Nach dem historischen Einbruch in den letztjährigen Playoffs haben die Los Angeles Clippers ihre größte Schwachstelle mehr als beseitigt. Auf dem Papier steht Coach Doc Rivers der beste Clippers-Kader aller Zeiten zur Verfügung. Es bleiben dennoch Fragezeichen.
Point Guards
Es ist die wohl wichtigste Saison in der nunmehr elf Jahre andauernden Karriere von Chris Paul. Nie zuvor hatte er einen so starken Supporting Cast um sich herum, nie zuvor war der Druck größer, endlich liefern zu müssen.
Bei aller herausragenden Qualität, die der Point Guard unbestritten besitzt, erreichte Paul noch nie die Conference Finals der Playoffs. Es ist ein Makel, der an ihm haftet und sicher auch belastet. Der Kollaps nach 3:1-Führung gegen die Rockets ist allgegenwärtig. Ist er wirklich der Superstar, für den ihn alle halten? Kann er wirklich in einem entscheidenden Spiel glänzen? Die Zweifler werden lauter. Es wird Zeit für ihn, diese wieder verstummen zu lassen.
Paul bestritt im Vorjahr erstmals alle 82 Regular-Season-Spiele. Das ist sicher eine tolle Leistung, aber auch dem geschuldet, dass die Clippers einfach sehr dünn auf der Eins besetzt waren. "Wenn ich gesund bin, weiß Doc, dass ich jedes Spiel spielen will", erklärte der Spielmacher unlängst.
Rivers hat es zur Kenntnis genommen, ob er sich daran halten wird, steht auf einem anderen Blatt. "Das sollte nicht sein Ziel sein. Sein Ziel sollte es sein, so viele Spiele in den Playoffs zu gewinnen, um den Titel zu holen", erklärte er. Der am Wochenende erlittene Fingerbruch wird Paul nach Teamangaben nicht lange behindern. Der Saisonstart ist keinesfalls in Gefahr und damit auch nicht sein Wunsch.
CP3 bleibt der ultimative Fixpunkt im Team, aber mit der Verpflichtung von Pablo Prigioni besitzen die Clippers endlich einen Backup, der phasenweise die Offensive anleiten kann, ohne dass diese völlig kollabiert. Der argentinische Veteran ist zwar defensiv eine Belastung, aber offensiv mit allen Wassern gewaschen.
Und im Gegensatz zu Trainersohn Austin ist Prigioni eher daran interessiert, seine Mitspieler glänzen zu lassen, anstatt selbst zu glänzen. Zudem ist er auch als Dreierschütze hilfreich, wenn Blake Griffin als Spielmacher aus dem Post heraus agiert. Der 38-Jährige trifft zuverlässig (39,8 Prozent in seiner Karriere) die offenen Dreier, die ihm genehmigt werden.
Die dritte Option ist der schon angesprochene Rivers, der es unter der Obhut seines Vaters geschafft hat, seiner schon fast gescheiterten NBA-Karriere noch einmal frischen Wind einzuhauchen. Austin ist dabei eher ein Combo Guard, der in erster Linie seinen eigenen Abschluss sucht.
In der neuen Konstellation könnten seine Minuten wieder zurückgehen, zumal er ebenfalls nicht der beste Verteidiger ist und auch die Zwei in diesem Jahr tiefer besetzt ist.
Shooting Guard
Nachdem J.J. Redick in seinem ersten Jahr in L.A. nur 35 Spiele machen konnte, war er in der Vorsaison endlich verletzungsfrei. Der Shooting Guard profitierte enorm davon, an der Seite von Paul agieren zu können. Nie traf er im Schnitt mehr Dreier (2,6 im Schnitt) und nie war die Quote (44,1 Prozent) dabei besser.
Kein Wunder also, dass Rivers weiterhin seinem bisherigen Backcourt-Duo das Vertrauen ausspricht. Redick ist bekanntlich nicht nur ein reiner Shooter, sondern darüber hinaus ein guter Passer aus dem Pick-and-Roll und ein überaus solider Verteidiger.
