Der schwarze Blitz aus Kitz

Oliver Mehring
17. November 201511:31
Legende Toni Sailer prägte den Skisport nachhaltiggetty
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Bereits als Kind nahm es Toni Sailer mit einer Legende auf. Der Jahrhundertsportler war das erste Pop-Idol der österreichischen Nachkriegsgeschichte und machte auch als Schauspieler eine gute Figur. Dabei war seine kurze Karriere eine einzigartige Machtdemonstration, die den Skisport prägen sollte. Dennoch verlor er nie den Respekt vor seinem größten Lehrer. Heute wäre die Ski-Ikone 80 Jahre alt geworden.

Es ist ein imposanter Ausblick, der jeden Skifahrer ergreift, wenn er am Start einer Abfahrt steht und weit in die Ferne blickt - schneebedeckte Berge, weißbehangene Tannenspitzen und ein überschaubares Potpourri von Anlagen und Gebäuden, das sich tief im Tal versammelt hat.

Schließlich schärft sich der Blick für die Tiefe, die vor einem liegt. Steht man am Anfang der berühmten Streif, einer der schwierigsten und gefährlichsten Pisten der Welt, dann sucht man diese nahende Tiefe aber vergeblich.

Viel mehr breitet sich ein angsteinflößendes Nichts vor dem Ski aus: Die legendäre Mausefalle. Ein Start mit 85 Prozent Gefälle, der so manchen Läufer schon 80 Meter in der Luft getragen haben soll und der eine solche Krafteinwirkung für den menschlichen Körper bereithält, dass kurzfristig das Zehnfache des eigenen Körpergewichts auf den Athleten lastet. Auch der übrige Verlauf der Strecke wartet mit brisanten Aufgaben auf die Todesmutigen, die sich am Hahnenkamm beweisen wollen.

Bretter, die die Welt bedeuten

Anton Engelbert Sailer, genannt Toni, war fünf Jahre alt, als er das erste Mal über diese Abfahrt ins Tal von Kitzbühel hinunterschoss. Als Sohn eines Spenglers wurde er am 17.11.1935 am Fuße des Hahnenkamm geboren und stand bereits mit zwei Jahren das erste Mal auf Brettern. Wie seine älteren Geschwister versuchte sich der junge Toni früh am immer populärer werdenden Alpin-Sport und rauschte schon als kleiner Junge über wahnwitzige Pisten.

Die verrücktesten Typen des Wintersports

Auch die berühmte Streif war damals "kriminell", wie er später selbst zugab. Doch die Begeisterung hatte ihn längst gepackt, wodurch das scheinbar unkalkulierbare Risiko auf den kaum gesicherten Strecken zu einem täglichen Begleiter im herumwirbelnden Pulverschnee wurde. Schnell machte sich Sailer in der Umgebung einen Ruf als bester Fahrer seiner Altersklasse.

Mit zehn Jahren ging er sein erstes Skirennen an und wurde trotz Bestzeit nachträglich disqualifiziert. Der Nachwuchsfahrer vergoss vor Ehrgeiz bittere Tränen und war kaum zu beruhigen. Aus Mitleid erklärte die Rennleitung den aufstrebenden Fahrer doch noch zum Sieger.

Zwei Jahre später wurde Toni Mitglied im Kitzbüheler Ski Club und verblüffte bald mit seinem rasanten Fahrstil. Seine breitgefächerte Sportbegeisterung hatte ihn mit einer einzigartigen Koordination ausgestattet, die ihn schnelle Richtungswechsel und Spurkorrekturen mit Leichtigkeit ausführen ließen

Vielseitigkeit ist Trumpf

Das Energiebündel spielte Fußball, Eishockey, übte sich im Langlauf, im Skispringen und ging zum Turnen. Besonders das Kunstturnen, das er als einer der wenigen Jungen in der Umgebung betrieb, verhalf ihm seiner Aussage nach zu dieser besonderen Motorik. Zugleich war Sailer überaus vorsichtig in seinem Fahrstil, beschrieb sich selbst sogar als ängstlich, wobei er darin keine Schwäche sah: "Nur so ist man auch immer auf der Suche nach der besten Lösung", sagte er einst.

