SPOX: Was wäre an der Atmosphäre anders, wenn die Eintracht den Pokal auf dem Römer präsentieren würde?
Roth: Bis dahin wären wir wahrscheinlich schon alle tot. Das können wir uns alle noch gar nicht vorstellen, weil sich keiner traut, sich damit zu beschäftigen. Aber ich glaube, das würde die Stadt zum Explodieren bringen. Das wären interessante Tage - bis Montag würde niemand schlafen. Es herrscht hier eine große Sehnsucht nach einem Titel. Es sind 30 Jahre seit dem letzten Pokalsieg. Der Wert wäre gar nicht zu bemessen.
SPOX: Mit den Bayern verbindet die Eintracht-Fans eine besondere Rivalität. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu den Bayern im Laufe Ihres Fan-Daseins verändert?
Roth: Es ist jetzt wieder an dem alten Punkt, an dem ich früher schon einmal war. Als Kind war es immer so: Man schaut erst, wie die Eintracht gespielt hat und dann ob Bayern verloren hat.
Niemeyer: Der Klassiker.
Roth: Irgendwann wurde es aber immer egaler. Man schützt sich vor sich selbst. Du willst ja auf nichts hoffen, was fast unmöglich ist. Mit dem Alter war ich auch in der Lage, Leistungen wie unter Guardiola anzuerkennen. Da fährt man nach München und denkt sich heimlich: "Geil, dass ich so einen 50-Meter-Außenrist-Pass von Thiago gesehen habe." Das hat ja schon bei van Gaal angefangen. Bayern hat sich vom Hassobjekt zu einem nervigen Klassenstreber entwickelt, den du irgendwann auch nicht mehr verprügeln willst.
Hoeneß hat die Wahrnehmung des FC Bayern zurückgeworfen
SPOX: Das hat sich aber wieder geändert?
Roth: Der Klassenstreber hat nun mal angefangen, meine Freundin anzubaggern.
Niemeyer: Und dann sagt die auch noch Ja!
Roth: Eben! Ich kann es ja irgendwie auch verstehen, dass sie das macht. Aber ich würde es gerne von ihr hören und ich hätte für die Zeit, in der sie noch in meiner Wohnung wohnt, erwartet, dass sie mir nicht besoffen das Bett vollkotzt und sich mit Anstand verabschiedet. Das ist alles nicht geschehen. Und ich will mir dann nicht von der neuen Familie meiner Exfreundin anhören, dass ich der Idiot bin. Uli Hoeneß hat mich immer schon genervt, aber ich habe es geschafft, ihn zu ignorieren. Da ich jetzt persönlich betroffen bin, habe ich mich daran erinnert gefühlt, warum ich ihn nicht leiden kann. Ich glaube, dass auch nicht alle Bayern-Fans glücklich mit ihm sind. Hoeneß hat die Wahrnehmung des FC Bayern zurückgeworfen. Bei Guardiola, Sammer und Reschke dachte man, jetzt sind sie auf dem Weg in die absolute europäische Spitze. Mittlerweile wirkt es manchmal beinahe dilettantisch. Dadurch, dass wir jetzt betroffen waren, bin ich sehr sauer. Wenn ich davon Abstand nehme, amüsiert es mich eher.
Der Rasenfunk zum 30. Bundesliga-Spieltag: SPOX-Fußballchef Andreas Lehner und Bastian Roth diskutieren über Kovac.
Niemeyer: In der Tat hatte ich mit Guardiola, Sammer und Reschke auch das Gefühl, dass wir ganz oben angreifen und uns dauerhaft eine Etage höher positionieren. Aber mittlerweile ist der FC Bayern wieder ein komplexes, hochsensibles, fragiles Lebewesen im Mia-san-mia-Sprech. Es fühlt sich so an, als habe man nicht mehr den unbedingten Willen, die Professionalisierung im höchsten Tempo mitzumachen. Das hat damit zu tun, dass Hoeneß wieder da ist und den gutväterlichen Patriarchen gibt. Das hat ja auch Erfolg, es reicht für eine Meisterschaft mit 21 Punkten Vorsprung. Aber der Anspruch der Guardiola-Zeit ist nicht mehr zu spüren.
