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Lamar Jackson und die einzigartige Ravens-Offense
Als ich im Sommer meine Preview-Analysen für die neuen Offenses geschrieben hatte, waren die Ravens wahrscheinlich die größte Wildcard. Zwei Fragen standen dabei im Fokus: Kann sich Jackson als Passer weiterentwickeln? Und kann das Run Game, das fraglos einen zentralen Platz in der Offense einnehmen würde, so effizient sein, dass daraus eine produktive Offense entstehen kann?
Nach neun Spieltagen sind die 49ers das einzige Team (durchschnittlich 37,9 Runs pro Spiel), das mehr läuft als die Ravens (37,4 Runs). Die Ravens haben die dritthöchste Run-Quote bei First Down (63 Prozent) und die vierthöchste bei Second Down (48 Prozent). Das einzige Team, das bei Runs bei First und Second Downs im Schnitt mehr Yards pro Run erläuft als die Ravens (5,1) sind die Cleveland Browns (5,3).
Insgesamt betrachtet führen die Ravens die Liga in Yards pro Run an (5,5) und Lamar Jackson läuft für herausragende 6,4 Yards pro Run, fünf Yards pro Lauf sind es bei designten Runs, also allem, was kein Scramble ist. Besonders interessant aber wird der Blick in die Advanced Stats.
Laut Expected Points Added ("EPA", eine genaue Erklärung gibt es hier und ich hatte in meinem Offseason-Analytics-Text ebenfalls eine kurze Erklärung eingebaut) ist Jackson der mit weitem, weitem Abstand effizienteste Runner in der NFL. Er stand bereits vor Week 9 bei 29,4 EPAs bei 83 Runs - Vikings-Back Dalvin Cook als der Zweitplatzierte hatte knapp halb so viele EPAs (15,4) bei fast doppelt so vielen Runs (156).
Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Ravens mit weitem Abstand den höchsten EPA/Run-Wert haben - und das auch bei designten Runs, während Jacksons Scrambles ein zusätzlicher X-Faktor sind. Baltimore ist brandgefährlich bei all den Option-Runs, zu denen wir gleich im Detail noch kommen, und nutzt diese auch bei über einem Drittel seiner Run-Plays.
Zudem hat sich Jackson gleichzeitig als Passer weiterentwickelt. Nicht auf ein Top-10-Passer-Niveau, aber er ist deutlich stabiler geworden. Dass er zu vereinzelt absolut perfekt platzierten Pässen in der Lage ist, das hat man auch im College schon gesehen. Seine Wurfbewegung ist deutlich fließender geworden, seine Beinarbeit beim Pass hat sich sichtbar verbessert.
In der Summe bekommt man so also eine Offense, die in puncto Rushing-Effizienz so weit vor dem Rest der Liga steht, dass das Run Game ein genauso elementarer wie einzigartiger Teil der Offense ist - während das Passspiel gefährlicher geworden ist.
So schlugen Jackson und die Ravens die Patriots-Defense
Das bekamen die Patriots zu spüren. Jackson war effizient Underneath, er bestrafte den Blitz mehrfach - und das, obwohl das Play-Action-Passspiel am Sonntagabend so gar nicht funktionierte.
Das Passspiel war so ein Teil der Rechnung, doch ganz wie es für Baltimore typisch ist, war das Run Game ein beachtlich großer Part. Die Ravens liefen für 212 Yards bei 39 Runs (Kneeldowns abgezogen) und hatten bei 24 Dropbacks 163 Passing-Yards. Jackson legte zwölf First Downs durch die Luft auf, elf First Downs erliefen die Ravens - fünf davon Jackson alleine.
Um zu verstehen, wieso das Run Game der Ravens so eindrucksvoll funktioniert und wieso Teams Lamar Jackson als Runner oftmals nicht in den Griff bekommen, obwohl man weiß, dass Baltimore den Ball laufen wird und wie Jacksons Rolle im designten Run Game aussieht, muss man sich einige der Kern-Konzepte der Offense anschauen - und die waren auch am Sonntagabend wunderbar zu beobachten.
