Saison 2011: Die Top-Ten-Transfers im Radsport

Torsten Adams
26. November 201013:00
Andy Schleck (l.) und Alberto Contador: Werden die beiden auch 2011 um den Toursieg kämpfen?Getty
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Lance Armstrong hat sich nach seiner erfolglosen Abschieds-Tour selbst in den Teilzeit-Ruhestand versetzt, das einzige deutsche ProTeam Milram wurde aufgrund fehlender Sponsoren aufgelöst. Dennoch sorgen die Wechsel zahlreicher Stars, die Causa Alberto Contador und die Entstehung des neuen luxemburgischen Teams rund um die Schleck-Brüder für jede Menge Zündstoff.

SPOX hat die Top-Ten-Transfers auf dem Radsport-Markt zusammengestellt und wagt einen Ausblick auf die Saison 2011.

10. Taylor Phinney (20/USA), BMC (kam von: Trek Livestrong)

Der 20-Jährige ist einer der heißesten Nachwuchsfahrer auf dem Markt. Dabei entschied sich der frisch gekürte amerikanische Zeitfahrmeister erst im Alter von 15 Jahren für den Radsport. Der Grund: Er besuchte die Tour und traf Lance Armstrong in Frankreich. Dann ging alles ganz schnell: Vertrag beim Trek Livestrong U 23 Team, dem Unterbau des Team RadioShack, danach Stagiaire beim Armstrong-Rennstall. Es folgten mehrere Weltmeister-Titel auf der Bahn, dazu gewann Phinney das Juniorenrennen Paris-Roubaix.

Und warum nun der Abgang vom Armstrong-Team? Er habe sich für das BMC Racing Team entschieden, weil es so viel zu bieten habe, erklärte Phinney. "Als meine Familie und ich das Programm gesehen haben, waren wir baff, wie professionell das BMC Racing Team arbeitet", so der Amerikaner. "Sie sind eine Mannschaft mit jungen Fahrern sowie sehr erfahrenen Profis wie Evans, Hincapie oder Ballan." Zudem hat Phinney bei BMC die Möglichkeit, zweigleisig zu fahren: "Taylor verfolgt weiterhin seine Ziele auf der Bahn und fährt zudem auf der Straße", sagt BMC Racing Team Präsident Jim Ochowicz. Paris-Nizza, Paris-Roubaix sowie die Flandern-Rundfahrt sind in Phinneys Rennkalender 2011 rot markiert.

9. Michael Rogers (30/AUS), SKY (Columbia)

Seit seiner Erkrankung am Pfeifferschen Drüsenfieber Anfang 2008 ist es recht still geworden um den Australier. Zuvor galt der dreimalige Zeitfahr-Weltmeister als ernstzunehmender Podiumskandidat bei der Tour. Doch in den fünf Jahren beim Team Columbia und seinem Vorgänger T-Mobile war der Sieg bei der Kalifornien-Rundfahrt 2010 sein größter Coup.

Beim Team Sky bildet Rogers zusammen mit Bradley Wiggins and Edvald Boasson Hagen ein starkes Dreigestirn. Aber wohl nicht bei der Tour de France. Bei seiner Vertragsunterschrift kündigte der 30-Jährige an, dass er bei den drei großen Rundfahrten nicht an den Start gehen werde, um sich auf einwöchige Rundfahrten zu konzentrieren. Gemeint sein könnten: Paris-Nizza, Dauphine, Romandie oder die Tour de Suisse.

8. Roman Kreuziger (24/CZE), Astana (Liquigas)

Der 1:1-Ersatz für Alberto Contador. Astana strukturiert sein Team nach dem Abgang des Toursiegers komplett um. Der spanische Teil (Contador, Hernandez, Navarro, Noval, de la Fuente, Pereiro) bricht nahezu komplett weg. Das kasachische Team ist nicht mehr ausnahmslos auf die Frankreich-Rundfahrt fokussiert, sondern deutlich breiter aufgestellt.

Kreuziger ist bei den großen Rundfahrten Astanas Trumpfkarte, wird aber bei wichtigen Entscheidungen jederzeit von Teamleader Alexander Winokurow kontrolliert werden. Dennoch ist dem Tschechen, der bei Liquigas im Schatten von Ivan Basso und Vincenzo Nibali stand, eine große Saison zuzutrauen. Wiederholung seines Sieges bei der Tour de Suisse 2008 nicht ausgeschlossen.

7. Jens Voigt (39/GER), Luxembourg Pro Cycling Project (Saxo Bank)

39 und kein bisschen müde. Jens Voigt schlägt im Herbst seiner Karriere noch einmal ein neues Kapitel auf. Und was für eines. An der Seite der Schleck-Brüder und Zeitfahr-Weltmeister Fabian Cancellara strebt der Wahl-Berliner seine 14. Tour-Teilnahme an, womit er den deutschen Rekord von Erik Zabel einstellen würde.

