Kommt es zum Lockout? Es ist das große Thema der Offseason. Am Dienstag tauschten Besitzer und Spieler Angebote aus und waren vorsichtig optimistisch, dass ein Fortschritt gemacht wurde. Ein Deal ist aber nach wie vor weit entfernt. Niemand kennt die finanziellen Spielregeln der NBA so gut wie Larry Coon. Der 48-jährige Insider, der unter anderem für "ESPN" und die "New York Times" als Experte schreibt, über die Hintergründe des drohenden Lockouts, die Forderungen von NBA-Spielern und -Besitzern sowie das wohl vergebliche Hoffen der BBL-Fans auf Dirk Nowitzki.
SPOX: Herr Coon, bevor wir tiefer in die Materie eintauchen gleich die wichtigste Frage, die vor allem uns Deutsche derzeit umtreibt: Wird Dirk Nowitzki im kommenden Jahr im Falle eines Lockouts in Deutschland spielen können?
Larry Coon: Davon würde ich nicht ausgehen. Denn jeder Spieler, der unter Vertrag steht, braucht einen sogenannten Letter of Clearance, der ihm bescheinigt, dass er nirgendwo unter Vertrag steht. Das sind die Regeln jeder der FIBA untergeordneten Liga. Nowitzki müsste also beim DBB diese Freigabe beantragen. Die wird er aber mit Sicherheit nicht bekommen.
SPOX: Weil er nach wie vor bei den Mavs unter Vertrag ist.
Coon: Und weil ein Lockout theoretisch schon eine Minute, nachdem diese Bescheinigung ausgestellt wurde, vorbei sein könnte. Und dann müsste Nowitzki mehr oder weniger sofort bei den Mavericks aufschlagen.
SPOX: Mit anderen Worten: Die deutschen Fans haben keine Chance, Dirk Nowitzki diesen Herbst in der BBL zu sehen?
Coon: Unter normalen Voraussetzungen nicht. Theoretisch wäre es aber möglich. Der DBB könnte Nowitzkis Vertrag mit den Mavs missachten und den Letter of Clearance trotzdem ausstellen. Oder eine eingeschränkte Bescheinigung ausstellen, die besagt, dass Nowitzki anderswo spielen darf, solange der Lockout läuft. Oder aber der Spieler selbst könnte Klage einreichen und das Recht einfordern, Basketball spielen zu dürfen. All das ist aber sehr unwahrscheinlich.
SPOX: 1998, als frisch gedrafteter Spieler, hat Dirk Nowitzki erst nach dem Ende des Lockouts seinen Vertrag unterzeichnet. Deshalb konnte er, im Gegensatz zu den etablierten Profis, also zunächst weiter in Deutschland spielen.
Coon: Exakt, und genau so ist es diesmal auch. Die Spieler, die am Donnerstag im Draft ausgewählt werden, sind ihren NBA-Teams noch nicht automatisch verpflichtet - und könnten somit zunächst im Ausland noch Geld verdienen und Spielpraxis sammeln. Für Free Agents, die aktuell keinen gültigen Vertrag haben (aus Mavs-Sicht wären das Caron Butler, J.J. Barea und Tyson Chandler, Anm. d. Red.), würde das Gleiche gelten. Natürlich immer mit dem Wissen im Hinterkopf, dass ihnen eine im Ausland erlittene Verletzung im Hinblick auf die NBA-Karriere schaden könnte. Allen anderen Spielern wird nichts anderes übrig bleiben, als sich über das Training fit zu halten.
SPOX: Okay, und wie sieht es generell aus? Haben Sie irgendwelche Hoffnungen, dass ein NBA-Lockout vermieden werden kann?
Coon: Bis vor wenigen Tagen hatte ich nicht den geringsten Zweifel, dass ein Lockout kommen wird. Die beiden Seiten, sprich die Teambesitzer und die Spieler, sind so weit voneinander entfernt und die Besitzer verlangen so drastische Veränderungen, dass es mich sehr gewundert hätte, wenn es zu einer schnellen Lösung gekommen wäre. Dann habe ich aber ein leises positives Signal vernommen. Vielleicht kommt die Liga also doch um einen Lockout herum, ich halte es aber nach wie vor für unwahrscheinlich. Die jetzige Woche ist ganz wichtig, in diesen Tagen könnte sich sehr vieles entscheiden.
