Tampa Bay, Kaepernick, Awards, Patriots, Colts - eure Fragen
Nick Tremonia: Die Bucs waren vor der Saison ein Geheimtipp von vielen Experten, zur Zeit sind sie eine riesige Enttäuschung - was läuft falsch in Tampa?
Defensiv geht für mich, auch wenn die Run-Defense ebenfalls nicht wirklich überzeugt, viel auf den extrem schwachen Pass-Rush zurück. Da hatte ich von Spielern wie Chris Baker mehr erwartet, auch wenn Kwon Alexander und Lavonte David inzwischen wieder fit sind. Solange Tampa keinen Pass-Rush hat, wird die Defense immer wieder viele Passing-Yards erlauben. Tampa setzt gegnerische Quarterbacks in nur 19,7 Prozent der Passing Plays unter Druck, der niedrigste Wert ligaweit.
Das große Problem in dem Szenario: Die Offense hat nicht ansatzweise die Feuerkraft, um das wettzumachen. Bei den Prognosen vor der Saison ging man davon aus, dass Jameis Winston den nächsten Schritt machen könnte. Stattdessen hat die Verpflichtung von DeSean Jackson seinem Deep-Passing-Game bisher nicht geholfen, während Winston gegen Pressure und den Blitz auch gegen Carolina wieder riesige Probleme hatte.
Dabei hat Winston nicht plötzlich vergessen, wie man die Quarterback-Position spielt, weshalb seine Stats auch teilweise gut aussehen. Aber er ruft seine Leistung bisher in dieser Saison zu keinem Zeitpunkt konstant ab. Das wird dann in ungenauen Pässen (am Sonntag mehrfach über die Mitte klar zu hoch), falschen Reads oder auch komplett selbstverschuldeten Interceptions deutlich. Doug Martin gefällt mir eigentlich gut über die letzten Spiele, letztlich geht dieses Team aber nur so weit, wie Winston es bringt. Und das ist aktuell nicht weit.
Dominik: Wenn man sich ansieht, wie schnell Houston seine Offense verändert hat, gilt die Ausrede bezüglich fehlendem Scheme-Fit bei Kaepernick auch nicht mehr?
Gute Frage, ich würde sie nur andersherum angehen: Kaepernick passt definitiv nicht in jedes Scheme, insofern ist die Aussage grundsätzlich nicht falsch. Aber wenn ein Coach bereit ist, sein Scheme anzupassen - etwa, wenn er keine bessere Quarterback-Alternative in Aussicht hat - dann gilt die Ausrede nicht.
Ich hatte Houstons Offense ja schon vor einigen Wochen ausführlicher beleuchtet. Die Kurzfassung: Viel Play Action und Run-Pass-Options, dazu Rollouts und einige Zone-Read-Plays. All das half dabei, das Spiel für Watson übersichtlicher und langsamer zu machen, und er hat das über die vergangenen Wochen mit enormen Fortschritten in puncto Reads und Pocket-Verhalten gedankt.
Diese Fortschritte sprechen für sein enormes Talent, und hier mag er Kaepernick durchaus überlegen sein. Eine auf das Run Game aufgebaute Offense mit Option-Spielzügen und einfacheren Reads und Pre-Snap-Anpassungen für den Quarterbacks traue ich Kaepernick aber ebenfalls schnell zu.
Danilinho: Midseason Awards?
MVP: Russell Wilson, QB, Seahawks. Wilson ist der Unterschied zwischen einem Seahawks-Team, das um den Titel mitspielen kann, und einem Seahawks-Team, das eher wie die Ravens aussehen würde. Brady war es über die ersten Wochen, zur Saisonmitte hat Wilson ihn überholt.
Offensive Player of the Year: Alex Smith, QB, Chiefs. Die gesteigerte Downfield-Aggressivität hat die Chiefs-Offense transformiert, eine Entwicklung, die man Smith nicht mehr zugetraut hätte. Und das trotz schwacher Pass-Protection. Läuft aber potentiell Gefahr, seinen Platz an Carson Wentz zu verlieren, falls der auch ohne Jason Peters so weitermacht. Auch Le'Veon Bell ist eine ernsthafte Alternative.
Defensive Player of the Year: DeMarcus Lawrence, DE, Cowboys. Dallas ist Scheme-bedingt darauf angewiesen, dass die Front ohne Blitzing Pressure erzeugt. Dafür sorgt Lawrence: 10,5 (!) Sacks über die ersten sieben Spiele, bildet gemeinsam mit David Irving plötzlich eines der spannendsten Pass-Rush-Duos der Liga.
Offensive Rookie of the Year: Deshaun Watson, QB, Texans. Unglaubliche Entwicklung, die ich ihm anhand seines College-Tapes so nie zugetraut hätte. Das Zusammenspiel aus den Scheme-Anpassungen, den Receivern und Watsons Fortschritten hat Houston ein komplett anderes Gesicht gegeben.
Defensive Rookie of the Year: Marshon Lattimore, CB, Saints. Wenn Watson den Texans ein anderes Gesicht gegeben hat, dann kann man das ebenfalls über Lattimore und die Saints-Defense sagen. Spielt absolut großartig, lässt kaum etwas zu und gibt New Orleans ganz neue Scheme-Freiheiten.
Comeback Player of the Year: Justin Houston, OLB, Chiefs. Spielte in der Vorsaison fünf Spiele und sah nie aus wie er selbst. Das ist dieses Jahr anders, schon jetzt hat er mehr Sacks (7) als 2015 und 2016 in insgesamt 16 Spielen zusammen gerechnet (6).
