Wie der Schlagzeuger einer Band

Andreas Lehner
23. Juli 201015:32
Mario Himsl war 2010 Jahrgangsbester der Fußballlehrer-Ausbildung des DFBspox
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Die Position des Sechsers wurde in den bisherigen Teilen vor allem aus der Sicht des Spielers betrachtet. Jetzt ist es an der Zeit, auch den Trainern und seine taktischen Überlegungen und Methoden ins Spiel zu bringen. Ein Gastbeitrag von Mario Himsl, der 2010 den Lehrgang zum Fußballlehrer als Notenbester abschloss und aktuell als Assistenzcoach von Christian Ziege bei Arminia Bielefeld arbeitet. Die vier Schritte zum Erfolg.

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Schritt 1: Festlegen der Spielidee

Natürlich muss man die Spielidee an das vorhandene Spielermaterial anpassen, aber vor allem auf dem gehobenen Level, wo sich die Trainer meistens eine Mannschaft nach ihren Wünschen zusammenstellen können, ist die Entwicklung einer Spielidee fundamental. Jeder Trainer entwickelt eine klare Vorstellung, wie er Fußball spielen lassen möchte. Dabei gibt es kein Patentrezept und verschiedene Möglichkeiten, um erfolgreich zu sein.

Ein gutes Beispiel war das Champions-League-Finale, in dem zwei Trainer mit unterschiedlichen Spielideen aufeinandertrafen. Auf der einen Seite Louis van Gaal, dessen Spiel auf Ballbesitz beruht und dessen Team sich dadurch viele Freiräume erspielen will. Der FC Bayern versucht, Spieler auf gewissen Positionen, wie Arjen Robben im rechten Mittelfeld, so freizuspielen, dass dieser ins Eins-gegen-eins gehen kann.

Van Gaal setzt darauf, dass die Qualität seiner Spieler so hoch ist, dass sie sich mit langen Ballbesitzzeiten Chancen erspielen können. Dazu braucht es zwei spielstarke Sechser.

Jose Mourinho hat für Inter Mailand dagegen postuliert: Ich brauche keinen Ballbesitz. Ich habe eine Mannschaft, die super verteidigt und die taktisch sehr gut geschult ist. Deshalb hat er auch zwei defensivstarke Sechser aufgeboten. Esteban Cambiasso und Thiago Motta, beziehungsweise Dejan Stankovic mussten keine genialen Fußballer sein.

Für Mourinho war es wichtig, dass diese Spieler stark im Zweikampf sind, Gespür für den Raum, ein klares, einfaches Passspiel sowie ein gutes Umschaltverhalten haben. Denn Mourinhos Ziel war es, bei Ballgewinn schnell nach vorne zu spielen. Das musste gar nicht 25 Mal pro Spiel der Fall sein. Mourinho hat gemerkt, dass seine Mannschaft nach vorne so viel Qualität besitzt und vier, fünf Aktionen ausreichen, um zwei Tore zu erzielen.

Die Spielidee dient also als Grundlage für die Auswahl der bevorzugten Spielertypen. Auf dieser Basis stellt der Trainer seine Mannschaft zusammen. Insgesamt sollte er aber nicht zu sehr an seiner Spielphilosophie kleben. Wenn ich als Trainer unbedingt mit zwei Sechsern spielen will, aber gar nicht die Leute dafür habe, dann ist es schwierig, das den Spielern beizubringen.

Das System sollte immer an die Spieler angepasst werden. Denn auch wenn ich eine Vorstellung von meinem Fußball im Kopf habe, muss ich als Trainer in der Lage sein, zu erkennen, wie viel davon die Mannschaft tatsächlich umsetzen kann.

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Schritt 2: Festlegen der Grundordnung

Wenn ich meine Spielidee im Kopf habe, muss ich mir Gedanken darüber machen, welche Grundordnung dafür am besten passt und wie ich meine Spieler auf dem Platz verteilen möchte. Für die Position des Sechsers gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich spiele mit nur einem defensiven Mittelfeldspieler, der im Grunde selten nach vorne mitgeht und das Bollwerk vor der Abwehr darstellt. Das wäre beispielsweise im 4-1-4-1, im 4-3-3 oder im 4-4-2 mit Raute der Fall. Oder aber ich spiele wie im flachen 4-4-2 oder im 4-2-3-1 mit zwei defensiven Mittelfeldspielern.

Natürlich gibt es auf dieser Position ganz unterschiedliche Typen, aber wenn ich nur mit einem Mann vor der Abwehr spiele, dann brauche ich dort grundsätzlich einen soliden Typen, der einfach spielt, wenige Fehler macht und nicht groß auffallen will. Einen Typen, der jede Woche in der Zeitung stehen will, kann ich dort nicht gebrauchen. Es muss ein Spieler sein, der seinen Job macht, seine Aufgabe erledigt und dafür sorgt, dass die Viererkette so wenig Arbeit wie möglich bekommt. So wie der Spanier Marcos Senna bei der EM 2008.