"Ich fühle mich noch sehr fit und bin total heiß auf die neue Saison in einem Team mit vielen bekannten Gesichtern", sagt Voigt im Gespräch mit SPOX.

Neben Dominic Klemme (Saxo Bank), Robert Wagner (Skil-Shimano), Linus Gerdemann und Fabian Wegmann (beide Milram) ist Voigt der fünfte Deutsche im luxemburgischen Team. Ein Wechsel lag für den bald sechsfachen Familienvater auf der Hand: "Zum einen bin ich sehr gut mit den Schlecks befreundet. Zum anderen war es an der Zeit für einen Abgang. Ich bin sieben Jahre für Bjarne Riis gefahren, nun freue ich mich auf die neue Herausforderung."

6. Denis Mentschow (32/RUS), Geox (Rabobank)

Als Nachfolger vom Team Footon-Servetto hat sich Geox mit Denis Mentschow und dem 35-jährigen Carlos Sastre gleich zwei extrem erfahrene Stars ins Boot geholt. Beide sind hoch dekoriert. Aber beide haben ihren Zenit auch schon überschritten und werden bei Giro, Tour und Vuelta nicht mehr für den großen Coup sorgen.

Interessant wird die Konstellation bei Mentschows Ex-Team Rabobank. Nach dem Abgang des Russen wird Robert Gesink zum alleinigen (Tour-)Kapitän aufsteigen. Zudem haben die Niederländer mit Matti Breschel (Saxo Bank) und Luis Leon Sanchez (Caisse) zwei Siegfahrer bei Klassikerrennen sowie kleineren Rundfahrten verpflichtet und gehen mit hohen Ambitionen in die neue Saison.

Platz 5 bis 1: Von Ciolek bis zu den Schlecks

5. Gerald Ciolek (24/GER), Quick Step (Milram)

Ein zweiter Etappenplatz bei der Tour und ein Etappensieg bei der Bayern-Rundfahrt: Das waren Cioleks überschaubare Highlights in diesem Jahr. Nach dem Milram-Aus trat Teammanager Gerry van Gerwen gegen ihn und Co-Kapitän Gerdemann nach: "Sie haben die Erwartungen komplett nicht erfüllt." Cioleks Fähigkeiten als sprintstarker Bergfahrer auf der einen und berggängiger Sprinter auf der anderen Seite haben ihn allzu oft im Mittelmaß versinken lassen.

Beim belgischen Team Quick Step fängt Ciolek gewissermaßen neu an. Er ist nicht mehr der Star im Team, sondern muss sich in der Hierarchie zunächst einmal hinter etablierten Routiniers wie Tom Boonen und Sylvain Chavanel anstellen. Die "Degradierung" birgt aber auch Vorteile: Bei den Frühjahrsklassikern werden die Augen nicht mehr ausschließlich auf ihn gerichtet sein. Presse- und Publikumsmagnet Boonen nimmt durch seine charismatische Art eine Menge Druck von seinen Teamkollegen weg. Für Ciolek geht es in der kommenden Saison in erster Linie darum, sein Fahrerprofil zu schärfen. Er muss sich entscheiden: reiner Sprinter oder doch Klassiker-Jäger?

4. Andre Greipel (28/GER), Omega (Columbia)

Der logischste Wechsel der Saison. Zu oft hatten sich die derzeit weltbesten Sprinter Greipel und Mark Cavendish in den Haaren. Gegenseitige Hasstiraden ließen den Respekt voreinander auf den Nullpunkt schmelzen. Da konnte auch Sprint-Berater Erik Zabel nicht mehr schlichten. Die beiden Erzrivalen in einem Team - das konnte nicht lange gut gehen.

Greipel, mit 21 Siegen erfolgreichster Profi des Jahres 2010, nimmt zum Team Omega mit Marcel Sieberg, Adam Hansen und Vicente Reynes geballte Anfahrerpower mit. Bereits im Januar kommt es bei der Tour Down Under zum ersten Sprintgipfel zwischen dem 28-Jährigen und Cavendish. Greipel gewann die Rundfahrt 2008 und 2010 und ist heiß auf die Titelverteidigung. Der "ManXpress" will ihm in die Suppe spucken. Fortsetzung folgt im Juli in Frankreich.

