Sechs Spiele lang kämpften die L.A. Clippers in der ersten Runde der Playoffs gegen ein hochfavorisiertes Warriors-Team. Das Team von Coach Doc Rivers präsentierte sich überraschend stark und betrieb Eigenwerbung für die nächsten Jahre. Aber können die Clippers wirklich ein Topteam werden? SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.
Als achter Seed der Regular Season gingen die Clippers als ganz großer Underdog in die Playoff-Serie gegen den amtierenden Back-to-back-Champion aus Oakland. Die Golden State Warriors wollen in diesem Jahr den vielzitierten Threepeat perfekt machen und die Mannschaft von Doc Rivers sollte dabei eigentlich im Vorbeigehen beseitigt werden - am liebsten in vier Spielen.
Nach einem dominanten Spiel 1 in der Oracle Arena (121:104) sah auch alles danach aus, als würden Kevin Durant und Co. den Besen auspacken und die Clippers problemlos in den Urlaub schicken. Doch das Team aus der Stadt der Engel gab sich nicht auf und feierte in Spiel 2 ein historisches 31-Punkte-Comeback in der Festung der Warriors.
Patrick Beverly gelangte durch seine penetrante Defense, die oft am Rande des Erlaubten liegt, in den Kopf von Finals-MVP Kevin Durant, der sich dadurch zu einer unnötigen Privatfehde verleiten ließ, die ihn komplett aus dem Rhythmus brachte und schließlich ausfoulen ließ. Ohne KD auf dem Parkett übernahmen die Benchplayer der Clippers, allen voran Lou Williams und Montrezl Harrell, und erweckten plötzlich den Anschein, dass für das "bessere" Team aus L.A. gegen die Dubs vielleicht wirklich etwas zu holen sei.
Warriors vs. Clippers: Die Spiele in der Übersicht
Tag | Datum | Spiel | Heim | Auswärts | Ergebnis |
Sonntag | 14. April | 1 | Golden State | Clippers | 121:104 |
Dienstag | 16. April | 2 | Golden State | Clippers | 131:135 |
Freitag | 19. April | 3 | Clippers | Golden State | 105:132 |
Sonntag | 21. April | 4 | Clippers | Golden State | 105:113 |
Donnerstag | 25. April | 5 | Golden State | Clippers | 121:129 |
Samstag | 27. April | 6 | Clippers | Golden State | 110:129 |
Danach gab Durant jedoch sein jetzt schon legendäres "I am Kevin Durant, you know who I am"-Interview und schenkte den Clippers in den nächsten vier Spielen 38, 33, 45 und 50 Punke ein, inklusive der 38 Punkte in der ersten Halbezeit von Spiel 6, einer Quote von 57,3 Prozent aus dem Feld und 40,5 Prozent vom Perimeter. Gegen diese Dominanz waren die mutig kämpfenden Clippers schließlich machtlos.
Zwar konnte man noch einen zweiten Sieg in der Oracle Arena einfahren, sodass schon die ersten "Warriors blew a 3-1 lead"-Witze aufkamen, jedoch war L.A. im heimischen Staples Center zu schwach. Nur 106,7 Punkte bei einer Feldwurfquote von 39,6 Prozent legte Docs Team zu Hause auf, bei einem miserablen Plus-Minus-Rating von -18. Im Vergleich: Auswärts schoss die Quote auf 49,8 Prozent hoch, was in durchschnittlich 122,7 Punkten (!) pro Spiel resultierte!
Das Heimproblem der Clippers verdeutlichte sich am besten mit einem Blick auf die Stats der Bank-Stars. Auswärts war Sixth-Man-of-the-Year-Favorit Williams brandheißund schenkte GSW über drei Spiele durchschnittlich 31,3 Punkte ein (58,1 Prozent aus dem Feld, 50 Prozent Dreier) und servierte 10 Assits. In L.A. waren es nur magere 12 Punkte pro Spiel (21,4 Prozent aus dem Feld, 20 Prozent Dreier) und 5,3 Assists. Gleiches galt für Harrell (Auswärts 25 Punkte im Schnitt, im Staples Center 11,7).
Um es kurz und knapp zu sagen: Die Saison der Clippers war ein voller Erfolg! Mit DeAndre Jordan war vor der Saison auch der letzte Vertreter der Lob-City-Zeit um J.J. Redick, Chris Paul, Blake Griffin und eben DJ aus La-La-Land geflohen. Was blieb, waren solide Rollenspieler, ein paar mehr oder minder rohe Talente und ein paar gute Spieler, die nicht ganz gut genug für das "Star"-Label waren. Die Buchmacher in Vegas trauten dem neuen Team nicht mehr als 35 Saisonsiege zu - nur die Mavericks, Grizzlies, Suns und Kings hatten im schweren Westen schlechtere Quoten.
Daher überrascht es alle, dass die Clippers einen 15-6-Start hinlegten und damit früh in der Saison ihre Ambitionen für einen Playoff-Platz deutlich machten. Vor allem Tobias Harris spielte in seiner zweiten Saison für Los Angeles auf All-Star-Niveau. Der Forward legte in 55 Spielen 20,9 Punkte, 7,9 Rebounds und 2,7 Assists auf, wobei er Career Highs aus dem Feld (49,6 Prozent) und von der Dreierlinie (43,4 Prozent) traf.
