Die NFL hat im Zuge des Deflate-Gate-Skandals ein unerwartet hartes Urteil gefällt und nicht nur Patriots-Quarterback Tom Brady für vier Spiele gesperrt, sondern auch das Team mit einer Geldstrafe und zwei verlorenen Draft-Picks hart belangt. SPOX beantwortet die fünf wichtigsten Fragen zum Deflate-Gate-Urteil.
Worum geht es beim Deflate-Gate?
Es geht, ganz simpel ausgedrückt, um den Luftdruck in den Spielbällen des vergangenen AFC-Championship-Games. 2006 hat die NFL entschieden, dass die Quarterbacks, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens, die Bälle so stark oder schwach aufpumpen lassen dürfen, wie es ihnen beliebt.
Jedes Team stellt daher in jedem Spiel eigene Bälle, und während Packers-QB Aaron Rodgers etwa mit so hart wie möglich aufgepumpten Spielbällen agiert, bevorzugt Brady schwächer aufgepumpte Bälle.
Der normale Ablauf ist wie folgt: 2:15 Stunden vor einer Partie überprüft der Schiedsrichter zwölf Bälle jedes Teams und markiert sie anschließend. Danach darf an diesen Spielbällen nichts mehr verändert werden. In der Partie gegen die Indianapolis Colts, die New England komplett dominierte und mit 45:7 gewann, fiel den Colts-Spielern bei Bradys Interception kurz vor der Halbzeit aber der ungewöhnlich geringe Druck in dem Ball auf.
Die Bälle wurden in der Halbzeit der Partie neu präpariert. New England ließ sich davon nicht sonderlich beeindrucken und gewann die zweite Hälfte noch deutlicher mit 28:0. Berichten zufolge war den Colts bereits im Regular-Season-Duell am 16. November aufgefallen, dass einige der Pats-Bälle zu wenig Luft hatten - war die Liga bereits informiert?
Die Reaktionen zum Brady-Urteil: "This is absolutely ridiculous!!!"
In den zwei Wochen danach folgte eine Vielzahl an sich teilweise widersprechenden Meldungen: Wie viele Bälle hatten zu wenig Luft? Wie groß war die Differenz? Wer hatte das Problem zuerst gemeldet? Waren die Bälle von den Schiedsrichtern korrekt behandelt worden? Dann tauchten Aufnahmen einer Überwachungskamera auf und wurden an die NFL weitergegeben. Auf denen war Pats-Mitarbeiter Jim McNally zu sehen, der kurz vor Spielbeginn mit zwei Ballsäcken in einer Toilette verschwindet und dort rund eineinhalb Minuten bleibt, bevor er mit den Bällen wieder herauskommt.
Patriots-Coach Bill Belichick reagierte in den Tagen nach Beginn der Affäre irritiert - er habe sich mit dem Luftdruck der Bälle noch nie beschäftigt und verwies auf Brady. Man werde natürlich mit der NFL zusammenarbeiten. Brady wirkte seinerseits auf einer Pressekonferenz von den Anschuldigungen getroffen, schwor aber Stein und Bein, er habe nichts "außerhalb der Regeln" getan. Er habe während des Spiels ohnehin keine Zeit, sich über die Beschaffenheit des Balles Gedanken zu machen.
Die Untersuchung der Liga führte vor dem Super Bowl Anfang Januar zu keinem Ergebnis, Brady wurde vor dem Endspiel nicht einmal befragt. Es dauerte bis zum 6. Mai, bis der Anwalt Ted Wells schließlich einen 243 Seiten starken Bericht vorlegte. Dessen Quintessenz: "Wahrscheinlich" wurden die Bälle manipuliert.
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Seite 2: Was wirft die Liga den Pats und Brady vor?
Seite 3: Warum ist die Strafe so hart ausgefallen?
Seite 4: Welche sportlichen Folgen hat das Urteil?
Seite 5: Wie können Brady und die Patriots reagieren?
Was wirft die Liga den Pats und Brady vor?