Einen Schien- und Wadenbeinbruch, den sich Sailer im Training 1953 zuzog, konnte er dennoch nicht verhindern. In der Entwicklung ein wenig zurückgeworfen, verpasste er anschließend die Qualifikation zur WM 1954, feierte aber bei zahlreichen Einzelrennen Erfolge. Unter anderem auch in Cortina d'Ampezzo, wo sich später sein Legendenstatus begründen sollte.

Dabei machte der aufstrebende Fahrer besonders durch sein disziplinübergreifendes Talent auf sich aufmerksam. Bei der legendären Lauberhornabfahrt machte Sailer eine ebenso gute Figur wie beim Slalom in Kitzbühel oder beim Riesenslalom in Morzine. Wenig überraschend wanderten im Laufe seiner Karriere zahlreiche Kombinations-Trophäen in den ohnehin schon prallgefüllten Vitrinenschrank.

Ein 20-Jähriger schockt die Skiwelt

Seine aufkommenden Erfolge führten das Talent letztlich wieder nach Cortina d'Ampezzo zu den Olympischen Winterspielern 1956. In Italien schrieb der damals 20-Jährige schließlich Sportgeschichte. Ausgestattet mit seiner berühmten Zipfelmütze fräste der Tiroler ein Fabelrennen nach dem anderen in die hellweiße Schneedecke und holte sich alle drei möglichen Goldmedaillen.

Erst zwölf Jahre später sollte mit Jean-Claude Killy wieder ein Athlet drei Medaillen am Berg einheimsen, doch nie mehr gelang einem Fahrer bei der Zeitmessung eine solche Machtdemonstration. Die Abfahrt dominierte Sailer mit 3,5 Sekunden Vorsprung, den Slalom schnappte er sich mit 4 Sekunden Abstand und im Riesenslalom hielt der Youngster das übrige Feld mit 6,5 Sekunden auf Distanz. Österreich war im Freudenrausch.

Die kleine Alpenrepublik, die immer noch mit den Nachwirkungen des Krieges zu kämpfen hatte, erfreute sich an einem jungen Helden, der endlich nicht in einer Militäruniform steckte. Sailer wurde mit Preisen überhäuft, vom Bundespräsidenten empfangen, erhielt Ehrenabzeichen und gewann schließlich die Auszeichnung als Österreichs Sportler des Jahres.

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Zu allem Überfluss galt der gutgelaunte Junggeselle als Frauenschwarm und Gentleman. Seine dunklen Haare, die braunen Augen und die sonnengebräunte Haut machten ihm zum Posterboy einer ganzen Nation. Selbst in den deutschsprachigen Nachbarländern kannte man den 'feschen Burschen'. Sein Äußeres verhalf Sailer schließlich zu seinem Spitznamen: Der schwarze Blitz aus Kitz.

Dabei blieb der neue Stern am Sporthimmel stets bescheiden und ließ mit seiner Begeisterung für den Wettkampf nicht locker. Verbunden mit der steigenden Popularität des jungen Sportlers sahen einige Filmproduzenten ein riesiges Potenzial in dem Schönling aus den Alpen. Von diesen Angeboten wollte Sailer aber zunächst nichts wissen.

Viel mehr konzentrierte er sich auf die Weltmeisterschafen 1958 in Bad Gastein, um jegliche Vorwürfe zu entkräften, die von einem Glückstreffer bei Olympia ausgingen. Der Druck in der Heimat war enorm. Umso näher die Wettkämpfe rückten, desto häufiger wurde Sailer mit der These konfrontiert, dass er nur wegen einer schwächelnden Konkurrenz dreimal Gold errungen hatte.

