Kapitän Joshua Kimmich nannte es "den absoluten Tiefpunkt", laut Bundestrainer Julian Nagelsmann lag das DFB-Team "am Boden": Nach dem Vorrunden-Aus bei der Katar-WM, etlichen Blamagen und der Entlassung von Hansi Flick hatte Deutschland in Nagelsmanns Anfangszeit auch noch die prestigeträchtigen Duelle mit der Türkei und Österreich verloren. Man mag es kaum glauben, aber ja: Das ist nur ein Jahr her!
Seitdem hat der 37-jährige Bundestrainer in Deutschland eine lange nicht mehr dagewesene Begeisterung für die Nationalmannschaft geweckt - und das DFB-Team zurück in die Weltspitze geführt.
Bei der Heim-EM scheiterte Deutschland, getragen von der Euphorie im Land, nur hauchzart an Spanien. Kein Gegner hatte den späteren Sieger so nahe an einer Niederlage. Nagelsmann gab daraufhin den WM-Titel 2026 als Ziel aus und der zuvor belächelten Nations League einen hohen Stellenwert.
Seine Mannschaft nutzte diese Bühne, um sich in beeindruckender Manier auf hohem Niveau zu stabilisieren. In der Liga A schoss keine Nation mehr Tore als Deutschland (18) und keine kassierte weniger (4). Bei den Schützenfesten gegen Ungarn im September (5:0) und vergangenen Samstag gegen Bosnien-Herzegowina (7:0) spielte sich das DFB-Team förmlich in einen Rausch. Gegen den EM-Halbfinalisten Niederlande gelangen beachtliche vier Punkte.
Schon vor dem abschließenden Duell mit Ungarn stand Deutschland als Gruppensieger fest. Die bei der EM entstandene positive Grundstimmung hält bis heute an. Daran ändert auch das etwas rumpelige Remis zum Abschluss in Budapest nichts - das letztlich nur wegen eines strittigen Elfmeterpfiffs in der Nachspielzeit nicht gewonnen wurde.
DFB-Team: Kein Reservist drängt sich ernsthaft auf
Ehe im März das Viertelfinale der Nations League gegen Dänemark, Kroatien oder Italien (Auslosung am Freitag) steigt, nutzte Nagelsmann das Spiel gegen Ungarn für Experimente. Im Vergleich zur Gala gegen Bosnien änderte er seine Startelf auf gleich neun Positionen.
Wenig verwunderlich hatte die Komplett-Rotation Auswirkungen auf die Spielqualität. Deutschlands Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit war dahin, aber immerhin verteidigte das DFB-Team grundsolide und brach gegen einen Angstgegner der vergangenen Jahre (naja, zumindest bis zum 5:0 im September) nicht auseinander. Ernsthaft aufgedrängt hat sich von den Reservisten aber keiner.
Julian Brandt enttäuscht bei seinem Comeback nach einjähriger Abstinenz, genau wie sein Dortmunder Kollege Felix Nmecha (trotz seines Treffers) und der Stuttgarter Chris Führich bei seinem allerersten Startelf-Auftritt für das DFB-Team. Serge Gnabry und Leroy Sané übten unterdessen keinen Druck auf das gesetzte Zauberer-Trio Jamal Musiala, Florian Wirtz und Kai Havertz aus. Wobei einer der beiden Münchner Routiniers wegen Wirtz' Gelbsperre im Viertelfinal-Hinspiel wohl beginnen darf.
Ein paar Abweichungen vom eingespielte Stammzirkel kann die Nationalmannschaft gut verkraften. Das bewies sie bestens beim 1:0-Sieg gegen die Niederlande im Oktober, als sich die nun allesamt verletzten Aleksandar Pavlovic, Angelo Stiller und Jamie Leweling aufdrängen. Neun Wechsel sind dann aber doch zu viel für einen flüssigen Übergang.
Julian Nagelsmann stellen sich drei knifflige personelle Fragen
Nagelsmann stellen sich mit Blick auf das Viertelfinale im März und ein mögliches Final-Four-Turnier im Juni nun drei knifflige personelle Fragen: Wer steht im Tor? Wer verteidigt links? Und wer stürmt?
Alexander Nübel gab gegen Ungarn eine starke Bewerbung im Duell mit Oliver Baumann um den Posten des Interims-Stammkeepers ab. Im März will sich der Bundestrainer auf einen der beiden festlegen für die verbleibende Zeit, bis Marc-André ter Stegen von seinem Patellasehnenriss zurückkehrt. "Ich habe eine Tendenz", sagte Nagelsmann in Budapest. "Aber die verrate ich nicht."
Links hinten duellieren sich Maximilian Mittelstädt und der aktuell verletzte David Raum, Robin Gosens belebte das deutsche Spiel nach seiner Einwechslung gegen Ungarn und hat Außenseiterchancen. Im Sturm positionierten sich in Abwesenheit des verletzten Niclas Füllkrug zuletzt Tim Kleindienst und der aktuell ebenfalls angeschlagene Deniz Undav.
DFB-Team: Die besondere Botschaft vom Ungarn-Spiel
Unabhängig von der fußballerischen Leistung lieferte der sportlich bedeutungslose Abschluss dieses so erfreulichen Länderspieljahres 2024 noch eine besondere Botschaft. Zwei Kleinigkeiten unterstreichen ganz wunderbar den Zusammenhalt innerhalb der Nationalmannschaft und den Stellenwert, den sie für die Spieler mittlerweile wieder hat.
Obwohl Jonathan Tah gelbgesperrt fehlte und seit Wochen im Dauereinsatz ist, reiste er mit der Mannschaft nach Budapest, nur um sie von der Tribüne aus zu unterstützen. Obwohl Kimmich gegen Bosnien angeschlagen ausgewechselt worden war und bis dahin sämtliche Pflichtspiele durchgespielt hatte und obwohl es gegen Ungarn um nichts ging, wollte er unbedingt auflaufen. Grundsätzlich ein wichtiges Zeichen des Kapitäns, trotz seines ausnahmsweise schwachen Auftritts.
"Das Wir-Gefühl, das ich spüre, hatte ich noch nie", sagte Nagelsmann, ehe er sich mit der Nationalmannschaft in eine viermonatige Winterpause verabschiedete. "Das hat mir persönlich viel gegeben."