Jamal Crawford fungiert weiterhin als Backup. Eine Rolle, die prädestiniert für den Streaky Shooter ist. Nicht umsonst wurde er zwei Mal zum besten sechsten Mann der Liga gewählt. Doch, auch wenn der 35-Jährige sich noch immer auf jedes Highschool-Abschlussbild mogeln könnte, nagt so langsam der Zahn der Zeit am Spiel des Combo Guards.
Seine Dreierquote (32,7 Prozent) war zuletzt 2012 schwächer und da Coach Rivers nun durchaus potente Alternativen auf den Klappstühlen neben J-Crossover sitzen hat, dürfte Crawford seinen Status als Sixth Man in diesem Jahr einbüßen.
Je nach Spielsituation können auch Lance Stephenson, Wesley Johnson oder eben Austin Rivers die Zwei bekleiden. Gerade Born-ready ist nach seinem völlig verkorksten Intermezzo in Charlotte in der Bringschuld. Nachdem seine letzte Saison in Indiana ihn in All-Star-Sphären katapultierte, legte er eine der krassesten Bruchlandungen in der jüngeren NBA-Geschichte hin.
Seine Dreierquote von 17,1 Prozent bei mindestens 100 genommenen Distanzwürfen steht nun als die schlechteste in der NBA-Geschichte. Doch das soll künftig auch nicht seine Aufgabe sein. "Lance ist kein großartiger Shooter. Er ist eher der Streaky Guy. Ich sehe ihn mehr als jemanden, der für uns Plays kreieren soll und das wird er für uns tun", umschreibt Rivers die Rolle seines Neuzugangs.
Der extrovertierte Stephenson kann zu einer Belastung werden, aber sollten die Clippers ihn hinbekommen, kann er das entscheidende Puzzleteil im Roster sein. Er ist ein starker Verteidiger und kann mit seiner Art den gegnerischen Superstars gehörig auf die Nerven gehen. Ob Sophomore C.J. Wilcox sich Minuten erkämpfen kann, bleibt abzuwarten.
Small Forward
Wer hätte das gedacht? Obwohl Matt Barnes künftig mit den Memphis Grizzlies den Gegnern im Kollektiv den Nerv rauben wird, besitzt Rivers auf einmal die Qual der Wahl auf der Drei. Paul Pierce möchte in seiner Heimatstadt das Karriereende einläuten, dazu kommen die bereits angesprochenen Stephenson und Johnson, der aus der Kabine des Lokalrivalen zu den Clippers wechselte.
In der Theorie könnte zudem noch Josh Smith als Small Forward agieren, aber J-Smoove hat in der Praxis zu Genüge bewiesen, dass dieses Model eher theoretisch bleiben sollte. Smith agierte in der Preseason zeitweise sogar als Center.
Bleiben also noch drei Spieler für den Starting Spot. Im ersten Test gegen Denver durfte Pierce von Beginn an ran, aber danach überließ Rivers Jonhson den Vortritt. Das dürfte auch für die Regular Season die bevorzugte Option sein.
Der ehemalige No.3-Pick bringt das optimale Paket aus Athletik und Shooting für die Position mit. Pierce' Erfahrung ist dagegen in der Second Unit wertvoller. Er soll dafür sorgen, dass der offensive Flow nicht ins Stocken gerät. Wenn es darauf ankommt, wird The Truth ohnehin auf dem Feld stehen und bereit sein, jeden Wurf dieser Welt zu nehmen.
Pierce kennt Rivers aus der erfolgreichen Zeit in Boston. Das Vertrauen ineinander ist blind. Dementsprechend wird der Forward auch trotz seines Alters eine gewichtige Rolle spielen. Dass Pierce immer noch clutch ist, bewies er in den letztjährigen Playoffs gegen die Atlanta Hawks.
Und genau dafür wurde er geholt. "Ich will ihn nicht verheizen. Ich weiß noch nicht genau, wie wir seine Fähigkeiten nutzen, [...] aber ich will, dass er in den Playoffs gesund ist", erklärte Rivers bereits vor Wochen. Mittlerweile steht fest, dass Pierce für Phasen sogar Power Forward spielen wird.
