Wie sehr hatte doch Mark Cavendish vor der Tour seinen Mund vollgenommen. Wie arg hatte er doch Teamkollege Andre Greipel beschimpft und denunziert.
Greipel könne ja ohnehin nur bei "kleinen, beschissenen Rennen" siegen. Und überhaupt: Er werde nie ein Rennen zusammen mit Greipel fahren. Das ließ auf eine Topform schließen, mit der der Mann von der Isle of Man nach Frankreich kommen sollte.
Lehrstunde für Cavendish
Doch weit gefehlt! Nachdem man dem 25-Jährigen auf der ersten Sprintetappe nach Brüssel noch Sturzpech zugute halten kann, wurde er beim Massensprint nach Reims von der Sprinter-Konkurrenz regelrecht vorgeführt.
Dabei kann man als Team in der Sprintvorbereitung nicht mehr tun. Columbia chauffierte den ManXpress perfekt ins Finale, stellte ihn am exakt richtigen Zeitpunkt in den Wind. Aber Cavendish versagte. Er konnte die optimale Vorbereitung nicht nutzen. Wie ein Stürmer im Fünfmeterraum, der das freie Tor nicht trifft.
Zabel: "Cav hat nicht die Beine"
Dem Rüpel des Radsports, der im letzten Jahr noch sagenhafte sechs Etappensiege verbuchen konnte, fehlt schlicht und ergreifend die Endschnelligkeit. Müßig zu diskutieren, ob seine Gewichtsprobleme im Frühjahr die Erklärung für sein Bummeltempo sind.
"Cav hat nicht die Beine vom letzten Jahr, dann hätte er hier gewonnen", weiß auch sein Sprint-Berater Erik Zabel.
Grün für Cav schon weit weg
Aber nicht nur Cavendish blieb beim Spurtfinale in Reims unter den Erwartungen. Auch für Thor Hushovd lief der Sprint Royale alles andere als optimal. Platz neun sprang für den Etappensieger von Arenberg heraus.
Dennoch verteidigte der Cervelo-Sprinter seine Führung in der Sprintwertung und machte erneut wichtige Punkte im Kampf um Grün gegen seinen wohl größten Rivalen gut. 65 Punkte trennen Hushovd bereits von Cavendish.
Selbst Zabel glaubt nicht mehr so richtig an einen "grünen Cavendish" in Paris: "30, 35 Punkte kann man aufholen. Es ist aber ein ungeschriebenes Gesetz, dass es mehr nicht sein dürfen. Zumal Hushovd ein cleverer Kerl ist und weiß, wie er sein Trikot zu verteidigen hat."
Wird Petacchi der neue Cavendish?
Schaut man sich den Verlauf der Sprintetappen an, dann könnte man meinen, Alessandro Petacchi übernehme die Rolle, die Cavendish im letzten Jahr mit seinen sechs Siegen inne hatte.
Wie der ManXpress ist auch der Italiener ein enorm endschneller Sprinter und ließ der Konkurrenz bei seinem zweiten Streich keine Chance. Aber mit den Bergen hat der 36-Jährige so seine Probleme. Gerne verlässt er die Tour auch mal, bevor die richtig steilen Rampen kommen.
Dann, wenn es in die Pässe der Alpen geht, könnte wieder die Stunde von Hushovd schlagen. Bereits im Vorjahr ließ der Norweger keine Chance ungenutzt und kämpfte sogar in den Zwischensprints eichhörnchenartig um Punkte für sein großes Ziel: das Maillot Vert.
Dean springt für Farrar in die Bresche
Auf einem hervorragenden zweiten Platz landete der Neuseeländer Julian Dean (GRM), seines Zeichens Anfahrer von Tyler Farrar.
Der Amerikaner bekam allerdings von seinem Sportlichen Leiter ein Sprintverbot auferlegt, weil er sich auf der Etappe nach Spa das Handgelenk gebrochen hatte.
Ciolek im Pech
Als bester Deutscher belegte Gerald Ciolek Rang elf. Der Pulheimer fuhr zu früh im Wind und wurde dann auch noch von zwei Fahrern in die Mangel genommen: der Weg nach vorne war dicht. Auf der Etappe nach Montargis am Donnerstag wird der Milram-Sprinter seine Chance erneut suchen müssen.
Armstrong weiter auf Platz 18
Im Gesamtklassement gab es nach dem zweitkürzesten Teilstück keine Veränderungen.
Der Schweizer Fabian Cancellara vom Team Saxo Bank verteidigte seine Führungsposition vor dem Briten Geraint Thomas (SKY) und dem Australier Cadel Evans (BMC).
Toursieger Alberto Contador (AST) bleibt Gesamt-Neunter, Lance Armstrong (RSH) liegt weiter auf Platz 18.
Die Gesamtwertung: Cancellara vorne
Die Trikotträger nach der heutigen Etappe:
Gesamtwertung: Fabian Cancellara (SAX)
Sprinter: Thor Hushovd (CTT)
Bester Jungprofi: Geraint Thomas (SKY)
Bergtrikot: Jerome Pineau (QST)