Die Zeugen Hamiltons

Von Shoto
Lewis Hamilton gewann 2015 die 66. Formel-1-Weltmeisterschaft
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Talentiert waren schon einige in der Formel 1. Am Ende bedarf es mehr als purem Talent, um seinen Anker auswerfen zu dürfen. Es bedarf neben dem Talent das perfekte Timing, in einem für die jeweilige Situation passenden Team zu landen. Es bedarf Geduld, falls die Ergebnisse anders ausfallen. Es bedarf Geld, dollar dollar bill y'all! Schon einige dieser Punkte abhaken zu können, kann für die eigene Karriere vitalisierend sein. Erfüllt man mehrere, kann der Grundstein für eine erinnerungswürdige Karriere gelegt werden.

Max Verstappen scheint diesen Grundstein auf seinem Grundstück platziert zu haben. Und nicht nur diesen einen, sondern diverse weitere. Darf man nur einen einzigen Grund benennen, warum die Formel 1 Anno 2015 eben nicht die langweilige Rundumfahrt war, die gerne beschrieben wird, landet man wahrscheinlich beim Niederländer. Auf die In-Season-Überholmanöver kommt manch anderer Fahrer nicht einmal im Karriere-Mix.

Und wer hier erste Anflüge von Übertreibungen ausmacht, dem schreie ich entgegen: Unbedingt! Absolut! Aber mit Recht! Wollen wir kurz einige Highlights durchgehen? Wie wäre es mit dem Großen Preis von Brasilien? Überholmanöver im Senna-S, einmal innen gegen Pastor Maldonado, einmal außen gegen Perez. Reicht noch nicht? Wie wäre es mit Monaco? Zwar trübt der (Gott sei Dank glimpflich ausgegangene) Unfall mit Roman Grosjean das Gesamtbild, doch sollte man die geglückten Manöver nicht verdrängen.

Wie gegen Maldonado in Sainte Devote. Oder als Überrundeter, als der Rookie sich an Vettel hing und so fast mühelos die Konkurrenz vernaschte. Immer noch nicht genug? Dann eben das Überholmanöver 2015: Keine 24h nachdem sein Landsmann Daniel de Jong im GP2-Rennen an eben jener Stelle von der Strecke abkam, überholte Verstappen in unnachahmlicher Art und Weise Felipe Nasr außen in Blanchimont.

Sicher, der Toro Rosso war dem Sauber überlegen. Und es wäre unfair, die Leistungen von Carlos Sainz jr. zu ignorieren, schließlich gewann er das teaminterne Qualifying-Duell, wenn auch denkbar knapp mit 10:9. Und doch: 2015 war vor allem das Jahr eines Rookies: Das von Max Verstappen.

"GP2-Engine"

Und während der Stern eines Rookies aufging, schienen die zweier Veteranen langsam unterzugehen. Fernando Alonso und Jenson Button waren chancenlos, wenn auch nicht ob ihrer fahrerischen Qualitäten. Absurde Strafanhäufungen, derer selbst das Silicon Valley nicht habhaft werden konnte, waren Merkmal des Teams um Ron Dennis.

Doch des einen Leid ist des anderen Freud und gelitten haben sie und wir mit ihnen. Absurde wie belustigende Momente, sei es am Teamradio, auf improvisierten Siegerehrungen oder im Sonnenstuhl, McLaren-Honda und seine Fahrer wussten es, zumindest an der Oberfläche ihre Lockerheit nicht zu verlieren.

Was hätten sie auch anderes tun sollen? Waren sie doch machtlos, den Geschwindigkeitsvorteilen der Konkurrenz hilflos ausgeliefert. Was bleibt ist die Hoffnung, schnellstmöglich diese begnadeten Fahrer zumindest punktuell um Siege mitfahren zu sehen. Und wer weiß, vielleicht ist jene Hoffnung nicht komplett unbegründet, war man doch laut Alonso beispielsweise in Monza in den ersten sechs Kurven nur zwei bis drei Zehntel hinter der Spitze. Das aerodynamische Konzept scheint zumindest nicht abstrus zu sein und die Tokenanzahl Platz für Motorentwicklungen zuzulassen.

