Er holte Dirk Nowitzki nach Dallas. Donnie Nelson, Präsident und General Manager der Dallas Mavericks, über seinen einzigartigen Werdegang: vom Basketball-Geheimagenten zum Architekten des Championship-Teams. Anmerkung: Wegen des Lockouts durfte der 49-Jährige nicht über Nowitzki und alle anderen NBA-Profis sprechen.
SPOX: Der Lockout lähmt die gesamte NBA - was zur Folge hat, dass Sie den entspanntesten Sommer seit Jahren genossen haben müssten. War das so?
Donnie Nelson: Normalerweise ist der Sommer für einen General Manager anstrengender als die eigentliche Saison, weil man verhandeln und sich im Markt positionieren muss. Das fiel gezwungenermaßen weg, dennoch wurde der Aufwand nicht weniger. Ich war bei der EM, habe gescoutet, in Gesprächen mit den Mitarbeitern verschiedene Szenarien durchgespielt, mit Sponsoren und Dauerkarten-Inhabern gesprochen, Trainingscamps für unterprivilegierte Jugendliche organisiert, und und und.
SPOX: Gelang es Ihnen dennoch, auch Wochen danach die Championship zu genießen?
Nelson: Natürlich. Es war ein solch magisches Erlebnis, dieses Glücksgefühl hält lange an. Erst recht, weil ich sehr genau weiß, wie lange der Schmerz anhielt, nachdem wir 2006 die Finals verloren hatten. Es ist etwas Besonderes, das Schicksal in die Hand zu nehmen und aus einem Falsch ein Richtig zu machen.
SPOX: Dallas war ein Muster an Beständigkeit mit elf Regular Seasons in Folge mit mindestens 50 Siegen. Wäre all das jedoch wertlos gewesen ohne den Titel?
Nelson: Wir fühlten uns selbst nicht wohl. Wir siegten und siegten - und dann kamen die Playoffs und irgendwann war immer Schluss. Als wir 2006 die Championship Trophy quasi schon in der Hand hielten und sie uns doch noch weggerissen wurde, kam schon der Punkt, an dem man sich fragte: Wird das noch was? Aber jetzt können wir das Erreichte umso mehr wertschätzen. Eine unglaubliche Befriedigung.
SPOX: Sie setzten früher auf die Big Three aus Dirk Nowitzki, Steve Nash und Michael Finley, später aufgestockt zu den Big Five mit Antawn Jamison und Antoine Walker. Als auch dies nicht fruchtete, wurde die Spielweise grundlegend umgestellt - ebenfalls ohne Titelerfolg. Erst Kontinuität im Kader und die Verpflichtung eines Spielers, Tyson Chandler, brachten den Triumph. Denkt man sich: Warum bin ich nicht vorher daraufgekommen?
Nelson: Solche Gedanken kreisen einem immer im Kopf: Was hätte ich besser machen müssen? Warum habe ich so entschieden? Es ist ein ständiger Prozess der Selbstevaluierung, den man sich auferlegt. Aber speziell in der letzten Saison, als wir einige Verletzungen hatten, war ich davon überzeugt, wie besonders unsere Gruppe ist und dass sie nicht auseinandergerissen werden soll.
SPOX: Wie sehr schmerzte es, als während den Playoffs der Award für den Executive of the Year, den besten Manager der NBA, verliehen wurde und Sie nicht eine Stimme erhielten?
Nelson: Mir persönlich war es nicht so wichtig, aber es hat mich für meine Mitarbeiter geärgert. Ich stehe nur in erster Linie, doch hinter mir habe ich eine richtige Armee, die alles für die Mavericks gibt. Einige von ihnen arbeiten zehnmal härter als ich. Leider bekamen wir nicht die Belohung dafür.
SPOX: Es gibt eine Geschichte über Sie: Sie haben ihrem Sohn ein Budget vorgegeben, für das er sich zum 16. Geburtstag selbst ein Auto aussuchen durfte. Er entschied sich jedoch nicht für einen neuen Kleinwagen, sondern für einen gebrauchten Sportflitzer - woraufhin Sie ihm verboten, damit zu fahren, bis er 18 ist. Stattdessen muss er sich mit Ihrem alten Pickup-Truck begnügen. Beschreibt diese Anekdote auch Ihren Führungsstil?