3. Fabian Cancellara (29/SUI), Lux. Pro Cycling Project (Saxo Bank)

Offiziell ist sein Wechsel noch nicht. Aber alles andere als eine Unterschrift beim Schleck-Team wäre eine Sensation. Und was gab es ein Tohuwabohu um Cance. Die Verpflichtung von Alberto Contador sei der Grund für seinen Wechsel nach Luxemburg, ließ der Zeitfahr-Weltmeister verlauten: "Bjarne Riis war sehr wichtig für meine Karriere, aber als Alberto Contador verpflichtet wurde, wusste ich, dass das für mich erhebliche Veränderungen bedeuten würde. Ich kann es mir nicht leisten, eine Saison nicht an der Spitze zu sein und meine Balance zu verlieren."

Riis bezichtigte ihn in seiner Retourkutsche der Lüge. Der Schweizer habe schon viel früher Abwanderungsgedanken gehegt - ohne dies dem Dänen mitzuteilen. "Sein Verhalten ist eine große Enttäuschung. Das ist eines Weltmeisters nicht würdig", schimpfte Riis. Nun hat die Ära Cancellara bei Saxo Bank also ein Ende und reißt ein großes Loch in das dänische Team. Die Schlecks holen sich mit "Spartakus" einen alten Vertrauten, den aktuell besten Klassikerfahrer sowie eine Zeitfahrmaschine par excellence an ihre Seite. Mit dem Schweizer erweitert sich das Repertoire an Möglichkeiten für das Luxemburger Team enorm und katapultiert es bereits in den Frühjahrklassikern in die Favoritenrolle.

2. Alberto Contador (27/ESP), Saxo Bank (Astana)

Was wird aus Contador? Nach dem Clenbuterol-Fund beim 27-Jährigen hat der Weltverband UCI die Einleitung eines Doping-Verfahrens gefordert. Dem Spanier drohen eine Sperre von bis zu zwei Jahren und die Aberkennung seines Toursieges, da die positive Probe im Verlauf der Rundfahrt genommen wurde. Nun muss der spanische Radsportverband über den Madrilenen entscheiden.

Ganz gleich wie das Urteil ausfallen wird: Einer der beiden Parteien wird vor den internationalen Sportgerichtshof CAS ziehen. Prognose: völlig ungewiss. Das meint auch Voigt: "Ob Contador im Juli bei der Tour fährt, weiß momentan niemand."

Sollte der Spanier starten dürfen, wird das Team Saxo Bank komplett auf ihn zugeschnitten sein. Contador ist der alleinige Leader, die Verteidigung des Toursieges hat absolute Priorität. Der "Pistolero" hat mit seinen Landsmännern Jesus Hernandez, Daniel Navarro und Benjamin Noval seine komplette Hofgarde von Astana zum Riis-Team geschleust. In den Rennen außerhalb der Tour wird Saxo Bank den Erfolg vergangener Jahre allerdings nicht annähernd wiederholen können. Zu schwer wiegt der Verlust der großen Namen Schleck, Cancellara und Voigt, zu groß ist der Aderlass bei den jungen Emporkömmlingen wie Breschel, Lund oder Fuglsang, die Riis allesamt den Rücken kehren.

1. Andy und Fränk Schleck (LUX), Lux. Pro Cycling Project (Saxo Bank)

Es ist der größte Deal der kommenden Saison, das neue Topteam am Radsport-Himmel. Innerhalb kürzester Zeit hat es der neue Teamchef und ehemalige Saxo-Bank-Sprecher Brian Nygaard geschafft, unter dem vorläufigen Namen "Luxembourg Pro Cycling Project" das wohl schillerndste aller 18 ProTeams zu formen. Mit im Boot: Die halbe Saxo-Bank-Armada von Cancellara und Voigt über zahlreiche Mechaniker und Masseure bis hin zum ehemaligen Sportlichen Leiter Kim Andersen.

Aushängeschilder des Teams sind aber die Schleck-Brüder. Die beiden gibt es nur im Doppelpack. Andy und Fränk haben für vier Jahre unterschrieben, angelegt ist das Projekt auf zunächst fünf Jahre. "Das Team wurde in einer ähnlichen Weise wie Garmin-Slipstream oder High Road-Columbia einige Jahre zuvor entworfen. Bis dato haben wir viele kleine Geldgeber, aber der Hauptsponsor fehlt noch", sagt der jüngere der Schlecks. Deshalb wird der endgültige Mannschaftsname erst zu gegebener Zeit verkündet werden.

Nygaard macht keinen Hehl daraus, dass der Toursieg das anvisierte Ziel seines neuen Projekts ist: "Wir werden Andys Favoritenrolle nicht herunterspielen." Und auch Voigt sieht seine neue Mannschaft durchaus konkurrenzfähig: "Natürlich wird die Tour ein Höhepunkt im Rennkalender sein und mit den Schlecks haben wir zwei heiße Eisen im Feuer. Doch mit Cancellara und Daniele Bennati sind wir auch im Zeitfahren, in den Klassikern und im Sprint sehr gut aufgestellt."

Diashow: Die Tops und Flops der Tour de France 2010