"Dirk war immer ein kleiner Witzbold"

Ole Frerks
30. Oktober 201415:04
Sven Schultze absolvierte über 100 Spiele für die deutsche Nationalmannschaftimago
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Letzte Saison gewann er mit Alba noch das Top Four, nun hat sich Sven Schultze den Eisbären Bremerhaven angeschlossen. Im großen SPOX-Interview spricht der Veteran über seinen Wechsel und den Zustand der BBL im Vergleich zum Beginn seiner Karriere. Außerdem: wilde Geschichten aus Griechenland, Witzbold Dirk Nowitzki und die Debatte Nationalmannschaft vs. NBA.

SPOX: Herr Schultze, vor kurzem sorgte Alba Berlin mit dem Sieg gegen die San Antonio Spurs für großes Aufsehen. Entwickelt man da auch ein bisschen Wehmut, nicht dabei gewesen zu sein? Sie sind ja erst im Sommer nach Bremerhaven gewechselt.

Sven Schultze: Nein, gar nicht. Ich konnte das Spiel leider nicht sehen, weil wir zu der Zeit selbst im Einsatz waren. Als ich aber danach gehört hatte, dass sie per Buzzerbeater gewonnen haben, dachte ich einfach nur: "Krass!" Ich habe mich für die Jungs total gefreut, einigen hatte ich vorher noch geschrieben, dass sie alles geben und jeden Moment genießen sollten. Für den deutschen Basketball ist das natürlich auch toll. Ich durfte die Erfahrung vor zwei Jahren ja auch mit Alba machen, als wir gegen die Mavs gespielt haben.

SPOX: Können Sie das Erlebnis beschreiben?

Schultze: Das ist schon einmalig. Das hat so ein besonderes Flair, als würde man selbst in der NBA spielen. Ich wäre vielleicht ein wenig neidisch auf die Jungs gewesen, wenn ich diese Erfahrung damals nicht gemacht hätte. (lacht)

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SPOX: Apropos Erfahrung. Daran fehlt es Ihnen ja nicht: Sie haben 1995 Ihre erste BBL-Saison absolviert. Mit Blick auf damals - wie hat sich die deutsche Basketball-Landschaft seitdem verändert?

Schultze: Da hat sich so viel getan. Zum einen ist die Liga vom Spiel her viel besser geworden, fast jeder Verein hat mittlerweile eine moderne Arena, in die mindestens 3000 Zuschauer passen müssen. Als ich angefangen habe, waren das noch bessere Schulhallen, die bei Bedarf einfach restlos überfüllt wurden. (lacht) Amerikaner gab es damals maximal zwei pro Mannschaft, das muss man sich mal vorstellen.

SPOX: Und wie sehen Sie die BBL im internationalen Vergleich?

Schultze: Auf einem richtig guten Weg. Mittlerweile finden sich viele gute Spieler in der Liga, die beispielsweise in den USA am College waren. In der Euroleague haben es in den letzten Jahren einige deutsche Teams recht weit gebracht, und das auch seit einiger Zeit wieder mit jungen deutschen Spielern in Führungsrollen.

SPOX: Wird sich das in den nächsten Jahren auch wieder mehr auf die Nationalmannschaft auswirken?

Schultze: Ich gehe davon aus. Das Talent ist ja vorhanden, in den letzten Jahren ging es aber eben auch immer wieder darum, wer nun der Richtige für den Bundestrainerjob ist, da gab es wenig Stabilität und keine erkennbare Handschrift. Der richtige Mann wäre Svetislav Pesic gewesen, aber bei ihm kam dann eben dieses Wahnsinnsangebot von den Bayern. Jetzt muss eben eine andere Lösung her, die dauerhaft etwas aufbauen kann.

SPOX: Trauen Sie Emir Mutapcic diese Rolle zu oder denken Sie eher an jemand anderen?

Schultze: Ich weiß nicht, wie seine Pläne sind, ob er das weitermachen will. Er hatte jetzt eine ziemlich schwierige Zeit, auch wenn er viele der Jungs schon aus der U 20 kannte. Wenn man ihm das Vertrauen gibt, traue ich Mucki schon viel zu. Das kommt aber auch auf das Entgegenkommen der Bayern an.

SPOX: Diesen Sommer gab es ziemlich viel Unruhe wegen der Spieler, die sich in der Summer League versuchten, statt mit der Nationalmannschaft zu trainieren. Auch Mutapcic kritisierte sie öffentlich. Haben Sie eine Meinung dazu?

Schultze: Wer diese Chance hat, soll sie ruhig nutzen. Jeder Basketballspieler auf der Welt träumt davon, in die NBA zu kommen. Wenn sich diese Chance bietet - was spricht dagegen?

SPOX: Bei Ihrem Jahrgang sah das aber anders aus.

Schultze: Das lag allerdings vor allem daran, dass man damals nicht an diese Chance glaubte. Natürlich konzentrierte man sich dann eher auf die Nationalmannschaft. Ich für meinen Teil kann aber niemanden verteufeln. Und wer weiß: Vielleicht würde ich mich heute auch anders entscheiden.

