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Der Koteletten-Killer: Bradley Wiggins
Liegt es an seinem buschigen roten Backenbart? Windschnittig sind die Dinger eigentlich nicht, aber vielleicht verbirgt sich darin auch ein raffiniertes Kühlsystem... Spaß beiseite: Bradley Wiggins ist der Dominator der diesjährigen Tour de France. In den bisherigen Bergen blieb der Favorit auf den Gesamtsieg ohne Fehl und Tadel und spielte dann im Zeitfahren seine Trümpfe aus: Fast zwei Minuten liegt er schon vor Evans - und ein Kampf gegen die Uhr kommt ja noch.
Kann Evans ihm in den Bergen wirklich vier Minuten abnehmen? Es fällt schwer, daran zu glauben - schließlich hat Wiggins ein bockstarkes Team im Rücken, sollte ihn doch einmal eine Schwächephase ereilen. Vielleicht kommt der Hauptkonkurrent auf den Titel sogar aus dem eigenen Team (siehe unten), und der wird ihn wohl kaum angreifen. Die harte Vorbereitung, die für die Berge weggehungerten Kilos, die Konzentration auf die Tour: Bisher hat es sich für den früheren Bahnrad-Olympiasieger voll bezahlt gemacht. Nur sein Umgang mit der Presse lässt noch zu wünschen übrig. Kritiker, die bei seiner Leistung an verbotene Mittel denken würden, seien alle "fucking wankers", schimpfte Wiggins am Sonntag - die feine englische Art ist das nicht.
Erster Dopingverdacht bei der Tour
Alles im Grünen Bereich: Peter Sagan
Fast 30 Jahre waren die letzten zehn Gewinner des Grünen Trikots im Schnitt alt. Peter Sagan ist mit seinen 22 Jahren noch recht grün hinter den Ohren - aber das hat den Slowaken bisher nicht gestoppt. "Ich versuche, das Grüne Trikot zu erobern", sagte der frühere Juniorenweltmeister auf dem Mountain-Bike vor der Tour. Nach den ersten neun Etappen kann man das finale Jersey für den Punktbesten in Paris eigentlich schon mit "Sagan" beflocken. Wer soll Sagan noch aufhalten?
Drei Etappensiege, sowohl bei leichten Anstiegen als auch auf flachen Zielgeraden, bei denen er die Konkurrenz teilweise schon zu Statisten degradierte. Da blieb auch Zeit für extravagante Posen für die Zielfotos: Forrest Gump haben wir schon gesehen, auch für den "Balotelli" blieb schon Zeit. Das schmeckt nicht allen Fahrern - muss es aber auch nicht. Sagan ist der Shootingstar der diesjährigen Tour.
"UK Postal": Team Sky
Bradley Wiggins hat wohl das stärkste Team, mutmaßte man vor der Tour. Gleichzeitig versuchte Teamchef David Brailsford aber auch die Quadratur des Kreises: Wiggins sollte die Tour, Mark Cavendish - mit lediglich Bernhard Eisel als Anfahrer - die Etappen und das Grüne Trikot gewinnen. Während der Sprinter damit trotz Etappensieg seine liebe Müh und Not hat, erinnert der Zug vor Wiggins schon an die dominanten Zeiten eines US Postal, das für Lance Armstrong die Konkurrenz teilweise in Grund und Boden fuhr.
Gut, die waren damals vollgepackt mit tollen Sachen, die die Beine schneller machen. Aber wie Rogers, Porte und Froome das Feld am La Planche des Belles Filles explodieren ließen, und Letzterer auch noch die Etappe gewann, zeigt: Wenn Wiggins die Tour nicht gewinnt, lag es nicht an seinen Helfern.
Gorilla ganz vorn: André Greipel
Spätestens in diesem Jahr hat Greipel offiziell die Nachfolge von Sprint-Legende Erik Zabel angetreten. Nachdem er bereits 2011 eine Etappe gewinnen konnte, machen die zwei Erfolge bisher - zwei zweite Plätze nicht zu vergessen - deutlich, dass es keine Eintagsfliege war: Deutschland hat wieder einen Mann für die letzten Meter.
Dabei ließ er sich auch von diversen Stürzen und einer ausgekugelten Schulter am Freitag nicht stoppen. Damit muss er sich nun über die Berge quälen, aber bereits jetzt ist die Tour für Greipel und sein Team ein voller Erfolg. Wer weiß: Vielleicht geht auch noch was in Richtung Grün.