Nelson: So habe ich das noch nicht gesehen, aber das stimmt. Mein Sohn liebt wie sein Vater die Geschwindigkeit und kaufte sich eine richtige 'Suicide Machine'. Da musste ich einschreiten, das wäre zu gefährlich gewesen. Dennoch wollte ich ihm eine gewisse Freiheit geben - so wie ich es bei den Mitarbeitern auch handhabe. Egal, ob man an einem Fließband steht oder Angestellter einer Basketball-Franchise ist: Der Traum eines jeden Mitarbeiters ist es, sich selbst verwirklichen zu können. Kreative Freiheit ist die beste Motivation - und meine Rolle ist es, diesen Fluss in die richtige Bahn zu lenken.
SPOX: Sie selbst nahmen sich die Freiheit, erkundeten Ende der 80er Jahre als NBA-Scout die Welt und waren verantwortlich dafür, mit Sarunas Marciulionis den ersten sowjetischen und mit Wang Zhizhi den ersten chinesischen Basketballer in die USA zu holen. Woher kam der Drang nach Neuem?
Nelson: Ich war anfangs das Gegenteil eines Abenteurer-Typs. Ich weigerte mich als Student sogar, mit einem College-Auswahlteam zu einer Südamerika-Tour zu fliegen. Ich stritt mich richtig mit meiner Mutter, weil sie darauf bestand zu fahren, damit ich mit neuen Dingen konfrontiert werde. Sie setzte sich natürlich durch - und der Trip veränderte für immer mein Leben. Es war überwältigend, eine andere Art des Basketballs und eine andere Art des Miteinanders zu lernen. Alles war anders als in den USA, irgendwie dennoch auch gleich. In den Jahren darauf reisten wir nach Europa und bei einem Testspiel in der Sowjetunion lernte ich Marciulionis kennen.
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SPOX: Und wie schlug sich ein College-Boy gegen einen der größten europäischen Basketballer aller Zeiten?
Nelson: Ich habe gut gespielt und Marciulionis bei 40 Punkten gehalten. (lacht) Nein, viel wichtiger war es, dass wir uns sofort super verstanden und in Kontakt blieben. Er wusste zu Zeiten des Eisernen Vorhangs nicht, wie Amerikaner überhaupt ticken. Jedoch fasste er schnell Vertrauen zu mir. Unsere Beziehung war der Hauptgrund dafür, dass er sich wenige Jahre später zum mutigen Schritt zu den Golden State Warriors entschied.
SPOX: Wie haben Sie den Aufsehen erregenden Wechsel Ende der 80er in Erinnerung?
Nelson: Ich war ein College-Absolvent Mitte 20 und verhandelte als Scout der Warriors plötzlich mit hohen sowjetischen Regierungsbeamten um Marciulionis' Freigabe und musste selbst hoffen, wohlbehalten aus der Geschichte herauszukommen. Völlig verrückt, wie in einem Agentenfilm. Am Ende ging aber alles gut und ich machte mir in der NBA erstmals einen Namen.
SPOX: Wie riskant war es für Marciulionis?
Nelson: Er hat alles aufs Spiel gesetzt und sich und die Familie in Gefahr gebracht. Wenn irgendetwas schief gegangen wäre, hätte er die harte Hand des Regimes gespürt. Unser Glück war, dass die Perestroika wenig später einsetzte und Marciulionis so keine nachträglichen Repressalien befürchten musste. Im Vergleich zu ihm hatte ich einen leichten Job.
SPOX: Aber auch für Sie war es gefährlich.
Nelson: Mein Übersetzer lief auf der Straße immer einige Schritte hinter mir und hat sich den Hut ins Gesicht gezogen, als ob er mich nicht kennt. Ich fragte ihn, ob er sich für mich schämt. Und er antwortete, dass er alleine dadurch, mit mir auf der Straße gesehen zu werden, ein großes Risiko eingeht. Irgendwann merkte ich auch, dass der KGB uns überall verfolgt hat. Bei meiner dritten Reise kam eines Tages der Übersetzer in mein Hotel: zusammengeschlagen, mit einer gebrochenen Nase und zwei blauen Augen. Eine Botschaft des KGB.