"Ich seh' in dein Herz..."

Doch bei allen positiven Dingen nervten die Telenovela-Einlagen auf und abseits der Strecke selbst einen Berufsoptimisten wie mich, vor allem, da letztere überwiegten. Das bereits angesprochene Duell Hamilton gegen Rosberg, Ferrari gegen Pirelli nach der Reifenexplosion von Spa, Red Bull gegen Renault, Bernie Ecclestone und Jean Todt gegen die Motorenhersteller und so weiter. Die Formel 1 zeigte sich oft und gerne von ihrer schlechten Seite und noch scheint kein Ende der Querelen.

Um auf einer positiveren Note zu enden, noch eine schöne Geschichte: Zwar fühlte man sich unangenehm oft an Weltmeisterschaftsbilder erinnert, wenn wirklich jedes X-Chromosomenpaar abgebildet werden musste, vorzugsweise jene in der Lotus-Box.

Und doch sind Frauen wie Carmen Jorda oder auch Susie Wolff wichtig, richtig und schön, und das nicht aus optischen Gründen. Denn sie sind Vorbilder und Inspiration für eine Generation heranwachsender Mädchen, die eben nicht mehr eine gänzlich männlich dominierte Domäne vorfinden, sondern weiterhin von einer eigenen Karriere als Rennfahrerin träumen dürfen. Auch, wenn das manchem vielleicht widerstrebt.

"Und wie wird jetzt 2016?"

Gute Frage und das nicht (nur), weil sie von mir kommt. Nach dem Schlussstrich folgt im Sport gerne möglichst schnell der Blick in die Zukunft, teilweise Minuten nach Abschluss der jeweiligen Saison. Und natürlich sind Prognosen zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, basieren sie doch auf Impressionen abgelaufener Ereignisse und nicht auf relevanten Daten.

Aber ich denke, es ist nicht allzu dreist, wenn ich die obige Frage folgendermaßen beantworten würde: Interessant. Ja, ich denke 2016 wird interessant. Nicht zwingend besser, weil spannender. Ferrari mochte die Lücke etwas geschlossen haben und doch holte Mercedes zwei Punkte mehr als im Vorjahr. Und nicht nur das, man verspricht eine radikalere Weiterentwicklung des Autos.

Vielleicht, um nicht gegen Ferrari ins Hintertreffen zu geraten, vielleicht aber auch, um den Vorsprung zu halten oder ihn sogar auszubauen. Renault beziffert die Zeit bis zur Konkurrenzfähigkeit mit drei Jahren und das erscheint nicht unrealistisch, sieht man auf vergangene Entwicklungsphasen. McLaren-Honda kennt diese Phasen und hofft, dass die 32 zur Verfügung stehenden Token zur Entwicklung genügen, setzt sich die Power Unit doch aus 66 Token zusammen.

Sky Sport-Experte Mark Hughes spricht gar davon, dass sich die notwendigen Token um sechs bewegen könnten, damit Honda einen konkurrenzfähigeren Motor liefern kann. Und doch sind das Theorien, keine Fakten. Bleibt der Honda während der Testfahrten hinter den Erwartungen zurück, scheint es für einige nicht abwegig, dass Alonso seinen Platz für ein Jahr abgibt (welchen dann der belgische Nachwuchsfahrer Stoffel Vandoorne einnehmen würde) und ein Sabbatical einlegt.

Aber wie gesagt, ich bin Berufsoptimist. Ich glaube, dass die Formel 1 wieder etwas interessanter, weil spannender, weil vielfältiger, werden könnte. Dass vielleicht Honda einen enormen Entwicklungssprung schafft. Dass Ferrari vollends auf Mercedes aufholt und deren Bolide hinter den Erwartungen zurückbleibt. Dass wir am Ende vielleicht drei Teams sehen werden, die um den Fahrer- und Konstrukteurs-Titel fahren können.

Und ganz ehrlich: Nach diesem Jahr finde ich diese Aussicht ungeheuer spaßig und aufregend.

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