Erfolg als Erlösung?

Der 22-Jährige suchte sein Heil nun verzweifelt im Erfolg. Allerdings erwirkte das erhöhte Trainingspensum im Vorfeld, dass der Österreicher plötzlich mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. "Ich hatte Probleme wie ein Tausendfüßler, der plötzlich darüber nachdenkt, wie er einen Fuß vor den anderen setzen soll", erklärte Sailer später.

Das Jugendidol war völlig aus dem Tritt geraten und verordnete sich kurz vor Beginn der Weltmeisterschaften einen Trainingsstopp. Dadurch geriet der Ausnahmeathlet gänzlich aus dem Rhythmus. Die fehlende Routine resultierte bei der Slalomentscheidung in einer Silbermedaille mit sieben Hundertstel Rückstand auf Landsmann Josef Rieder. SPOX

Der scheinbare Misserfolg stieß in Österreich auf wenig Verständnis. "Diese Medaille hat mit gezeigt, dass ein Toni Sailer nicht Zweiter werden darf. Für mich war das ein Riesenerfolg, aber gleichzeitig eine sehr große Niederlage", sagte er Jahre später.

Mit dem Rücken zur Wand

Mit dem Rücken zur Wand stürzte sich der Skistar einige Tage später in die Entscheidung im Riesenslalom. Nach insgesamt 137 Toren und zweimal 202 Höhenmetern war Sailer zurück in seinem persönlichen Sportlermärchen - mit vier Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten Rieder.

Schließlich gelang dem Branchenprimus auch ein Erfolg in der Abfahrt und damit auch in der Kombination. Toni Sailer hatte seine Kritiker endgültig zum Schweigen gebracht und sich selbst ein Denkmal gesetzt. Nur wenige Monate später erklärte er mit nur 22 Jahren seinen Rücktritt, den dritten und letzten Titel als Österreichs Sportler des Jahres in der Hand.

So kurz diese Ära auch gewesen sein mag, so nachhaltig war seine Karriere für den Skisport. Bis heute gilt Sailer als einer der besten Skirennfahrer aller Zeiten, viele sehen in ihm sogar den besten. Mit seinen Erfolgen manifestierte er in Österreich die überschwängliche Begeisterung für den Skisport.

Sailer selbst suchte in der Folge eine neue Herausforderung, um seine Neugierde zu stillen, die ihn stets begleitete: "Also wer Angst vorm Fliegen hat, der soll am besten gar nicht einsteigen", erklärte Sailer noch im hohen Alter.

Ein Leben danach

Nach seinem Rücktritt zog es den 'Frührentner' nach München. Er versuchte sich nun tatsächlich als Schauspieler, spielte 22 Hauptrollen in Kinofilmen, hatte Auftritte in Fernsehspielen und TV-Filmen. Selbst an klassischen Theaterstücken wirkte er mit. 18 Schallplattenaufnahmen steigerten seine Popularität zusätzlich.

Nur 15 Jahre später wandte sich Sailer wieder vom Showbusiness ab. Er produzierte in der Folge Ski, wurde in den 1970er Jahren Technischer Direktor des ÖSV. Irgendwann riefen wieder die heimatlichen Berge und Sailer zeigte sich über 20 Jahre als Leiter des Hahnenkamm-Rennen verantwortlich. Jene Strecke also, die ihn bereits als Kind herausgefordert hatte und mit der er nun im Einklang seinem Lebensabend entgegenblickte.

Dabei verlor Österreichs Jahrhundertsportler nie den Respekt vor der legendären Abfahrt, die ihn groß gemacht hatte. So erklärte er kurz vor seinem Ableben im Jahr 2009, inzwischen an Krebs erkrankt: "Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Wenn der Tod kommt, dann kommt er. Angst habe ich auf der Streif, aber nicht vor dem Tod."

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