Anfang Dezember gelang Markus Kuhn der erste Touchdown eines deutschen Spielers in der NFL überhaupt. Damit schaffte es der Defensive Tackle der New York Giants im ganzen Land in die Schlagzeilen. SPOX sprach mit dem 28-Jährigen über seine Anfänge bei den Weinheim Longhorns, Highlight-DVDs für College-Trainer - und vegane Ernährung bei 142 Kilogramm.
SPOX: Markus, wir müssen natürlich mit dem Touchdown gegen die Titans anfangen, der in Deutschland hohe Wellen schlug. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Ball dort liegen sahen und wussten: "Den kann ich mir schnappen!"
Markus Kuhn: Es war eine Situation, die wir oft trainieren. Turnover können ja entscheidend sein. Deswegen ist das Motto, wenn es einen Fumble gibt, relativ simpel: Immer auf den Ball werfen und ihn erobern.
SPOX: Was Sie aber nicht gemacht haben.
Kuhn: Ich habe gesehen, dass ich den Ball auch aufnehmen kann, und habe ihn mir zum Glück schnappen und in Richtung Endzone loslaufen können. Zwei Teamkollegen waren als Blocker dabei, und als mich niemand mehr vor der Endzone einholen konnte, habe ich mich riesig gefreut.
SPOX: Gibt es für Defensivspieler Rituale nach dem ersten Touchdown? Zum Beispiel in der Kabine?
Kuhn: Nein, aber es passiert natürlich auch relativ selten, dass man als solcher einen Touchdown feiern kann - und als Teil der Defensive Line natürlich noch seltener. Eine Interception kommt öfter vor, aber einen Fumble-Return zum Touchdown gab es bei den Giants davor zuletzt 2009 von Osi Umenyiora, das ist also auch schon eine ganze Weile her. Wenn es einem der kräftigen Jungs gelingt, freut sich jeder, aber es gab keine besonderen Weihungen. Den Ball durfte ich allerdings behalten - der ist hier bei mir.
SPOX: Sie sprechen es an. Defensivspieler feiern eher selten Touchdowns. Eine Ausnahme in diesem Jahr ist J.J. Watt. Hat er bei der MVP-Wahl eine Chance gegen die Quarterbacks und Running Backs? Gegen diese Super-Athleten?
Kuhn: Ich würde sagen, dass wir in der Defense die extremeren Athleten haben. Wir müssen ständig reagieren und trotzdem die ganze Palette abdecken: covern, tackeln, etc. Es gibt in der Defense viele gute Aktionen, die einem Touchdown ebenbürtig sind. Ein Sack, eine Interception, oder eben auch eine Fumble Recovery. Klar, die Fans wollen Touchdowns sehen, aber auch in der Defense kann man mit einigen guten Aktionen auf sich aufmerksam machen. Selbst wenn es sich nicht direkt auf dem Scoreboard niederschlägt.
SPOX: Wenn Sie eine Stimme hätten: Wäre Watt der neue MVP?
Kuhn: Andrew Luck und Aaron Rodgers zum Beispiel sind auch extrem gut. Aber Watt spielt schon eine unglaubliche Saison, das muss man wirklich sagen. Wenn man Clips von ihm sieht, dann ist der Junge wirklich jedes Mal fast am Quarterback dran. Das ist der Wahnsinn.
SPOX: Schaut man sich generell Aufnahmen von anderen Spielern an, um sich zu verbessern?
Kuhn: Natürlich studiert man andere Spieler und guckt sich Sachen ab. Was macht der in Sachen Technik noch besser oder einfach nur anders als ich? Auch von J.J. Watt, er spielt ja manchmal auch Defensive Tackle. Eigentlich ist er überall auf der Defensive Line unterwegs.
SPOX: Ab und zu läuft Watt sogar als Tight End auf und hat so dieses Jahr bereits ein paar Touchdowns hingelegt. Könnten Sie sich vorstellen, wie er auch mal in der Offense aufzulaufen?
Kuhn: Ich glaube, vorstellen können sich das einige - aber das sind nur Wunschträume. Ich versuche es über die Defensive weiter. Wobei Watts neuer Vertrag ja 100 Millionen Dollar wert ist. Die Texans haben ihm so viel Geld gezahlt, da darf er machen, was er will (lacht). Zur Norm wird das aber auf keinen Fall.
SPOX: Das Gefühl, Teil der Offense zu sein und einen Touchdown zu machen, kennen Sie aber auch. Immerhin haben Sie früher als Quarterback gespielt.
Kuhn: Das stimmt. In der Jugend war ich in meinem ersten Jahr Tight End, dann später Linebacker und auch Running Back. Und die letzten zwei Jahre habe ich zudem als Quarterback gespielt. Es war gegen die Titans nicht der allererste Touchdown für mich - nur eben auf diesem Level.
SPOX: Das öffentliche Interesse in Deutschland ist in den letzten Wochen durch Ihren Touchdown extrem gestiegen. Denkt man sich nicht: "Hallo, ich war schon die ganze Zeit hier"?
