Die Toronto Raptors sind wie im vergangenen Jahr in den Conference Semifinals an LeBron James und den Cleveland Cavaliers gescheitert. Was waren die Gründe und wie werden die Verantwortlichen in Kanada auf die neuerliche Enttäuschung reagieren? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
Was ist passiert?
Erst zum achten Mal in der Geschichte der NBA wurde ein Top-Seed in einer Playoff-Runde gesweept, die LeBron-Cavs waren dabei nach 2015 (Hawks) zum zweiten Mal der sprichwörtliche Straßenfeger. Toronto rechnete sich diesmal einiges aus und wollte nach zwei verlorenen Serien in den vergangenen zwei Jahren gegen Cleveland endlich weiterkommen.
Unter dem Strich steht jedoch ein weiteres bitteres Ausscheiden, wobei Spiel 4 eine absolute Demontage war und Coach Dwane Casey seine Mannen anzählte. "Ich hätte gedacht, dass wir mehr dagegenhalten würden", bedauerte der enttäuschte Coach. Wie in Spiel 2 ließen sich die Raptors von LeBron James demütigen, der die Kanadier nach allen Regeln der Kunst auseinandernahm.
Der Knackpunkt für das desaströse Ausscheiden war wahrscheinlich das erste Aufeinandertreffen, als Toronto das vierte Viertel mit elf Fehlwürfen in Serie beendete und die Cavs das Spiel in der Verlängerung entschieden. Dort machte James sein schlechtestes Spiel der Serie (26 Punkte, 12/30 FG, 1/6 FT), wie er auch unverblümt betonte, Toronto stand dennoch mit leeren Händen da.
Toronto Raptors vs. Cleveland Cavaliers: Die Serie im Überblick
Tag | Datum | Uhrzeit | Spiel | Heim | Auswärts | Ergebnis |
Mittwoch | 2. Mai | 2 Uhr | 1 | Toronto | Cleveland | 112:113 OT |
Freitag | 4. Mai | 0 Uhr | 2 | Toronto | Cleveland | 110:128 |
Sonntag | 6. Mai | 2.30 Uhr | 3 | Cleveland | Toronto | 105:103 |
Dienstag | 8. Mai | 2.30 Uhr | 4 | Cleveland | Toronto | 128:93 |
Dies nagte sichtlich am Raptors-Team, welches im folgenden Spiel völlig von der Rolle war und von James vorgeführt wurde. Toronto hatte keine Lösung auf das Small-Ball-Lineup der Cavs, auch wenn Casey in den Spielen 3 und 4 jeweils nur einen Big Man starten ließ und die Rotation deutlich kürzte.
Zumindest im ersten Spiel in Cleveland zeigten die Raptors noch einmal Moral und hätten in Spiel 3 die Serie beinahe noch einmal spannend oder zumindest gemacht. Letztlich scheiterten die Kanadier aber einmal mehr an der Brillanz von James, dessen wilder Gamewinner die Moral der Raptors endgültig brach.
Dass die Rollenspieler der Cavs wie J.R. Smith oder Kevin Love nach schwachen Spielen gegen die Indiana Pacers plötzlich aufblühten, war ebenfalls nicht selbstverständlich und ein Grund, warum die Raptors nicht einmal ein Spiel gewinnen konnten. Letztlich galt aber wohl wieder der Leitsatz von DeRozan aus dem Vorjahr: "Wenn wir LeBron in unserem Team hätten, wären wir der Sieger der Serie gewesen."
Wie ist die Saison der Toronto Raptors zu bewerten?
Die Ansprüche waren hoch in Toronto und das mit Recht nach der besten Regular Season der Franchisegeschichte mit 59 Siegen. Die Raptors drehten vor der Spielzeit ihre komplette Offense auf links und entwickelten sich vom Guard-orientierten Team zu einer tiefen Mannschaft, die den Spalding traumhaft laufen ließ.
Vorbei schienen die Zeiten, als Lowry und DeRozan ein Pick'n'Roll nach dem anderen liefen und die Bigs kaum einen Ball zu sehen bekamen. War Toronto 2016/17 noch eines der schlechtesten Teams in Assist Percentage und Pässen, rangierte man in dieser Saison im oberen Mittelfeld. Dies ist eine bemerkenswerte Entwicklung und darf auch Casey hoch angerechnet werden. Dazu entwickelte sich DeRozan zu einem zumindest respektablen Dreierschützen (31 Prozent), das letzte Puzzleteil, was ihm in der Offense gefehlt hatte.
Dennoch war die breite Öffentlichkeit skeptisch, ob Toronto diesen Stil auch erfolgreich in der Postseason ausüben würde. Die Zweifel bestätigten sich: Schon gegen ein zerstrittenes Team der Washington Wizards brauchten die Raptors 6 teils enge Spiele, gegen Cleveland folgte das schnelle Aus und damit das gleiche Resultat wie im Vorjahr.