SPOX: Ab wann müssen wir uns also darauf einstellen, dass die Spieler ausgesperrt werden?
Coon: Ab dem 1. Juli. Das aktuelle Collective Bargaining Agreement (kurz CBA, der Tarifvertrag der NBA; Anm. d. Red.) läuft bis zum 30. Juni, danach würde der Lockout beginnen.
SPOX: Was sind die Haupt-Streitpunkte, die die Besitzer und die Spieler derzeit voneinander trennen?
Coon: Nun, es gibt einige schwerwiegende Dinge, die die Gemüter richtig erhitzen, und ein paar Sachen, die beide Seiten gerne noch am Rande klären wollen. Am wichtigsten ist der Anteil der Spieler am Gesamteinkommen der Franchises. Derzeit werden den Spieler 57 Prozent dessen garantiert, was den Klubs vor Abzug der Ausgaben in die Kassen gespült wird.
SPOX: Was auf den ersten Blick schon eine Menge Holz ist.
Coon: Deswegen wollen die Teambesitzer hier drastische Veränderungen vornehmen. Sie geben an, dass 22 der 30 Vereine rote Zahlen schreiben, dass die gesamte Liga rote Zahlen schreibt - und dass deshalb das ganze System überarbeitet werden muss. Die Besitzer wollen daher zunächst die Ausgaben abziehen - was etwa einem Viertel entspricht -, und dann vom restlichen Geld nur noch die Hälfte an die Spieler abgeben. Verglichen mit der aktuellen Situation wäre der Spieleranteil dann nur noch bei 37 Prozent.
SPOX: Von wie viel Geld reden wir an dieser Stelle?
Coon: Derzeit verdienen die Spieler 2,1 Milliarden Dollar pro Jahr. Davon sollen in Zukunft 750 Millionen wegfallen. Blieben also noch etwa 1,35 Milliarden Dollar übrig.
SPOX: Und um das zu erreichen, müsste man den Salary Cap gewaltig herabsetzen.
Coon: Richtig, aktuell darf ein NBA-Team aufgrund etlicher Ausnahmeregeln rund 70 Millionen Dollar pro Jahr an Spielergehältern zahlen, ohne Strafen befürchten zu müssen. Die Besitzer streben eher eine Zahl um 45 Millionen an. Das ist das große Thema, alle anderen Punkte sind diesem untergeordnet.
SPOX: Und diese anderen Punkte sind...
Coon: ... ein harter statt eines weichen Salary Caps, also eine Gehaltsobergrenze, die keinerlei Ausnahmen mehr erlaubt. Die Einführung eines Franchise Tags, mit dem Teams verhindern können, dass namhafte Free Agents woanders anheuern. Die Einführung von nicht-garantierten Verträgen, die es den Besitzern leichter machen würden, Spieler wieder loszuwerden, die nichts bringen. Und jede Menge Kleinigkeiten, die mit diesen Dingen zu tun haben.
SPOX: Die Einführung von nicht-garantierten Verträgen war bis vor kurzem ein Punkt, auf dem die Besitzer bestanden haben, in Bezug dessen sie ihre Haltung aber kürzlich entscheidend gelockert haben. Ist das eine ermutigende Entwicklung?
Coon: Ich sehe das nicht so. Für mich ist das eine taktische Maßnahme der Besitzer zu sagen: "Wir nehmen Abstand von etwas, das Euch Spielern sehr wichtig ist. Jetzt seid Ihr bitteschön an der Reihe und macht an einer anderen Stelle Zugeständnisse." Darüber hinaus ist es so, dass ein harter Salary Cap, der jegliche Überschreitung der Gehaltsobergrenze kategorisch ausschließt, nicht vereinbar ist mit garantierten Verträgen. Denn wenn ein Klub von keinem seiner Verträge zurücktreten kann, wird es zwangsläufig irgendwann so kommen, dass er die Gehaltsobergrenze überschreitet.
SPOX: Die Tatsache, dass die Besitzer bereit sind, bei garantierten Verträgen zu bleiben, würde also bedeuten, ...
Coon: ... dass sie am Ende genau das tun werden, was ich von Anfang an vorausgesagt habe: Sie werden auch von ihrem Plan, einen harten Salary Cap einzuführen, abrücken.
