SPOX: Herr Mücke, Sie sind heute einer der erfolgreichsten Teamchefs in den Nachwuchsserien, haben Formel-1- und Langstrecken-Weltmeister ausgebildet. Stimmt es, dass Ihr Sohn Stefan der Grund war, warum Sie zur Saison 1998 überhaupt ein Team aufgestellt haben?
Peter Mücke: Das ist richtig, war aber nie so bezweckt. Ich war mit meinen Youngtimern unterwegs und wollte mit dem Schaltkart meine Reaktion und Kondition pflegen. Meinen Sohn habe ich mal mitgenommen und ihn fahren lassen. Dann entwickelte es sich: Ich wollte fahren, er wollte fahren - also habe ich noch ein zweites Kart gekauft. Also habe ich ihm gesagt: "Da kannst du viel später bremsen, die Ecke dahinten geht voll." Das hätte ich nie machen sollen. Beim nächsten Mal ist er vor mir gefahren und am Abend in der Badewanne hat er mir erzählt, dass er Rennen fahren will. "Rede mit deiner Mutter, ich habe meine eigenen Rennen", habe ich gesagt. Seine Mutter konnte natürlich nicht nein sagen und ist mit ihm losgefahren. Das war eine absolut harte Schule für ihn, denn schon damals waren reihenweise Tuner auf dem Platz. Die Leute haben sich im Gegensatz zu uns die besten Motoren eingekauft, Stefan musste seine alleine frisieren. Irgendwann war er dann vorne.
SPOX: Und wie kam es zum Aufstieg in die Formel-Serien?
Mücke: Stefan hatte einen bösen Unfall, war drei Wochen im Gips, weil er sich am Rückgrat verletzt hatte. Er durfte nicht mehr Kart fahren. Ein weiterer Unfall wäre zu gefährlich gewesen. Ein befreundeter Oberarzt hat gesagt, dass er nur noch in Autos fahren kann, in denen er angeschnallt ist. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben eine nationale Vorausscheidung für die Formel ADAC mitgemacht und er hat das Ding prompt gewonnen. Ich dachte: 'Das ist Zufall.' Den kostenlosen Europaausscheid in Zandvoort hat er wieder gewonnen und ich kam aus der Geschichte nicht mehr raus. Wir haben mit dem Preisgeld von 50.000 Euro ein gebrauchtes Auto gekauft, sind in die Formel BMW gegangen und er hat 16 Rennen gewonnen, ist zweimal Zweiter und zweimal abgeschossen worden. Es war also wirklich seine Schuld.
SPOX: Sie sind aber nicht nur mit Ihrem Sohn aufgestiegen, Sie haben das Team auch in den unteren Klassen weitergeführt.
Mücke: Das war ein Selbstläufer. Durch den Erfolg standen im nächsten Jahr etliche Piloten da und wollten bei uns Formel BMW fahren. Durch einen Mercedes-Deal konnte Stefan in die Formel 3 gehen, aber um das mitzufinanzieren, brauchte ich die Einnahmen. Dann kam der Erfolg in der Formel 3 und die nächsten, die dabei sein wollten. Da sind wir einfach nicht mehr rausgekommen.
SPOX: Bei etlichen Angeboten hatten Sie die Qual der Wahl. Unter anderem sind Talente wie Sebastian Vettel, Pascal Wehrlein, Sebastien Buemi, Robert Kubica und Marco Wittmann für Sie gefahren. Was macht einen jungen Fahrer förderungswürdig? Pure Geschwindigkeit wird es wohl nicht sein...
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Mücke: Nein. Es ist das Paket. Talent ist eine Voraussetzung, die man schnell sieht: Ein Fahrer mit Talent hat immer drei bis vier Zehntel auf Tasche, ist in jeder Kategorie immer ein kleines bisschen besser. Es hat sehr viel mit dem Typen, seinem Charakter und seinem Herangehen zu tun. Unter 50 Fahrern gibt es einen richtigen Racer. Der geht mental anders heran, ist in der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ganz anders aufgestellt als der Rest. Die wünscht man sich, klar.
SPOX: Lassen Sie uns das doch anhand von zwei Beispielen verdeutlichen. Force-India-Pilot Sergio Perez fuhr in der Formel BMW für Sie.
Mücke: Der ist eine andere Nummer. Sergio hat damals schon gezeigt, dass er Talent hat. Das ist unstrittig. Nur die Herangehensweise war völlig unprofessionell. Ich habe selten so einen Schlamper gehabt wie ihn. Er hat mir besoffen mein Leihauto geschrottet, als er von einer Party kam. Seine Wohnung in Berlin sah aus wie ein Schlachtfeld. Er hat alles gemacht, was man nicht machen durfte. Das hatte sicher den Hintergrund, dass er seinen mexikanischen Sponsor hatte, der Geld ohne Ende geliefert hat. Sergio brauchte über nichts nachdenken. Er wusste, dass es sowieso weitergeht. Das war der Schlüssel. Er wäre nie oben angekommen, wenn er nicht im Hintergrund das Geld gehabt hätte. Nur mit seinem Talent wäre er schon nach dem BMW-Jahr raus gewesen.
