SPOX: Nach Ihrer Verpflichtung sagte Albas Geschäftsführer Marco Baldi, dass Sie mit gewissen Zweifeln vom College in den Profi-Basketball wechseln würden. Ein halbes Jahr später: Wurden die Zweifel bestätigt?
Niels Giffey: Gesunder Respekt trifft es besser. Vier Jahre lang war am College alles geregelt und ich wusste, wie mein Alltag aussieht. Daher hatte ich nicht Respekt vor dem Profi-Basketball an sich, sondern Respekt vor Veränderungen. Mittlerweile habe ich mich super eingefunden und kann das Profi-Leben extrem genießen. Ich hätte es vorher nicht gedacht, aber es ist schön, wenn man sich nur auf eine Sache fokussieren muss. Am College war alles geregelt - und alles durchgeplant: Ich musste mich um die Uni kümmern, Termine einhalten, Termine ansetzen, alles mit dem Training arrangieren, die Prüfungen bestehen, und und und. Mental war es sehr anstrengend.
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SPOX: Fehlen Ihnen dafür die Freundschaften? Wie ist das unterschiedliche Miteinander in einem College- und BBL-Team?
Giffey: Es ist natürlich etwas komplett anderes. Bei einem Profi-Team weiß du, dass in jedem Sommer das Kommen und Gehen beginnt, daher ist es normal, dass man außerhalb des Basketballs häufig nicht die ganz dicken Freundschaften schließt, auch wenn die Kollegialität im Locker Room sehr gut ist. Am College hingegen gibt es viel mehr persönliche Erlebnisse, die einen verbinden. Man ist eine echte Familie. Ich habe beispielsweise mit meinem Teamkollegen Tyler Olander, der jetzt in Litauen spielt, im ersten College-Jahr ein Zimmer und danach ein Apartment geteilt. Irgendwann verstehst du deinen Kumpel blind: Wann steht er auf? Welche Macken hat er? Was geht ihm auf die Nerven?
SPOX: Olander gewann mit Ihnen und der University of Connecticut, den Huskies, zweimal die College-Meisterschaft. Nun spielt er im litauischen Hinterland in Siaulai. Wie tough ist es als Profi-Basketballer?
Giffey: Man ist Profi und muss liefern. In Russland heißt es: "Du bist da? Zack, dann musst Du produzieren!" Wenn man sich verletzt, wird eben ein Neuer geholt. Für Tyler kommt hinzu, dass er in der Nähe von UConn aufgewachsen ist und daher erstmals weit weg von zuhause lebt. Es sind Entscheidungen, die man treffen muss, wenn man als Basketballer seinen Lebensunterhalt verdienen möchte. Allerdings ist die Umstellung definitiv nicht einfach. Ich kann mich gut hineinversetzen. Als ich aus Deutschland in die USA gegangen bin, kannte ich nichts und niemanden und plötzlich war alles komplett anders. Dennoch musste ich mich mit Basketball auseinandersetzen. Man muss sich immer vor Augen halten: Ab einem bestimmen Punkt ist es nicht Sport, sondern Business.
SPOX: Gab es für Sie lukrativere Angebote aus dem Ausland als von Alba?
Giffey: Deutschland war die erste Option.
SPOX: Neben Berlin bemühte sich vor allem Bamberg um Sie. Gab die Heimatverbundenheit den Ausschlag?
Giffey: Natürlich ist es einfacher, dort den ersten Schritt als Profi zu gehen, wo man aufgewachsen ist und wo ein gewachsener Freundeskreis auf einen wartet. Trotzdem traf ich die Entscheidung für Berlin nicht emotional, sondern vernünftig nach Abwägung rationaler Argumente. Ich schaute mir den Kader und den Coaching-Staff an und es kristallisierte sich heraus, dass bei Alba eine größere Rolle auf einen zukommen könnte. Dazu kam die Aussicht, in der Euroleague zu spielen.
SPOX: Was unterscheidet den europäischen Spitzenbasketball vom College?