Mit nur einem Sechser verfolgt man sehr wahrscheinlich eine offensivere Ausrichtung. Im 4-3-3 braucht man beispielsweise einen Spieler, der die Verbindung zwischen Angriff und Abwehr hält, die Löcher zuläuft, sich immer Richtung Ball verschiebt und bei Angriffen des Gegners immer da ist, wie aktuell Sergio Busquets bei Barca. In der Raute ist das eigentlich genauso. Der alleinige Sechser verschiebt sich in erster Linie zur Seite und ist immer in der Defensive gebunden. Er sieht seine Aufgabe darin, Konter abzuwehren und zu verhindern, dass Spieler ohne Druck auf die Abwehrkette zulaufen können. Dieser Sechser muss in seinem Spiel mehr in der Breite laufen als in der Tiefe. Das Spiel ist etwas anders angelegt als mit zwei Sechsern.

Taktik-Analyse: So funktioniert die Doppelsechs

Der Hauptunterschied liegt vor allem in der Abstimmung. Die Doppelsechs muss immer in der Staffelung spielen. Das heißt: beide dürfen bei Ballbesitz nie gleichzeitig vorne und nie gleichzeitig hinten sein. Das erfordert ein gewisses Maß an Spielverständnis. Bei Spielern, die sich vom Typ her zu ähnlich sind, funktioniert das meistens nicht. Entweder ist der Abstand vom Mittelfeld zum Sturm oder der Abstand von Mittelfeld zur Abwehr zu groß.

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Schritt 3: Sichtung des Spielermaterials anhand bestimmter Kriterien

Wie oben bereits angerissen muss ein Sechser je nach Spielidee und Grundordnung gewisse Fähigkeiten mitbringen. Für defensivere Systeme wählt man eher zweikampfstarke Spieler, die ein Spiel schnell nach vorne entwickeln können. Für offensivere Systeme passen technisch beschlagene Spieler, die bei Ballbesitz stark sind und das Spiel in die Breite und in die Tiefe entwickeln können.

Unabhängig von Philosophie und Ordnung gibt es aber Eigenschaften, die ein Spieler für die Position vor der Abwehr mitbringen muss - sowohl fußballerisch als auch charakterlich.

Bei Ballbesitz: Ein Sechser muss sehr ballsicher sein. Er ist quasi der Trichter, der immer am Spielaufbau beteiligt ist. Heißt: Er soll als erste Anspielstation aus der Abwehr dienen und dann in der Lage sein, ein sauberes, sicheres Passspiel zu entwickeln - so dass er im Endeffekt der Motor im Spiel nach vorne ist. Das setzt eine hohe Passsicherheit, eine gute Ballan- und Mitnahme und ein sehr gutes Freilaufverhalten voraus.

Wenn man als Beispiel die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 2010 mit Schweinsteiger und Khedira nimmt, die beide defensiv aber gleichzeitig auch offensiv denken, kommt das dem Idealtyp schon sehr nahe. Beide laufen sich gut frei, sind sehr ballsicher und können im Spielaufbau die Bälle gut verteilen. Dazu kommt, dass beide ein gutes Auge und die Fähigkeit zur Spielverlagerung haben, aber auch den unterstützenden Pass auf die Stürmer spielen können.

Es geht auf dieser Position nicht mehr nur ums Ballklauen, um ihn dann zurückzuspielen, sondern man muss auch die Stürmer und die Außen durch gezielte Pässe einsetzen können.

Im Spiel gegen den Ball: Natürlich braucht er eine gewisse Zweikampfstärke und -härte. Er muss schließlich viele Bälle gewinnen und sollte aus den meisten Zweikampfsituationen als Sieger hervorgehen. Wie ein Spieler die Bälle gewinnt, ist typabhängig. Entweder läuft er schon in den Raum, bevor der Pass kommt, weil er die Situation frühzeitig erkennt und den Ball so abfangen kann. Oder er ist zur Stelle, wenn der Gegenspieler den Ball annimmt, und der Sechser ist in der direkten Zweikampfführung sehr stark und gewinnt so den Ball.

Bei Ballbesitz des Gegners zeichnet einen guten Sechser seine Antizipationsfähigkeit aus, er muss Situationen erkennen und vorausschauend denken. Man spricht in diesem Zusammenhang immer von der Handlungsschnelligkeit, dazu gehört auch das Erkennen von Spielsituationen. Ein richtig guter Sechser kann ein Spiel lesen, er kann Situationen vorausdenken, er weiß, wo der Ball hinkommt, er geht im richtigen Moment als Zweiter in einen Zweikampf, bleibt aber im richtigen Moment auch weg.

