Michael Wiederer ist der mächtigste Mann im europäischen Handball. Im SPOX-Interview nach dem Champions-League-Final-Four in Köln spricht der österreichische EHF-Generalsekretär über den Streit mit der HBL, den problematischen Handball-Kalender und den FC Bayern.
SPOX: Herr Wiederer, das Final Four war einmal mehr ein voller Erfolg und mit dem ersten 7-Meter-Werfen in der CL-Historie so spektakulär und dramatisch wie. War die Einführung des Final Fours die beste Entscheidung, die die EHF treffen konnte?
Michael Wiederer: Die beste Entscheidung haben die europäischen Nationen bereits 1991 getroffen, als sie beschlossen haben, einen europäischen Verband zu gründen. Das hat dem Handball in Europa einen enormen Schub gegeben. Solange die CL noch vom Weltverband gemanagt wurde, war es ein klassischer Cup-Wettbewerb. Wir haben dann sofort 1994 ein Gruppensystem eingeführt, damals noch mit zwei Vierergruppen. Dadurch ist sehr viel Bewegung in die Sache gekommen.
SPOX: Seit der Saison 2009/2010 gibt es jetzt das Final Four in Köln. Was war die Intention dahinter?
Wiederer: Wir wollten ein Handball-Fest auf Top-Niveau etablieren, weil die CL-Finalspiele mit Heim- uns Auswärtspartien zuvor doch sehr lokal geprägt waren. Wenn Kiel gegen Ciudad Real spielte, interessierte das im Prinzip überwiegend nur die Menschen in Schleswig-Holstein und in Andalusien. Das wollten wir ändern und eine Plattform schaffen, die mehr Menschen erreicht. Dazu entschieden wir uns, zumindest in der ersten Phase nicht jedes Jahr den Austragungsort zu wechseln und fanden mit Köln den perfekten Partner. Deutsche Zuschauer sind gute Zuschauer, außerdem liegt Köln in der Mitte und bietet allen Fans einen guten Zugang, zum Final Four zu kommen. Köln ist ein erstklassiger Standort, für uns sind dadurch auch viele Standards Jahr für Jahr abgesichert. Wenn wir wechseln würden, würden wir jedes Mal von vorne beginnen, das wäre schwieriger.
SPOX: Es ist ja auch zu überlegen, wo überhaupt eine Arena mit fast 20.000 Fans zu füllen ist. Selbst in Spanien scheint das kaum vorstellbar. Es gibt de facto fast keine wirkliche Alternative zu Deutschland und Köln.
Wiederer: Wir sind jetzt mal bis 2016 sicher in Köln. Was danach kommt, müssen wir sehen. Wenn Sie mich fragen, wer Europameister wird, werde ich Ihnen sagen, dass es eine europäische Mannschaft sein wird. Das gleiche ist hier der Fall. (lacht) Ich kann es Ihnen nicht beantworten. Was ich sagen kann, ist, dass die Stadt Köln und die Lanxess-Arena hervorragende Partner sind. Wir haben aber auch die Verpflichtung, gegenüber den Klubs und dem Handball generell, uns andere Optionen anzuschauen. Köln ist aber unser erster Ansprechpartner.
SPOX: Wir haben ein rein deutsches Finale gesehen, es wäre auch sehr gut möglich gewesen, dass drei von vier Mannschaften aus der HBL kommen und das Final Four der CL zum zweiten DHB-Pokal wird. Machen Sie sich Sorgen wegen der deutschen Dominanz?
Wiederer: Nein, überhaupt nicht. Ich möchte es mal so ausdrücken: Unser Final Four hat sich aus dieser Frage erhoben. Als sich 2011 im Finale Barcelona und Ciudad Real gegenüberstanden, war das ein Schlüsselerlebnis. 19.600 Zuschauer waren bis zur letzten Sekunde dabei und sind aufgestanden, um den spanischen Sieger zu feiern. Das war für mich einer der berührendsten Momente. Wir wissen ja alle, wie es oft ist. Sobald die Heim-Mannschaft raus ist, interessiert der Rest nicht mehr. Beim Final Four ist das komplett anders. Wenn ich dann auch sehe, wie Jahr für Jahr im November alle Tickets für das nächste Jahr verkauft sind, dann bin ich sehr entspannt. Wir sind unabhängig davon, ob keine, eine, zwei oder drei Teams aus Deutschland qualifiziert sind.
