So. Wer den Mavericks vor der Saison jegliche Chance auf die Playoffs abgesprochen hat, der möge jetzt bitte die Hand heben. Aha! Ok - zugegeben - meine Hand befindet sich ebenso in luftiger Höhe, wie die von vielen Kritikern.
Falls wirklich alles Sahne laufen sollte, dann hätte Dallas ganz vielleicht mit ein bisschen Glück eine Chance auf Platz acht - so noch die optimistischsten Meinungen vor vier Wochen. Und jetzt das: Die Mavs rangieren mit einer Bilanz von 9-5 auf Platz drei der Western Conference hinter den Golden State Warriors und San Antonio Spurs. Und dabei läuft noch einiges suboptimal.
Die Freude in Dallas ist groß - vergleichbar mit einer texanischen Altherren-Party, bei der eine Stripperin mit Cowboyhut und Stiefeln aus der Torte steigt. Der Rest der Liga reibt sich derweil verwundert die Augen.
Auf Lakers-Kurs
Man kann den Beobachtern ob ihrer negativen Stimmung gar keine großen Vorwürfe machen. Noch vor dem ersten Sprungball der Saison deuteten alle Anzeichen auf eine Lakers-Saison hin (ja, so lange man die Chance hat, muss man diesen Ausdruck nutzen).
Das Rennen um DeAndre Jordan im großen Emoji-Krieg verloren, Trostpreis Zaza Pachulia ertradet und Achillessehnen-Rekonvaleszent Wesley Matthews mit einem 70-Millionen-Vertrag ausgestattet. Dazu Überraschung Al-Farouq Aminu ziehen lassen müssen, die gefallene Wundertüte JaVale McGee verpflichtet sowie Verletzungs-Lockvogel Deron Williams unter Vertrag genommen. Und dann waren da ja auch noch ein durch zwei Operationen gehandicapter Chandler Parsons und ein alternder, von der EuroBasket geschwächter Nowitzki.
Gleich im ersten Spiel in Phoenix überraschte Dallas mit einer guten Leistung und einem souveränen Sieg, doch mit der deftigen Pleite gegen die New Orleans Pelicans und der Bilanz von 3-4 sahen sich die Schwarzseher bestätigt.
Anstatt bergab ging es anschließend allerdings bergauf, endlich griffen die Rädchen ineinander. Eine sechs Spiele andauernde Siegesserie, bei der unter anderem die Clippers, Rockets, Celtics und Jazz die unerwartete Stärke der Mavs zu spüren bekamen, spülte Dallas im Ranking nach vorn.
Das Genie an der Seitenlinie
Die Gründe dafür sind so vielfältig wie Nowitzkis Wurf-Arsenal. Besondere Anerkennung gebührt Rick Carlisle: Kaum ein Coach ist so gut wie er darin, einen bunt zusammengewürfelten Haufen von Spielern in ein echtes Team zu verwandeln. Auch individuell gelingt es ihm, aus fast jedem Akteur das Beste herauszukitzeln. Die vor wenigen Wochen eingetütete Vertragsverlängerung mit Carlisle bis 2020 war vielleicht der beste Move, den Mark Cuban seit langem gemacht hat.
Die Spieler selbst nehmen die von Carlisle zugewiesenen Rollen ohne einen Funken Egoismus an. Sie alle sehen sich als Teil von etwas Größerem, als ein Rädchen des Systems. Das ist nur einer der Vorteile, den es mit sich bringt, den zweitältesten Kader der Liga (29,2 Jahre) zu haben.
Die Erfahrung und Cleverness seiner Veteranen weiß Carlisle bestens auszunutzen. Nachdem vergangene Saison mit Monta Ellis das Fastbreak-Spiel die erste Option war, ist nun wieder vermehrt Setplay angesagt. Mit 13,4 Ballverlusten pro Partie unterlaufen den Mavs ligaweit dabei die zweiwenigsten Turnover.