SPOX: Wurden Sie verdächtigt zu spionieren?
Nelson: Der KGB wollte auf jeden Fall wissen, was ich trieb - dabei bin ich überhaupt kein politischer Mensch. Außerdem witterten einige wohl Geld, das sie mir abknöpfen könnten.
SPOX: War es das alles wert?
Nelson: Auf jeden Fall, nicht nur wegen Marciulionis. Ich bin damals wie jeder Amerikaner in dem Glauben aufgewachsen, dass Freiheit selbstverständlich ist. Erst nach den Reisen in die Sowjetunion erkannte ich, was für verwöhnte Kinder wir sind. Dort gab es den krassen Gegensatz: Menschen, die jede Nacht in der Angst ins Bett geben, vom Nachbarn verpetzt und von der Staatsmacht verprügelt oder nach Sibirien verschleppt zu werden. Wie krank das System war, habe ich bei meinem Übersetzer erlebt: Als Strafe wurden ihm jeden Monat auf seinem Bürotisch Playboy- und Hustler-Hefte so sichtbar hingelegt, damit jeder Kollege wusste, dass er einem Amerikaner half. Und dann musste er jedes Heft ins Russische übersetzen. Einfach nur aus Willkür.
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SPOX: Sie ließen sich jedoch nicht abschrecken und waren der einzige Amerikaner, der jemals einem Training der sowjetischen Nationalmannschaft beiwohnen durfte. Wie kam das zustande?
Nelson: Das war auch eine wilde Story: Mariculionis spielte bereits in den USA und hatte die Idee, dass ich den Nationalspielern und dem Trainerstab Tipps geben könnte, wie in der NBA verteidigt wird. Die offiziellen Stellen hätten das abgelehnt, aber der Vorteil war, dass Moskau nur wenig Einfluss auf die Nationalmannschaft hatte. Chefcoach Vladas Garastas war Litauer und viele Spieler kamen aus dem Baltium oder der Ukraine. Deswegen wurde ich nicht denunziert. Ich bekam einen osteuropäisch klingenden Namen, Donas Donovitsch, und gab mich als sowjetischer Sportfunktionär aus. Ich flog nie auf.
SPOX: 2001 kam Wang Zhizhi nach Dallas - als erster Chinese in der NBA. War das vergleichbar?
Nelson: Von der sportpolitischen Bedeutung her: ja. Vom Adrenalin her: nein. Marciulionis und ich waren damals Revoluzzer, die sich einem System entgegenstellten, bei Zhizhi hingegen bekam ich aus China viel Unterstützung. Das Problem war, dass sich Zhizhi als Soldat der chinesischen Armee lebenslänglich verpflichtet hatte, wie es dort obligatorisch ist. Deswegen benötigten wir insgesamt sieben Unterschriften von verschiedensten Regierungsbeamten, um ihn freizubekommen. Hätte nur eine gefehlt, wäre alles geplatzt. Zwei Jahre arbeiteten wir gemeinschaftlich daran - am Ende erfolgreich. Es war eine tolle Erfahrung zu erleben, wie zwei so unterschiedliche Länder gemeinsam einen Traum verwirklichen.
SPOX: Ist das nicht etwas zu pathetisch?
Nelson: Im Gegenteil: Seitdem unterhält die NBA hervorragende Beziehungen zur chinesischen Regierung. Seit letztem Jahr hat das Mavericks-Farmteam Texas Legends sogar einen chinesischen Miteigentümer. Das ist einzigartig. Diese Art von globalen Kooperationen können Berge versetzen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell und emotional. Nur der Sport hat die Kraft, so viele Menschen zu berühren. Das ist nicht mit Geld zu bemessen.
SPOX: Sie sorgten 2009 für einen weiteren gesellschaftlichen Meilenstein: Sie stellten Nancy Lieberman als Trainerin der Texas Legends ein - als erster weiblicher Headcoach in der Geschichte der NBA, D-League und NCAA. Wie kam das?