Giffey: Die Execution, die Ausführung von elementaren taktischen Prinzipien. Die Systeme werden konsequenter gelaufen und das Skill Set von jedem Spieler ist deutlich größer. Sprich: Du darfst keine Fehler machen, weil jeder Fehler ausgenutzt wird. Das ist in der BBL schon der Fall, in der Euroleague ist das noch extremer. Ein weiterer Unterschied: Das Tempo ist deutlich geringer. Abgesehen von Mannschaften wie Real Madrid, das Auf und Ab läuft, ist der Basketball langsamer und weniger Fast-Break-orientiert.
SPOX: Vorausgesetzt, man einigt sich auf eine Hybrid-Regelung wie bei den NBA Global Games: Wer würde das theoretische Gedankenspiel zwischen dem heutigen Alba Berlin und den UConn Huskies des Vorjahres gewinnen?
Giffey: Alba - und das aus zwei Gründen. Erstens: die Inside-Präsenz. Zweitens: die Tiefe. In Berlin gibt es keinen Spieler auf dem Talentlevel eines Shabazz Napier oder Jeremy Lamb. Wobei Alba breiter aufgestellt ist und die Nummer sieben bis Nummer zehn in der Rotation besser - oder zumindest erfahrener und abgezockter - sind als bei einem College-Team. Selbst UConn kann da nicht mithalten.
SPOX: Wie fügten Sie sich als College-Absolvent in einem Profi-Team ein? Was hat nicht so funktioniert, wie Sie es sich gedacht hatten?
Giffey: Ich hatte eigentlich erwartet, dass ich defensiv stabiler wäre und in der Verteidigung sofort mehr Verantwortung übernehmen könnte. Das war leider nicht so. Es schockierte mich nicht, aber es war erst mal ein Realitätscheck, wie es im Profi-Bereich zugeht. Daher musste ich zum Saisonstart viel mehr Zeit dafür investieren, mich auf die Basics in der Defense zu konzentrieren.
SPOX: Und was hat besser funktioniert, wie Sie es sich gedacht hatten?
Giffey: Ich durchging nach ein paar Wochen zwar ein Rookie-Tief, wobei es mir generell leichter fiel, mit den vielen Spielen klarzukommen und fokussiert zu bleiben. Mental hatte ich gedacht, dass mir alles zu viel wird. Zumal unser Coach Sasa Obradovic nicht der Entspannteste ist und jeden an seine Grenzen bringen will. Ich habe jedoch schnell einen guten Weg gefunden, um mit der Belastung klarzukommen.
SPOX: Waren Sie bereits auf Obradovic vorbereitet, weil Ihr früherer College-Trainer Jim Calhoun ihm in nichts nachsteht? Sie sagten, dass Calhoun Sie im Freshman-Jahr "gebrochen hätte". Und Obradovic sorgte zuletzt bei der Niederlage gegen Oldenburg für Aufsehen, weil er in einer Auszeit mit Ihrem Mitspieler Alex Renfroe aneinandergeriet, weswegen Sie dazwischen gehen mussten.
Giffey: Ich glaube schon. Beide haben andere Charakterzüge, von der Intensität sind sie vergleichbar. Beide sind Basketball-Fanatiker. Ich kam damals als Teenager an die UConn, sprach nicht fließend Englisch, musste mich an die neue Umgebung gewöhnen - und dann wird man mit einem Coach wie Jim Calhoun konfrontiert. Ich dachte irgendwann, ich könnte keinen Basketball mehr spielen. Es gab viele Faktoren, auf die ich nicht vorbereitet war und die mich beeindruckten. Mittlerweile passiert mir das nicht mehr so schnell. (lacht)
SPOX: Mit Calhoun gewannen Sie 2011 die erste College-Meisterschaft. Nach dessen Rücktritt übernahm Assistent Kevin Ollie als Head Coach - und es folgte 2014 die zweite Championship.
Giffey: Kevin Ollie ist im Vergleich zu Jim Calhoun der klassische Vertreter eines Player's Coaches. Er fordert ebenfalls eine hohe Intensität, aber er hat eine sehr positive Art und brachte so eine neue mentale Einstellung ins Team.
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