Pachulia beschreibt die hohe Spielintelligenz als den besten Freund der Mavs: "Wir gewinnen, indem wir schlauer sind als unsere Gegner", so der 31-jährige Neuzugang: "Wenn das deine größte Stärke ist, dann musst du die zu jedem Spiel mitbringen."
Lord of the Boards
Zu einer weiteren Stärke trägt der Center inzwischen selbst kräftig bei: Rebounding. Ja, wirklich wahr! Dallas ist das sechstbeste Team am defensiven Brett. Erstmals in seiner Karriere kommt Pachulia auf zweistellige Reboundzahlen (10,0) - mit 8 Double Doubles in 14 Spielen liegt er damit im Ligavergleich auf Rang drei.
Von Nebenmann Dirk Nowitzki bekommt er dabei keine große Hilfe. Dafür ist der große Blonde nach dem stressigen Sommer mit der EuroBasket kein bisschen schlapp und stand schon sechs Mal mehr als 30 Minuten auf dem Parkett. Und das Beste: Er trifft derzeit aus allen Lagen.
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Besser als Curry
Seine 53,9 Prozent aus dem Feld bzw. 53,3 Prozent von Downtown sind bessere Stats als sie Steph Curry auflegt. Die Dreierquote ist zudem ein Karrierebestwert - mit 37 Jahren. Lediglich die Effizienz von der Linie (88,9 Prozent) hindert ihn daran, Kurs auf seine zweite 50/40/90-Saison zu nehmen. Seit der Meistersaison wies Dirk keine so hohe True Shooting Percentage (64,7) mehr auf. Und diese Zahlen kommen nicht von ungefähr.
"Ich habe es seit letztem Sommer aus nächster Nähe beobachten können und ich verstehe, warum er einer der besten Spieler der Geschichte ist", so Parsons im Gespräch mit SBNation: "Seine Arbeitseinstellung ist bei weitem die Beste, die ich je gesehen habe. Er kommt jetzt in ein Alter, in dem er noch mehr Einsatz zeigen muss und das tut er jeden einzelnen Tag. Er gibt auf sich Acht, wie niemanden, den ich zuvor erlebt habe."
In der Offense agiert Nowitzki unheimlich effizient. Er stellt seine Screens, sinkt ab, versenkt den Jumper. Er nutzt die Blöcke, um zu seinen Spots zu kommen und nimmt oft direkt die Würfe. Kaum noch sieht man ihn wirklich aufposten oder dribbeln.
"Er ist noch selbstsicherer als zuvor", sagt der langjährige Teamkollege Devin Harris: "Er führt lauter als früher und redet mehr. Er ist immer auf die nächste Partie fokussiert. Wenn es so weit ist, wird er irgendwann in Rente gehen. Aber momentan ist er nur darauf konzentriert, Spiele zu gewinnen."
#SupportForDirk
Da er das in seiner 18. Saison nicht mehr allein kann, bekommt er kräftige Unterstützung von seinen Mitspielern. Sei es von Williams, der so langsam wieder seinen Groove gefunden und über die letzten drei Spiele 18,8 Punkte, 5 Rebounds, 6,7 Assists und 2 Steals erzielt hat. Oder auch von der Bank.
Dallas' Second Unit ist mit durchschnittlich 38,8 Punkten die sechstbeste der Liga. In Sachen Rebounds und Vorlagen sind die Mavs-Reservisten sogar in den Top 5 zu finden. Und da ist es wieder: Wer hätte das vor der Saison gedacht?
Rick Carlisle hat aus Raymond Felton wieder einen wertvollen Rotationsspieler gemacht, mit Dwight Powells Entwicklung sind die Mavericks zudem mehr als zufrieden. Der im Trade um Rajon Rondo nach Dallas gekommene Big Man ist mit 10,4 Punkten und 7,1 Rebounds zum wichtigsten Bankspieler avanciert. Vor allem sein technisch blitzsauberer Mitteldistanzwurf ist eine Augenweide.
