Am Samstag ist es endlich soweit. Pflichtherausforderer Kubrat Pulev trifft in Hamburg auf Wladimir Klitschko (Sa., 22.45 Uhr im LIVE-TICKER) und kann sich damit seinen Traum von einem WM-Titel im Schwergewicht erfüllen. Im Interview spricht der 33-jährige Bulgare über seine Taktik, Clown Shannon Briggs und verrät, was seine Heimat mit Floyd Mayweather verbindet.
SPOX: Kubrat, Sie mussten lange auf den Kampf gegen Wladimir Klitschko warten. Er ist Ihnen aus dem Weg gegangen und hat Ihnen sogar Ihre Fähigkeiten abgesprochen. Die Rede war davon, dass Sie zu grün hinter den Ohren seien. Motiviert Sie das zusätzlich?
Kubrat Pulev: Klar, aber ich muss zugeben, dass ich auch viel über diese Aussage gelacht habe. Ganz ehrlich: Lieber bin ich zu grün als zu alt. Seine Zeit läuft ab, davon bin ich überzeugt. Wenn er noch einen Tipp hat, bin ich natürlich offen für alles. Ich boxe seit 20 Jahren, aber ausgelernt habe ich deswegen noch lange nicht. Das ist wie im richtigen Leben.
SPOX: Ist die Vorbereitung auf einen WM-Kampf anders als auf einen "normalen" Fight?
Pulev: Es ist natürlich ein bisschen spezieller. Ich bin jeden Morgen aufgewacht und habe mir selbst in den Arsch getreten, weil ich diese Chance unbedingt nutzen will. Das war in der Vergangenheit vielleicht nicht immer der Fall. Aber Klitschko ist meine größte Herausforderung, es ist der wichtigste Kampf in meiner Karriere. Deswegen ist es normal, dass man bereits in der Vorbereitung alles aus sich herausholt, um in Top-Form zu kommen. Der große Tag kann kommen.
SPOX: Ursprünglich sollten Sie bereits Anfang September gegen Klitschko antreten, doch der Ukrainer verletzte sich. Ist für Sie damals im ersten Moment eine Welt zusammengebrochen?
Pulev: Das kam schon sehr überraschend. Was genau passiert ist oder ob das alles nur Spielerei war, ist mir relativ egal. Er muss sich mir stellen, ich bin Pflichtherausforderer. Außerdem glaube ich, dass die zwei zusätzlichen Monate eher ein Vorteil für mich sind. Ich bin jetzt noch besser vorbereitet und habe mir einen Plan zurechtgelegt.
SPOX: Wie sieht denn Ihre Taktik aus?
Pulev: Tut mir leid, aber darüber rede ich nicht. Sonst wäre es ja keine Überraschung mehr. Aber glauben Sie mir: Mit meiner Taktik rechnet Klitschko nicht. Er ist schlagbar, und genau das werde ich auch allen Menschen zeigen. Das beste Beispiel ist doch der Kampf gegen Povetkin gewesen. Damals hat er alles andere als überzeugt, er musste richtig beißen. Das sehen vielleicht die Zuschauer nicht, aber ich schon. Ich habe viele Schwächen bei Klitschko entdeckt, gerade auf sein Kinn habe ich es abgesehen.
SPOX: Nicht nur Povetkin hatte in der Vergangenheit Probleme mit Klitschkos Körpergröße. Auch Sie sind mit 1,94 Meter vier Zentimeter kleiner. Wie werden Sie damit umgehen?
Pulev: Das sollte kein Problem sein. Ich sehe seine Größe eher positiv, Klitschko ist dadurch ein einfacheres Ziel, er kann nicht weglaufen. Wenn ein Gegner zu beweglich ist, kann man schnell die Lust verlieren.
SPOX: Beim Kampf gegen Povetkin wurde Klitschko im Nachhinein für sein häufiges Clinchen kritisiert. Haben Sie Angst vor dieser Taktik?
Pulev: Nein, ich bin ja nicht Povetkin. Dass sich Klitschko die ganze Zeit im Clinch befand, lag auch an seiner Strategie. Povetkins Plan war, von unten nach oben zu schlagen. Darauf hat Klitschko auf seine typische Art und Weise reagiert, indem er sich ihn mit seinen langen Händen vom Leib hielt. Und wenn er ihm zu nahe kam, ging es eben in den Clinch. Aber das wird bei mir nicht passieren, weil ich einen ähnlichen Stil wie Klitschko habe. Den Unterschied könnte am Ende meine Beinarbeit machen. Wenn ich mit ein paar Freunden Fußball spiele, nennen sie mich nicht ohne Grund "Big Messi". (lacht)
SPOX: Kalle Sauerland bezeichnete Klitschko nach dem Povetkin-Kampf als einen "Roboter mit Klammerarmen". Muss der Ringrichter bei häufigem Clinchen grundsätzlich einfach schneller einschreiten?
Pulev: Wenn es den Kampf ansehnlicher macht, dann sollte man das machen. Aber ich will nicht über den Ringrichter oder die Punktrichter urteilen und sie dadurch gegen mich aufbringen. Ich hoffe einfach nur, dass sie neutral sind und alles korrekt abläuft, diese Leute lieben das Boxen ja genauso wie jeder einzelne Kämpfer.
SPOX: Wie würden Sie sich denn selber als Boxer beschreiben?