"Wir möchten ein Team sein, das jedes Jahr um den Titel spielen kann", machte Casey nach dem Aus noch einmal klar. "Leider müssen wir Jahr für Jahr gegen LeBron James spielen, das ist unglücklich."
Hier beißt sich jedoch die Katze in den Schwanz. Wer um den Titel spielen will, muss im Osten eben jenes Cavs-Team beziehungsweise LeBron schlagen, das hat Toronto zum dritten Mal in Serie nicht geschafft. Auch die Art und Weise war durchaus ernüchternd. Es wirkte teilweise so, als ob Cleveland nicht einmal am Limit spielte, während James die Raptors spielerisch sezierte. Toronto hatte über die vier Spiele keinerlei Antworten auf LeBron, zum wiederholten Male.
Es zeigte auch, dass Kadertiefe hilfreich sein kann, auf dem höchsten Niveau geben aber immer noch die Stars den Ton an. Es ist natürlich ein Luxus, Spieler wie Pascal Siakam oder Delon Wright von der Bank bringen zu können, doch gerade so junge Rollenspieler sollten wohl in der Postseason nicht eine so große Verantwortung tragen, wie sie es für die Raptors zuletzt mussten, weil von der "Spitze" des Teams nicht die erhoffte Performance kam.
Was kann Toronto in der Offseason tun?
Gehen wir mal davon aus, dass Toronto die Truppe zusammenhalten will. So bleibt für den Sommer eine spannende Personalie und das ist Sixth Man Fred VanVleet. Der Spielmacher wird im Sommer Restricted Free Agent und dürfte nach seiner starken Saison einige nette Offerten bekommen. Die Raptors werden die meisten Angebote aber wohl matchen, massig Capspace haben schließlich die wenigsten Teams.
Dennoch wird dies für Toronto einen bitteren Nachgeschmack haben. Schon jetzt werden die Raptors 126,5 Millionen Dollar an ihre Spieler (elf garantierte Verträge) in der kommenden Saison überweisen müssen, da ist die mögliche Verlängerung von VanVleet noch gar nicht einberechnet. Die Frage ist nun, ob die Besitzergruppe bereit ist, tiefer in die Luxussteuer abzudriften. Insgesamt könnte das Roster so bis zu 170 Millionen Dollar kosten.
Anderenfalls müsste Toronto an anderen Stellen einsparen und hier wäre Norman Powell der realistischste Kandidat. Der Swingman fiel im Laufe der Saison immer wieder aus der Rotation, obwohl er noch im Oktober 2017 eine lukrative Verlängerung über vier Jahre und 42 Millionen unterschrieb, die im kommenden Jahr eintritt.
Die Gehälter der wichtigsten Raptors-Spieler in Millionen Dollar
Spieler (Alter) | 2017/18 | 2018/19 | 2019/20 | 2020/21 | 2021/22 |
Kyle Lowry (32) | 28,3 | 31,0 | 33,3 | UFA | |
Delon Wright (26) | 1,6 | 2,5 | RFA | ||
Fred VanVleet (24) | 1,3 | RFA | |||
DeMar DeRozan (28) | 27,7 | 27,7 | 27,7 | 27,7* | UFA |
Norman Powell (24) | 1,5 | 9,4 | 10,1 | 10,9 | 11,6* |
C.J. Miles (31) | 7,9 | 8,3 | 8,7* | UFA | |
O.G. Anunoby (20) | 1,6 | 1,9 | 2,3** | 3,9** | RFA |
Serge Ibaka (28) | 20,1 | 21,7 | 23,3 | UFA | |
Pascal Siakam (24) | 1,3 | 1,5 | 2,3** | RFA | |
Jonas Valanciunas (26) | 15,5 | 16,7 | 17,6* | UFA | |
Jakob Pöltl (22) | 2,8 | 2,9 | 3,8** | RFA |
*Spieleroption, **Teamoption, UFA = Unrestricted Free Agent, RFA = Restricted Free Agent
Durch die guten Leistungen von VanVleet, Delon Wright oder Anunoby wäre sein Abgang leicht zu verschmerzen. Wenn Toronto Powell traden könnte, ohne einen anderen Vertrag aufzunehmen, würden die Kanadier rund 20 Millionen Dollar Luxussteuer sparen. Ein weiterer Nebeneffekt: Es würde der Franchise Flexibilität für die Zukunft geben, wenn zum Beispiel im kommenden Jahr Wright RFA wird.
Müssen die Raptors einen oder mehrere Stars traden?
Auf der anderen Seite könnte Toronto auch versuchen, das Team komplett einzureißen. 2017 hatten die Raptors die Chance, die Karten noch einmal neu zu mischen. General Manager Masai Ujiri entschied sich dagegen und verlängerte stattdessen die Verträge der Free Agents Lowry und Ibaka langfristig. Ein Trade von DeRozan war so ebenfalls vom Tisch.