SPOX: Aber Abwechslung sieht anders aus.
Wiederer: Mit Flensburg und Veszprem waren in diesem Jahr zwei Mannschaften zum ersten Mal dabei, das ist für mich Abwechslung. Kiel und Barca waren in den vergangenen zehn Jahren so dominierende Klubs in der Champions League, dass wir nicht erwarten können, vier neue Teams in Köln zu erleben. Aber Vardar Skopje war ganz dicht dran, die Rhein-Neckar Löwen hätten es statt Barca packen können - es gibt durchaus Spielraum.
SPOX: Dennoch: Es gibt zwar Teams mit großen Ambitionen wie PSG, aber es ist schon davon auszugehen, dass die HBL-Teams und Barcelona weiter extrem bestimmend bleiben werden. Die spanische Liga besteht - überspitzt formuliert - nur noch aus Barca. Wie bewerten Sie das?
Wiederer: Ich würde mir sicherlich mehr starke und ausgeglichener Ligen wünschen. Wir können feststellen, dass es in immer mehr Ligen starke Einzelklubs und eine große Differenz zwischen der absoluten Spitze und dem Rest gibt. Das ist aber eine Entwicklung, die es nicht nur im Handball gibt. Man denke an den deutschen Fußball beispielsweise.
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SPOX: Die EHF hat sich zur Saison 2015/2016 für eine weitere Aufstockung der Champions League auf 28 Teams entschieden.
Wiederer: Darf ich da bitte gleich einhaken. Aufstockung ist für mich nicht die richtige Bezeichnung. Wir machen zwei Dinge gleichzeitig. Wir reduzieren und wir stocken auf. Wir reduzieren, weil wir zum einen von 24 auf 16 Mannschaften zurückgehen in zwei Achtergruppen, in denen die absoluten Top-Mannschaften versammelt sind. Dazu stocken wir mit den Gruppen C und D auf und geben noch mehr Teams eine Chance, sich für das Achtelfinale zu qualifizieren. Aus unserer Sicht ist es immer noch ein offenes System, aber gleichzeitig stark fokussiert auf die ganz starken Mannschaften.
SPOX: Sie wissen am besten, dass es eine Fraktion gibt, die mit der Umstrukturierung überhaupt nicht zufrieden ist und sie ablehnt: die HBL. Wie groß ist Ihr Verständnis für die Haltung der HBL?
Wiederer: Vorneweg: Ich würde es gerne vermeiden, manche Wortwahlen der HBL zu benutzen. Ich möchte auch auf ihre Pressestatements nicht eingehen, in denen es heißt, dass die HBL uns ein Gespräch anbietet oder Ähnliches. Ich kann mich nicht erinnern, dass die HBL jemals mit etwas zufrieden gewesen wäre, was wir getan haben. Die Entwicklung der Champions League ist vorangeschritten, wir haben sehr viel ins Produkt investiert, so etwas fällt nicht vom Himmel. Wir haben mit einheitlichen Böden, dem Erscheinungsbild und vielen anderen Maßnahmen Standards gesetzt. Die HBL sagt zwar, dass das alles attraktiv wäre, beschäftigt sich aber doch sehr viel mit uns, wenn Sie daraus ableiten können, was ich meine. Die Restrukturierung läuft jetzt seit einem Jahr, in diesem Jahr habe ich von der HBL nicht einen Vorschlag gehört, wie die Herausforderungen, die es ohne Zweifel gibt, zu lösen sein könnten. Stattdessen habe ich eine Menge gehört, was die HBL nicht will.
SPOX: Eine berechtigte Kritik war bislang immer die Unattraktivität vieler Gruppenspiele. Wollen Sie mit dem neuen Modus auch dagegen angehen?
