"Warum war da die Polizei?"

Felix Götz
14. Januar 201517:05
Stefan Lövgren (r.) feierte mit dem THW Kiel zahlreiche Erfolgegetty
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Stefan Lövgren wird beim THW Kiel nach wie vor als Legende verehrt, bei der WM in Katar ist er als Sportdirektor der schwedischen Mannschaft dabei. Der 44-Jährige kritisiert bei SPOX die IHF und Katar, traut der deutschen Mannschaft eine gute Rolle zu - und erinnert sich an ein besonders wildes Flensburg-Derby.

SPOX: Herr Lövgren, Sie waren als tadelloser Sportsmann bekannt. Es gab aber eine unrühmliche Ausnahme, als Sie 2005 beim Derby zwischen Kiel und Flensburg eine Schlägerei auslösten, die erst durch die Polizei beendet werden konnte. Was war da denn los?

Stefan Lövgren: Das Derby zwischen Kiel und Flensburg ist ein Mythos. Sie sprechen die Szene an, als ich mehr oder weniger über Johnny Jensen drüber gefallen bin (lacht).

SPOX: Es gibt Menschen, die diese Situation anders beschreiben. Sie rissen Jensen, der den Ball Sekunden vor Schluss beim Stande von 26:26 zum Sieg für Flensburg ins Tor hätte werfen können, an der Mittellinie um. Daraufhin kam es zu wüsten Szenen.

Lövgren: Ich gebe es zu, das war nicht okay von mir. Ich konnte die wütenden Reaktionen von Johnny und den Flensburgern nachvollziehen. Aber Johnny und ich gaben uns später die Hand. Er sagte dann sogar, er hätte an meiner Stelle genauso gehandelt.

SPOX: Noch härter als die Partie und die Prügelei soll es für Sie aber anschließend zu Hause geworden sein, stimmt das?

Lövgren: Absolut. Als ich nach Hause kam, musste ich meinem Sohn erklären, was da passiert war. Er hatte die Szenen im Fernsehen gesehen und stellte mir nun Fragen. Warum war da die Polizei? Warum hast du so ein Foul gemacht? Es war nicht so leicht, die richtigen Worte zu finden. Der Papa sollte ja Vorbild sein. Ich versuchte, es ihm zu erklären und gestand meinen Fehler natürlich ein.

SPOX: Ansonsten war nur Glanz und Gloria. In zehn Jahren beim THW wurden Sie sieben Mal Meister, gewannen die Champions League. Welche Erinnerungen sind geblieben?

Lövgren: Sehr viele schöne Erinnerungen natürlich. Die Zeit in Kiel war einfach nur toll. Da geht es aber nicht nur um den Handball, sondern auch um die Menschen. Wir haben nach wie vor einige Freunde in Deutschland. Sportlich und privat hat es in Kiel einfach sehr gut gepasst. Zehn Jahre durfte ich in einem der absoluten Topteams der Welt spielen und Erfolge feiern.

SPOX: Was macht den THW so besonders?

Lövgren: Es ist vor allem die Art, wie Handball in Kiel gelebt wird. Die Menschen sind einfach handballverrückt. Heimspiele vor über 10.000 Zuschauern - besser geht es nicht.

SPOX: Wenn man an Ihr Abschiedsspiel 2009 denkt, bekommt man noch heute Gänsehaut. Die Stars und Fans strömten von überall herbei. Wie war es für Sie?

Lövgren: Das bedeutete mir sehr viel, es war ziemlich emotional.

SPOX: Der Handball ermöglichte Ihnen also ein aufregendes Leben. Dabei wollten Sie lange Zeit gar nicht Profi werden.

Lövgren: Ich träumte schon davon, Profi zu werden - aber Fußballprofi. Ich spielte im Sommer Fußball und im Winter Handball. Erst mit 17 oder 18 Jahren beschloss ich, mich auf Handball zu konzentrieren.

SPOX: Sie wurden einer der besten Spieler der Welt, Ihr Talent muss doch schon in jungen Jahren deutlich zu sehen gewesen sein. Warum also dauerte es so lange, bis Sie sich für Handball entschieden hatten?

Lövgren: Es war eben nicht so, wie Sie sagen. Als Jugendlicher war ich kein besonderes Talent, ich musste mir viele Dinge hart erarbeiten. Deshalb war ich mir gar nicht so sicher, ob es reichen würde. Und später stellte sich die Frage, ob ich es auch im Ausland, in einer größeren Liga, schaffen könnte. Ich hatte es damals nicht eilig, ins Ausland zu wechseln und fühlte mich lange auch gar nicht bereit dazu.