Die erste hier dargestellte Szene zeigt eine ganz klassische Aufstellung für die Ravens-Offense. Baltimore spielt mehr "Pistol"-Formations (der Quarterback steht einige Yards hinter der Offensive Line, doch der Running Back steht hinter statt neben ihm. Letzteres wäre in der "Shotgun"-Formation der Fall) als irgendein anderes Team, und bevorzugt in dieser Variante: Mit Fullback Patrick Ricard, der bei knapp 24 Prozent der Offense-Snaps (und 25 Prozent der Defense-Snaps als Defensive End) auf dem Feld steht, neben Jackson.
Das gibt den Ravens eine weitere Blocking-Option und so kann man neue Run-Gaps kreieren, auf welche die Defense reagieren muss - und ist eines der Probleme, das Defenses mit Baltimores Run Game haben.
Die Pistol lässt Jackson mit Abstand zur Line of Scrimmage agieren, um die zahlreichen Zone Reads und anderen Option-Plays umzusetzen, gleichzeitig kann ein Downhill-Runner wie Mark Ingram mit Tempo bei der Ballübergabe ankommen. Das geht aus der Shotgun nicht, und ist für einige Running Backs ein echtes Problem.
Vor allem aber darf man eine Sache nicht unterschätzen: Teams in der NFL haben einen sehr begrenzten zeitlichen Spielraum im Training, wenn es unter der Woche darum geht, sich auf den nächsten Gegner vorzubereiten - und sich dann auf eine Offense vorzubereiten, die man so in der NFL nicht sieht, ist allein aus zeitlichen Gründen ein ernsthaftes Problem. Die Ravens präsentieren also bereits Formationen, die Defenses nicht gewohnt sind und dann müssen Verteidiger noch bei jedem Play unheimlich diszipliniert sein - und nicht selten gibt es keine richtige Antwort für die Defense.
So auch wie hier beim Run von Ingram, ein 13-Yarder aus der Pistol. Der blau markierte Verteidiger ist ungeblockt; das erledigt Jackson. Je nachdem, wie sich der Verteidiger verhält, entscheidet Jackson, ob er den Ball behält, oder ob er ihn zu Ingram pitcht und ihn laufen lässt. Jackson sorgt so für das zahlenmäßige Gleichgewicht im Run Game, das bei gewöhnlichen Quarterbacks oft fehlt. Plays wie dieser Option-Run sind im College an der Tagesordnung, in der NFL aber eben keineswegs offensiver Alltag.
Das zweite konstante Play in der Ravens-Offense ist der Zone Read, zu sehen bei Jacksons erstem Touchdown-Run am Sonntagabend:
Der Zone Read ist wahrscheinlich das, was die meisten Football-Fans direkt mit einer QB-Rushing-Offense verbinden. Die Idee ist auch hier simpel: Der Quarterback - und dafür ist die Pistol-Formation eben ideal (die 49ers haben das mit Colin Kaepernick ebenfalls intensiv gespielt, dessen damaliger Offensive Coordinator Greg Roman jetzt die Offense in Baltimore coacht) - liest einen Verteidiger, meist einen der Edge-Verteidiger.
Attackiert der Verteidiger ins Zentrum, behält der Quarterback den Ball und läuft nach außen. Agiert der Edge-Verteidiger abwartend, übergibt der Quarterback den Ball. So wird der ungeblockte Verteidiger essenziell durch die Entscheidung des Quarterbacks aus dem Spiel genommen.
Die Patriots machten es Jackson beim Touchdown ungewollt einfach, indem der Edge-Verteidiger ohne Absicherung Richtung Seitenlinie nach innen kam und Jackson so förmlich in die Endzone spazieren konnte.
Eine Option-Offense und der Effekt auf die Defense
Doch es geht auch komplizierter, wie etwa mit dieser Diamond Pistol Formation:
Mit einer Diamond-Formation garantiert man zunächst einmal, dass die Defense sich auf den Run fokussieren muss. Acht oder auch neun Verteidiger sind dagegen keine Seltenheit - es ist kein Zufall, dass sowohl Mark Ingram als auch Gus Edwards über 22 Prozent ihrer jeweiligen Runs gegen acht oder mehr Verteidiger in der Box laufen.