Kuhn: Es hat mich sehr gefreut, wie groß darüber berichtet wurde - das ist wichtig für den Sport. Auch dass die Leute sich richtig für mich gefreut haben. Aber klar, die Leistung, jetzt schon drei Jahre in der NFL zu spielen, ist größer zu bewerten als dieser eine Touchdown.
SPOX: Wie beurteilen Sie die Berichterstattung in den letzten Jahren?
Kuhn: Das Interesse an Football entwickelt sich schon weiter, das ist auch gut. Das Problem ist in meinen Augen ein anderes.
SPOX: Nämlich?
Kuhn: Man müsste noch mehr darauf achten, dass talentierte Nachwuchsspieler eine Chance bekommen. Etwa dadurch, dass der deutsche Verband seine Beziehungen nach Amerika verbessert. Nicht unbedingt zur NFL, aber gerade zu den Colleges. Damit die Talente in ein paar Jahre auf dem College spielen. Deswegen wird jetzt nicht jeder Profi, das weiß ich auch. Aber allein die Erfahrung, auf dem College gespielt zu haben, wäre enorm wertvoll.
SPOX: Warum?
Kuhn: Sie würden mit einer neuen Spielerfahrung nach Deutschland zurückkehren. Sie wären auf einem ganz anderen Level, was Trainingseinheiten und Spielkenntnisse betrifft. Das würde dem Sport in Deutschland ziemlich weiterhelfen. Leider passiert das viel zu selten.
SPOX: Sie waren fünf Jahre auf der North Carolina State University. Angefangen hat jedoch alles bei den Weinheim Longhorns. Wie kamen Sie zum Team?
Kuhn: Bei einer Rundreise mit meiner Familie durch Florida war Football zum ersten Mal etwas mehr präsent. Zudem waren Freunde von mir in einem Verein aktiv, und ein Klassenkamerad meiner drei Jahre älteren Schwester. Sie hat einfach mal nachgefragt - und die Jungs haben mich mit ins Training genommen. Mir hat es sofort gefallen, ich wusste: Das ist etwas für mich. Ich bin dann dabeigeblieben - und der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt. (lacht)
SPOX: Wie lief das mit dem College ab? Sie haben das ja auf eigene Faust organisiert. Am Telefon?
Kuhn: Es fing mit E-Mails an College-Trainer an. Ich hatte auch einen Kontakt vor Ort, der schon anderen Spielern geholfen hatte. Aber der größte Schritt war, als ich 2006 mit meinem Vater nach Amerika geflogen bin, mit Highlight-DVDs im Gepäck. Wir sind nach Washington D.C. und haben dann eine kleine Ostküsten-Tour gemacht. Zuerst haben wir kleinere Colleges abgeklappert. Als dann die Begeisterung relativ groß war und ich schon die ersten Stipendien-Angebote in der Tasche hatte, bin ich weitergefahren zu größeren Colleges - und auch dort kam ich gut an.
SPOX: Nach fünf Jahren an der NC State wurden Sie schließlich 2012 in der siebten Runde gedraftet. So spät im Draft weiß man nie genau, ob es für eine NFL-Karriere reicht. Hatten Sie bereits Ausweichpläne für den Fall der Fälle?
Kuhn: Ich hatte auf der Uni meinen Abschluss gemacht, einen Bachelor in Business Management. Was auch das Ziel Nummer eins war. Aber dann war ich auf einmal der erste Deutsche, der ins Combine nach Indianapolis eingeladen wurde.
SPOX: Die Sichtung der Talente vor dem Draft.
Kuhn: Genau. Dort habe ich einen guten Job gemacht. So wusste ich schon vor dem Draft, dass ich, sollte ich nicht gedraftet werden, zumindest zu einigen Training Camps eingeladen werde. Dass ich einen Fuß in der Tür habe und meine Chance bekomme, das war relativ schnell klar. Aber man weiß natürlich nie, was passiert. Insofern bin ich froh, dass ich immer auf meinen Abschluss zurückgreifen kann.
SPOX: Sie wurden von den New York Giants gedraftet. Hatte sich das Team schon vorher bei Ihnen gemeldet?
Kuhn: Lustigerweise hatte ich eigentlich mit fast allen Teams Kontakt, nur mit den Giants nicht. Was aber auch oft eine Draft-Strategie ist: Die anderen Teams in die Irre führen, um den Spieler in den späteren Runden noch abgreifen zu können. Es gab also keinen Kontakt, aber als die Giants dann dran waren, sagte mein Agent: "Es kann sein, dass jetzt gleich das Telefon klingelt." So war es dann auch - und als die Vorwahl von New York angezeigt wurde, war die Freude riesengroß.