SPOX: Hat sich diese Tür durch den Erfolg von Dirk Nowitzki und anderen internationalen Spielern geöffnet?

Schultze: Ja, man muss sich nur anschauen, wie viele Nationen bei den Spurs rumlaufen und wie viele Europäer mittlerweile in der NBA gute Rollen spielen. Wenn man das sieht, glaubt man natürlich eher an die eigene Chance, sich dort durchzusetzen.

SPOX: Nowitzki ist ein gutes Stichwort. Er sagte einmal, Sie seien mit der beste Mitspieler, den man haben kann. Was genau zeichnet Sie denn aus?

Schultze: Ich würde behaupten, dass ich immer gut darin war, die kleinen Dinge zu machen, die für den Sieg wichtig waren. Ich war nie der Typ, der wahnsinnig viele Punkte oder Rebounds geliefert hat. Harte Blöcke stellen, wichtige Rebounds holen, den freien Mann finden und immer vollen Einsatz geben, das trifft es schon eher. Und wenn ich frei bin, habe ich auch die Eier, mal einen reinzuhauen. (lacht) Dass einer wie Dirk mich dann so adelt, freut mich natürlich extrem.

SPOX: Andersherum gefragt: Wie war es für Sie, immer wieder mit Nowitzki zu spielen, während er mehr und mehr zum Weltstar wurde? SPOX

Schultze: Das hat sich nie so angefühlt. Wir kennen uns ewig, haben schon in der Bayern-Auswahl zusammengespielt und dann die ganzen U-Nationalmannschaften gemeinsam durchschritten. Deswegen war das auch später, als er so viel Erfolg hatte, eigentlich das Normalste der Welt. Auch wenn natürlich jeder wusste, dass Dirk der wichtigste Mann war. Er hat uns 2008 zu Olympia geführt und 2005 haben wir dank ihm in Belgrad Silber bei der EM gewonnen. Der deutsche Basketball hat ihm unheimlich viel zu verdanken.

SPOX: Privat soll er ja richtig witzig sein.

Schultze: Ja, das ist das Schöne bei ihm, er hat sich nie groß verändert. Schon als ich ihn kennen lernte, war er einfach ein Kasper, ein kleiner Witzbold. (lacht) Er hat schon immer gerne rumgeblödelt und hat sich das zum Glück erhalten.

SPOX: Während er sich in der NBA einen Namen machte, gingen Sie 2005 nach Mailand, für die Zeit ein ungewöhnlicher Schritt. Wie kam es dazu?

Schultze: Mein Vertrag in Leverkusen lief damals aus, und ich wollte mich gerne mal im Ausland versuchen. Der Mailänder Manager Marco Baldi - nein, nicht DER Marco Baldi (lacht) - hatte einen guten Draht zu unserem Management und als sich bei denen einer verletzt hatte, hat mich Bayer netterweise aus meinem Vertrag gelassen, damit ich wechseln konnte.

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Seite 2: Schultze über das Ausland, Bremerhaven und die Karriere danach

SPOX: Warum wollten Sie ins Ausland?

Schultze: Ich wollte etwas Neues kennen lernen. Damals war kaum einer von uns im Ausland, mir fallen nur Stephen Arigbabu, Patrick Femerling und Michael Koch ein. Ich wollte aber auf jeden Fall mal raus, um mich als Spieler, aber auch als Typ weiterzuentwickeln.

SPOX: Und das hat geklappt?

Schultze: Total. Die fünf Jahre im Ausland waren mit die schönsten meiner Karriere und meines kompletten Lebens, nicht nur durch Basketball. Meine beiden Kinder kamen auch in dieser Zeit auf die Welt. Ich habe unglaublich viel gelernt und vieles erlebt, was ich nie wieder vergessen werde.

SPOX: Gab es auch Negatives?

Schultze: In Griechenland lief nicht alles glatt...

SPOX: Erzählen Sie.

Schultze: Zum einen wurde dort regelmäßig in der Halle geraucht.

SPOX: Wie bitte?

Schultze: Es war verboten, aber das hat keinen abgehalten. Wenn man dagegen etwas gesagt hätte, wäre man vermutlich mit einem Stuhl beworfen worden. Daran gewöhnt man sich dann gezwungenermaßen. Die Zuschauer dort sind generell etwas anderes, speziell bei Olympiakos, Panathinaikos oder Aris Saloniki. Was da in den Zeitungen steht, ist nicht übertrieben.

SPOX: Was lief dort noch schief?

Schultze: Ich habe mein Geld nicht bekommen. Ich war mitten während der Finanzkrise 2008 dort und bekam einfach über drei Monate kein Gehalt. Darauf warte ich übrigens auch bis heute. Wenn ich zurückblicke, war das vielleicht die einzige Entscheidung, die ich heute anders treffen würde.