SPOX: Das Gegenbeispiel ist dann wohl Sebastian Vettel?
Mücke: Definitiv. Er war ganz anders. Das fing früh morgens an. Wenn es um 8 Uhr für das Team losgeht, kommen manche Fahrer um 8.05 Uhr und reiben sich den Schlaf aus den Augen. Das gab's bei Seb nie. Er ist um 6 Uhr aufgestanden, eine halbe Stunde gejoggt und hat Kreislauf und Kopf in Gang gesetzt. Dann stand er vor der Tür. Das musste ich ihm nicht sagen, das hat er von sich aus gemacht. Und das macht den Unterschied aus.
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SPOX: Im Gegensatz zu anderen Sportarten wie Fußball wird die Ausbildung im Motorsport kaum beleuchtet. Was bringen Sie Ihren Fahrern bei? Ist es nur Ingenieurswissen?
Mücke: Das geht darüber hinaus. Für Setup und Co. haben wir Ingenieure am Auto, die unmittelbar die Daten mit den Fahrern auswerten. Ich konzentriere mich eher darauf, außerhalb und an der Strecke alles zu beobachten und Input zu geben. Das beschränkt sich nicht aufs Fahren, sondern erstreckt sich auch auf mentale Dinge und das Verhalten. Etwa, wie man sich vorbereiten sollte. Ich gebe meine Erfahrung weiter. Jedes Jahr kehren Dinge wie die Fehler des Fahrers oder das Fehlverhalten der Eltern wieder.
SPOX: Überspitzt formuliert: Kommt es beim Motorsport vor, dass die Talente eigentlich gar nicht fahren wollen?
Mücke: Es ist leider Gottes so, dass viele Eltern durch ihre Kinder den Traum leben wollen, den sie sich selbst nicht erfüllen konnten. Das funktioniert nie. Entweder der Junge will es selbst oder es wird nichts. Es gibt welche, die fahren sollen, aber gar nicht wollen. Das macht keinen Sinn. Man zerquetscht sie dadurch. Sie sollen sich selbst behaupten und so eine Charakterstärke für das weitere Leben entwickeln. Es muss einen Plan B geben, denn nicht jeder kann Rennfahrer werden und erst recht kommt nicht jeder in die Formel 1. Wenn man als professioneller Rennfahrer nicht weiterkommt, sollte mindestens ein sehr kampfbetonter Mensch herauskommen, der sich im freien Berufsleben behauptet. Wenn man nicht hart mit sich selbst ist, wird man nie Leistung abliefern.
SPOX: Gibt es auch Talente, die aus unerfindlichen Gründen nicht den Sprung nach oben geschafft haben?
Mücke: Die sind meist nicht unerfindlich, sondern finanziell. Wenn man es prozentual sagen will, sind es bei denen mit Talent wohl 25 Prozent, die es bis nach oben schaffen. Die anderen bleiben auf der Strecke, obwohl sie nicht schlechter sind. Bei Maximilian Götz war es so: Er hat mit uns vor Sebastian Vettel die Meisterschaft in der Formel BMW gewonnen. Danach ging das Geld aus. In der Formel 3 konnte er nur sporadisch fahren und nie einen vernünftigen Weg gehen. Da habe ich selbst ein paar Mal gedacht: 'Schade um Maxi.' Aber Qualität setzt sich doch durch: Er ist seinen Weg über den GT-Sport gegangen und jetzt sitzt er Gott sei Dank in der DTM im Auto.
SPOX: Derzeit ist die neue Formel 4 in aller Munde. Schon beim ersten Wochenende der Nachfolgeserie der Formel ADAC stand mit Thomas Preining einer Ihrer Fahrer auf dem Podium. Ihr mutmaßlich heißestes Eisen, David Beckmann, durfte aber noch gar nicht starten, weil er mit 14 Jahren zu jung war. Warum haben Sie ihn trotzdem verpflichtet?
Mücke: Wenn man einen Jungen hat, der einem menschlich gefällt und der dazu Talent hat, dann ist es völlig egal, ob der im ersten Jahr an einem Rennen nicht teilnehmen kann und dadurch vielleicht nicht Champion wird. Wir wollen mit David einen Weg gehen, das zählt. Da werden wir noch einiges sehen. Wir waren am Wochenende nach dem Deutschland-Auftakt bei der italienischen Formel 4 in Vallelunga, da hat David direkt den zweiten Lauf gewonnen.