Wiederer: Genau, das ist eines der Ziele, das wir damit verbinden. Wir wollen mehr interessante Spiele für die Top-Klubs produzieren. Durch die Reduktion auf die zwei 8er-Gruppen treffen sich dort vereinfacht ausgedrückt die Mannschaften, die wir sonst auch im Achtelfinale sehen. Sprich: Uninteressante Spiele gibt es nicht mehr, weil die für die Top-Teams vielleicht unattraktiveren Gegner erstmal in den anderen Gruppen spielen. Dazu kommt, dass der Gruppensieger automatisch ins Viertelfinale einzieht. Das könnten ja auch zwei deutsche Mannschaften sein. Und für den Gruppensieger ergibt sich dann auch gar nicht in der Form eine Veränderung der Anzahl der Spiele.
SPOX: Der Kalender ist definitiv das Thema, das im Handball am meisten diskutiert wird. Die Diskussionen führen zuweilen soweit, dass radikale Veränderungen wie die "Verlegung" des Handballs zu den Winterspielen vorgeschlagen werden. Wie ist Ihre Meinung zum aktuellen Kalender?
Wiederer: Es ist klar, dass das Thema Kalender völlig unterschiedlich bewertet wird, je nachdem von welcher Seite es angeschaut wird. Dass ein Land wie Deutschland mit einer so intensiven Liga mit 18 Klubs größere Kalender-Probleme als ein Land mit einer kleineren Liga hat, liegt in der Natur der Sache. Es ist ein ewiges Diskussionsthema, bei dem wir viele Konzepte wie die Geschichte mit den Winterspielen nur theoretisieren können. Würde man das machen, würde das ja eine grundlegende Veränderung der Struktur bedeuten. Niemand weiß, ob das von Vorteil wäre. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass der Kalender langfristig gemacht wird. Wir sind jetzt fertig mit 2016, es gibt einen Rahmenkalender bis 2018. Es ist keine Frage, die sich leicht beantworten lässt. Schauen wir mal, was die Zukunft bringt.
SPOX: Wenn es um Olympia, WM und EM geht und große Handballnationen ein Turnier verpassen, was jetzt entweder Deutschland oder Polen für die WM 2015 in Katar erleben wird, schreien viele auch schnell nach Wildcards. Wie ist der Stand bei der EHF?
Wiederer: Im Moment ist es bei uns noch kein Thema, weil wir die EM momentan ja noch mit 16 Mannschaften spielen. Wir werden aber im September in Dublin dem Kongress eine Erweiterung der EM auf 24 Teams zum Beschluss vorlegen. Sobald das durch ist, müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie die 24 Teams zusammengesetzt werden. Dann werden auch Wildcards ein Thema sein.
SPOX: Der FC Bayern ist mit einer Wildcard in die Euroleague gekommen und hat sich in dieser Saison sehr ordentlich geschlagen. Der FC Bayern als Marke hat den Basketball in Deutschland generell nach vorne gebracht. Wäre das auch ein Modell im Handball?
Wiederer: Der FC Bayern Handball würde uns gut tun, absolut. Handball-Klubs, die bereits eine Struktur haben, helfen uns. Das gilt für den FC Barcelona und das würde natürlich auch für den FC Bayern gelten. Allerdings ist das ein Szenario, bei dem es im ersten Schritt eine Aufgabe der HBL wäre, sich darum zu kümmern, erst im zweiten Schritt dann für uns.
SPOX: Zwei Wochen vor dem Handball-CL-Final-Four fand das Euroleague-Final-Four in Mailand statt. Wie ist das Verhältnis zu den Basketballern?
Wiederer: Wir haben mit den Basketballern ein sehr gutes und offenes Verhältnis, es gibt einen guten Austausch, auch vor allem unter den Klubs selbst. Die Euroleague ist für uns auch keine Konkurrenz. Wir haben festgestellt, dass unser Klientel nicht exakt das gleiche ist, deshalb ist alles wunderbar, solange sie und wir unsere Hallen voll bekommen. Wir schauen natürlich auch, was die Euroleague macht. Wir haben zu Beginn über das Final Four gesprochen. Als die Euroleague jedes Jahr mit dem Standort gewechselt ist, haben wir gesehen, welche Probleme das kreierte und unsere Schlüsse daraus gezogen.
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