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SPOX: Sie sind mittlerweile schon seit drei Jahren als Defensive Tackle im Big Apple. Björn Werner hat im SPOX-Interview erzählt, wie er als Pass Rusher im Eins-gegen-Eins ein Katz-und-Maus-Spiel mit seinem Gegenspieler aufzieht. Wie ist das auf Ihrer Position? Kann man sich auch einen Schlachtplan zurechtlegen?
Kuhn: Man muss seine Aufgaben im Kopf haben, die verschiedene Strategien, mit denen man den Gegner attackieren will. Aber man muss natürlich auch sehr viel reagieren und im Zweifelsfall schnell von einem Lauf- auf einen Passspielzug umsteigen. Als Defensive Tackle bekommt man es im Running Game oft mit zwei Gegenspielern gleichzeitig zu tun, während man außen vor allem Eins-gegen-Eins spielt.
SPOX: Der größte Name bei den Giants ist natürlich Eli Manning, dem nachgesagt wird, ein richtiger Schelm zu sein.
Kuhn: Ja, der hat jede Menge Späße auf Lager. Zu den harmlosen gehört zum Beispiel, im Fahrstuhl einfach mal alle Knöpfe zu drücken, wenn ein Coach ganz nach oben muss. Aber er kann sich das auch erlauben - schließlich weiß er, dass er unantastbar ist.
SPOX: Wobei Odell Beckham Jr. derzeit fast noch berühmter ist. Haben Sie seinen Monster-Catch von der Seitenlinie gesehen? Oder schaut man als Defensivspieler eigentlich gar nicht wirklich hin?
Kuhn: Ich verfolge das Spielgeschehen immer sehr aufmerksam und kann draußen nur schwer ruhig sitzen bleiben, egal ob wir gerade Offense oder Defense spielen. Nach dem Catch haben alle nur noch den Kopf geschüttelt. Wir haben Odell im Training schon so viele gute Bälle fangen sehen, bei denen wir einfach nur geschockt waren. Aber das dann auch noch in einem Spiel zu zeigen, in einer solchen Situation - der Wahnsinn.
SPOX: Trotz Beckham hat es für die Playoffs in diesem Jahr nicht gereicht. Am Sonntag bestreiten die Giants ihr letztes Saisonspiel, danach haben Sie erst einmal frei - und zwar ziemlich lange. Wie läuft die Offseason ab?
Kuhn: Offiziell habe ich bis Mitte April frei, erst dann trifft sich das Team wieder. Deshalb steht nach der Saison erst einmal eine Ruhepause an. Kein Krafttraining, keine Gewichte, damit der Körper richtig regenerieren kann. Aber dann muss ich natürlich auch einiges tun, damit ich im April wieder in guter Form bei den Giants auftauche - da kann ich also nicht vier Monate einfach auf der faulen Haut liegen.
SPOX: Das dürfte Ihnen aber wohl einfacher fallen als vielen Ihrer Kollegen. Auf Ihrem Instagram-Account entdeckt man, dass Sie Veganer sind.
Kuhn: Eigentlich ja, wobei ich auch Fisch esse. Mein Gewicht ganz ohne Tierproteine zu halten, ist eigentlich unmöglich, deswegen esse ich ab und an auch Fisch.
SPOX: Ein Vorurteil wäre gewesen, dass man als Lineman immer ordentlich Fast Food tanken muss, um dieses Gewicht überhaupt zu halten.
Kuhn: Ich muss natürlich viel essen, um meine 142 Kilo zu halten. Aber es kommt auch darauf an, was man zu sich nimmt, und dass man sich gut ernährt.
SPOX: Sind Sie eine Ausnahme im Team, was den Verzicht auf Fleisch angeht?
Kuhn: Ja, bei den kräftigeren Jungs achten manche schon seltener auf ihre Ernährung. Ich bin einer der wenigen, die wirklich konsequent sind. Aber bei den kleineren, drahtigeren Spielern sieht es natürlich noch einmal anders aus.
SPOX: Zum Abschluss noch ein ganz wichtiges Thema: Gehirnerschütterungen bzw. Kopfverletzungen allgemein. Wird das bei den Spielern in der Umkleidekabine diskutiert?
Kuhn: Man weiß natürlich, dass so etwas passieren kann. Deshalb ist es entscheidend, entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen und so lange auszusetzen, bis wirklich alle Symptome abgeklungen sind.
SPOX: Eine wirkliche Lösung ist das nicht.
Kuhn: Letzten Endes sind das Dinge, die man mit sich selbst ausmachen muss. Es gibt in jeder Sportart Verletzungen, die nicht auszuschließen sind. Natürlich denkt man dran, weil es ganz verschiedene Folgen haben kann - auch was das Aggressionspotenzial betrifft.
SPOX: Hatten Sie schon einmal eine Gehirnerschütterung? Oder vielleicht sogar mehrere?
Kuhn: Bei mir ist noch nie eine Gehirnerschütterung diagnostiziert worden. Klar, natürlich sagt man mal: Oh, das war ein harter Hit. Aber ich bin noch nie ausgeknockt worden oder etwas in der Art - zum Glück.
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