wollen. Doch dort gibt es dann auch Teams wie die Zweitvertretungen der Profiklubs, die nicht auf jeden Cent schauen müssen. Auch in der 3. Liga tummeln sich genügend Vereine, die jetzt schon wissen, dass sie es nicht schaffen werden, sich dauerhaft weiter oben zu positionieren. Viele dieser Klubs werden am Ende der Saison auf die Bilanz schauen und das nächste Minus ausweisen müssen. Die Vereine merken, es geht nicht mehr. Es kann aber doch nicht sein, dass sich Vereine fragen: Was wollen wir in der 3. Liga, da haben wir ja gar keine Chance. Denen ist die 4. Liga gerade recht, doch auch dort kostet es Geld. Und das erwirtschaftet man nur schwerlich, wenn nur ein paar Hundert Zuschauer kommen. Diese Schwelle zwischen Halbprofitum und Profitum, zwischen 3. und 4. Liga, ist schon grenzwertig. Ich glaube, dass diese Gemengelage eine große Gefahr für den Amateurfußball ist.
SPOX: Engelbert Kupka, langjähriger Präsident der SpVgg Unterhaching, initiierte das Bündnis "Rettet die Amateurvereine". Es scheint weiter zu wachsen. Sind Amateurvereine überhaupt noch etwas wert?
Hecking: Zwei meiner Söhne spielen in der Bezirksklasse und der Kreisliga. Das ist nicht mehr der Amateurfußball von früher. Es sind längst Grundprobleme, dass die ersten Mannschaften Schwierigkeiten haben, sonntags überhaupt elf Spieler zusammen zu bekommen. Kaum noch ein Amateurverein hat eine zweite oder dritte Mannschaft. Darin sieht man, dass der Amateurfußball selbst in den untersten Spielklassen immer mehr krankt. Ich verstehe das Grummeln an der Basis, im Magen des deutschen Fußballs. Da kommt eine große und verantwortungsvolle Aufgabe auf den DFB zu, wenn er seinem Anspruch als größter Sportverband der Welt gerecht werden will. Das ist offensichtlich, es gibt aber auch keine Patentlösung. Man muss sich die Probleme der Basis anhören und dann an Lösungen arbeiten.
Profis vs. Amateure: Fußball, bist Du noch Du selbst?
SPOX: Können Sie als Zuschauer ein Spiel Ihrer Söhne genießen in diesem niederen Bereich?
Hecking: Klar, ich schaue dort und grundsätzlich in unteren Spielklassen gerne zu. Ich war kürzlich mal wieder bei einem Spitzenspiel in der Bezirksliga, da waren immerhin mal rund 300 Zuschauer da. Das war richtiger Amateurfußball. Da ging es ordentlich zur Sache, da wird nach einem Tor noch vor Freude die Bratwurst aufs Feld geschmissen. (lacht) Das macht mir sehr viel Spaß.
SPOX: Themenwechsel zum Schluss: Gewinnen Sie am Saisonende als Trainer von Gladbach zum zweiten Mal den DFB-Pokal?
Hecking: Wir sollten zunächst einmal zuhause das Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt gewinnen. Mir wird momentan zu sehr so getan, als sei das bereits geschafft. Bei aller Euphorie muss ich den Finger heben, denn die Gunst der Stunde ist auch für die Eintracht riesengroß. Sie stehen in der Bundesliga vor uns und werden uns das Leben richtig schwer machen. Dennoch haben wir absolut die Qualität, sie zu schlagen. Wenn man im Pokal startet, will man ihn auch gewinnen. Eine Finalteilnahme wäre sensationell. Wir wollen jetzt unbedingt diese letzten zwei Schritte machen.