2. Mit Tibor Pleiß steht und fällt das deutsche Spiel
Frank Buschmann: Ich sehe es komplett anders, weil ich die These vertrete, auch wenn sie abgedroschen ist: Der wichtigste Spieler ist das Team. Die deutsche Mannschaft hat nicht DEN einen Spieler, der pro Spiel 20 Punkte abliefert. Viele andere Nationen besitzen sogar zwei von dem Kaliber, selbst Schweden mit Jonas Jerebko und Jeffrey Taylor. Wenn ich einen Spieler rauspicken müsste, dann Tibor. Für ihn ist es das Turnier, bei dem er sich als Führungspersönlichkeit etablieren muss. Ich bete, dass er einen guten Start ins Turnier findet. Und er muss lernen, dass er neben seinem Touch aus der Mitteldistanz mit seiner physischen Präsenz am Brett dominiert. Dennoch wird er nicht der alleinentscheidende Spieler sein. Entscheidend wird das gesamte Team.
Haruka Gruber: Ein Team, aus dem Tibor dennoch heraussticht. Alleine schon, weil er sich sehr mutig zum Wechsel in die spanische Liga entschieden und sich deutlich besser geschlagen hat, als es die meisten vermutet haben. Er war nicht der Superstar von Caja Laboral, aber er gehörte zur engen Rotation bei einem europäischen Topklub, was an sich schon einiges aussagt. Und was mich besonders beeindruckte: Obwohl es durch die Trainerwechsel viele Unruhen im Klub gab und sich Tibor immer wieder anpassen musste, spieltaktisch wie auch menschlich, blieb er klar im Kopf und zeigte konstant seine Leistungen. Nächstes Jahr wird er in Vitoria vermutlich sogar Starter, nachdem Maciej Lampe zum FC Barcelona wechselt. Das sagt einiges darüber aus, wie gut sich Tibor entwickelt hat. Wenn er es bei der EM schafft, sein starkes Midrange-Spiel mit Post-Moves zu kombinieren, wird er die wichtigste Offensiv-Option sein. Er muss beständig scoren, damit sich Heiko Schaffartzik auf die großen Momente konzentrieren kann. Defensiv ist Tibor schon jetzt einer der besten Center in Europa. Und weil es bei ihm immer angesprochen wird: Ja, er hat sich Muskeln antrainiert. Er wird nie ein Popeye, aber im Vergleich zur EM 2011 ist er ein anderer Spieler, viel kräftiger und ausdefinierter.
Philipp Dornhegge: Logisch ist Tibor Pleiß mit seiner Größe und inzwischen gewonnenen Erfahrung ein Schlüsselspieler - auch und insbesondere in der Defense. Noch wichtiger - und das habe ich bereits nach dem Vierländerturnier in Straßburg geschrieben, ist aber Robin Benzing. Und das auf vielen Ebenen: Er ist der eindeutig beste Small Forward, den wir haben, er könnte Niels Giffey einiges zeigen. Benzing ist einer der wenigen, die sich einen eigenen Wurf kreieren können, besonders durch sein immer besser werdendes Low-Post-Spiel gegen kleinere Verteidiger. Auf der anderen Seite ist er auch der beste Power Forward, den wir haben. Das ist nicht seine natürliche Position, aber er wird sie wohl spielen müssen, weil wir außer Alex King einfach niemanden für die Vier haben. Und da bin ich wiederum gespannt, wie er damit klarkommt. Der Low Post ist dann nicht mehr die beste Option, das Perimeter-Spiel als Ballträger ist aber nicht seine größte Stärke. Oder gegen größere und langsamere Verteidiger vielleicht doch? Und wie schlägt er sich in der Defense gegen die Brecher der Konkurrenz, besonders beim Rebound? Benzing muss dem Turnier aus deutscher Sicht seinen Stempel aufdrücken, Schaffartzik allein kann das Team nicht tragen.
Florian Regelmann: Pleiß ist 2,15 Meter groß und hat eine unfassbare Spannweite - es ist völlig klar, dass Pleiß ein ganz zentraler Spieler ist, der in der Offensive immer wieder gesucht werden muss. Zumal er in der Vorbereitung sich ja auch richtig gut in Form gezeigt hat. Aber die These würde ich insofern nicht unterschreiben, weil für mich das deutsche Spiel mit Per Günther steht und fällt. Das mit Abstand größte Problem der Mannschaft ist meiner Meinung nach, dass Günther (noch) nicht zu 100 Prozent fit und in Form ist. Günther hat in Ulm eine großartige, teils sensationelle (das 35-Punkte-Spiel gegen Artland) Saison absolviert, auch und vor allem auf europäischer Ebene - bis diese blöde Verletzung in den Playoffs kam. Der Junge hat fast 50 Prozent Dreier getroffen, er war so gut drauf. Jetzt kommt sein erstes richtiges großes Turnier und Günther wäre für mich eigentlich einer der entscheidenden Schlüsselspieler im DBB-Team, die Klasse hat er. Natürlich haben die vielen Absagen zu einem Notstand auf der Vier geführt, aber für mich ist unser Backcourt-Problem noch schlimmer. Mit dem Günther aus der letzten BBL-Saison würde das auf einen Schlag ganz anders aussehen - Combo-Guard Schaffartzik könnte mehr auf die Zwei rücken, was auch nicht so schlecht wäre. Ich kann es nur noch mal wiederholen: Von allen Personalien ist Günther für mich die entscheidende.
Frank Buschmann: Es tut mir weh, Flo zuzustimmen, aber mit Abstrichen wird auch die Entwicklung von Per Günther wichtig sein. Er ist nicht der Größte und unterliegt Limitationen, aber es gab in der Vergangenheit immer Spieler, die trotz athletischer Grenzen Sachen geschafft haben, die gar nicht gehen. Ich gehe mal ganz weit zurück: Nikos Galis. Ein 1,83 Meter großer Basketballer, der regelmäßig zum Korb zog und an der Freiwurflinie abstoppte. Für mich ist Per ein ähnlicher Typus. Mit Selbstvertrauen, Fitness und internationaler Erfahrung kann er der Kopf der Mannschaft sein und Heiko entlasten, der der Mann für die wichtigen Punkte sein wird. Heiko weiß mittlerweile, wann er am Rad drehen muss. Außerdem, wie von Phil angesprochen, wird es spannend sein, was Robin macht. Es wird mit seinen 24 Jahren Zeit zu liefern - und ich traue ihm das auf der ungewohnten Power-Forward-Position zu. Israels Lior Eliyahu oder Belgiens Axel Hervelle von Bilbao sind genau seine Kragenweite.
These 1: Deutschland in Bestbesetzung wäre ein Medaillenkandidat
These 2: Mit Tibor Pleiß steht und fällt das deutsche Spiel
These 3: Der Geheimfavorit auf den Titel heißt Slowenien
These 4: In Nihad Djedovic steckt ein europäischer Superstar