Als dann jedoch General Manager Michael Winger zur Trade Deadline besagten Harris, Best Buddy Boban Marjanovic und Mike Scott für Landry Shamet, Wilson Chandler, Mike Muscala und vier Picks überraschend nach Philly verschiffte, dachten sich viele, dass L.A. nun endgültig Kurs auf die Lottery nehmen würde. Damit würde man wenigstens den eigenen 2019er Erstrundenpick behalten, der bei Erreichen der Playoffs nach Boston wandern würde. Doch das Gegenteil war der Fall.
Ohne Harris blühte Danilo Gallinari, der ohnehin eine starke Saison spielte, noch einmal auf und führte die Clippers zu einer 13-2-Bilanz im März und schließlich zu einer ungefährdeten Playoff-Teilnahme mit einer Bilanz von 48-34 - neun Siege vor den neuntplatzierten Kings und ganze elf Siege vor dem Lokalrivalen um LeBron James. Großen Anteil daran hatten auch die Rookies Shai Gilgeous-Alexander und der von den Sixers gekommene Shamet, die ihre Erwartungen deutlich übertrafen und umgehend einen Platz in der Starting Five einnahmen.
Aber nicht nur für dieses Jahr, sondern auch für die Zukunft der Franchise kann die Saison 2018-19 als Erfolg verbucht werden. Die Clippers demonstrierten nicht nur, dass sie ein ernstzunehmender, ekelig zu bespielender Gegner sind, der sich nie aufgibt, sondern zeigten der Konkurrenz auch, dass es in L.A. eine zweite relevante Franchise neben den schillernden Lakers gibt. Der "kleine Bruder" der Lakers hat für die nächsten Jahre ein Konstrukt aus jungen, vielversprechenden Spielern, starken Rotationsspielern, Picks, eine Menge Cap Space und einen Coach, der erneut unter Beweis gestellt hat, dass er zu der Creme de la Creme der Liga gehört.
"Ich bin unheimlich stolz auf dieses Team ... das waren die Boston Celtics der Saison 2007/08, aber ohne Kevin Garnett, Ray Allen, Paul Pierce und Rajon Rondo. Sie haben mit genauso viel Herz gespielt", sagte Rivers dementsprechend stolz nach dem Ausscheiden in Spiel 6.
Was vor der Saison wohl noch unvorstellbar erschien, scheint nun gar nicht mehr allzu große Träumerei. Der erfahrende Coach ging mit einem Roster voller Fragezeichen in die Saison und übertraf damit alle Erwartungen um Meilen. Nicht wenige hätten ihr Geld darauf gesetzt, dass der 57-Jährige nach dem Abgang der Lob-City-Gang auch früher oder später seine Koffer packen würde.
Nachdem Rivers 2017 seiner GM-Tätigkeiten entbunden wurde und sich fortan nur noch auf das Coachen konzentrieren sollte, schien es nur eine Frage der Zeit, dass Doc seine Geschicke bei den Clippers ganz aufgeben würde. Doch Rivers blieb und entpuppte sich, wie schon vor seiner Zeit in Boston bei den Magic, als hervorragender Coach für die jungen Talente der Clips und wusste es zudem, seinen Rollenspielern durch den perfekten Fit im System zu unerwarteten Höhenflügen zu verhelfen.
gettyDabei ist besonders Harrell hervorzuheben, der vor der Saison fast aus dem Roster der Clippers geflogen wäre und daraufhin die Saison seines Lebens spielte. Das Bank-Duo aus Williams und Harrell war das gefährlichste der Liga - nicht umsonst war Harrell mit 6,8 Punkten pro Spiel der erfolgreichste Roll Man der Playoffs.
Ein anderes Beispiel: Das Fünf-Mann-Lineup aus SGA, Shamet, Beverley, Gallinari und Zubac wies in der Regular Season das ligaweit elftbeste Plus-Minus-Rating (+9,2) aller Lineups auf, die mindestens 200 Minuten zusammen auf dem Court standen. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass zwei dieser Spieler Rookies sind, zwei Spieler erst mitten in der Saison verpflichtet wurden und die einzigen beiden Veteranen aufgrund von Verletzungen beinahe die komplette vorige Saison verpassten.
Zwar ist die Konkurrenz mit unter anderem Nick Nurse (Raptors), Mike Budenholzer (Bucks), Mike Malone (Nuggets) und Nate McMilan (Pacers) riesig, aber Doc sollte nach dieser Saison mit den Clippers auf jeden Fall einer der Kandidaten für den CotY sein. Was er aus der zusammengewürfelten, starlosen Mannschaft während der Saison gezaubert hat, ohne dass es offene Streitigkeiten um Einsatzzeiten und Wurfverteilungen gab, war ziemlich beeindruckend.