Stephensons Rolle ist klar abgesteckt. "Ich fühle mich wohl im Kader. Sie werden mich richtig einsetzen. Ich versuche einfach, gut reinzupassen. Im letzten Jahr hatte ich Probleme, aber ich habe das Gefühl, dass Doc mich in eine Position bringt, in der ich erfolgreich sein und gleichzeitig der Second Unit helfen kann", erklärte Born-ready The Orange County Register.
Rivers besitzt so viele Möglichkeiten wie noch nie in seiner Clippers-Zeit. Zumal er mit Luc Mbah a Moute noch einen weiteren harten Arbeiter in der Hinterhand hat. Der Kameruner ist ein ausgewiesener Defensivspezialist, der sich für keine Drecksarbeit zu schade ist. Nach seinem Intermezzo in Philadelphia und einem durchgefallenen Medcheck in Sacramento kämpft der 29-Jährige gerade um einen Kaderplatz.
"Er ist fantastisch. Er ist ein Veteran, der weiß, wie das Spiel funktioniert. Er ist ein richtig guter Spieler. Es steht außer Frage, dass er ein NBA-Spieler ist", lobte Rivers seinen Glücksgriff. Ohne die fragwürdige Entscheidung der Kings-Ärzte wäre Mbah a Moute nie in L.A. gelandet. Seine angebliche Schulterverletzung war zumindest kein Hindernis. Trotzdem muss er sich nun neu beweisen, es gibt schlechtere Voraussetzungen aus Sicht der Clippers.
Power Forward
Hier bleibt Blake Griffin der Boss. Der No.1-Pick aus dem Jahr 2009 ist noch längst nicht am Ende seiner Entwicklung und transformiert sein Spiel beharrlich auf ein neues Level. Im Vorjahr überraschte er mit einer zuvor ungeahnten Reichweite. Selbst sein Dreier fiel überraschend häufig (10/25).
Das ging sogar so weit, dass sich Griffin zeitweise seiner eigenen Stärke beraubte und zu weit entfernt vom Brett agierte. Schließlich schließt kaum jemand so hochprozentig in Korbnähe ab, wie das Kraftpaket (72 Prozent). Zudem zeigte er sich als Playmaker aus dem Post heraus verbessert. Seine ohnehin schon überdurchschnittlichen Passing Skills nutzte er im Vorjahr so gut, dass beeindruckende 5,3 Assists im Schnitt heraussprangen. Von diesen Werten träumt so mancher Point Guard.
Dass darunter die Reboundarbeit litt, ist normal, aber für ihn nicht zu akzeptieren. "Ich will in dieser Saison wieder einen besseren Reboundschnitt haben", erklärte Griffin. Sein Schnitt fiel von 9,5 2014 auf 7,6 im Vorjahr. "Aber wenn du jemanden hast, der in jedem Spiel schon 15 runterpflückt, bleiben nicht mehr viele übrig. Das macht er einfach gut für uns, aber ich muss ihn dabei besser unterstützen", versprach Griffin seinem Frontcourt-Kollegen DeAndre Jordan wieder mehr Hilfe.
Für Griffin wird es wichtig sein, die richtige Mischung aus seinem alten Spiel am Brett und seinen neugewonnenen Stärken aus der Mitteldistanz zu finden. Bei allem Ehrgeiz geht es darum, es nicht zu übertreiben und Körner für die Playoffs zu sparen.
Dennoch bleibt sein Hunger nach Neuem ungebrochen. Griffin führte lange Diskussionen mit Assistant Coach Lawrence Frank über seine Defense. Das Trainerteam möchte, dass er mehr Energie am defensiven Ende des Courts investiert. Das kostet natürlich auch Kraft, aber Griffin soll besser Haushalten. Mit dem tieferen Kader sind mehr Verschnaufpausen möglich.