SPOX: In Bezug auf die Gehaltsobergrenze bliebe also alles beim Alten?
Coon: Keineswegs. Beim Salary Cap gibt es nicht nur schwarz und weiß, sprich hart und weich. Es gibt einen großen grauen Bereich dazwischen.
Larry Coon über die Uneinigkeit in beiden Lagern und den Unterschied zur NFL
SPOX: Bisher haben wir so getan, als würde eine breite Front von Besitzern auf eine breite Front von Spielern treffen. Tatsächlich gibt es aber auf beiden Spielern Fraktionen mit unterschiedlichen Zielen.
Coon: Das stimmt. Bei den Besitzern kann man die Grenze ziemlich genau zwischen den reichen und den armen Klubs ziehen. Teams wie die Knicks, Lakers und Bulls, die in Großstädten mit großen Vermarktungsmöglichkeiten spielen, verdienen jede Menge Kohle, kleinere Teams wie in Memphis, Minnesota oder New Orleans verlieren Geld. Einerseits sind die Besitzer dieser kleinen Teams also besonders erpicht darauf, einen neuen Tarifvertrag abzuschließen. Andererseits könnten sie es sich leisten, wenn sich ein Lockout lange hinzieht. Denn solange sie keine Spielergehälter zahlen müssen und die Arena geschlossen bleibt, verlieren sie kein Geld.
SPOX: Bei den reicheren Besitzern ist es genau anders herum.
Coon: Genau. Denen ist das neue CBA weniger wichtig, und sie würden einen Lockout möglichst schnell beendet sehen wollen, weil ihnen andernfalls Geld durch die Lappen geht.
SPOX: Und diese Teams hätten sicher auch weniger Interesse daran, für mehr Chancengleichheit zu sorgen.
Coon: Absolut, die angesprochene Idee eines Franchise Tags käme vor allem den Kleinen zugute. Denn die Tendenz geht in den meisten Fällen dahin, dass Spieler kleine Teams verlassen und bei großen anheuern. Dwight Howards möglicher und schon jetzt viel diskutierter Wechsel von Orlando zu den Lakers ist so ein Beispiel. Die großen Teams hätten nur in Ausnahmefällen etwas davon, wenn Franchise Tags möglich wären. Aber ich will nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: Die Besitzer sind sich im Großen und Ganzen schon darüber einig, was sie wollen. Zumal eine Gruppe von 30 Geschäftsleuten natürlich viel einfacher zu organisieren ist als eine von 400 Spielern.
SPOX: Und wo liegt bei den Spielern die Uneinigkeit?
Coon: Naja, es gibt Spieler, die finanziell komplett abgesichert sind, die 100 Millionen verdienen und seit zehn Jahren in der NBA spielen. Kobe Bryant wird sicher nicht unter die Armutsgrenze fallen, wenn es zum Lockout kommt. Andere Spieler wiederum bekommen nur das Minimalgehalt von 473.604 Dollar und sind vielleicht nur zwei oder drei Jahre in der Liga. Diese Spieler könnten in Schwierigkeiten geraten. Denn man darf nicht vergessen: Sollte die komplette Saison ins Wasser fallen, bekommen die Spieler keinen Cent. Den "armen" Spielern würde damit unter Umständen ein Drittel oder sogar die Hälfte der kompletten Einkünfte aus ihrer Profikarriere wegbrechen.
SPOX: Was bedeutet das im Hinblick auf die Verhandlungen?
Coon: Ich glaube, dass die Besitzer aus dieser Situation Kapital schlagen können. Je länger sich der Lockout hinzieht und wenn erstmal die ersten Gehaltsschecks ausgeblieben sind, werden einige sicher ins Grübeln kommen. Wenn dann Angebote zur Wiederaufnahme der Arbeit ins Haus flattern, dann wird der eine oder andere sicher umfallen. Bei 400 Spielern würden 201 Stimmen reichen, um den Lockout zu beenden und ein neues CBA in Kraft treten zu lassen.
SPOX: Einige Teams sind ja schon nach aktuellen Salary-Cap-Regeln deutlich über der Grenze, nicht zuletzt die Dallas Mavericks. Was würde passieren, wenn die Gehaltsobergrenze zusätzlich gesenkt würde? Und wie könnten sie zusätzliche Spieler verpflichten?