Die monatelangen Untersuchungen hatten schließlich ergeben, "dass Jim McNally, der offizielle Verantwortliche für die Patriots-Kabine, und John Jastremski, ein Ausrüstungsassistent der Patriots, daran beteiligt waren, vorsätzlich Luft aus den Patriots-Spielbällen zu lassen, nachdem diese von den Schiedsrichtern untersucht worden waren. Basierend auf den Beweisen sind wir außerdem der Meinung, dass es wahrscheinlich ist, dass Tom Brady zumindest generell von den unangebrachten Aktivitäten von McNally und Jastremski wusste."
Die Patriots-Mitarbeiter sollen bewusst Luft aus den Spielbällen gelassen haben, nachdem die Refs diese inspiziert hatten. Ein Regelverstoß, da die Bälle nicht mehr bearbeitet werden dürfen, nachdem die Schiedsrichter sie kontrolliert haben. Bradys Rolle ist dabei das große Fragezeichen: Er soll nach Meinung von Chef-Inspektor Ted Wells "wahrscheinlich" davon gewusst haben, womöglich geschah es sogar auf seine Anordnung.
Brisant ist dabei neben dem eigentlichen Vorwurf vor dem Hintergrund des harten Urteils primär ein Aspekt: Bradys tatsächlichen Einfluss oder seine (Mit-)Schuld konnte der Bericht nicht nachweisen - nach wie vor gibt es damit keinen definitiven Beweis, dass Brady etwas mit der Sache zu tun hat, auch wenn die vorliegenden SMS-Auszüge mehrerer Gespräche zwischen McNally und Jastremski den Verdacht nahelegen.
"Tom ist scheiße...ich mache aus dem nächsten Ball einen verdammten Ballon", schrieb McNally etwa, Jastremski antwortete: "Ich habe gestern mit ihm gesprochen. Er sprach auch über dich und sagte, dass du Probleme damit haben musst, sie richtig vorzubereiten."
Einige Tage später deutete McNally direkt auf Gefälligkeiten von Brady hin, als er seinem Kollegen schrieb: "Du solltest lieber Bares und neue Schuhe dabei haben. Sonst ist es am Sonntag ein Rugby." Brady schrieb Jastremski mehrere auffällige Nachrichten - ohne aber eine direkte Beteiligung zu bestätigen.
Wells' 243-seitiger Bericht lässt gleichzeitig viele Fragen offen. Unter anderem gibt es Unklarheiten was die Messgeräte für den Luftdruck angeht: Zwei waren bei dem Spiel vor Ort und beide zeigten bei den zur Halbzeit gemessenen Bällen deutlich unterschiedliche Ergebnisse an. Laut einem der beiden Messgeräte wären auch drei der vier getesteten Colts-Bälle zu schwach aufgepumpt gewesen.
Referee Walt Anderson war sich nicht mehr sicher, welches er vor dem Spiel verwendet hat. Ein kritisches Detail, denn falls er das Messgerät vor dem Spiel verwendet hat, das die höheren Ergebnisse anzeigte, läge womöglich kein Regelverstoß vor. Mehrfach scheint sich der Bericht schlicht in Vermutungen zu flüchten.
Die harte Strafe lässt sich deshalb vor allem mit Indizien begründen: McNally verstrickte sich in Widersprüche, was seinen Aufenthalt in der Toilette anging. Die SMS, in denen sich McNally als "Deflator" bezeichnet, können als Indiz gedeutet werden - und sie begannen schon Monate vor dem Spiel gegen die Colts. In Einzelbefragungen widersprachen sich Brady und Jastremski, die nach den ersten Meldungen im Januar mehrere lange Telefongespräche führten, teilweise.
Doch ein weiterer Aspekt spielte für die Liga eine große Rolle: Die Verantwortlichen waren, wie aus einem Statement im Bericht hervorgeht, mit der mangelnden Kooperation der Patriots extrem unzufrieden.
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Warum ist die Strafe so hart ausgefallen?