Schließlich haben die Clippers nun Smith in der Hinterhand. Ein Forward, der ähnlich dominant am Brett agieren kann und vor noch nicht allzu langer Zeit ein Franchise-Player war. Nachdem desaströsen Gastspiel in Detroit fand Smith in Houston eine Rolle, die seine Karriere rettete. Natürlich ist seine Wurfauswahl noch immer zum Haare raufen, aber gelingt es seine Stärken ähnlich effizient zu nutzen wie in Houston, dürfte die Clippers außerordentlich profitieren. Sein Passspiel bewegt sich schließlich auf einem ähnlichen Niveau wie das von Griffin.
Dazu kommt die Small-Ball-Variante mit Pierce auf der Vier. Rookie Branden Dawson wird dagegen kaum Einsatzzeit sehen.
Center
Über DeAndre Jordans Sommer wurde genug geschrieben. Der Center ließ sich letztlich bequatschen und verlängerte seinen Vertrag für geschmeidige 87,6 Millionen Dollar bei den Clippers. Den Scherbenhaufen, den er durch seinen Wortbruch in Dallas hinterließ, hätte man ansonsten in Los Angeles zusammenkehren können.
So wurde aus einem guten Playoff-Team plötzlich ein ernstzunehmender Contender. Jordan ist sicher kein Superstar, aber der Big Man hat sich zu einem der besseren Center der Liga entwickelt. Niemand schloss in den letzten drei Jahren hochprozentiger am Brett ab. Die Clippers verstehen es exzellent, seine Wucht in der Zone gewinnbringend einzusetzen. Durch seine Athletik ist er am Korb einfach nicht zu kontrollieren.
Zudem ist er ein bärenstarker Rebounder. Rund ein Drittel aller Defensiv-Rebounds landen in seinen Pranken. Kurz gesagt: Jordan ist der richtige Center am richtigen Ort. Und so verwundert es nicht, dass sich die Clippers bei der Suche nach einem Backup eben genau an den Eigenschaften ihres Starters orientiert haben. Fündig wurden sie im Big Apple. Dort hatte sich in der zweiten Hälfte der abgelaufenen Saison Cole Aldrich für höhere Aufgaben empfohlen.
In den Wirren des Knicks-Umbruchs lieferte der Center grundsolide Leistungen ab. Aldrich ist ein guter Verteidiger, versteht es, zu rebounden und jagt durchaus auch mal den Spalding in die dritte Zuschauerreihe. Dass er offensiv limitiert ist, fällt bei der potenten Bank der Clippers nicht weiter ins Gewicht.
Sollte sich die Coaches dazu entscheiden, einen weiteren Big Man in den finalen Roster aufzunehmen, wird die Wahl wohl auf Veteran Chuck Hayes fallen. Der 32-Jährige erhielt Ende August einen Einjahresvertrag und kämpft mit Mbah a Moute um den letzten freien Kaderplatz.
Viel wird davon abhängen, wie sehr Rivers seinem Small-Ball-Konzept schon vertraut. Griffin und Smith können über Phasen ebenfalls auf der Fünf agieren. Macht es daher Sinn einen Platz im Kader mit einem weiteren Center zu blockieren?
Fazit
Die Clippers haben ihre größte Schwachstelle der vergangenen Jahre eindrucksvoll ausgebessert. Plötzlich gibt es kaum ein Team in der Liga, das tiefer besetzt ist. Moralisch war es vielleicht fragwürdig, wie sie Jordan zum Verbleib überredet haben, aber für ihre Ambitionen war DeAndre3000 alternativlos.
Pierce wird zudem dafür sorgen, dass der oftmals vermisste Killerinstinkt Einzug ins Team halten wird. Coach Rivers Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Doch im hochgerüsteten Westen gibt es keine Garantien. Mindestens fünf Teams der Conference dürfen sich schließlich berechtigte Hoffnungen auf den großen Wurf machen. Ein Zusammenbruch wie im Vorjahr sollte sich in der jetzigen Konstellation allerdings nicht wiederholen.
Nie gab es einen stärkeren Clippers-Kader. Daran werden sich alle Beteiligten messen lassen müssen. Aber warum auch nicht! Dafür spielen sie schließlich.