Diese Marschrichtung sollten die Raptors beibehalten. Natürlich wurden die Raptors gesweept, auf der anderen Seite wurden zwei Spiele auch nur mit maximal 3 Punkten verloren. Das Fenster für Toronto ist noch nicht geschlossen, auch weil LeBron im nächsten Jahr vielleicht gar nicht mehr in der Eastern Conference spielt. In Boston und Philadelphia lauern zwar zwei weitere Contender für die Zukunft, doch den Raptors dürfte wohl alles lieber sein als ein weiteres Date mit dem King in den Playoffs.
Was würde es auch bringen, dieses Team aufzubrechen? Sollte Toronto Lowry und/oder DeRozan traden, würde man mit ziemlicher Sicherheit keinen gleichwertigen Ersatz bekommen, so funktionieren Star-Trades einfach nicht. Durch die jetzigen Rollenspieler wäre man immer noch ein solides Team, welches aber nicht um einen hohen Lottery Pick spielen würde. Dafür gibt es im Osten weiterhin zu viele schlechte Teams.
Die Namen von Valanciunas und Ibaka fallen sicherlich nicht in die Kategorie eines Stars, bezahlt werden sie dennoch mehr als ordentlich. Und genau das macht es auch so schwer, einen der beiden Bigs zu bewegen. Die Cavs offenbarten einmal mehr, dass ein Lineup mit beiden auf dem Feld schwierig zu verkaufen ist, auch wenn das Net-Rating beider zusammen bei "nur" -5,0 lag.
Was die Raptors aber dringend bräuchten, wäre ein 3-and-D-Spieler für den Flügel. Anunoby und Siakam gaben zwar gegen James alles, was sie hatten, doch dies war bei weitem nicht genug. Da solche Spieler eher rar gesät sind, wäre es eine Überraschung, sollte Toronto sich, auch im Hinblick auf die Cap-Limitationen, in diesem Bereich verstärken können.
Ist Dwane Casey der richtige Coach?
Seit sieben Jahren steht Casey nun an der Seitenlinie in Toronto und glaubt man Kevin O'Connor von The Ringer, dürfte es in den kommenden Wochen ungemütlich für den 61-Jährigen werden. Laut dessen Bericht glaubten schon vor Spiel 4 gegen die Cavs einige Executives in der Liga daran, dass die Raptors bei einem Ausscheiden auf der Trainerbank etwas verändern werden, auch wenn Toronto 59 Spiele gewann und Casey eventuell sogar Coach of the Year werden könnte.
Werbung für sich selbst machte der amtierende Coach gegen die Cavs mit zahlreichen fragwürdigen Entscheidungen aber nicht. Es wirkte zeitweise verzweifelt, was der Übungsleiter für Lineups auf den Court ließ. Als Cleveland in Spiel 2 mit einen Run das dritte Viertel begann, mischte Casey seine Formation fast komplett durch und verunsicherte seine Spieler mit Aufgaben, die sie so überhaupt nicht gewohnt waren. Als Beispiel darf Dreierspezialist C.J. Miles herhalten, der plötzlich den Center gab und gegen Love im Post verteidigen musste.
Die Toronto Raptors unter Dwane Casey
Saison | Bilanz | Platz Saison | Aus Playoffs | Gegner |
2011/12 | 23-43 | 11 | - | - |
2012/13 | 34-48 | 10 | - | - |
2013/14 | 48-34 | 3 | Erste Runde | Nets (3-4) |
2014/15 | 49-33 | 4 | Erste Runde | Wizards (0-4) |
2015/16 | 56-26 | 2 | Conference Finals | Cavs (2-4) |
2016/17 | 51-31 | 3 | Conference Semifinals | Cavs (0-4) |
2017/18 | 59-23 | 1 | Conference Semifinals | Cavs (0-4) |
Es gäbe genug Gründe, um Casey zu feuern, letztlich ist er das schwächste Glied in der Kette. Seine Bezüge fließen nicht mit in den Salary Cap ein, Casey wäre also noch am Leichtesten zu ersetzen. Unter ihm waren die Raptors stets ein starkes Team in der Regular Season, doch unter seinen Regentschaft wurden gerade einmal vier Playoff-Serien gewonnen, die Bilanz von 21-30 ist ebenfalls wenig schmeichelhaft.
Vielleicht kann dieses Team auch frischen Wind gebrauchen, um neue Impulse für einen erneuten Run zu bekommen. Vor allem wie Toronto auf Rückschläge in den Playoffs reagierte, war teils bedenklich. Spiel 4 wurde letztlich ohne großen Kampf aufgegeben, nach dem Run der Cavs im zweiten Viertel ergaben sich die Kanadier ihrem Schicksal.
Natürlich liegt das nicht nur an Casey und die Spieler, insbesondere DeRozan, sollten hier ebenso in die Pflicht genommen werden. Ersetzbar ist aus den genannten Gründen aber eben doch immer wieder als allererstes der Head Coach, so unfair das erscheinen mag.