Der Liga geht es um die oft zitierte Integrität des Spiels, die es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. Bedingt durch die diversen Skandale um Ray Rice, Adrian Peterson oder Greg Hardy, welche die Liga über das vergangene Jahr erschüttert haben, gingen neue, strenge Regularien bezüglich des Einnehmens leistungssteigernder Mittel oder aber verbotener Substanzen wie etwa Marihuana hervor.
Vor diesem Hintergrund war bereits im Vorfeld klar, dass die Strafe deutlich härter ausfallen würde, als das noch vor einem Jahr der Fall gewesen wäre. Die Patriots rechneten Berichten zufolge bereits mit einer Zwei-Spiele-Sperre gegen Brady. Doch es waren nicht nur die äußeren Umstände: Das Team hat sich das Leben durch das Verhalten rund um die Ermittlungen wohl selbst schwer gemacht.
Die Reaktionen zum Brady-Urteil: "This is absolutely ridiculous!!!"
So weigerte sich Brady etwa, den Ermittlern sein Handy und seinen Mail-Zugang zur Verfügung zu stellen, um sich so zu entlasten. Darüber hinaus lehnte das Team eine Anfrage für ein zusätzliches Treffen mit McNally ab, um diesen befragen zu lassen. Diese Aspekte wiegen bei dem harschen Urteil offenbar mindestens so schwer wie der eigentliche Vorwurf.
Im Statement der Liga heißt es, dass die "mangelnde Kooperation in den Untersuchungen" ein Grund für die schwere Strafe sei. Zwar betont der Wells-Bericht, dass die Patriots generell kooperiert und Personal sowie Informationen verfügbar gemacht haben. Gleichzeitig wird aber ausführlich die Entscheidung des Teams, McNally nicht für ein zusätzliches Interview zur Verfügung zu stellen, angeprangert. Auch, dass Bradys Textnachrichten und E-Mails nicht verfügbar waren, wird in dem Bericht mit einem eigenen Absatz gewürdigt.
"Transparenz" ist das Stichwort, das immer wieder auftaucht. Die Liga erwartet von ihren Mitgliedern Kooperation und hat hier ein Exempel statuiert, um jedem Team die neue Ernsthaftigkeit und rigorose Politik der NFL klar zu machen und ihren zuletzt stark ramponierten Ruf zu retten.
Immerhin wurden zuletzt auch die Carolina Panthers und die Minnesota Vikings dabei erwischt, wie sie Bälle während Spielen illegal mit Heizstrahlern aufgewärmt hatten. Es blieb vonseiten der Liga bei einer Verwarnung und damit ist klar: Es ging hier um eine Message. Immerhin blieb es nicht bei der Strafe gegen den (mutmaßlichen) (Mit-)Täter Brady. Die Pats verlieren zwei Draft-Picks, darunter einen First-Rounder - und das, obwohl die Untersuchungen das Team und Coach Bill Belichick freigesprochen hatten. Hier greift das Mantra von Goodell: Unwissenheit ist keine Entschuldigung.
NFL-Vizepräsident Troy Vincent bestätigte in einem Brief an die Patriots zudem, dass das berühmte Spygate eine Rolle in der Bestrafung gespielt hat: "2007 wurden der Klub und mehrere einzelne Personen dafür bestraft, dass sie die Signale gegnerischer Coaches aufgenommen und gegen die Regeln verstoßen haben. Diese vorherigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln wurden angemessen in der Bestrafung in diesem Fall berücksichtigt." Im Klartext: Die Patriots sind Wiederholungstäter.
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Welche sportlichen Folgen hat das Urteil?
Brady, der die Saisonvorbereitung dennoch komplett mitmachen darf, wird - Stand jetzt - die ersten vier Spiele der Regular Season, also gegen Pittsburgh, Buffalo, Jacksonville und Dallas, verpassen - um dann ironischerweise ausgerechnet gegen die Colts zurückzukehren. Damit rückt Jimmy Garoppolo in den Fokus: Der einstige Zweitrunden-Pick genießt in New England höchstes Ansehen und hat bei seinen wenigen Einsätzen in der Vorsaison einen guten Eindruck hinterlassen.