Doch die Frage ist dann, wie sich die Box nach dem Snap real gestaltet, und eines der Probleme mit Baltimores Pistol-Formations für die Defense besteht darin, dass es deutlich schwieriger ist, vor dem Snap zu erkennen, wohin der Run gehen soll.
In der Diamond-Formation bilden Quarterback und Running Back zunächst eine normale Pistol-Formation, allerdings stehen links und rechts vom Quarterback je potenzielle Blocker - in der Regel Fullbacks oder Tight Ends. Die Ravens bieten hier links noch einen Fullback auf, und ziehen die Defense so auf diese Seite; das ist eine Falle, auf die die Patriots reinfallen.
Denn die Idee hinter diesem Konzept, das in diesem Fall in einem Run über knapp 20 Yards für Jackson resultierte, besteht darin, die Box gewissermaßen aufzuteilen und die beiden Teile zu isolieren. Vier Patriots-Verteidiger stehen aus Sicht der Offense auf der linken Seite, diese Verteidiger muss die linke Seite der Offensive Line weg blocken.
Der Center hat einen direkten Gegenspieler und der Right Guard arbeitet schnell auf das Linebacker-Level, während die beiden Tight Ends gemeinsam mit dem Right Tackle als Pull-Blocker nach außen arbeiten - sie bilden den Schutzwall für den Quarterback, sollte er, wie es hier auch geschieht, den Ball behalten.
Zusätzlich spannend ist bei diesem Design, dass die Ravens nicht einen Edge-Verteidiger oder Safety lesen, wie man es normalerweise gewohnt ist; Jackson wartet stattdessen die Reaktion des Defensive Tackles (blauer Kreis) ab, und weil der Tackle sich nicht nach außen fallen lässt und zusätzlich noch der Linebacker auf dieser Seite nach innen attackiert - nochmal: Defenses haben Probleme, ihre Zuteilungen gegen diese Art Offense zu finden! -, ist es für Jackson eine leichte Entscheidung, den Ball zurück zu ziehen und hinter seinen Pull-BLockern nach außen zu marschieren.
Und all die Motions, die Reads für den Quarterback und auch Jacksons reine Athletik haben einen Effekt auf die Defense, das sieht man immer wieder - so auch bei Ingrams Run über mehr als 50 Yards, der den Touchdown zum Start des zweiten Viertels ermöglichte:
In dem Fall ist es kein Zone Read oder anderweitiges Option Play, es ist nicht einmal Play Action - und doch hat Jackson einen Effekt auf den Run. Jackson dreht sich nach dem Snap um und deutet einen Rollout an - woraufhin der Edge-Verteidiger (blauer Kreis) lange genug zögert, sodass er nicht nach innen crashen und Ingram attackieren kann. Als Ingram seinen Cut setzt und Downfield läuft, fehlen Kyle Van Noy zwei Schritte, um den Run vielleicht doch unterbinden zu können.
Baltimore hat eine unheimlich spannende Offense mit einem einzigartigen Quarterback. Lamar Jackson sollte diverse QB-Rushing-Rekorde im weiteren Saisonverlauf brechen und in der AFC ist in diesem Jahr kein Team unschlagbar - das haben die Ravens mit ihrem Sieg über New England eindrucksvoll untermauert.
Gleichzeitig wäre es ohne Frage äußerst spannend zu sehen, welche Anpassungen gerade eine flexible Defense wie die der Patriots in einem Playoff-Rematch vornehmen würde und ob die Ravens darauf dann Antworten hätten.
Letztes Jahr bereitete ihnen ein ähnliches Szenario mit dem Rematch in der Postseason gegen die Chargers große Probleme - doch diese Offense, und allen voran ihr Quarterback, hat eine merkliche Weiterentwicklung durchlaufen und New England hier nun schon zum wiederholten Male - ich hatte bereits letzte Woche über die Probleme in der Run-Defense gegen Cleveland geschrieben - Schwierigkeiten offenbart.