Ihr wollt Fragen an die SPOX-NFL-Kolumne stellen? Das geht direkt hier an den Autor!
Ängstliche Coaches, Buffalo, Cleveland, Henry - eure Fragen
pascaalho: Es wird ja viel gegen konservatives Play-Calling gesagt - ich kann das in vielen Situationen auch nachvollziehen. Wäre es für die Texans jedoch kurz vor Ende besser gewesen, auf sechs Punkte zu erhöhen, statt den vierten Versuch auszuspielen? So hätte Buffalo einen Touchdown gebraucht, um zu gewinnen.
Klares Nein von mir. Die Texans hätten ein einziges Yard gebraucht, um das Spiel de facto zu gewinnen - ohne die Gefahr, dass man das Heft des Handelns (= den Ball) nochmal an den Gegner abgibt. Das überwiegt für mich ganz klar, ohne jeden Zweifel.
Die größte Gefahr für die Texans in der Situation war es, das eigene Schicksal nochmal in die Hände der Bills-Offense zu legen - verhindern können hätte Houston das mit dem angesprochenen Yard. Selbst mit einem Field Goal, das ja auch erst einmal sitzen muss, hätte Buffalo das Spiel mit einem Touchdown gewonnen.
Gleichzeitig wäre für die Bills dann klar gewesen, dass man sehr aggressiv vorgeht und auch wirklich klar auf den Touchdown spielt, diesen Faktor muss man ebenfalls berücksichtigen. Die Analytics bestätigen O'Briens Entscheidung deutlich.
Es war ein klassisches Beispiel dafür, dass man als Team auf den Sieg geht, statt den scheinbar sichereren Weg zu wählen - nachdem Bill O'Brien selbst in der ersten Hälfte, etwa mit dem Punt innerhalb der gegnerischen Hälfte, hier auch bereits kräftig daneben gelangt hatte. Und damit war er keineswegs allein unter Coaches am Wildcard-Wochenende.
Die Bills waren in der ersten Hälfte merklich konservativ und zufrieden damit, auf Field Goals zu gehen und in kleinen Schritten die Führung auszubauen. Houston war in der ersten Hälfte extrem vorsichtig - nie war das deutlicher als beim Punt von der 37-Yard-Line der Bills gleich beim ersten Drive. Erst als man einen 0:16-Rückstand aufholen musste, nahm O'Brien den Fuß von der Bremse.
Die Patriots, die bis zum letztlich bedeutungslosen Pick Six in den Schlusssekunden mit einem Punkt Rückstand verloren, punteten im Laufe des Spiels gegen die Titans bei 4th&1 (eigene 47-Yard-Line), 4th&3 (Titans-47-Yard-Line) kickten ein Field Goal bei 4th&3 von Tennessees 18-Yard-Line und punteten bei 4th&4, drei Minuten vor dem Ende und mit einem Punkt im Rückstand von der eigenen 37-Yard-Line. Als New England den Ball zurückbekam, waren noch 15 Sekunden auf der Uhr. Jede dieser Entscheidungen von Belichick war hochgradig fragwürdig.
Dann wäre da das mehr als zweifelhafte Zeitmanagement der Saints gegen Minnesota - und, wie man fast erwarten musste, das Play-Calling der Seahawks. Seattle verzeichnete -0,41 Expected Points Added pro Run, ein absolut horrender Wert. Und selbst wenn man sich nicht mit Advanced Stats befassen will: Zieht man Russell Wilsons Runs (5 Scrambles für 48 YDS; vier designte Runs für -3 Yards) ab, dann liefen Seattles Running Backs für 19 Yards bei 17 Runs.
Und dennoch hielt Seattle daran fest. Immer wieder gab es Runs bei First Downs, Runs bei langen Second Downs - Seattle blieb, nicht unähnlich wie in der Wildcard-Runde vor einem Jahr gegen Dallas, stur bei einem nicht funktionierenden Run Game, während alle Big Plays im Passspiel kamen. Es war ein maßgeblicher Grund dafür, dass das Spiel gegen die Reste des Eagles-Kaders wesentlich länger als nötig eng war.
