"Es gibt keine Geheimnisse mehr"

Jochen Tittmar
15. April 201412:54
David Wagners Vertrag bei Borussia Dortmund wurde im November bis 2018 verlängertimago
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David Wagner ist seit Juli 2011 Cheftrainer der U 23 von Borussia Dortmund. Die zweite Mannschaft des BVB kämpft derzeit in der 3. Liga um den Klassenerhalt. Im Interview spricht Wagner über die Abschaffung der Reserveteams, das rauchende Laufwunder Jürgen Klopp und erklärt die Problematik, Spieler an die Profis abstellen zu müssen.

SPOX: Herr Wagner, kürzlich wurde nach einem Antrag von Bayer Leverkusen entschieden, dass die Profi-Vereine ab der kommenden Saison nicht mehr zwingend ein U-23-Team stellen müssen, weil die Ausbildungsschwerpunkte der Klubs mittlerweile sehr unterschiedlich sind. Wie stehen Sie dazu?

David Wagner: Gegen Freiwilligkeit habe ich prinzipiell nichts einzuwenden. Mich interessiert es auch weniger, wie die anderen Vereine mit ihren zweiten Mannschaften umgehen. Meine persönliche Meinung ist, dass eine U 23 wahnsinnige Vorteile mit sich bringt. Stellt man eine ambitionierte zweite Mannschaft, hilft das der Weiterentwicklung der Spieler enorm - gerade in der 3. Liga, die für uns eine ganz tolle Plattform ist.

SPOX: Es stellen jedoch nur Dortmund und Stuttgart Reserveteams in der 3. Liga.

Wagner: Wenn man nur die zweiten Mannschaften beziehungsweise die Nachwuchsförderung betrachtet, war in meinen Augen die Regionalligareform mit nun fünf Ligen ein großer Fehler. Darunter hat das Niveau im Vergleich zu jener Zeit, in der es in drei Ligen deutlich weniger Mannschaften gab, gelitten. Für die Zweitvertretungen ist es in der Regel nun schwerer geworden, sich auf einem relativ hohen Niveau messen zu können. Der Schritt von der A-Jugend-Bundesliga in die Regionalliga scheint kleiner geworden zu sein, das Anforderungsprofil sollte sich jedoch eher steigern.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf David Wagner im Signal Iduna Parkspox

SPOX: Gesteigert hat sich dagegen Ihr Werdegang als Trainer. Sie haben 2007 zunächst den DFB-Fußballlehrerlehrgang absolviert und nebenher das 1. Staatsexamen zum höheren Lehramt in Biologie und Sport gemacht. Daraufhin sind Sie als U-19-Trainer in Hoffenheim eingestiegen. Wie wichtig waren für Sie Einblicke in die Sportmedizin oder auch in die Psychologie, die Sie während Ihres Studiums gewonnen haben?

Wagner: Sehr wichtig. Ich habe dabei einen wissenschaftlich geprägten Zugang bekommen. Ich war als Spieler auch eher jemand, der manche Dinge hinterfragt hat, aber aus der damaligen Spielersicht heraus nicht sofort auf die Lösung gekommen ist. Das war für mich deshalb hochspannend, es haben sich viele Fragezeichen bei mir gelöst. Davon profitiere ich insofern, da ich mich nun mit meinen Mitarbeitern wie Athletiktrainern oder Physiotherapeuten auf einer anderen Ebene unterhalten kann.

SPOX: Wie entscheidend ist gerade bei jungen Spielern der Faktor Psychologie, um sie besser zu coachen?

Wagner: Ich finde, das ist altersunabhängig und kommt mehr auf den jeweiligen Typen an. Es gibt Spieler, die bereits in jungen Jahren total entspannt sind und mit dem psychologischen Faktor besser umgehen oder auch teils unterbewusst entgegensteuern. Andere müssen eher begleitet werden. Wir haben hier in Dortmund das Glück, dass wir Fachkräfte der Sportpsychologie mit dabei haben. Da ist es dann für einen Spieler durchaus interessant, sich auch einmal mit einem Fachmann unterhalten zu können.

SPOX: Wie sieht das Jobprofil des Sportpsychologen denn genau aus?