Nelson: Meine Tochter studiert und war in einer Phase, in der Sie nicht genau wusste, was sie nach dem Abschluss machen sollte. Wir saßen am Küchentisch und unterhielten uns darüber, als sie sagte: 'Dad, ich kann niemals die Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens werden, ich bin doch eine Frau und habe kein Chance in der Welt der Männer.' Einige Tage später traf ich in einem Coffee Shop zufällig Nancy Lieberman und da fiel mir plötzlich ein, dass ich für die Legends eine Liste mit Trainerkandidaten geschrieben hatte und ihr Name fehlte. Ich war von mir selbst schockiert, denn sie erfüllte alle Voraussetzungen: Sie war selbst eine tolle Spielerin, bringt Coaching-Erfahrung mit, lebt seit 29 Jahren in Dallas und hat sich eine Chance längst verdient. Als ich aus dem Coffee Shop ging, wusste ich: Der beste Mann für den Job ist gar kein Mann. Nancy ist eine Inspiration für jede Frau in den USA, auch für meine Tochter.
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SPOX: All das wäre nicht denkbar, wenn Ihnen Mavs-Besitzer Mark Cuban nicht freie Hand lassen würde. Wie lässt sich Ihr Verhältnis beschreiben?
Nelson: Privat ist er wie der beste Kumpel aus der Studentenverbindung. Beruflich steckt er uns alle mit seiner Kreativität und Leidenschaft an. Er ist hochintelligent und in jeder Hinsicht ein Genie. Einige mögen ihn nicht oder belächeln ihn, aber er kümmert sich um jeden Spieler und jeden Mitarbeiter wie um seine eigenen Kinder. Das ist sehr ungewöhnlich in der NBA, in der es vielen nur darum geht, den Scheck abzuholen. Seine Mavs-Passion ist ein Virus, der jeden von uns infiziert.
SPOX: Die Leidenschaft kann jedoch auch kontraproduktiv sein.
Nelson: Richtig, mit Mark ist es nicht immer einfach, weil er sich und andere so extrem pusht. Wir geben immer Vollgas und haben 100 Meilen die Stunde auf dem Tacho.
SPOX: Sind Sie Dr. Jekyll und er Mr. Hyde?
Nelson: Nein, ich würde uns eher mit Scottie Pippen und Michael Jordan vergleichen. Als Pippen weiß ich, was ich zu erledigen habe, um Jordan das Leben leichter zu machen.
SPOX: Ihr Vater Don Nelson arbeitete fünf Jahre als Mavs-Chefcoach unter Cuban, bis es 2005 zur Trennung und einer öffentlichen Schlammschlacht kam. Sie hingegen durften den Posten des Präsidenten und General Managers behalten. Wie schwer war die Zeit?
Nelson: Es war die NBA-Version einer Scheidung. Beide Seiten gingen durch eine sehr harte Phase. Ich kam mir etwas vor wie ein Kind, das zwischen den Fronten sitzt. Ohne meinen Vater wäre ich nie in der NBA gelandet und würde heute wohl als Highschool-Coach arbeiten. Er hat mich aufgezogen und mich gelehrt, zwischen gut und schlecht zu unterscheiden. Mark unterstützte mich ebenfalls immer. Obwohl ich und mein Vater Ende der 90er Jahre ein Teil der dunkelsten Ära der Mavs gewesen waren, feuerte er uns nicht, als er die Mavs aufkaufte. Im Gegenteil: Er gab uns die Chance, ein neues Team aufzubauen. Von daher ging es mir wie einem Scheidungskind. Wenn man es fragt, ob es mehr den Vater oder die Mutter liebt, sagt es immer: beide gleich viel.
SPOX: Es heißt jedoch, dass Kinder am meisten unter einer Scheidung leiden. Sie auch?
Nelson: Nein. Okay, die ersten Wochen waren richtig seltsam im Büro. Doch Mark hat mich nie in eine unangenehme Lage gebracht. Im Gegenteil: Jeder andere Klubbesitzer hätte mich mit meinem Vater entlassen, alleine schon wegen des Nachnamens. Aber er hat mich behalten. Das sagt sehr viel darüber aus, wie Mark als Mensch ist.