Kurzsichtig gen Abgrund?

Im Boxsport gibt es viele dringende Baustellen
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Die Anzahl an Weltmeisterschaftsgürteln schadet dem Boxsport ganz nebenbei auf eine weitere Art. Auf eine Weise, die auf den ersten Blick nicht wirklich herauszustechen scheint: Sie verhindert das Zustandekommen von Duellen der besten Kämpfer. Um einen Klassiker, den keiner mehr hören kann, auszupacken: Wer hätte vor fünf oder sechs Jahren nicht gerne Mayweather gegen Manny Pacquiao boxen sehen? Sorry, wirklich.

Ob der Kampf damals besser gewesen wäre als das Duell im vergangenen Jahr, spielt hier keine Rolle. Dass es jedoch das Aufeinandertreffen war, welches die Fans unbedingt sehen wollten und es dennoch damals nicht bekamen, steht außer Frage. Hätte es nur einen Gürtel pro Gewichtsklasse gegeben, einen Weltmeister, einen Boxer, der an der Spitze steht, hätte es wohl etwas anders ausgesehen.

Natürlich ist klar, dass in solchen Fällen noch weitere Faktoren eine Rolle spielen, denn wie Floyd feststellte, ist das Boxen verdorben - so richtig, von Grund auf. Eigentlich läuft so viel falsch, dass es einer Themenwoche bedürfte, um auf alle Probleme angemessen einzugehen.

Es gibt TV-Stationen, die sich um die Übertragungsrechte streiten und im Endeffekt nicht einig werden. Es gibt Promoter, die grundsätzlich (!) nicht miteinander reden und natürlich gibt es die Egos der Boxer, die etwa bei der Aufteilung der Börse einen gemeinsamen Nenner verhindern. Kurzum: Viele Aspekte, die Kämpfe verhindern, sind einfach nur haarsträubend und schaden dem Sport. Was fehlt, ist der Druck, ein Risiko eingehen zu müssen, um etwas zu erreichen.

Risiko oder Sicherheit?

Zugegeben, ein gewisses Risiko ist immer da. Wenn ein Kämpfer in den Ring steigt, riskiert er seine Gesundheit - und seinen weiteren Werdegang. Niederlagen können den Weg an die Spitze nicht nur erschweren, sie können ihn nahezu unmöglich machen. Spielraum gibt es kaum, die Wahl des Gegners am Anfang einer Karriere kann entscheidend sein, ob aus einem Kämpfer ein Weltmeister oder ein Sachbearbeiter in einem mexikanischen Bürokomplex wird.

Dass sich an der Wahl des Gegenübers bei vielen Boxern allerdings auch mit einem Gürtel um die Hüften nur wenig ändert, ist hingegen ein ernsthaftes Problem. Eine Flut an Titeln bedeutet Auswahl. Eine größere Auswahl bietet mehr Möglichkeiten, Duellen aus dem Weg zu gehen, ohne dabei große finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen.

Der Abwägungsprozess zwischen Risiko und Gewinn ist somit ein anderer, als er sein sollte. Das Resultat ist Woche für Woche deutlich erkennbar. Immer wieder wird so genanntes "Cherry Picking" betrieben. Die großen Kämpfe bleiben aus, stattdessen wird gegen Fallobst geboxt und die jeweiligen Fightcards geben auch ein trauriges Bild ab. Das teils abstruse Ranglistensystem der Verbände trägt seinen Teil dazu bei - Stichwort: Pflichtherausforderer.

Die Konkurrenz zieht an

Angesichts der Preise für Pay-per-Views sowie der horrenden Summen, die für eine Karte vor Ort hingeblättert werden müssen, setzt bei den Zuschauern ebenfalls ein Abwägungsprozess ein, der oft zu Ungunsten der Boxer ausfällt. Illegale Ausweichmöglichkeiten gibt es zur Genüge - oder es wird einfach der nächste Conor-McGregor-Fight geschaut.