Die Edelhelfer / Angreifer: Christopher Froome, Tejay Van Garderen
Es ist schon mehr als überraschend, dass Sky und BMC je zwei Männer unter den Top Ten der Gesamtwertung haben. Noch überraschender ist, dass beide gute Chancen darauf haben, auch in Paris zu den besten Fahrern zu gehören. Van Garderen, der erst 23-jährige Amerikaner, hat zwei hervorragende vierte Plätze in den beiden Fahrten gegen die Uhr abgeliefert und war dabei jeweils schneller als sein Kapitän Cadel Evans. In den Bergen hapert es zwar noch ein bisschen, aber wenn er sich bei den Anstiegen noch etwas steigern kann, könnte er den Sprung vom Domestiken zum Teamleader bald schaffen - Evans ist schließlich nicht mehr der Jüngste.
Chris Froome, der gebürtige Kenianer, ist spätestens seit dem gestrigen Einzelzeitfahren ein ganz heißer Kandidat auf das Podium. Am Berg ist er bisher so ziemlich der beste Fahrer, und nach dem zweiten Platz in Besancon trennen ihn nur 14 Sekunden von Evans, den er im Zeitfahren offensichtlich in die Tasche steckt. Also warum nicht Zweiter der Tour werden? So ähnlich wie Jan Ullrich 1996 hinter seinem Kapitän Bjarne Riis. Van Garderens Vorteil: Wenn Evans gegen Wiggins alt aussieht, darf er vielleicht attackieren, Froome dagegen wird bei dieser Tour erst einmal im Windschatten seines Kapitäns bleiben müssen.
Der Prolog-Profi: Fabian Cancellara
Die Schweizer Zeitfahrmaschine hat den Tour-Auftakt bisher unglaubliche fünf Mal gewonnen. Ob es erst fünf oder schon fünf Siege sind, liegt im Auge des Betrachters. Fest steht: Auf kurzen Strecken zeigt er allen anderen Fahrern, was eine Harke ist. Auf längeren Kursen gegen die Uhr ist er auch nicht ganz so schlecht, siehe Olympiagold und vier Weltmeistertitel. Aber es sind die Prologe, die ihm in seiner Karriere bisher insgesamt 28 Tage im Gelben Trikot eingebracht haben - mehr als Jan Ullrich und die Gebrüder Schleck zusammen.
Auch dieses Jahr fuhr er bis zur siebten Etappe in Gelb, und das nur, weil er auf 6,4 km sieben Sekunden schneller war als Bradley Wiggins. Kurze Strecke, lange Wirkung!Wenn man dann noch berücksichtigt, dass er im Frühling wochenlang mit gebrochenem Schlüsselbein außer Gefecht war, ist die Leistung umso bemerkenswerter. Am Montag reichte es im Zeitfahren zwar nur zu Platz drei, bei Olympia soll es aber noch weiter nach oben gehen. Cancellara wird aus der Tour aussteigen, um sich voll auf die Spiele zu konzentrieren - ein Vorteil gegenüber Wiggins.
Allons enfants de la patrie - die Franzosen
Der letzte französische Sieger der Tour liegt bereits 27 Jahre zurück. Seit Bernard Hinault muss die stolze Nation Amerikaner, Spanier, und andere Gäste auf dem Tour-Thron akzeptieren und ergattert höchstens noch ein paar Auszeichnungen für die besten Nebendarsteller. Siegfahrer hat man nicht, Sprinter auch nicht. Dass das französische Trauma nicht die Ausmaße der Briten beim Thema Wimbledon erreicht, dafür ist dieses Jahr aber gesorgt.
Mit Jungspund Thibaut Pinot wurde bereits ein Etappensieg gefeiert, und in der Gesamtwertung hat man immerhin Masse statt Klasse zu bieten: Fünf Franzosen unter den besten 25, mehr als jedes andere Land. Tony Gallopin und Pinot haben realistische Chancen auf das Weiße Trikot, Sylvain Chavanel überzeugt im Zeitfahren, und Ausreiß-Recken wie Thomas Voeckler und Pierre Roland werden sich in den kommenden 10 Tagen wohl noch das eine oder andere Mal zeigen. Der ersehnte Tour-Sieg ist auch dieses Jahr außer Reichweite, aber mit dem bisher Erreichten kann man zufrieden sein.