Der Schlächter von Brackel
Von Jochen Tittmar
Früher war es offenbar Tradition in den Trainingslagern der Bundesligisten, dass sich die mitgereisten Journalisten an einem Abend mit einer bunt zusammengewürfelten Abordnung des Vereins zum Fußballspiel trafen.
Ich habe Borussia Dortmund nun schon mehrere Male in der Vorbereitungszeit begleitet. Anfangs war da aber nix. Nur Termine, nur schreiben, dann essen und schlafen.
Das hat sich glücklicherweise dank eines Kollegen geändert. Der nahm die Sache vor einem Jahr in die Hand - und der BVB stand prompt parat.
Die Kompositionen beider Teams könnten skurriler nicht sein: Fitte, Dicke, Lahmarschige auf Seiten der Journalisten. Presseabteilung, Busfahrer, Dolmetscher und Co-Trainer bei Dortmund.
Skandalspiel in La Manga
Im Sommer im schweizerischen Bad Ragaz verpflichtete der BVB in einer Nacht- und Nebenaktion zum Erstaunen des Journalistenmobs gar Champions-League-Sieger Stephane Henchoz und den ehemaligen Flügelflitzer Petr Ruman. Aber das ist eine andere Geschichte...
Das Skandalspiel des Jahres ging nämlich im Winter-Trainingslager im spanischen La Manga vonstatten. Der sogenannte BVB 3 kam mit zwei kompletten Mannschaften an und hatte bestes Material zur Verfügung. Wir Journalisten mussten Sekunden vor dem Anpfiff noch einen dahergelaufenen Fan (über 50 Jahre alt!) von den Vorteilen der Torhüterposition überzeugen.
Doch es lief erstaunlich gut für uns und wir hauten Keeper Pete Krawietz ordentlich die Hütte voll. Nach einer guten Viertelstunde lag "die Dritte" mit 1:8 zurück. Was dann folgte, wird der schreibenden Zunft wohl noch in den nächsten fünf Trainingslagern unter die Nase gerieben.
Eine nicht zu erklärende Mischung aus Arroganz und unglaublicher Lauffaulheit ließ die gut Angezogenen ins Spiel zurück kehren. Wir reagierten und ließen den über 50-Jährigen, der erstaunlich gut beieinander war, aufs Feld. Doch sein Ersatz entpuppte sich als bloße Staffage zwischen zwei Aluminiumstangen, so dass die Dortmunder dank Aubameyang-Übersetzer Massimo Mariotti, den sensationell effektiven Buslenker Christian Schulz (acht Minuten Spielzeit, 13 Ballkontakte, 5 Tore) und den kloppesken Motivator Krawietz zum 10:10 ausglichen.
Joker Fritz Lünschermann
Das Drama auf Platz 23 im spanischen Nirgendwo muss sich wohl herumgesprochen haben. Großkreutz, Weidenfeller, Bender - sie alle tauchten plötzlich an der Seitenlinie auf und glotzten auf diese unsägliche Aufholjagd. Im Grunde lachten sie uns Journalisten aus. Ohne Wechselmöglichkeit - der BVB tauschte in den 50 Minuten Gesamtspielzeit geschätzte 37 Mal aus - verkamen wir zu einem eigentlich bemitleidenswerten Häufchen Elend.
Dann brachten die Schwarzgelben ihren gefürchtetsten Joker: Fritz Lünschermann, mittlerweile seit 26 Jahren im Verein und so etwas wie der liebe Onkel der Profimannschaft. Der "Schlächter von Brackel", wie er aufgrund seiner - vorsichtig ausgedrückt - enorm körperbetonten Spielweise genannt wird, demoralisierte uns dann noch vollends. Besonders Großkreutz feuerte Lünschermann an, doch endlich mal einen über die Klinge springen zu lassen - was auch mehrfach gelang, da wir keinen Meter mehr laufen konnten.
Am Ende hieß es tatsächlich 13:11 für den BVB. Ein Spiel, das leider in die Geschichte eingegangen ist.
Doch in wenigen Tagen ist wieder La Manga. Und ich spreche hiermit einmal im Namen der dort dann anwesenden Reporter: Wir sind bereit für das Rematch.
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