Alles beginnt mit dem Aufschlag.
Ein wahrhaft ikonisches Bild, in den Köpfen derjeniger eingebrannt, die ihn haben spielen sehen. Schon die Momente vor dem eigentlichen Bewegungsablauf: bedächtige Schritte, den Kopf gesenkt, immer ein wenig geduckt, aber voller Spannung, wie ein Panther vor dem Sprung. Ist das Match weit fortgeschritten, wird vielleicht noch kurz der Schweiß aus den buschigen Augenbrauen gewischt.
Keine lange Konzentrationsphase. Der Ball springt genau einmal auf. Dann sein Markenzeichen: die linke Hand und der Ball am Wilson-Racket mit dem für heutige Verhältnisse viel zu kleinen Schlägerkopf. Der Blick geht über das Netz zum Gegner, dabei wird das rechte Handgelenk nach oben abgeklappt, gleichzeitig geht die linke Fußspitze nach oben. Als spanne man einen Hahn - oder ein Katapult.
Dann geht der rechte Arm nach oben, in einer unvergleichlich flüssigen und doch kraftvollen Bewegung. Die Knie gebeugt. Der linke Arm nach oben durchgedrückt, in den Himmel zeigend. Der Rücken leicht verdreht. Ganz sanft schwebt die gelbe Filzkugel aus der Handfläche, millionenfach geprobt, nicht zu hoch, nicht zu tief, immer genau auf den gleichen Punkt, für den Gegner nicht zu lesen. Die Zeit steht kurz still.
Und dann explodiert Pete Sampras. Und eigentlich auch nicht - denn es sieht so federleicht, so mühelos aus. Kaum trifft der Schläger den Ball, klappt der Arm nach unten ab und gibt so die Geschwindigkeit mit. Das Service treibt den Körper nach vorne ins Feld. Ein kurzes Aufkommen mit dem linken Fuß, dann ein längerer Schritt mit rechts, dann das für Serve and Volley typische Aufkommen in der leichten Grätsche, den Return im Blick. Kleine Trippelschritte, die T-Linie ist erreicht. Und sollte der Ball wirklich zurückommen - meist schwächlich, halbhoch flatternd - dann folgt der Volley. Entweder dominant und mit Nachdruck, oder aber mit viel Gefühl, leicht und locker abtropfend.
Und dann ist der Punkt meist auch schon vorbei.
Verwaister Lebensraum am Netz
Es ist ein Bild, das fast nur noch auf YouTube existiert, oder in den Köpfen der älteren Generation. Serve und Volley, ach ja, das war das Spiel derjenigen, die halt nicht wirklich Tennis spielen konnten und deshalb auf Gedeih und Verderb ans Netz mussten, um den Punkt kurz zu halten. Langweilig, keine Ralleys. Bumm Bumm, Seitenwechsel, wieder von vorne. Öde.
Deshalb wurden die Bälle schwerer, die Plätze langsamer, die Schläger größer und technologisch ausgereifter. Mit dem erwünschten Resultat: Der Lebensraum der Serve-and-Volley-Spezialisten, der Fleck vor der T-Linie, leicht nach links und rechts ausgreifend, ist verwaist, fast unberührt, nur noch unfreiwillig betreten. Wimbledon ist heute ein staubiger, sandiger Trampelpfad an der Grundlinie - und davor (mehr oder minder) grüne Halme. Fortschritt? Oder doch eher Sakrileg?
Mit dem Holzschläger gelernt
"Serve and Volley ist tot", sagt Pete Sampras heute. "Pat Cash, Björn Borg, Stefan Edberg, das waren die Spieler, mit denen ich aufgewachsen bin, also habe ich mein Serve and Volley schon in jungen Jahren entwickelt." Um sich auszumalen, wo die Kids, die heute Rafael Nadal und Novak Djokovic am Fernseher bewundern, einmal spielen werden, muss man kein Prophet sein. "Man muss früh anfangen. Ich war 13 oder 14 - wenn man 20 ist und noch kein Serve and Volley spielt, ist es zu spät."
Auch der siebenfache Wimbledon-Champion gibt der Technik die Schuld: "Die Technologie ist das Problem. Mit diesen großen Babolat-Rackets muss man nicht mehr vollieren, man haut einfach die Scheiße aus dem Ball. Ich bin mit Holzschlägern aufgewachsen, da musste man den Ball punktgenau treffen." So trauert er, der Sohn eines Amerikaners und einer griechischen Einwandererin, gegenüber "CNN" den vergangenen Zeiten nach: "Es wäre schon schön, wenn ein junger Spieler nachkommt, der Serve and Volley spielen kann. Es ist eine verloren gegangene Kunst, und das ist traurig."
Das führt dazu, dass eine weitere Spezialität aus dem Sampras-Repertoire verloren gegangen ist. Okay, das Service könnte man imitieren, wenn auch nicht erreichen - ganz besonders nicht den zweiten Aufschlag. Der wohl beste Second Serve aller Zeiten, bestimmt von Selbstvertrauen, Härte, Genauigkeit.
Den Widerstand weggeschmettert
Aber wo sieht man heute noch einen "Sampras Smash"? Diesen Slam Dunk des Tennis? Ein einfacher Schmetterball ist nicht das Gleiche, denn so richtig funktioniert es dann doch nur bei Serve and Volley. "Je öfter man ans Netz kommt, desto häufiger hat man die Gelegenheit dazu", verriet der Meister in einem Interview mit "The Tennis Space".
Wie kam es eigentlich zu diesem Markenzeichen, das beim Publikum für offene Münder und beim Gegner für eine resignierte Grimasse sorgte? "Man muss ein guter Athlet sein", so Sampras, der bei einer Körpergröße von 1,85 Metern auch einen Basketball mühelos stopfen konnte. "Ich habe viel Basketball gespielt. Um diesen Schlag spielen zu können, muss man die Sprungkraft haben."
Der 43-Jährige gibt auch zu, seinen Smash nicht ohne Hintergedanken eingesetzt zu haben: "Da gab es jede Menge Gründe. Einer davon war es, meinen Gegner einzuschüchtern. Das sagt ihm: 'Ich bewege mich gut, ich fühle mich gut, an mir bringst du nichts vorbei.' Außerdem hat es Spaß gemacht. Die Zuschauer mochten es und gingen mit, das hat mir gefallen."
"Jetzt zeige ich euch, wer ich wirklich bin"
Am wichtigsten sei es jedoch immer gewesen, den Punkt zu machen. "Alles andere war mir egal", gibt er zu. "Es ging nur ums Gewinnen." Vielleicht war er deswegen auch nie besonders beliebt, trotz 14 Grand-Slam-Titeln. Eher respektiert. An großen Momenten fehlte es nicht, aber er zeigte kaum Emotionen, ließ die großen Skandale und Frauengeschichten aus.
Auch seine Autobiographie "A Champion's Mind" kam 2008 ohne Skandale aus, lieferte aber interessante Einblicke in sein Innenleben: "Es gab Zeiten in meiner Karriere, da kam ich in den entscheidenden Momenten großer Matches an die Linie und hielt kurz inne, um die Atmosphäre aufzusaugen. Erfüllt von Adrenalin habe ich in die Menge geblickt und trotzig zu mir gesagt: 'Alles klar Leute, jetzt zeige ich euch mal, wer ich wirklich bin.'"
Dennoch: Ein Paradiesvogel war er nicht. Schmutzige Wäsche waschen wollte er nicht. Ganz im Gegensatz zu Andre Agassi.