"Dass Jan Ullrich dann zum Toursieger der Jahre 2000, 2001 und 2003 erklärt wird, wäre die logische Folge", sagte der Berliner Sportrechtsexperte Roland Krause der "dapd". Und nicht nur das: "Auch stellt sich die Frage, ob Lance Armstrong die Preisgelder zurückzahlen muss und ob Jan Ullrich solche Preisgelder nachträglich erhält", erklärt Krause weiter.
Der überführte Ullrich soll nachträglich zum dann vierfachen Toursieger erklärt werden und dann auch noch die Preisgelder einstreichen? Eine ungeheuerliche Vorstellung.
Ullrich erkennt Reihenfolge an
Und nach den ersten Reaktionen zu urteilen, wäre dies Ullrich selbst nicht ganz recht. "Ich weiß, wie damals die Reihenfolge auf der Ziellinie war", ließ Ullrich am Freitag über seinen Berater ausrichten. Im Übrigen sei er auch auf seine zweiten Plätze "extrem stolz".
Am Samstag wird der 38-Jährige, der 2007 seinen Rücktritt erklärte, den Ötztaler Radmarathon für Hobbyfahrer mit einer Pressekonferenz in Sölden eröffnen und zweifellos wiederholen, dass er nicht auf vergangene Titel schaue.
Die neue Bilanz für Ullrich sähe so aus: Vier Tour-Siege (1997 unbestritten, 2000, 2001 und 2003 ursprünglich hinter Armstrong) und zweimal Zweiter (hinter Riis 1996 beziehungsweise Pantani 1998).
Der Dritte Platz von 2005, als Armstrong den letzten seiner sieben Siege einfuhr, wurde Jan Ullrich bereits nach dem Urteil des Welt-Sportgerichts im Februar 2012 aberkannt.
Noch handelt es sich nur um ein Szenario
Doch noch handelt es sich ohnehin lediglich um ein Szenario. Denn selbst wenn die amerikanische Anti-Doping Agentur USADA, wie angekündigt, alle Ergebnisse Armstrongs seit 1998 aberkennt, ist das Urteil noch nicht verbindlich.
Der Internationale Radsport-Verband (UCI) könnte den Fall noch vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS bringen. Es könnte daher noch dauern, bis der belastete Ullrich die Titel vom belasteten Armstrong übertragen bekäme.
Doch wie auch immer es kommt: Der Profi-Radsport kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen heraus. Eine mögliche Erhebung Ullrichs zum dann viermaligen Toursieger wäre an Absurdität kaum zu überbieten und Wasser auf die Mühlen jener, die nur noch Spott und Hohn für den dopingverseuchten Profi-Radsport übrig haben.
Armstrong jedenfalls dürfte auch nach einer möglichen Aberkennung seiner Erfolge nicht zu einer neuen Seriosität im Radsport beitragen - dieser Schluss lässt jedenfalls die Reaktion Armstrongs auf die mögliche Aberkennung seiner Titel zu. Der 40-Jährige zeigte keinerlei Einsicht, vielmehr sieht er sich als Opfer einer Verschwörungskampagne.
So heißt es in seiner Erklärung: "Von Anfang an ging es bei dieser Untersuchung nicht um die Wahrheit, sondern darum, mich um jeden Preis zu bestrafen. (...) Die USADA hat gegen ihre eigenen Gesetze verstoßen. Zu jedem Zeitpunkt hat die USADA versucht, all jene einzuschüchtern, die die Anschuldigungen gegen mich kritisch hinterfragten - und das Ganze auf Kosten der Steuerzahler. (...) Zudem hat die USADA Deals mit anderen Fahrern gemacht, solange diese die Anschuldigungen gegen mich bestätigten."
Das Radsport-Jahr 2012