SPOX: Dagegen ist doch aber nicht zu sagen.
Mustafi: Nach fast drei Jahren auf der Insel dachte ich mir allerdings: "Boah ey! Ich bin jetzt fast 20 und habe keinen Bock mehr auf Fußball."
SPOX: Ernsthaft?
Mustafi: Weil es für mich nur den Fußball gab. Ich habe gearbeitet wie ein Verrückter, kam aber nicht wirklich zum Zug. Ich begann an mir zu zweifeln. Dann kam das Angebot von Genua und ich wusste, dass das die richtige Entscheidung ist. Dort habe ich dank Roberto Soriano gelernt, dass es auch abseits des Fußballplatzes ein Leben gibt. Er hat mich mit der Stadt vertraut gemacht, wir haben einen Freundeskreis aufgebaut und viel zusammen unternommen. Ich konnte anfangs noch kein italienisch, da half mir Roberto sehr. Als ich abends nach Hause kam, hatte ich schon wieder richtig Bock auf das Training am nächsten Tag. In dieser Zeit lernte ich, dass man irgendwann verkrampft und mit seinem Leben nicht mehr zufrieden ist, wenn man sich zu sehr auf eine Sache fokussiert.
SPOX: Mit der Erfahrung von heute: Was würde der der 17-jährige Shkodran jetzt anders machen?
Mustafi: Ich würde mich jetzt nicht mehr so krass auf Fußball versteifen. Mein Leben bestand nur aus Fußball. Ich hatte mir selbst so viel Druck gemacht, dass ich es unbedingt schaffen musste. Ich hätte früher einen Gang zurückschalten und mal mehr das Leben genießen müssen. Aber damals hatte ich nur Fußball im Kopf. Das war nicht gesund.
SPOX: In Ihrer Kindheit hatte Ihre Familie finanzielle Probleme. Dennoch hat Ihr Vater Sie immer ins Training gefahren. Entstand daher vielleicht der Druck, dass man der Familie etwas zurückgeben möchte?
Mustafi: Nein, das Gefühl kommt nur, wenn die Eltern übertrieben scharf darauf sind, dass ihr Sohn Profi wird. So war das bei uns aber nicht. Für meine Eltern war ich immer nur ihr Junge, nicht der Fußballer. Das ist bis heute so geblieben. Meine Großeltern sind damals nach Deutschland geflüchtet, mussten eine ganze Familie ernähren und sich ein ganz neues Leben aufbauen. Wir waren nie sonderlich privilegiert. So etwas schweißt die Familie zusammen. Ich weiß auch, dass ich es ohne meine Eltern nicht so weit geschafft hätte. Das versuche ich jetzt zurückzugeben. Nicht aber mit Geld, sondern mit Aufmerksamkeiten. Wenn mein Vater mich nicht immer ins Training gebracht hätte oder meine Mutter meine Tasche nicht gepackt hätte, würde ich jetzt wohl immer noch in Bebra spielen.
SPOX: Zu Ihrem Vater haben Sie eine besondere Verbindung. Er war 17, als sie auf die Welt kamen...
Mustafi: Eigentlich sind wir beste Kumpels, ja. Wir waren auch schon mal zusammen feiern. Aber auch zu meiner Mutter habe ich ein sehr gutes Verhältnis. Ich meine, welche Mutter lässt seinen Sohn mit 14 freiwillig alleine nach Hamburg ziehen?
SPOX: Zugegeben, vermutlich nicht viele...
Mustafi: Eben. Das rechne ich meiner Mutter heute noch hoch an. Sie hätte auch sagen können, dass ich noch ein zwei Jahre in Bebra bleiben solle. In dieser Zeit hätte sich alles verändern können...
SPOX: Nun bauen Sie sogar ein Haus in Bebra. Ist das auch ein Ausdruck ihrer Heimatverbundenheit? Viele Spieler in Ihrem Alter kaufen sich Luxusgegenstände oder leisten sich Immobilien am Strand...
Mustafi: Hier komme ich her, das ist mein Zuhause. Ich habe hier eine tolle Kindheit gehabt. Wenn ich nach meiner Karriere an dem Sportplatz vorbeifahre, an dem alles begonnen hat, sind das Erinnerungen, die mir sehr viel bedeuten. So etwas hält einen auch auf dem Boden. Hier kann ich einfach ich sein - der Shkodran, der mit hier mit den Jungs zur Schule ging, der mit den Jungs gekickt hat und der auch mal Kaugummiautomaten geknackt hat (lacht).
SPOX: Sie haben noch eine zweite Heimat, besitzen albanische Wurzeln und fahren einmal im Jahr dorthin. Wie erleben Sie diese regelmäßige Rückkehr in eine kulturell sehr unterschiedliche Welt?
Mustafi: Ich besuche Verwandte, die dort noch leben und verbringe Zeit mit Teilen meiner Familie. Das ist mir wichtig. Die Besuche zeigen einem immer wieder, wie gut es uns Profis geht. Dadurch lernt man, dass nicht alles selbstverständlich ist im Leben. Die Leute dort stehen morgens auf, kommen abends zurück, haben zehn Euro verdient und hatten nichts vom Tag. Das macht einen nachdenklich und erdet einen immer wieder.
SPOX: Sie wissen um Ihre Privilegien. Daher auch Ihre positive Grundeinstellung zum Leben?
Mustafi: Natürlich! Die Leute müssten doch denken, ich sei bekloppt, wenn ich ständig schlechte Laune hätte. Ich lebe meinen Traum, ich bin Fußballballprofi, darf das machen, was ich schon immer wollte. Warum sollte ich mir das also versauen, in dem ich ständig schlecht drauf bin? Das ist auch ein großes Problem bei uns in Deutschland. Wir suchen uns ständig neue Probleme - anstatt zu genießen und wertzuschätzen, dass es einem gut geht. Es ist ja nicht so, dass ich nicht hart für das alles gearbeitet hätte.
Seite 1: Sein Jahr als "Herr Weltmeister" und die Probleme in der EM-Quali
Seite 2: Seine Verbindung zu Götze und das Interesse von Real Madrid
Seite 3: Seine Probleme in Everton und geknackte Kaugummiautomaten
Shkodran Mustafi im Steckbrief