Er ist wieder da
Und die freudigen Nachrichten reißen einfach nicht ab. JaVale McGee ist zurück! Seine Rückkehr kam völlig unerwartet, gab es doch noch wenige Tage vor seinem ersten Einsatz im Mavs-Jersey noch keinen Zeitplan für ein Comeback. Gegen die Oklahoma City Thunder stand der athletische Center mit Konzentrationsschwierigkeiten erstmals seit mehr als acht Monaten wieder auf dem Parkett.
JaVale McGee: Die gefallene Wundertüte
"Er hat uns zehneinhalb Minuten gegeben", so ein erfreuter Coach Carlisle: "Er ist an einem Punkt, an dem er ohne Spiele kaum noch Fortschritte machen wird. Er fühlt sich gut, also werden wir ihn behutsam einbauen. Er hatte einige gute Aktionen und es hilft, einen weiteren Großen zur Verfügung zu haben."
Vor allem am eigenen Korb könnte sich McGees Einfluss positiv bemerkbar machen. Bei allem Lob für Zaza und Dirk - die Inside Defense ist eines der Elemente, in dem noch großes Verbesserungspotenzial schlummert. Gegnerische Teams treffen am Ring 59,7 Prozent ihrer Würfe, nur fünf Teams sind schlechter. In der Block-Statistik liegt Dallas sogar auf dem vorletzten Platz.
Hinten hui, vorne pfui
Während die Big Man vor allem durch ihre Offense glänzen, handhaben es Guards und Flügelspieler eher umgekehrt. Vom Perimeter fällt kaum ein Wurf (32 Prozent), dafür die Dreier-Verteidigung ist deutlich besser als in den letzten Jahren. Dallas ließ sich früher regelmäßig von Downtown die Reuse zerballern, nun erlauben die Mavs ihren Gegnern nur noch 29 Prozent Trefferquote vom draußen - ein Spitzenwert.
Die fehlende Effizienz hängt ohne Zweifel mit Parsons und Matthews zusammen, die beide noch auf der Suche nach ihrem Rhythmus sind. Dabei präsentierte sich Wes erstaunlich agil und scheint selbst die vielen Minuten gut zu verkraften. Parsons dagegen wurde in manchen Halbzeiten gar nicht eingesetzt und braucht noch ein wenig mehr Eingewöhnungszeit.
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Sind die beiden Rekonvaleszenten wieder gänzlich im Flow, gäbe es in anderen Teams bei der Power der Starting Five vermutlich Schwierigkeiten mit dem nur in einfacher Ausführung vorhandenen Spielball. Nicht aber in Dallas. In Big D werden Geduld und Uneigennützigkeit großgeschrieben. Wer punktet, ist völlig egal. Wichtig ist nur das Herausspielen eines offenen Wurfs und der Fakt, dass der Spalding auch im Korb landet.
"Die Fehlertoleranz ist bei uns nicht besonders hoch", so Matthews: "Wir gewinnen Spiele, indem wir bis zum Ende durchspielen und den Sack zumachen. Wir gewinnen Spiele an der Freiwurflinie. Wir gewinnen Spiele, indem wir auf den Ball aufpassen." Und mit Bezug auf die Niederlage gegen OKC fügte der Swingman noch hinzu: "Und wir gewinnen Spiele, indem wir nicht 117 Punkte zulassen."
For real?
Mit den Memphis Grizzlies und den San Antonio Spurs hat Dallas zwei schwierige Spiele vor der Brust, nur zwei der nächsten acht Begegnungen finden zudem im heimischen American Airlines Center statt.
Jetzt wird sich zeigen, ob diese Mavs wirklich so gut sind, wie sie uns in den ersten vier Saisonwochen weismachen wollen. Oder ob wir alle unsere Hände bald wieder runter nehmen können, um zu spotten: "Hab ich doch gleich gesagt".