Coach of the Year: Mike Zimmer, Minnesota Vikings. Die Vikings bestreiten den Großteil der Saison mit ihrem dritten Quarterback und sind seit einigen Wochen ohne ihren Starting-Running-Back unterwegs. Auch der beste Receiver des Teams hat mehrere Spiele verpasst, während die Defense auf einem spektakulären Level agiert. Und Minnesota ist der Favorit auf den Division-Titel.
Ich freue mich auf die Diskussion.
Joni Soprano: Wie stehen die Chancen auf den Nummer-1-Seed für die Patriots nach Hightowers Ausfall?
Für mich sind die Patriots immer noch einer der drei Top-Favoriten - neben Kansas City und Pittsburgh -, wobei ich kein Team meilenweit vor den anderen sehe. Die Steelers sind aktuell für mich ganz vorne, weil Roethlisberger besser spielt und sich die Defense merklich steigert. Kansas City hat offensiv noch immer ein spektakuläres Potential und ist defensiv schlicht solide - die Patriots haben von den drei Teams die größte Diskrepanz.
Brady hat bisher viel kaschiert, über die vergangenen Wochen musste er das nicht mehr so intensiv. Ein gutes Zeichen. Das liegt vor allem daran, dass die Secondary endlich besser spielt. Wenn sich New England hier weiter steigert (und davon gehe ich angesichts der Qualität sowie der Coaching-Kompetenz aus), gibt das Belichick mehr Freiheiten, wie er mit seiner ohnehin komplexen Front spielen will.
Trotzdem wird die Front ohne Hightower vor allem gegen den Run, aber auch in puncto Flexibilität einen Rückschritt machen. Die große Frage wird sein: Wie viel davon können Brady und die Offense sowie die eigene Secondary ausgleichen? Ich denke, die Antwort hier ist: Eine ganze Menge. Und so bleibt es in meiner Prognose ein Dreigespann in der AFC.
Basti: Woran machst du es fest, dass die Liga so ausgeglichen wie lange nicht mehr ist?
Für mich liegt die Wurzel darin in einer Thematik, die ich in dieser Saison schon ein paar Mal angesprochen habe: Die fast ligaweiten Probleme in der Offensive Line. Grob gesagt können sich vier Teams vom Rest der Liga ein wenig absetzen: Die Steelers, die Eagles, die Chiefs und die Patriots. Drei davon haben entweder im Run-Blocking oder in Pass-Protection oder in beidem sehr gute Offensive Lines, das vierte mit Brady den aktuell besten Quarterback der Liga.
Teams wie die Chargers, Seahawks, Panthers, Bengals, Broncos oder auch die Lions hätten in der Theorie viele Puzzleteile beisammen, um ganz anders dazustehen - vorausgesetzt, die Offensive Line wäre nicht die Schwachstelle des Teams. Auch die Patriots könnten sich offensiv sogar nochmals klar besser präsentieren, Miami oder Arizona etwa hätte mit einer starken Line ein anderes Gesicht.
So sehen wir stattdessen eine Saison, die von sehr guten Defenses und einem Rückgang bei den Punkten pro Spiel geprägt ist - nicht umsonst hatten wir jetzt in der laufenden Saison schon so viele Shutouts wie in den vergangenen beiden Spielzeiten zusammen. Teams setzen stärker auf verschiedene Varianten des Run Games und niemand bietet aktuell ein komplettes Team auf. Kurz gesagt: Wir sehen die von der NFL gewollte Chancengleichheit in vollem Effekt. Auch wenn das nicht unbedingt die Qualität des Spiels in der Spitze anhebt.
Yannik: Siehst du eine Perspektive für die Colts, in den nächsten ein bis drei Jahren wieder ein Playoff-Team zu werden?
Auf jeden Fall! Für Indy war es im Prinzip ab dem Zeitpunkt eine verlorene Saison, als sich angekündigt hat, dass Andrew Luck doch länger ausfallen würde. Jacoby Brissett macht seine Sache im Rahmen seiner Möglichkeiten beachtlich gut, keine Frage - doch Indy hat noch immer kein vernünftiges Run Game und die Offensive Line ist auch mit Ryan Kelly eine riesige Baustelle. Positive Ansätze haben wir in der Defense gesehen, die Verletzung von Malik Hooker ist extrem bitter. Aber: Indy kann sich in der kommenden Offseason mit einem wieder fitten Luck eher auf einzelne Schwachstellen fokussieren, als wie in der vergangenen Offseason quasi die komplette Defense auszutauschen.
NiceGuysSanktPauli: Welchen QB verpflichten die Jaguars noch kurzfristig, um Contender zu werden?
Leider keinen. Die Team-Bosse sind der Meinung - Trades wie der für Marcell Dareus sowie das kolportierte Interesse an Calvin Johnson bestätigen mich da in meiner Vermutung -, dass die großartige Defense in Kombination mit dem Run Game und Qualität überall um Bortles herum reichen kann, um in die Playoffs und darüber hinaus zu kommen. Wenn sie bisher keinen Quarterback geholt haben, dann passiert jetzt auch nichts mehr.
bsg: Beenden die Bills ihre Durststrecke in Bezug auf die Playoffs?
Wünschen würde ich es ihnen allemal, und wenn wir ehrlich sind: Die AFC ist komplett offen. Patriots, Steelers und Chiefs sind auf meinem Playoff-Zettel, dazu natürlich ein South-Team. Wenn wir dann aber von den Wildcards sprechen, muss Buffalo neben Jacksonville/Houston aktuell der Favorit sein! Das Passspiel ist und bleibt wacklig und man muss abwarten, wie viele Spiele mit unter 200 Passing-Yards die Bills gewinnen. So lange die Defense und das Run Game aber so funktionieren, mit Taylor als offensivem X-Faktor, muss man Buffalo auf dem Zettel haben!