Schnittstelle: Als verbindendes Element zwischen eigenem Ballbesitz und dem des Gegners ist heutzutage das Umschaltverhalten von entscheidender Bedeutung. Bei Ballverlust muss der Sechser sofort da sein, wo es brennt. Bei Ballgewinn muss er das Spiel schnell machen. Er sollte sich so schnell wie möglich zum gegnerischen Tor hindrehen oder durch schnelle Pässe mithelfen, dass der Ball nach vorne kommt. Geistige Schnelligkeit schlägt in diesem Fall physische Schnelligkeit.

Soft skills: Während man die angesprochenen fußballerischen Fähigkeiten bis zu einem gewissen Grad trainieren kann, muss ein Sechser eine Persönlichkeit darstellen und Führungsstärke haben. Wie Zvonimir Soldo zum Beispiel während seiner Zeit in Stuttgart. Diese Spieler sind oft auch der verlängerte Arm des Trainers auf dem Platz. Sie strahlen Sicherheit aus und die Mitspieler fühlen sich in ihrer Nähe wohl. Der Sechser muss kein Filigrantechniker sein, aber er muss ein Typ sein, der bereit ist, einfache Sachen zu machen und dabei wenige Fehler. Denn wenn auf dieser Position der Ball verloren wird, ist der Weg zum Tor meistens nicht weit. Der gegensätzliche Spielertyp ist der Dribbler. Der sagt: 'Wenn ich von zehnmal zweimal durchkomme, reicht mir das.' So eine Denke darf ein Spieler auf der Sechs nicht haben.

Ich vergleiche den Sechser gerne mit einem Schlagzeuger. Er macht einen unheimlich wichtigen Job in der Band, weil er den Takt vorgibt, aber der Gitarrist und der Sänger stehen vorne und ernten den Beifall. Der Schlagzeuger sitzt meistens hinten, aber wenn er nicht dabei ist, hört sich alles fürchterlich an. Genauso ist es beim Sechser eigentlich auch. Er bestimmt den Spielrhythmus, ob das Spiel langsam oder schnell wird. Er gibt den Takt vor, damit sich die anderen danach richten können. Er darf nicht aus dem Rhythmus kommen und keine Fehler machen. Und trotzdem wird er nur selten im Rampenlicht stehen.

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Schritt 4: Trainingsinhalte

Wie auf allen anderen Positionen auch, gibt es beim Sechser individual-, gruppen- und mannschaftstaktische Trainingsformen.

Das reine Positionstraining basiert auf der Überlegung, welche Spielsituationen auf einen Sechser häufig zukommen. Deshalb macht es wenig Sinn, mit defensiven Mittelfeldspielern schwerpunktmäßig Flanken oder gegnerüberwindendes Dribbling zu trainieren. Beim Sechser liegt das Hauptaugenmerk auf Anbieten, Ballan- und Mitnahme, Passspiel, Zweikampfführung und Umschaltverhalten.

Grundlegende Übung zum Anbieten und zur Ballan- und Mitnahme des Sechsers mit einem Gegenspieler im Rücken

Da gibt es beispielsweise positionsspezifische Trainingsformen, in denen er sich immer so anbieten muss, dass er den Ball- wie es in der Literatur heißt - in der "offenen Spielstellung" annimmt. Das heißt: Er soll den Ball so annehmen, dass er sich sofort ins Spiel drehen und den Ball nach vorn spielen kann.

Ich halte von diesem Ausdruck relativ wenig, weil ein Sechser in der heutigen Zeit den Ball oft mit dem Rücken zum Tor annehmen muss. Sich immer so freizulaufen, dass er das Spiel vor sich hat, funktioniert gar nicht mehr. Ich bevorzuge deshalb den Begriff: offensive Aktion. Der Sechser muss so geschult werden, dass er immer weiß, was in seinem Rücken los ist und wie das Spiel im nächsten Moment weitergeht. Er muss die beste Lösung finden können. Diese Übung kann man durch Hinzunahme weiterer Gegenspieler im gruppentaktischen Bereich und im mannschaftstaktischen Bereich im Zehn-gegen-zehn trainieren.

Dann gibt es natürlich auch defensivtaktische Trainingsformen, in denen in Verbindung von Viererkette und Sechser trainiert wird. Dabei soll das Zusammenspiel gefördert und ein Gefühl für die richtigen Abstände beim Spiel gegen den Ball entwickelt werden.

Wird mit einer Doppel-Sechs gespielt, hängt es von der Philosophie des Trainers ab, wer im Spielaufbau den ersten Ball aus der Innenverteidigung erhalten soll. Kommt immer nur der ballnahe Sechser, steht er oft mit dem Rücken zum Tor und kann den Ball meist nur klatschen lassen. Beim Pass auf den ballfernen ist das Risiko höher, weil sich der ballnahe mit einer offensiven Aktion löst und keine zusätzliche Absicherung mehr vorhanden wäre. Um die Gefahren und Probleme im Spielaufbau zu minimieren und von den Vorteilen profitieren zu können, müssen auch diese Abläufe immer wieder trainiert werden.

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