Vor vier Jahren wurde Ferdinand Tille bei der WM zum besten Libero gewählt - für eine Medaille reichte es aber nicht. Das will der 25-Jährige bei den Titelkämpfen in Polen jetzt nachholen. Mit SPOX spricht Tille über die Chancen der deutschen Auswahl, seinen Ex-Klub Generali Haching und erklärt, warum er fast nach Las Vegas geflogen wäre.
SPOX: Ferdinand, Ihr ehemaliger Verein Generali Haching hat erst kürzlich den Rückzug aus der Bundesliga bekanntgegeben. Wie haben Sie auf diese Nachricht reagiert?
Ferdinand Tille: Es tut mir enorm leid für die ehrenamtlichen Helfer, die Trainer, den Manager und natürlich auch für die Fans. Wir haben alle immer gerne in Haching gespielt. Der Verein hat alles versucht, man sollte den Verantwortlichen also keinen Vorwurf machen. In anderen Ligen ist es mittlerweile leider ganz normal, dass sich pro Saison mindestens ein Klub zurückzieht.
SPOX: Sie waren von 2006 bis 2011 in Haching aktiv. Im letzten Jahr sind Sie noch mal zurückgekehrt. Warum?
Tille: Mich hat das Projekt einfach gereizt, auch wenn ich wusste, dass der Verein finanziell am Abgrund stand. Außerdem findet man speziell als Libero oft nicht so schnell einen Klub und Haching bot mir zudem an, weiterhin studieren zu können. Alleine deswegen hat mich ihr Schicksal berührt.
SPOX: Wäre der Einstieg des FC Bayern nach dem Vorbild der Basketballer eine Lösung gewesen?
Tille: Die Verantwortlichen haben das sicherlich in Betracht gezogen. Ein Umzug nach München hätten sie wohl nicht ausgeschlossen. Aber man wollte es eben bis zuletzt alleine schaffen.
SPOX: Wo liegt das große Problem für die Vereine?
Tille: Das ist eigentlich ganz einfach. Unsere Spiele werden nicht im Fernsehen übertragen. Das macht den kompletten Sport für Sponsoren nicht unbedingt attraktiver. Dazu kommt, dass der Fußball in Deutschland vieles erdrückt. Andere Sportarten haben fast keine Chancen. Das wirkt sich ganz automatisch auf die Vereine aus.
SPOX: Wie kann man Volleyball wieder interessanter machen?
Tille: Man könnte versuchen, die Regeln zu vereinfachen. Ich höre immer wieder von vielen Fans, dass sie lange brauchen, um alles zu verstehen. Es gibt auch Überlegungen, die Sätze zu verkürzen. Aber ich bezweifle, dass das der richtige Weg ist.
SPOX: Am Wochenende beginnt in Polen die WM. Könnte ein erfolgreiches Turnier einen kleinen Boom auslösen?
Tille: Keine Frage, es steht und fällt alles mit den Erfolgen der Nationalmannschaft. Es ist immens wichtig, dass wir uns gut verkaufen, um der Liga zu helfen und Volleyball populärer zu machen.
SPOX: Sie haben in diesem Sommer bereits die World League hinter sich. Welche Rolle spielt das auf dem Weg zur WM?
Tille: Die World League war vor allem für die jüngeren Spieler ein guter Erfahrungswert. Sie haben das Gefühl für enge Partien auf hohem Niveau bekommen. Jetzt liegt unser Fokus allerdings auf der WM. Deswegen sind auch einige erfahrenere Spieler wieder mit an Bord.
SPOX: Zum Auftakt wartet mit Weltmeister Brasilien direkt ein schwerer Brocken. Wie groß stehen die Chancen, mit einer Überraschung ins Turnier zu starten?
Tille: Wir haben auch bei der letzten EM mit Russland zum Auftakt den Europameister geschlagen. Aber selbst eine Niederlage wirft uns nicht aus der Bahn. Die WM geht über drei Wochen, da ist viel möglich. Eine Niederlage - auch gleich zu Beginn - wäre also kein Beinbruch.
SPOX: Bundestrainer Vital Heynen hat die Bronzemedaille als Ziel ausgegeben. Stimmen Sie ihm zu?
Tille: Ganz klar, eine Medaille ist auch innerhalb der Mannschaft das Ziel. Nach den Viertelfinale-Niederlagen bei den letzten beiden großen Turnieren wollen wir endlich mal unter die letzten Vier kommen. Unsere Situation ist vielleicht vergleichbar mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Bei denen hat es auch gedauert, bis der Titel heraussprang. Ohne die Enttäuschungen der letzten Jahre wäre man in Brasilien vielleicht gar nicht Weltmeister geworden. Ich sehe uns auf einer ähnlichen Entwicklungsstufe. Wir sind jetzt reif für Edelmetall.
SPOX: Kann der Triumph des DFB-Teams die Volleyballer zusätzlich motivieren?
Tille: Das kann durchaus bei dem einen oder anderen der Fall sein. Die Fußballer hatten nominell gesehen auch nicht die beste Mannschaft, aber sie sind perfekt zusammengewachsen. So könnte es auch bei uns laufen.
SPOX: Für Sie persönlich sind es nicht die ersten Weltmeisterschaften. Sie waren bereits 2010 dabei und wurden sogar als bester Libero geehrt. Der Lohn waren immerhin 15.000 Dollar. Was haben Sie eigentlich damit gemacht?