Eintracht: "Kovac hat sein Denkmal komplett eingerissen"
SPOX: Die Personalie Kovac ist am Samstag der Elefant im Raum. Welche Auswirkung haben die Umstände des Wechsels auf das Fazit seiner Amtszeit bei der Eintracht?
Roth: So drastisch es sich anhört, aber er hat sein Denkmal komplett eingerissen. Auch mit etwas Abstand ist fast keiner hier noch traurig, dass er geht. Das ist überemotional, weil wir die Beweggründe verstehen können. Aber in den letzten Wochen haben sich viele Kleinigkeiten gehäuft. Der Höhepunkt war nun sein Auftritt, als er auf Schalke grinsend auf der Pressekonferenz saß und mit den Journalisten scherzte. Er hat null Empathie für die Fans, die sich Europa so sehr gewünscht hätten. Ich bin mir sicher, dass die Kovac-Causa nicht zu 100 Prozent dafür verantwortlich ist, dass die Eintracht zusammengebrochen ist. Dieses Gefühl wird aber bei den meisten zurückbleiben. Er hat mit den Bayern verhandelt, dann hat die Konzentration nachgelassen und wir haben die Saison in sechs Wochen in den Müllschlucker geworfen.
SPOX: Die Vereinsführung vermittelte den Eindruck, dass es gut sei, Achter zu werden.
Roth: Das verstehe ich ja auch. Aber das hilft mir nichts, wenn ich nach Europa will. Wenn ich dann daran denke, wie einfach es in dieser mittelmäßigen Bundesliga gewesen wäre, sogar in die Champions League zu kommen, wird mir schlecht. Mir braucht das Abschneiden keiner schönreden. Im Endeffekt ist mir fast egal, ob es an der Bayern-Nummer liegt oder nicht. Da bin ich gerne unfair in der Bewertung. Kovac wird in Frankfurt keine Vereinslegende. Fußballfans sind da irrationale Arschlöcher.
Kovac-Wechsel: "Wenn Bobic das nicht wusste, muss er zurücktreten"
SPOX: Wie sehr könnte ein Pokalsieg dieses Fazit schönen?
Roth: Das ist eine sehr gute Frage, die wir uns hier alle stellen. Wenn er mit dem Pokal vor der Kurve steht, könnte es vielleicht schon für positive Abschiedsemotionen sorgen. Ich kann mir aber eigentlich kaum vorstellen, dass das Verhältnis noch zu kitten ist. Das weiß er auch selbst. Nach dem HSV-Spiel stand er dort und hatte Tränen in den Augen, weil er gesehen hat, dass er von den Fans keine Liebe mehr bekommt.
SPOX: Herr Niemeyer, wie haben Sie die Verkündung und die Zeit seitdem wahrgenommen?
Niemeyer: Die Trainerfrage hat uns die ganze Saison begleitet. Dass es Kovac wird, ist erst spät ernsthaft diskutiert worden. Aber es war eben Thema, sodass ich die komplette Überraschung von Bobic absolut nicht nachvollziehen konnte. Er musste ja wissen, was im Vertrag von Kovac steht. Ich kaufe ihm nicht ab, dass er so unvorbereitet war. Deswegen hat es mich gewundert, als er die Schuld so drastisch auf die Bayern geschoben und dadurch auch in den eigenen Verein eine extreme Unruhe gebracht hat. Man könnte jetzt sagen, die Bilanz der Eintracht seitdem gibt mir Recht. Allerdings ist das Phänomen, die Schlussphase einer Saison zu verkacken, das gleiche wie im letzten Jahr. Schon damals hat die Eintracht eine schwache Rückrunde gespielt. Daher ist der Kovac-Abgang sicherlich nicht alleine ursächlich für diesen Einbruch.
Roth: Das sage ich ja. Wenn ich das nüchtern analysiere, hätte der Einbruch so oder so passieren können. Die Leute werden diesen Saisonendspurt trotzdem immer damit verbinden. So irrational und womöglich unberechtigt das ist. Klar ist: Wenn Bobic das nicht wusste, muss er sofort zurücktreten. Die Kovac-Nummer ist schon zwei Wochen vorher selbst zu mir auf die Couch durchgedrungen. Am Ende sind die dunklen Prophezeiungen leider eingetreten. Wir sind Achter geworden, herzlichen Glückwunsch.