SPOX: Nach all diesen Stationen sind Sie jetzt in Bremerhaven gelandet. Wie genau kam es eigentlich dazu?

Schultze: Ganz einfach: Ich wollte meine Karriere noch nicht beenden und weiterspielen! Berlin hat mir nicht wirklich ein Angebot gemacht und konnte mir auch keine Perspektive aufzeigen, die mich gereizt hätte.

SPOX: Und Bremerhaven schon?

Schultze: Bremerhaven hat sich schon letztes Jahr während der Playoffs um mich bemüht. Coach Calvin Oldham sagte mir: "Wir wollen dich unbedingt." Er hat mich immer wieder gefragt und letztendlich habe ich die Chance erkannt, hier noch mal richtig anzugreifen. Das schien mir auch richtig, weil ich meine Karriere nicht abrupt oder als Bankdrücker beenden wollte.

SPOX: Wurde Ihnen direkt gesagt, welche Rolle Sie einnehmen würden? Sie sind mittlerweile immerhin Kapitän.

Schultze: Calvin hatte schon seine Vorstellungen. Er wollte einen erfahrenen, charakterstarken Führungsspieler haben, der auf und neben dem Platz Verantwortung übernimmt. In dieses Profil passte ich wohl ganz gut rein. (lacht)

SPOX: Wie drückt sich das im Locker Room aus?

Schultze: Naja, ich bin fast sieben Jahre älter als unser zweitältester Spieler. Ich bin gewissermaßen Mentor und Mitspieler in einem. Ich habe aber während meiner Karriere nie ein Blatt vor den Mund genommen, auch als jüngerer Spieler immer frei von der Schnauze gesprochen. Aber natürlich versuche ich auch, den jüngeren Spielern zu helfen.

SPOX: Hatten Sie selbst Vorbilder in der Hinsicht?

Schultze: Henrik Rödl und Patrick Femerling. Ich habe von beiden viel gelernt und versuche seitdem, selbst mein Wissen weiterzugeben. Egal, ob es um Dinge on the court oder abseits davon geht. Das war zuletzt bei Alba auch schon Teil meiner Rolle, und in der Nationalmannschaft sowieso. Ich habe es immer als Teil meiner Aufgabe betrachtet, für gute Stimmung zu sorgen, da man sonst ohnehin keinen Erfolg haben kann.

SPOX: Und wie gefällt Ihnen Bremerhaven? Der Unterschied zu Berlin ist ja schon nicht ganz unerheblich...

Schultze: Klar, der ist riesig. Aber ganz ehrlich: Es gefällt mir gut, am Wasser zu sein, hier kann man wunderbar entspannen, das hat schon was von Urlaub. Und zu klein ist die Stadt auch nicht. Das passt mir sehr gut, es ist ja nicht das erste Mal, dass ich in einer kleineren Stadt spiele.

SPOX: Und das Team? Was trauen Sie den Eisbären in dieser Saison zu?

Schultze: Letztes Jahr ist Bremerhaven mit 0-7 gestartet, das konnten wir jetzt zum Glück verhindern. So schlecht sind wir nicht, und wir wollen ganz klar in die Playoffs. Hier herrscht Aufbruchstimmung, weil viele neue Charaktere da sind. Wir haben deswegen aber auch noch viel Luft nach oben, da einige die Liga noch nicht so richtig kennen. Ich würde sagen, dass Teams wie Alba, Oldenburg, Bayern oder Bamberg zwar über uns stehen, aber wir können mithalten.

SPOX: Ihr Mitspieler Moses Ehambe hat neulich bereits die Meisterschaft als Ziel ausgerufen.

Schultze: Da musste ich auch schmunzeln, als ich das gesehen habe. Er ist zwar der einzige, der das so sagt, aber warum nicht. Ziele zu haben ist etwas Gutes, auch wenn ich uns jetzt nicht als den großen Meisterschaftsfavoriten bezeichnen würde. (lacht)

SPOX: Wo wir schon bei Einordnungen sind. Sie haben für ein Jahr in Bremerhaven unterschrieben. Was kommt danach?

Schultze: Das entscheidet mein Körper. Momentan fühle ich mich sehr gut, ich muss aber natürlich schauen, wie ich mit der gesteigerten Spielzeit klarkomme. Ich lasse das auf mich zukommen. Nach der Saison entscheide ich dann zusammen mit meiner Familie. Ich bilde mich momentan aber auch schon nebenher fort, um nach der Karriere vielleicht irgendwo als Athletik- oder Personal Trainer einzusteigen.

SPOX: Dann sieht man Sie in der Zukunft nicht als Coach an der Seitenlinie?

Schultze: Das hat mich nie so gereizt. Ich habe genug graue Haare! (lacht) Da muss man einfach zu viele Egos zufriedenstellen. Individuelles Training oder was im Jugendbereich könnte ich mir vorstellen, aber Head Coach werde ich in diesem Leben nicht mehr.

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Sven Schultze im Steckbrief