Die 64. Vierschanzentournee steht unmittelbar bevor. Zwischen dem 28. Dezember und dem 6. Januar kämpft die Weltspitze um den begehrten Titel. Im Haifischbecken tummeln sich neben einem klaren Favoriten einige Geheimtipps und Tournee-Spezialisten. Die Tour schreibt jedoch ihre eigenen Gesetze.
Peter Prevc
Vor einem Jahr galt der Slowene lediglich als Mitfavorit. Vor dem Auftaktspringen in Oberstdorf hatte Prevc auf dem sechsten Platz in der Gesamtwertung gestanden, bei der Tournee flog der 23-Jährige dann aber auf das Siegerpodest und sicherte sich die Bronzemedaille.
In dieser Saison scheint jedoch kein Weg am 23-Jährigen vorbei zu führen. Prevc springt in diesem Winter konstanter und liegt ruhiger in der Luft. In den sieben bisherigen Weltcup-Springen landete er dreimal auf dem zweiten Platz, die letzten drei Springen in Nizhny und Engelberg konnte er allesamt für sich entscheiden.
Schanzencheck zur Vierschanzentournee
Als Kirsche auf der Sahnetorte schnappte sich der Schützling von Trainer Matjaz Zupan den Schanzenrekord in Engelberg - 142 Meter weit flog "Misica". Sein Spitzname verrät gleichzeitig seine große Stärke: Misica - zu Deutsch "Muskel" - verfügt über einen enorm kräftigen Absprung. Zudem ist sein aggressiver Flugstil einzigartig. Zu all seinen Stärken kommt, dass Prevc einfach im Flow ist - bei ihm laüft es momentan wie am Schnürchen.
Severin Freund
Der Gesamtweltcup-Sieger der vergangenen Saison legte einen ordentlichen Weltcup-Auftakt hin. Dem Podestplatz in Klingenthal ließ der Skiflug-Weltmeister Siege in Lillehammer und Nizhny folgen. Das hört sich im Grunde alles mehr als aussichtsreich an.
Die letzten drei Springen fiel Freund aber in ein kleines Form-Loch. Das zweite Springen in Nizhny sowie die beiden Tage in Engelberg schloss der deutsche Hoffnungsträger nicht einmal in den Top-Five ab.
Bundestrainer Werner Schuster sieht darin kein großes Problem. "Ich fahre sehr optimistisch zur Tournee. Es gibt nicht viel zu mäkeln, lediglich die Ansteuerung passt noch nicht ganz. Für mich ist er voll im Plan", erklärte der 46-Jährige.
Entscheidend für eine erfolgreiche Tournee wird - wie bei jedem seiner Kontrahenten - auch die Psyche sein. Freund muss dem hohen Erwartungsdruck standhalten. Medienaufkommen und Interesse sind beim Saisonhöhepunkt besonders hoch. Letztes Jahr hatte man das Gefühl, Freund wäre davon negativ beeinflusst. Als Gesamt-Fünfter in die vier Springen gestartet, wurde der Rastbüchler am Ende nur Achter.
Kenneth Gangnes
Der 26-Jährige führt ein starkes norwegisches Team an. Außer in Klingenthal schaffte es Gangnes bisher jedes Mal in die Top Ten. Seine Konstanz wurde mit einem Sieg in Lillehammer belohnt. Schon beim Sommer-Grand-Prix zeigte der Mann aus Gjovik, dass er durchaus zum Sprung nach ganz oben fähig ist.
Beim letzten Springen in Engelberg kam Gangnes hinter Prevc und Michael Hayböck auf Rang drei. Nach einigen schwierigen Jahren zwischen B-Kader, Verletzungssorgen und Inkonstanz hat sich der Lehrling von Thomas Lobben gefangen und hat zweifellos das Potenzial, die Großen zu ärgern.
Michael Hayböck
Der Österreicher kommt - rechtzeitig zum Saisonhöhepunkt - immer besser in Form. Nach schwachen Ergebnissen in Klingenthal, Lillehammer und beim ersten Springen in Nizhny gelangen dem Vize-Sieger aus dem Vorjahr zwei zweite Plätze.
"Das war kein leichter Wettkampf. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich Zweiter werde, besonders nach dem schlechten Quali-Sprung, hätte ich es nicht geglaubt", freute sich der 24-Jährige über seine gute Leistung im russischen Nizhny.