Wagner: Er arbeitet nicht an der Mannschaft an sich. Es geht vielmehr um individuelle Betreuung, um Austausch. Der Psychologe kann dem Einzelnen seine Wahrnehmung der Trainingseinheiten oder Spiele schildern, um das Ganze auch einmal aus einer anderen Perspektive heraus zu verdeutlichen. Das hilft dem Spieler wiederum bei der eigenen Reflexion.

SPOX: Bei Ihrem Einstieg ins Trainergeschäft hat es gut gepasst, dass der Job in Hoffenheim direkt auf Ihren Fußballlehrer folgte. Hatten Sie den Job dort schon länger in Aussicht?

Wagner: Nein, das war totaler Zufall. Damals war Hoffenheim durch Ralf Rangnick und Bernhard Peters ein bisschen intellektuell angehaucht, würde ich sagen. Ein Ex-Profi, der ein wissenschaftlich-pädagogisches Studium abgeschlossen hat und Fußballlehrer ist, war genau die Zielgruppe der TSG. Dazu wohnte ich nicht weit entfernt. Das Gesamtpaket hat für den Verein also gepasst, so dass mir diese Position angeboten wurde.

SPOX: Sie kamen ein Jahr nach Rangnick in den Kraichgau und sagten, dank ihm hätten Sie gelernt, strukturell und konzeptionell zu denken.

Wagner: In Hoffenheim lag damals einiges brach. Es gab kein Nachwuchsförderkonzept, keine konkrete Spielphilosophie und es war nicht kategorisiert, was den Jungs in den jeweiligen Jugendmannschaften angeeignet werden soll. Ich war dann insbesondere für den U 19- und U 17-Leistungsbereich verantwortlich und sollte eine Spielphilosophie ausarbeiten, konkretisieren und zu Papier zu bringen. Bernhard Peters hat mich damals begleitet und so wurde mir strategisches und konzeptionelles Denken näher gebracht. Die Spielidee, die wir dann definiert haben, schlug bis ganz nach oben durch. Peters war damals so etwas wie der Offensivtrainer der Profimannschaft und es bestand für mich im ersten Jahr die Möglichkeit, häufig bei den Trainingseinheiten der 1. Mannschaft dabei zu sein und detaillierte Einblicke zu bekommen. Das alles half mir in dieser Hinsicht sehr.

Seite 1: Wagner über die Abschaffung der U 23 und seinen Einstieg in Hoffenheim

Seite 2: Wagner über das Abstellen von Spielern und Laufwunder Klopp

SPOX: Rangnick und Jürgen Klopp sind beide Verfechter des ballorientierten Verteidigens. Wie entscheidend war es für Sie nach Ihren vier Jahren in Hoffenheim, bei Ihrem nächsten Arbeitgeber eine ähnliche Spielphilosophie umzusetzen?

Wagner: Wäre das nicht die Spielidee, von der ich überzeugt bin, dann wäre meine Person vielleicht gar nicht so attraktiv für den Job in Dortmund gewesen. Für mich war der Einstieg beim BVB deshalb relativ einfach. Von der Spielidee her sind sich Ralf Rangnick und Jürgen Klopp ziemlich nah, auch wenn sie sich von der Art und Weise der Mannschaftsführung wiederum unterscheiden. Sie haben einen anderen Zugang, wie sie mit Menschen umgehen und eine Gruppe führen.

SPOX: Ist es als Trainer im Umgang mit jungen Spielern wichtiger, eine Gruppe führen zu können, als taktisch besonders gewieft zu sein?

Wagner: Das ist für mich fast grundsätzlich der Schlüssel. Einer Gruppe deine eigene Spielidee so zu vermitteln, dass alle Mann Lust darauf haben, sie umzusetzen - das ist in meinen Augen der entscheidende Faktor, noch vor dem bloßen Vermitteln taktischer Marschrouten. Es gibt in dieser Hinsicht auch keine Geheimnisse mehr. Ein Trainer muss vielmehr überzeugen können. Ich muss als Coach in alle Köpfe der Gruppe hineinkommen, damit der Einzelne überzeugt ist: Das, was der Trainer erzählt, macht die Mannschaft besser.