Ein perfektes Beispiel dafür ist der Kampf von Deontay Wilder gegen Bermane Stiverne im vergangenen Jahr, dessen Ausgang für das US-amerikanische Boxen eigentlich der größte Segen der letzten Jahre war. Was man vom neuen Champion nur bedingt behaupten kann.

"Wilder kämpfte im Januar in Las Vegas um den Schwergewichtstitel - und gewann ihn", erinnerte sich Evander Holyfield in der Players Tribune: "Er war der erste Amerikaner, dem dies seit 2007 gelang und nur 8.400 Zuschauer waren vor Ort, um diesen Moment mitzuerleben."

Zwei Wochen später kam es zum UFC-Duell zwischen Anderson Silva und Nick Diaz, die beide zuvor zwei Kämpfe verloren hatten. Vor Ort waren 13.000 Fans. "Es ist einfach nur ein weiteres Beispiel für die wachsende Irrelevanz des Boxens", so Holyfield weiter: "Ein Amerikaner wird Schwergewichtsweltmeister und dennoch schauen sich die Zuschauer lieber zwei Typen an, die versuchen, nicht ein drittes Mal am Stück zu verlieren." Ruuumms.

Evolution? Revolution, Teil II!

Laut Holyfield sei das Boxen zwar noch lange nicht tot, dennoch sei eine Evolution unumgänglich. "Der einzige wirkliche Schritt in den letzten 25 Jahren war die Verkürzung von 15 auf zwölf Runden", so der 53-Jährige: "Das ist der Grund, warum das Boxen immer mehr zurückfällt und gleichzeitig der Grund, warum MMA so erfolgreich ist. Es entstand eine Lücke und MMA hat diese gefüllt." Evolution? Schön und gut, Revolution klingt aber deutlich besser.

Die Zuschauer brauchen verdammt nochmal einen Anreiz, um ihr hart verdientes Geld auszugeben. In einer Zeit, in der es primär um die Anzahl der Gürtel, eine möglichst große Börse und nebenbei den Weg des geringsten Widerstandes geht, ist dieser nahezu komplett verloren gegangen. Die Faszination schwindet, Alternativen gibt es im Internet-Zeitalter viele.

Das Modell der Zukunft

Auch hier muss also ein radikaler Umschwung her. Wie wäre es etwa, wenn die Fans anhand von Auswahlmöglichkeiten die Chance hätten, über Kampfpaarungen selbst abzustimmen? Promoter, die ihre Cash Cow schützen wollen, und die Verbände müssten dazu natürlich in den Hintergrund treten und sich dem Willen beugen.

Das Verhältnis der Börsen würde anhand der Ranglistenplätze festgelegt, die TV-Stationen bekämen abwechselnd gleichwertige Fights oder könnten in einen direkt Kampf um die Quoten gehen. Für die Boxer darf es sowieo nur das Ziel sein, gegen die besten Gegner anzutreten, deshalb sollte es bei einem solchen System keine Probleme geben.

Auch die Idee eines Turniers, wie die des Super Six, an dem Mikkel Kessler, Carl Froch, Andre Ward, Jermain Taylor und Arthur Abraham sowie Glen Johnson und Allan Green, die Taylor und Kessler nach deren Rückzug ersetzten, teilnahmen, war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Auch, wenn das Format noch Luft nach oben hatte.

Dennoch: Die besten acht Kämpfer einer transparenten Rangliste in einem K.o.-System um den (einzigen) Titel in ihrer Gewichtsklasse? Wo kann ich zahlen?

Schaffen es die Verantwortlichen also, aus ihren Fehlern zu lernen und die Bedeutung sowie Mündigkeit der Fans endlich wieder richtig einzuordnen, bieten sich in Zukunft ungeahnte Möglichkeiten. Entscheidend ist, dass neue Wege gegangen werden - und die Anhänger in unserer interaktiven Welt das Gefühl haben, ein entscheidender Teil davon zu sein.

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