Der überraschende Sprung aufs Treppchen in Russland könnte sich als der berühmt berüchtigte geplatzte Knoten erweisen. Hayböck fand jene Konstanz wieder, die ihn letzten Winter so ausgezeichnet hatte. Die Formschwäche von Gregor Schlierenzauer, der nach seiner Schaffenspause nun doch an der Tournee teilnehmen will, lässt den Druck auf Hayböck wachsen.
Stefan Kraft
Hayböcks Teamkollege springt seiner Form aus dem letzten Jahr hinterher. Sein bestes Ergebnis war ein vierter Platz in Lillehammer. Der Österreicher verfehlte aber auch schon zweimal die Top-20. Die Streuung seiner Weiten ist eigentlich viel zu hoch, um bei der Tournee oben mitmischen zu können.
Das heißt bei Stefan Kraft aber bekanntermaßen nichts. Der 22-Jährige haut hier und da mal wieder einen Bombensprung raus. Im zweiten Durchgang in Klingenthal machte er einen Satz auf die 142,5-Meter-Marke. Weiten über 132 Meter in Engelberg waren auch kein Problem.
Die Konstant fehlt jedoch noch völlig. Das störte Kraft schon im letzten Jahr allerdings herzlich wenig: Auch damals startet der Österreicher als Neunter des Gesamt-Weltcups in die Tour. Wenn er einmal ins Rollen kommt, ist alles drin.
Daniel-Andre Tande
Sein Sensationssieg in Klingenthal blieb bis dato eine Eintagsfliege. Zwar sorgte Tande in Lillehammer am zweiten Weltcup-Tag für die Höchstweite, doch für die Weltspitze reichte es nicht mehr. Seine Top-Fünf-Platzierung in Nizhny war noch ein Ausreißer nach oben.
Die beiden Springen in Engelberg holten den Norweger aber schließlich endgültig auf den Boden der Tatsachen zurück. Platz 25 und 16 sprechen Bände. Im Gesamt-Weltcup liegt Tande derzeit noch auf dem fünften Rang.
Johann Andre Forfang
Der dritte Norweger im Bunde. Der Youngster sprang immerhin bereits fünf Mal in die Top-Ten. Viermal schaffte es der 20-Jährige sogar unter die besten Fünf. In Klingenthal und Nizhny zeigte der Teamkollege von Tande und Gangnes, dass er Höchstweiten erreichen kann.
Letzten Endes fehlt es auch Forfang noch an Konstanz. Er komplettiert ein junges, frisches, ambitioniertes Team der Norweger, für den großen Coup müsste aber vieles zusammen kommen.
Richard Freitag
Der Erlabrunner hat erneut den großen Vorteil, im Schatten von Severin Freund zu springen. Schon bei der letzten Tournee konnte Freitag daraus Erfolg schöpfen. Sein Sieg in Innsbruck war atemberaubend, am Ende landete er zwei Plätze vor Freund auf Rang sechs.
In den bisherigen Weltcups kam der 24-Jährige nicht über zwei vierte Plätze hinaus. In Engelberg sah es am zweiten Wettkampftag lange sehr gut aus: Nach 138,5 Metern im ersten Durchgang, flog Freitag in Runde zwei auf die 135,5-Meter-Marke. Ein Sturz verhinderte eine bessere Platzierung als den siebten Rang.
Fazit
Der haushohe Favorit heißt Peter Prevc. "Er ist sicher der Topfavorit oder zumindest einer der Topfavoriten. Er ist in der Blüte seiner Jahre, ein toller Springer", attestierte Werner Schuster. Der Slowene dominierte die letzten Springen nicht nur, seine Kontrahenten ließ er weit abgeschlagen hinter sich.
Prevc gefährlich werden kann nur er selbst und der Geist der Vierschanzentournee. Das Vorjahr ist ein Paradebeispiel für die eigenen Gesetze, die während dem Jahreswechsel gelten. Roman Koudelka, der nach Engelberg Führender in der Gesamtwertung war, kam bei der Tournee nicht über Platz neun hinaus.
Todestag von Reinhard Heß - Der Goldschmied unter den Glasbläsern
Legende Sven Hannawald rechnet auch Freund gute Chancen aus und glaubt an einen Zweikampf mit dem Slowenen. "Für beide spricht die Erfahrung, sie können mit dem Druck umgehen", sagte er dem SID.
Erlaubt sich Prevc den einen oder anderen Fehler, befinden sich mit Freund, Hayböck und Gangnes gefährliche Kontrahenten in Lauerstellung. Doch auch mit Titelverteidiger Kraft sollte trotz schwankender Leistungen auch dieses Mal wieder zu rechnen sein: Wer weiß, welche Kraft der Österreicher aus den Weihnachtsfeiertagen gezogen hat.