Vor allem gegen die Chiefs und die Bills erhielt er in der Regular Season mehr Spielzeit und wirkte konstant, traf schnelle und gute Entscheidungen und ist darüber hinaus ein athletischer Quarterback: Gegen die Bills spielte er die Read Option, was den Pats offensiv ein neues Element geben kann. "Er ist gebaut wie ein Linebacker", schwärmte Belichick.
Der Season-Opener gegen Pittsburgh wird damit zunehmend ein Backup-Duell: Pats-RB LeGarrette Blount ist für das Spiel ebenfalls gesperrt, genauso wie Steelers-Star-RB Le'Veon Bell. In Buffalo steht dann gegen die brandgefährliche Bills-Defense der nächste schwere Test an, vor allem aber im möglichen Offensiv-Showdown gegen die Cowboys würde Brady wohl am schmerzlichsten vermisst werden.
Auf der anderen Seite ist es für die Patriots eine, wenn auch ungewollte, Chance: Belichick kann sich so selbst ein Bild machen, wie weit Garoppolo schon ist und ihn in einer ungewöhnlichen Drucksituation zum Saisonauftakt, wenn alle Augen auf ihn gerichtet sein werden, testen. Nach der Sperre kann er ihn ohne Probleme wieder hinter Brady lernen lassen.
Die Reaktionen zum Brady-Urteil: "This is absolutely ridiculous!!!"
Vier Spiele Sperre sind ein harter Schlag in einer auf dem Papier stark verbesserten Division, Favorit auf den Einzug in die Playoffs wären die Pats aber wohl dennoch. Mindestens genau so schmerzhaft sind allerdings die verlorenen Picks, gerade der First-Rounder 2016. Damit wird das Team in den letzten Jahren von Brady - und Belichick? - enorm geschwächt.
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Wie können Brady und die Patriots reagieren?
Bradys Berater Don Yee kündigte am Montagabend prompt an, gegen das Urteil vorzugehen: "Die NFL hat eine gut dokumentierte Vergangenheit, wenn es darum geht, schlechte Disziplinar-Entscheidungen zu treffen, die dann häufig zurückgenommen werden, wenn eine wirklich unabhängige Instanz richtet." Brady muss bis spätestens Donnerstagabend Einspruch erheben. Auch der Spielerverband dürfte jetzt eingeschaltet werden.
Erste Vermutungen legen nahe, dass Bradys Sperre letztlich noch um ein bis zwei Spiele reduziert werden könnte, wenn die Berufung durch ist. Das Team, auf der anderen Seite, hat bislang keine konkreten Absichten erkennen lassen - stattdessen könnte Team-Eigentümer Robert Kraft aber auf eine andere Art reagieren.
Kraft ist einer von drei Eigentümer im NFL-Compensation-Komitee, das das Gehalt von Commissioner Roger Goodell mit festlegt. Er stand hinter Goodells Wahl 2006, er verhalf ihm 2011 zu einer enormen Gehaltserhöhung und selbst im Skandal um Ray Rice, der vielleicht schwierigsten Episode in Goodells Amtszeit, blieb Kraft öffentlich und intern loyal.
Sein Statement nach dem Urteil lässt darauf schließen, dass die bedingungslose Unterstützung jetzt ein jähes Ende findet. Kraft monierte, dass die Bestrafung "alle vernünftigen Erwartungen bei weitem gesprengt" habe und nannte den Bericht "einseitig". Brady genieße darüber hinaus "bedingungslose Unterstützung. Unser Glaube an ihn hat sich nicht verändert."
Ein anonymer Eigentümer erklärte gegenüber dem Bleacher Report bereits, dass die Beziehung zwischen Kraft und Goodell "so ziemlich tot" sei und fügte hinzu: "Einige der Eigentümer warten jetzt etwas nervös darauf, was Robert als nächstes macht."
Erste Medien vermuten, dass Goodell womöglich den anderen 31 Teams beweisen wollte, dass er entgegen der häufig verbreiteten Meinung die Patriots nicht bevorzugt - und jetzt womöglich einen teuren Preis bezahlt. Kraft könnte demnach sogar hinter den Kulissen eine Wachablösung initiieren.
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