Tille: Ach, mir ist gar nicht alles geblieben. Wir hatten schon davor ausgemacht, dass wir eine solche Prämie untereinander aufteilen. Am Ende hatte ich noch die Hälfte, aber das war total in Ordnung. Das Geld habe ich dann in mein Auto gesteckt.
SPOX: Zwei Jahre später bekam Markus Steuerwald bei Olympia dieselbe Auszeichnung. Wie groß ist der Konkurrenzkampf untereinander?
Tille: Persönlich haben wir aber überhaupt kein Problem. Uns wird sogar immer gesagt, wir sollen nicht zu nett zueinander sein (lacht). Aber im Ernst: Wir spielen beide auf hohem Niveau und pushen uns gegenseitig an die Grenzen, besser geht es eigentlich nicht.
SPOX: Unterscheidet sich die Spielvorbereitung als Libero von den anderen Positionen?
Tille: Einen Tag vor dem Spiel haben wir abgesehen von der gemeinsamen Videoanalyse noch mal eine weitere Sitzung, in der wir uns die Aufschläge und Angriffe des Gegners genauer anschauen. Aber ansonsten gibt es keine großartigen Unterschiede. Volleyball ist und bleibt ein Teamsport.
SPOX: Das klingt alles sehr abgeklärt, trotz Ihrer gerade einmal 25 Jahren. Das liegt wohl auch daran, dass Sie bereits mit 18 in der Bundesliga debütierten und einen guten Eindruck hinterließen. Wie schwierig war es damals, mit dem plötzlichen Druck umzugehen?
Tille: Ich muss zugeben, in den ersten Spielen war ich sehr nervös. Zum Glück habe ich von Anfang an ganz ordentlich gespielt und bin gar nicht in eine Negativspirale gekommen. Meine Teamkollegen haben mir in der Zeit auch enorm geholfen. Wenn die Mannschaft und der Trainer dir vertrauen, kommt das Selbstbewusstsein quasi von alleine.
Seite 1: Tille über Haching und die Medaillenchancen
Seite 2: Tille über Volleyball im Ausland und Las Vegas
SPOX: Nach Ihrer Zeit in Mühldorf, Lohhof und Haching wechselten Sie 2011 erstmals ins Ausland nach Sete. Wieso zieht es immer mehr deutsche Spieler weg?
Tille: Ich wollte einfach mal etwas Neues sehen und ein anderes Land kennenlernen.
SPOX: Das klingt sehr nach einem Fußballer.
Tille: Okay, stimmt (lacht). Natürlich ist so ein Wechsel meist auch finanziell attraktiver, aber das war bei mir nicht der ausschlaggebende Punkt. Ich will auch betonen, dass ich nichts gegen die deutsche Liga habe. Aber ein bisschen Abwechslung tut jedem gut.
SPOX: Welche Vorteile bringt das Ausland mit sich?
Tille: Man muss aus deutscher Sicht leider sagen, dass in Frankreich, Italien, Polen oder Russland die Ligen deutlich besser besetzt sind. Friedrichshafen und Berlin könnten dort vielleicht mithalten, danach wird es aber dünn. Im Ausland ist man dagegen meist an jedem Wochenende richtig gefordert.
SPOX: Im kommenden Jahr führt Sie Ihr Weg zu Skra Belchatow nach Polen. Welche Erwartungen haben Sie?
Tille: Das wird eine andere Welt sein. Jede Woche laufen alleine drei Spiele live im Fernsehen, dazu kommen noch die größeren Hallen mit mehr Fans. Ich habe schon mit den anderen Polen-Legionären im Nationalteam gesprochen, die mir ein paar Geschichten erzählt haben. Man wird dort offenbar ständig auf der Straße erkannt und muss manchmal nicht mal etwas bezahlen, wenn man Essen gehen. Das ist unvorstellbar. So etwas passiert in Deutschland wenn überhaupt nur den Beachvolleyballern.
SPOX: Nicht erst seit Olympia-Gold von Julius Brink und Jonas Reckermann gibt es einen kleinen Beachvolleyball-Hype. Haben Sie mal überlegt, in den Sand zu wechseln?
Tille: Als Jugendlicher wollte ich tatsächlich Beachvolleyball-Profi werden, aber das ist Vergangenheit. Mich würde es zwar immer noch reizen, aber das Niveau in der Weltspitze ist unglaublich hoch, da würde ich wohl kein Land sehen. Außerdem haben wir einen entscheidenden Vorteil.
SPOX: Welchen?
Tille: Die Hallenspieler bekommen feste Gehälter und können dadurch besser planen. Als Beachvolleyballer finanziert man sich das Leben mit Preisgeldern, das macht die ganze Sache ein wenig unvorhersehbar.
SPOX: Apropos Geld: Sie geben auf der Seite des DVV Pokern und Schlafen als Hobbys an. Wie groß ist Ihre Poker-Leidenschaft?
Tille: Ich habe früher davon geträumt, bei der World Series of Poker teilzunehmen. Ich wäre sogar einmal fast nach Las Vegas geflogen. Momentan pokere ich wegen meines Studiums aber nicht mehr so viel. Aber wer weiß, irgendwann klappt es vielleicht doch noch.