Coon: Das wäre nur dann ein echtes Problem, wenn es einen harten Salary Cap geben sollte. Einer der Diskussionspunkte dreht sich genau um dieses Thema. Die Besitzer sind der Meinung, dass man die laufenden Spielerverträge um 15 bis 20 Prozent kürzen müsse. Eine andere Möglichkeit wäre, Teams einen Zeitraum von 3 Jahren zu gewähren, um ihr Gehaltsgefüge anzupassen. Es gibt weitere Überlegungen, die aber alle nicht ausgereift sind. Ich glaube aber, dass all das nicht nötig sein wird, weil es keinen harten Cap geben wird.
SPOX: Sondern?
Coon: Er wird härter sein als bisher, keine Frage. Dinge wie die Midlevel Exception, also ein mittelgroßer Vertrag, den man vergeben kann, auch wenn man schon über dem Cap liegt, werden sicher abgeschafft werden. Aber ich gehe davon aus, dass man mit den laufenden Verträgen nach wie vor leicht über die Gehaltsobergrenze wird hinausgehen dürfen.
SPOX: Ist das Thema der Ligaverkleinerung eines, das mit den CBA-Verhandlungen direkt zusammenhängt?
Coon: Zum Teil schon. NBA-Commissioner David Stern hat diese Maßnahme für den Fall angeregt, dass sich die ökonomische Situation der Liga aus dem Grund nicht bessert, dass zum Beispiel 28 gut laufende Teams für zwei defizitäre Teams aufkommen müssen. Den Spielern kann das natürlich nicht schmecken, weil pro Team, das wegfällt, automatisch 15 Kaderplätze wegfallen. Reichere Teams wiederum werden argumentieren, dass sie nicht bereit sind, Franchises mitzufinanzieren, die - etwa aufgrund ihres Standortes - nicht profitabel sind.
SPOX: Können Sie zu guter Letzt noch kurz erläutern, worin der entscheidende Unterschied zwischen den Tarifverhandlungen der NBA und denen der NFL besteht?
Coon: Die NFL verdient sehr viel mehr Geld. Die Teambesitzer der NBA haben ein valides Argument, wenn sie sagen, dass sie Geld verlieren und das System überholt werden muss. Bei der NFL ist genug Geld da, es geht nur um die Frage, wie es aufgeteilt wird. Auch ansonsten sind die Situationen aufgrund der Tatsache, dass es in der NFL nicht-garantierte Verträge gibt, die Handgelder viel höher sind etc., schwer zu vergleichen.
SPOX: Dennoch: Könnten Sie sich vorstellen, dass die Spieler in der NBA, ähnlich wie in der NFL, an einen Punkt gelangen, an dem sie vor Gericht gehen und gegen die Besitzer klagen?
Coon: Möglicherweise. Aber um zu erklären, wie es dazu kommen könnte, müssten wir zunächst tief in die Materie des US-amerikanischen Arbeitsrechts und des Antikartellrechts eintauchen. Deshalb belassen wir es vielleicht dabei, dass ich sage: Ich habe mich oft genug mit Lakers-Guard Derek Fisher unterhalten, der der Präsident der Spielergewerkschaft ist, und er hat mir immer wieder versichert, dass ein Gerichtsverfahren in jedem Fall der allerletzte Ausweg sei. Denn dann wäre kaum absehbar, wie lange sich ein Lockout hinziehen würde.
Larry Coon ist eigentlich gelernter Informatiker. Aber als jahrelanger NBA-Fan fing er irgendwann an, sich auch für den ökonomischen Aspekt der Liga zu interessieren. Er machte sich mit den Regeln rund um das CBA vertraut und stellte 1999 ein Dokument namens NBA Salary Cap FAQ online, das er seitdem regelmäßig aktualisiert und das die Spielregeln verständlich erklärt. Mit der Zeit wurde Coon immer häufiger von anderen Fans und von Journalisten kontaktiert, bis sogar "ESPN" und andere namhafte Unternehmen auf ihn zukamen, um mit ihm zusammen zu arbeiten. Heute gilt Larry Coon als der größte Fachmann in punkto CBA und wird regelmäßig in Büchern, Online-Publikationen und sogar von der NBA selbst zitiert.