SPOX: Sie haben mit der U 23 des BVB bislang den Aufstieg in die 3. Liga und dort im Anschluss den Klassenerhalt geschafft. Dadurch wurden auch andere Vereine auf Sie aufmerksam, Ihnen lagen Angebote vor. Wäre das Arbeiten mit einer Profimannschaft anders?

Wagner: Das wäre zu diskutieren. Als Trainer einer zweiten Mannschaft arbeite ich ja bereits im Seniorenbereich, nur eben mit den Unwägbarkeiten, Spieler abstellen zu müssen. Ich stelle es mir daher eher einen Tick einfacher vor, weil man bei einer ersten Mannschaft mehr Kontinuität und Planungssicherheit im Kader hätte. Man ist nicht so sehr von den Entwicklungsschritten seiner Spieler abhängig. Als Beispiel: Wir haben vor der Saison fest mit Erik Durm geplant, seine Entwicklung ging aber so nach oben, dass er bei uns quasi gar keine Rolle mehr spielt. Man ist dann als Improvisationskünstler gefragt. SPOX

SPOX: Auch der Druck würde sicherlich eine neue Dimension annehmen.

Wagner: Definitiv. Negative Resultate stünden viel mehr im Fokus der Öffentlichkeit und die Zeit, diese zu regulieren, bliebe unter Umständen nicht. Wir haben mit der U 23 bereits mehrfach drei Spiele am Stück verloren. Als Trainer einer ersten Mannschaft könnte die vierte Partie schon über deine Zukunft entscheiden. Diese Stressmomente habe ich derzeit nicht. Ansonsten sehe ich aufgrund der Professionalität, die in unserer U 23 im und auch außerhalb des Kaders herrscht, keinen eklatanten Unterschied zwischen Senioren- und Juniorenfußball.

SPOX: Wie sehr nervt dann eigentlich das Abstellen mancher Spieler "nach oben"?

Wagner: Gar nicht. Es beeinträchtigt meine Arbeit, keine Frage. Aber ich persönlich kann mich wunderbar damit anfreunden, die Spieler im Profikader bei Kloppo zu beobachten und freue mich für sie, wenn sie dort eine Chance bekommen. Das ist ja auch das Ziel, so schwierig das dann auch mal für mich als Trainer sein kann. Es ist eher interessant und mittlerweile auch keine Rede mehr wert. Ich kenne es auch nicht anders (lacht).

SPOX: Sie kennen Klopp schon seit gemeinsamen Mainzer Zeiten und sind sein Trauzeuge, er ist der Pate Ihrer jüngsten Tochter. Hat er Sie eigentlich angehauen und gefragt, ob Sie zum BVB kommen wollen?

Wagner: Nein, der erste Anruf kam von Michael Zorc. Daraufhin habe ich Jürgen angerufen und er meinte, dass er von den Entwicklungen natürlich schon erfahren habe (lacht). SPOX

SPOX: Mussten Sie bei diesem Angebot lange nachdenken?

Wagner: Meine grundsätzliche Überlegung war damals, ob ich überhaupt weiterhin im Fußballbusiness mit den wöchentlich extremen Ausschlägen nach oben und nach unten bleibe oder doch lieber Gymnasiallehrer werde. Die Antwort war mir aber relativ schnell klar: Ich bin ein Fußballverrückter, der diese Ausschläge braucht. Zumal der BVB ja nicht irgendein Verein ist und ich die Leute hier schon ziemlich lange kenne.

SPOX: In Mainz waren Sie lange Zeit Klopps Zimmergenosse. Hat er bei Ihnen auch auf dem Zimmer geraucht wie später bei Torsten Lieberknecht?

Wagner: Torsten hatte Glück. Ich habe Kloppo ja zuvor vier Jahre lang erzogen und ihm quasi beigebracht, nur auf der Toilette zu rauchen (lacht). Mit meinem Grundverständnis als Profi war das nie in Einklang zu bringen. Kloppo konnte trotzdem laufen ohne Ende und hat sich nebenbei noch die Kippen reingepfiffen. Eigentlich unglaublich!

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