Pulev: Boxen ist eine unglaublich vielseitige Sportart. Aber man muss eben auch verstehen, dass nicht jeder dafür gemacht ist. Natürlich kann man Boxer werden, aber nur die wenigsten haben wirklich das Zeug, um ein Champion zu werden. Als Weltmeister muss man alles haben, die perfekte Kombination zwischen Herz und Kopf. Viele unterschätzen gerade die Instinkte, die man an den Tag legen muss. Ich glaube, ich bringe genau diesen Mix mit.
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Seite 2: Pulev über Shannon Briggs, seine Amateurkarriere und Floyd Mayweather
SPOX: Sie haben einmal gesagt, dass Sie aggressiver zu Werke gehen, wenn Sie Blut sehen.
Pulev: Das stimmt immer noch. Manchmal ist Boxen nun mal ein Krieg, genauso fühle ich mich auch. Wenn mein Gegner in der achten oder neunten Runde anfängt zu bluten, pusht mich das. Das macht mich noch böser. Und dem Publikum gefällt es auch, ein bisschen Show gehört dazu.
SPOX: Man kann es aber auch übertreiben wie Shannon Briggs, der in den letzten Tagen als Klitschko-Stalker für Schlagzeilen sorgte. Nerven diese Nebengeräusche?
Pulev: Ach, das ist doch reine Show, das interessiert mich nicht. Briggs ist ein Clown. Er kann nicht einfach um die Ecke kommen und einen WM-Kampf fordern. Dafür gibt es Verbände, die so etwas entscheiden. Das würde ein schlechtes Licht auf den kompletten Sport werfen, die Zuschauer lassen sich nicht für dumm verkaufen.
SPOX: Nicht nur Briggs, auch Klitschko stand in den letzten Jahren immer mal wieder in der Kritik, vor allem wegen seiner Gegnerauswahl. Hat er dadurch viel Respekt verloren?
Pulev: Ja, wobei ich sagen muss, dass ich ihn nicht verstehe. Klitschko ist gut, da darf es keine zwei Meinungen geben. Aber warum zeigt er das nicht, indem er gegen die besten Gegner in den Ring steigt? Klitschko hat das Boxen langweilig gemacht, und das hält bis heute an. Das Schwergewicht war mal die Königsklasse, aber das ist schon lange her. Sogar Ukrainer kommen zu mir und drücken mir die Daumen. Das sagt schon alles, so etwas habe ich noch nie erlebt, seitdem ich bei Sauerland bin.
SPOX: Sie sprechen Ihren Boxstall an. Sie haben sich nach Ihrer Amateurkarriere 2009 für Sauerland entschieden. Gerüchten zufolge gab es allerdings auch Angebote aus den USA. Von wem genau?
Pulev: Das will ich nicht sagen. Ich bin dankbar für die Chance, die Sauerland mir damals gegeben hat. Mir gefällt es in Deutschland, diese Entscheidung war rückblickend auf jeden Fall richtig, auch für mein Leben abseits des Boxens. Wenn ich in die USA gegangen wäre, hätte ich mit allem abschließen müssen. Als Außenstehender ist es immer einfach, über so etwas zu urteilen, Amerika hat auf viele Leute immer noch eine besondere Anziehungskraft. Aber ist der Alltag dort wirklich besser als in Deutschland? Da habe ich meine Zweifel.
SPOX: Die USA gilt dennoch weiterhin als Mekka des Boxens, auch wenn dieser Ruf in den letzten Jahren ein wenig gelitten hat. Ist es ein Traum von Ihnen, irgendwann einmal dort zu kämpfen?
Pulev: Als Boxer reizt mich die USA natürlich, keine Frage. Aber ich habe zum Beispiel als Profi auch noch nie in meiner Heimat Bulgarien geboxt. Das wäre auch ein Abenteuer.
SPOX: Bulgarien ist nicht unbedingt als Box-Nation bekannt - im Gegensatz zu vielen anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks. Warum?
Pulev: Damals wurde noch viel Geld in den Sport hineingepumpt. Der Sport war ein Prestigeobjekt im Kommunismus. Aber als das ganze System zusammengebrochen ist, war der bulgarische Sport am Boden. Das hat sich erst in den letzten Jahren langsam wieder erholt.
SPOX: Auch während Ihrer Amateurkarriere waren die Umstände in Bulgarien nicht immer optimal. Woran hat es gemangelt?
Pulev: Es hört sich vielleicht komisch an, aber ich hatte damals extreme Probleme, ordentliche Sparringspartner zu finden. Deswegen konnte ich selten gut trainieren, das hat mich einiges gekostet. Selbst vor den Olympischen Spielen 2008 hatte ich deswegen keine gute Vorbereitung. Wenn ich überlege, dass ich am Samstag zum ersten bulgarischen Schwergewichts-Weltmeister werden kann, habe ich mich gar nicht so schlecht entwickelt (lacht). Mit diesem Titel könnte ich meinen Teil dazu beitragen, dass Boxen in meiner Heimat wieder größer wird.
SPOX: Ein Bulgare hat im Boxen bereits vor Ihnen Geschichte geschrieben, auch wenn nur die wenigsten davon wissen. Sagt Ihnen der Name Serafim Todorov etwas?
Pulev: Natürlich, ich kenne ihn sogar persönlich. Er war ein großes Talent und hat als Amateur viele Medaillen und Turniere gewonnen. Er ist auch der letzte Boxer, der Floyd Mayweather bezwingen konnte, bei den Olympischen Spielen 1996 müsste das gewesen sein. Das ist schon ziemlich lange her, es wird also mal wieder Zeit, dass ein Bulgare in die Box-Historie eingeht.
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