Die Free Agency dürfte einer der bedeutendsten in der Franchise-Historie der Clippers werden. Mit Platz für zwei (!) Max-Verträge dürfte L.A. eines der heißesten FA-Pflaster der gesamten Association sein - und das in einem Sommer, in dem gefühlt jeder Superstar Free Agent wird: Kawhi Leonard, Kevin Durant, Kemba Walker, Kyrie Irving, Klay Thompson, usw.
Die Clippers haben für die Saison 2019-20 bisher rund 46 Millionen Dollar garantierte Gehälter in den Büchern stehen, wovon Danilo Gallinari (22,6 Millionen) fast die Hälfte kassiert, gleichzeitig aber auch in sein letztes Vertragsjahr geht. Daneben verdient das Duo Williams-Harrell zusammen läppische 14 Millionen in der nächsten Saison, Shamet, Robinson und SGA stehen ohnehin noch unter ihren Rookie-Verträgen.
Ivica Zubac und Rodney McGruder werden beide RFAs und haben sich durch vernünftige Leistungen in dieser Saison (McGruder nur für die Heat) definitiv für eine Weiterbeschäftigung beworben. Darüber hinaus könnte man die Optionen von Sindarius Thornwell und Tyrone Wallace ziehen, um dem Team mehr Tiefe zu verleihen.
Zubac zeigte jedoch durchaus vielversprechende Ansätze und dürfte daher auch interessant für einige Teams mit Center-Bedarf (Kings, Bulls? Oder, wesentlich lustiger: Lakers?) werden.
Darüber hinaus gilt es aber einige Löcher zu stopfen. Beverley lehnte letzten Sommer eine Vertragsverlängerung ab und will dieses Jahr die Free Agency austesten. Mit seiner berüchtigten Defensivarbeit dürfte er für einige Teams durchaus interessant und für die Clippers im Umkehrschluss nicht günstiger werden. Vor allem dann, wenn man zwei ganz große Fische nach L.A. locken will, könnte man den Kettenhund durchaus verlieren.
Wirft man einen Blick auf den Need der Clippers wird klar, dass vor allem die großen Positionen dringenden Nachholbedarf haben. Mit SGA und Shamet hat man einen vielversprechenden Backcourt für die nächsten Jahre sicher (mit Williams als Ergänzung), ansonsten sind aber viele Positionen zu besetzen. Doc wird sein brillierendes Bench-Duo aus Sweet Lou und Harrell wohl kaum aufbrechen und den Center in die Starting Five befördern, es gibt also gerade im Frontcourt Plätze zu vergeben. Logische Kandidaten wären demnach in erster Linie die besagten Kevin Durant und Kawhi Leonard, aber auch einige andere Stars auf dem Markt.
Die Frage aller Fragen ist jedoch: Können die lange so glücklosen Clippers wirklich ein Spieler-Duo a la Durant-Leonard in der Stadt der Engel locken? Die Grundlage dafür hat die Organisation mit der starken Saison und den rosigen Zukunftsaussichten definitiv gelegt und das nötige Kleingeld ist auch verfügbar. Aber reicht die Strahlkraft der Clippers-Franchise in einem Jahr, in dem auch die Knicks, Lakers und Nets bis zu zwei Max-Verträge anbieten können?
In der Association kursiert seit längerer Zeit das Gerücht, dass KD die Warriors nach dieser Saison verlassen wird. Jedoch sollen die Knicks aktuell der Frontrunner im Werben um Durant sein, dessen Geschäftspartner Rich Kleiman bekennender Fan der New Yorker ist. Bessere Chancen hätten die Clippers anscheinend jedoch bei Kawhi.
gettyDie Klaue spielt mit den Toronto Raptors bisher überragende Playoffs und wirkt wie eine ernsthafter Konkurrenz für die Warriors im Kampf um den Chip. Ob Leonard nächste Saison immer noch in Kanada spielt, wird sicherlich auch davon abhängen, wie Toronto weiterhin in den Playoffs performt. Bei einem Abgang galten die Clippers jedoch zuletzt oft als der Topfavorit auf eine Verpflichtung des Forwards, der aus der Nähe von Los Angeles stammt, angeblich aber nicht neben LeBron bei den Lakers spielen möchte.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Jimmy Butler, Khris Middleton und Co. Vieles wird davon anhängen, wie die jeweiligen Teams in den Playoffs abschneiden und wie die GMs die Zukunftsaussichten einschätzen. Sollte die Sixers beispielsweise, entgegen aller Vermutungen, in die Finals gelangen, dürfte Butler wie auch Tobias Harris eine lukrative Weiterbeschäftigung in der Stadt der brüderlichen Liebe winken.
Viel mehr als Spekulationen kann man zu diesem Zeitpunkt der Saison also nicht liefern. Fest steht nur: Die Clippers haben alles ihnen mögliche dafür unternommen, sich in bester Weise für den vielleicht größten Sommer ihres Bestehens zu wappnen, endlich aus dem Schatten ihres "großen Bruders" zu treten und zu zeigen, dass sie von nun an die bessere Franchise in L.A. sind. Die endgültige Entscheidung liegt am Ende aber nicht bei ihnen.