SPOX: Dennoch sind Sie schließlich dem Lockruf aus Deutschland gefolgt.

Lövgren: Ich kam an einen Punkt, an dem ich mich entscheiden musste. Ich wollte nicht mit 40 Jahren aufwachen und der Chance hinterher trauern.

SPOX: Sie gingen zunächst nach Niederwürzbach.

Lövgren: Genau. Doch der Verein bekam bald finanzielle Probleme. Das war traurig für den Klub, im Nachhinein gesehen für mich aber nicht so schlecht. Ich landete in Kiel, dann ging es los. Handball ist danach immer ein Teil meines Lebens geblieben.

SPOX: Aktuell ganz besonders. Sie sind als Sportdirektor der Schweden bei der WM in Katar dabei. Wie sieht Ihre Aufgabe aus?

Lövgren: Ich bin für die Frauen- und Männernationalmannschaft im Seniorenbereich verantwortlich. Aber Katar wird meine letzte Reise in sportlicher Verantwortung. Anschließend werde ich beim Verband in den geschäftlichen Bereich wechseln.

SPOX: Ihr letztes Turnier in sportlich verantwortlicher Position hat es in sich, schließlich sorgt die WM in der Wüste schon seit Monaten für Gesprächsstoff. Katar ist nicht gerade eine Handballnation, es gab viel Kritik an der Vergabe. Wie stehen Sie dazu?

Lövgren: Es geht nicht darum, ob Katar eine Handballnation ist oder nicht. Das kann nicht das wichtigste Kriterium sein.

SPOX: Sondern?

Lövgren: Menschenrechte, Arbeitsbedingungen. Darum geht es. Was wir aus Katar diesbezüglich gehört haben, halten weder wir Schweden noch ihr Deutschen für gut. Das kann man einfach nicht anders sagen. Auch solche Kriterien müssen meiner Meinung nach bei einer WM-Bewerbung mit einkalkuliert werden. Stimmen Menschenrechte und Arbeitsbedingungen nicht, dann kann man kein Kandidat werden.

SPOX: Wie geht man nun mit dieser Situation um?

Lövgren: Das ist nicht so einfach, denn jetzt ist es nun mal so. Wir nehmen natürlich teil und werden gegebenenfalls unsere Meinung sagen. Durch den Sport ist die Diskussion darüber in die breite Öffentlichkeit getragen worden. Nicht nur wegen der Handball-WM, sondern vor allem natürlich wegen der Fußball-WM. Dass darüber berichtet und diskutiert wird, finde ich gut.

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SPOX: Auch die Vergabe der nachträglichen Startplätze sorgte für Wirbel. Das DHB-Team schaffte die Qualifikation nicht, ist aufgrund der Wildcard aber dabei. Das löste selbst in Deutschland Diskussionen aus. Wie wurde die Entscheidung pro Deutschland im Ausland, in Schweden, aufgenommen?

Lövgren: Wir, ihr Deutschen selbst und viele andere sehen das sehr kritisch. Das ist nichts gegen Deutschland, sondern gegen die Kriterien. Der IHF fehlt es in diesem Punkt an Transparenz. Warum genau wer zur WM fährt und warum nicht, wenn es Situationen gibt, wie es sie in den vergangenen Monaten gegeben hat. Das gilt nicht nur für den Fall Deutschland, sondern auch für Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Island. Nochmal: Der DHB oder Island tragen nicht die Schuld. Aber wir brauchen in solchen Fragen von Seiten der IHF in Zukunft mehr Transparenz und klare Kriterien.

SPOX: Weil es dem Handball an sich schadet?

Lövgren: Ja, so sehe ich das. Man muss von Anfang an wissen, wie es aussieht, wenn irgendeine Mannschaft aus irgendeinem Grund nicht mehr teilnehmen kann, will oder soll. Da muss im Vorfeld ganz klar geregelt sein, wer dann nachrückt. Es kann ja nicht sein, dass es Spekulationen gibt, ob nun große Mannschaften mit großen Fernsehverträgen oder einer großen Population dazukommen. Das ist nicht im Sinne des Sports.

SPOX: Nun ist die deutsche Mannschaft nun mal dabei. Was trauen Sie ihr zu?

Lövgren: Deutschland gehört zu den Mannschaften, die sicherlich nicht die Favoritenrolle tragen. Für den DHB geht es um die Plätze dahinter, sie müssen sich beweisen. Es gibt einen neuen Bundestrainer, der neue Impulse setzen wird. Ich glaube, dass Deutschland eine gute WM abliefern wird.

Dagur Sigurdsson im SPOX-Interview

SPOX: Gibt es einen deutschen Spieler, den Sie besonders schätzen?

