Eckhard Krautzun: Er hatte es mir Mittwochmorgen per SMS mitgeteilt, bevor es offiziell bekanntgegeben wurde.
SPOX: Und?
Krautzun: Ich dachte mir nur, dass er womöglich dieses oder nächstes Jahr zurücktritt, wenn er jetzt mindestens zwei Titel gewinnt. Daher wurde ich ähnlich überrascht wie die Öffentlichkeit. Vor allem, weil ich die Woche davor mit ihm telefoniert hatte. Entsprechend kenne ich die genauen Beweggründe für den Rücktritt noch nicht.
SPOX: Es wird spekuliert, dass gesundheitliche Gründe ausschlaggebend sind. Er bekam vor acht Jahren bereits einen Herzschrittmacher und unterzieht sich im Sommer einer Hüft-OP.
Krautzun: Dennoch macht er einen sehr fitten Eindruck. Ich wundere mich schon seit langer Zeit, wie er mit dem Stress umgeht und wie er ihn abbaut. Er ist ein Meister der Entspannung. Ich habe selten einen Trainer gesehen, der nach einem Spiel so locker in die Lounge kommt und Freunde begrüßt.
SPOX: Wie gelingt ihm das?
Krautzun: Aus meiner Sicht sind das vier Faktoren. Erstens: Er hat eine Mannschaft zusammengestellt, die selten verliert, das hilft auf jeden Fall zum Entspannen. (lacht) Zweitens: Er weiß eine Familie hinter sich, die auf ihn aufpasst. Er hat eine wunderbare Ehefrau, die ihn immer unterstützt, und viele Enkelkinder, die ihm Spaß bereiten. Drittens: Er nimmt sich viel Zeit für seine Hobbys, vor allem seine Rennpferde. Viertens: Er vermeidet unnötige Belastungen. Er verzichtet auf Auslandsreisen, sagt viele Einladungen zu Galas ab und gibt nur ganz wenige Interviews.
SPOX: Wir dachten, dass er sich so selten interviewen lässt, weil er Journalisten an sich verabscheut.
Krautzun: Misstrauen ist definitiv vorhanden. Andererseits müssen die Journalisten wissen, dass er diese Konsequenz nicht nur an ihnen vorlebt, sondern auch an Weltstars. Wenn die Beckhams, Stams, van Nistelrooys nicht spurten, wurden sie fortgeschickt. Journalisten wiederum werden nicht immer so beachtet, wie sie sich das wünschen. Trotzdem sollte man daraus keine falschen Rückschlüsse auf Ferguson ziehen. Er ist ein hervorragender Mensch und in keiner Weise arrogant. Er ist Mensch geblieben, der freundlich ist, der lacht, der anderen zuwinkt und Humor besitzt. Sein Humor ist wahnsinnig ausgeprägt, was niemand vermutet, wer ihn an der Seitenlinie sieht. Ihm ist eine besondere Natürlichkeit eigen. Und daraus entsteht eine natürliche Autorität.
SPOX: Eine Autorität, die in der Vergangenheit nicht jeder Star zu akzeptieren bereit war.
Krautzun: Da macht er keine Kompromisse. Für ihn zählt nur das Leistungsprinzip und eine Devise: Dass ManUnited größer ist als der Einzelne, egal wie groß der Name ist. Wer sich nicht eingliedert, hat schlechte Karten. Wer sich aber ins Team einbringt, erlebt einen ganz anderen Ferguson. Selbst die Wäschefrauen begrüßt er immer mit einer unglaublichen Herzlichkeit.
SPOX: Ferguson ist ein Unikum. Wie sehr wird er den Fußball vermissen?
Krautzun: Er entsagt dem Fußball niemals. Als Berater wird er hinter den Kulissen bei den wichtigsten Entscheidungen weiter mitreden.
SPOX: Wie lässt sich Fergusons Wirken historisch einordnen? Ist er der größte Trainer der Neuzeit?
Krautzun: Nach seiner Autorität, nach seinem Fachwissen, nach seinen Erfolgen: ja! Sein Wirken geht dabei weit über Meisterschaften und Champions-League-Titel hinaus. Er hat bei United alles aufgebaut. Die medizinische Abteilung, die Trainingshallen, die Kunstrasenplätze, das waren alles seine Ideen. Ideen, an die andere Klubs überhaupt nicht zu denken gewagt hatten. Nicht umsonst wurde im Old Trafford die Nordtribüne nach ihm benannt. Ferguson gehört in eine Reihe mit Sir Matt Busby und Sir Bobby Charlton.
SPOX: Sie telefonieren mit Ferguson wöchentlich und besuchen ihn im Schnitt einmal im Monat in Manchester. Woher rührt diese besondere Freundschaft?
Krautzun: Wir lernten uns vor 38 Jahren bei einer Trainertagung in Lilleshall Hall im Westen Englands kennen. Es waren verrückte Tage, unter anderem nahm Bill Shankly daran teil. Und mittendrin Alex und ich. Wir beide waren damals sehr junge Trainer, Anfang 30. Und wir waren sehr ambitioniert. Mich hatte damals schon der internationale Fußball und besonders der Fußball in Großbritannien interessiert und so kamen wir ins Gespräch und er lud mich nach Schottland ein, um ihn in St. Mirren zu besuchen.
SPOX: St. Mirren war Fergusons erste wichtige Trainer-Station, bevor er 1978 zu Aberdeen ging und in den acht Jahren Ungeheuerliches erreichte: Er gewann drei schottische Meisterschaften, viermal den Pokal und 1983 sogar den Europapokal der Pokalsieger. Wie verfolgten Sie Fergusons Aufstieg?
Krautzun: Was selbst mich als engen Vertrauten immer faszinierte: Wie Ferguson den Widerständen strotzte. Er hätte früher als Spieler der protestantischen Glasgow Rangers niemals eine katholische Ehefrau haben können und zog den Wechsel dennoch durch. Er war eigentlich zu jung für den Trainer-Posten bei Aberdeen und verschaffte sich dennoch gleich Respekt. Viele reduzieren ihn auf United, doch was ihm mit Aberdeen gelang, ist vergleichbar überragend. Was viele vergessen: Mit Aberdeen besiegte er auf dem Weg zum Europapokal-Erfolg im Viertelfinale die Bayern und im Finale Real Madrid. Mit Aberdeen!
Seite 2: Krautzun über Fergusons Liebe für Deutschland und den BVB-Fußball