Lövgren: Nein, das eigentlich nicht. Aber als Team könnte Deutschland funktionieren. Ich bin wirklich sehr gespannt, welche Änderungen Dagur reinbringt.

SPOX: Sie sprechen Dagur Sigurdsson an. Bevor er Bundestrainer wurde, soll auch Schwedens Nationalcoach Staffan Olsson ein Kandidat für den Posten beim DHB gewesen sein. Wie eng war der Kontakt?

Lövgren: Das müssen Sie Staffan und den DHB fragen. Ich kann nur sagen, dass ich auch davon gelesen und gehört habe. Aber es gibt so viele Gerüchte in unserer Branche. Der DHB hat mit Dagur eine gute Wahl getroffen, damit ist die Diskussion für mich beendet.

SPOX: Kommen wir zur schwedischen Mannschaft. Es gab magere Jahre, beispielsweise wurde die WM 2007 in Deutschland verpasst. Woran lag das?

Lövgren: Das tat weh. Es haben damals viele große Spieler innerhalb kurzer Zeit aufgehört. Und es gab eine Zeit, in der wir sehr viele richtig gute Spieler hatten. Das Problem: Viele kamen aus einer ähnlichen Generation. Im Nachhinein wäre es besser gewesen, man hätte schon zu der Zeit junge Spieler intensiver eingebaut, dann wäre der Übergang vielleicht glatter gelaufen. Der Weg für junge Spieler nach oben war nicht leicht.

SPOX: Nun sieht es wieder besser aus. Mit Island, Frankreich, Tschechien, Algerien und Ägypten befindet sich Schweden allerdings in einer Todesgruppe.

Lövgren: Ich weiß nicht, ob man diesen Ausdruck nehmen muss. Aber natürlich sind es schwierige Gegner. Trotzdem nützt es nichts, jetzt zu jammern. Wir müssen es nehmen, wie es ist, und sehen, dass wir da durch kommen.

WM 2015: Alle Gruppen im Überblick

SPOX: Mit welcher Zielsetzung gehen Sie die WM an?

Lövgren: Zunächst geht es nur darum, das Achtelfinale zu erreichen. Dann muss man sehen, auf wen man trifft. Die andere Gruppe, gegen die wir im Achtelfinale spielen würden, ist nämlich ebenfalls ziemlich schwierig mit Dänemark, Polen, Russland und Deutschland.

SPOX: Dennoch werden sich die Fans in Schweden kaum mit dem Achtelfinale zufrieden geben, oder?

Lövgren: Trotzdem halte ich es angesichts der Konstellation nicht für sinnvoll, weiter als bis zum Achtelfinale zu denken. Die Mannschaft - wir haben darüber gesprochen - sieht es genauso. Sollten wir weiterkommen und es ist klar, wie es weitergeht, kann man sich neue Ziele setzen. Die werden bei uns aber immer realistisch sein.

SPOX: Viel dürfte zwischen den Pfosten entschieden werden. Erreichen Mattias Andersson und Johan Sjöstrand Bestform, wäre das ein Pfund.

Lövgren: Das sehe ich genauso. Es gibt im Handball so einen Satz, der so banal klingt und immer wieder gesagt wird. Ich möchte ihn eigentlich gar nicht sagen, weil er irgendwie nach einer Phrase klingt. Aber er ist nun mal zu 100 Prozent wahr.

SPOX: Ohne einen herausragenden Torhüter gewinnst du im Spitzen-Handball nichts.

Lövgren (lacht): Den meinte ich.

SPOX: Wobei gute Torhüter nicht nur Schweden hat.

Lövgren: Das stimmt natürlich. Bei der WM haben mehrere Mannschaften herausragende Torhüter. Wir haben gleich zwei auf einem sehr hohen Niveau, in dieser Situation fühlen wir uns sehr wohl.

SPOX: Nur Andersson und Sjöstrand werden es nicht richten können. Von welchen Feldspielern erwartet Schweden große Taten?

Lövgren: Natürlich von Kim Andersson, der nach seiner langen, verletzungsbedingten Pause wieder zurück im Nationalteam ist. Wir brauchen aber auch ein oder zwei andere Spieler, die den Durchbruch schaffen oder überraschend gut spielen. Beim letzten großen Turnier war das unser Kreisläufer Andreas Nilsson, der eine herausragende Leistung gebracht hat.

SPOX: Wer ist der Topfavorit auf den Titel?

Lövgren: Den einen Topfavoriten gibt es aus meiner Sicht nicht. Frankreich, Dänemark und Spanien sehe ich auf ähnlichem Niveau in der Spitzengruppe. Warten wir einfach mal ab.

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