Es macht keinen Sinn, ohne Kontext und nur über Zahlen Spiele und Coaching-Entscheidungen zu analysieren, nur um das klarzustellen. Gleichzeitig war es gerade in diesen Spielen im Kontext der Partie und der Umstände so eklatant. Die Texans mussten davon ausgehen, dass sie ohne Fuller gegen diese Defense Probleme bekommen - warum dann auf Field Position spielen? Die Patriots wussten sowieso, dass ihre Offense extrem wacklig ist - warum dann nicht sich selbst mehr Chancen geben? Und die Seahawks müssen die Probleme im Run Game und die Tatsache, dass das immer wieder Drive-Killer waren, gesehen haben.
Mit Andy Reid und John Harbaugh ab sofort im Rennen rechne ich in der Divisional Runde mit deutlich sichtbar anderen Ansätzen.
TMC: Welcher von den gehandelten Coaches wäre für Baker Mayfields Entwicklung und die der Browns am besten und am förderlichsten?
Ich glaube, dass Mike McCarthy gar nicht so eine schlechte Wahl für Cleveland gewesen wäre. Ein erfahrener - und dafür in den meisten Fällen sehr geschätzter - Quarterback-Coach mit interner Autorität und einem gewissen Standing, der sich zusätzlich während seiner einjährigen "Auszeit" für neue Einflüsse geöffnet haben und etwa offen für Analytics sein soll? Das klingt in der Summe nicht nach dem schlechtesten Profil für die Browns und Mayfield.
Wir wissen inzwischen, dass der neue Coach nach der Entlassung von John Dorsey einen Einfluss auf die Wahl des neuen GMs haben wird - nicht umgekehrt. Das macht die Wahl des Coachs noch kritischer und womöglich noch mehr eine Weichenstellung für die Zukunft der Franchise. Zumindest, sorry Browns-Fans, für die nächsten ein bis zwei Jahre.
McCarthy ist natürlich vom Markt, also wer wäre noch zu haben? Greg Roman (OC Ravens), Eric Bieniemy (OC Chiefs), Robert Saleh (DC 49ers), Josh McDaniels (OC Patriots) - das sind so die größten Namen, die man hört und die sich entweder bereits mit den Browns getroffen, oder zumindest entsprechende Termine schon haben.
Eine Sache muss man dabei vorweg immer betonen: Welcher Kandidat letztlich ein guter Head Coach wird weiß niemand von uns. Das wissen ja nicht einmal die Teams selbst, und die haben viel mehr Hintergrundinformationen. Ein erfolgreicher Coordinator und ein erfolgreicher Head Coach zu sein, das sind völlig unterschiedliche Dinge. Ist der Kandidat gut in der Kommunikation mit Spielern, Coaches und dem GM? Kann er einen Trainerstab und ein Team anführen? Wie ist er im Umgang mit den Medien, in der Außendarstellung und seinem Auftreten in der neuen Rolle?
Für viele dieser Fragen gibt es erst Antworten, wenn jemand mal Head Coach war. Ich persönlich fände einen Neustart mit Bieniemy sehr spannend: Bieniemy gilt bereits seit Jahren als Head-Coach-Kandidat, hat lange unter Andy Reid, einem großartigen Head Coach, gelernt, sollte die Scheme-Aspekte und offensiven Ideen mitbringen und soll jemand sein, der in diese Anführer-Rolle, die ein Head Coach unweigerlich übernehmen muss, passen kann.
Dorsey hat in puncto Kaderzusammenstellung gute Arbeit in Cleveland geleistet, dennoch ist der Head-Coach-Posten durch seine Entlassung auch auf eine eigene Art interessanter geworden. Ein Coach wie Bieniemy, der keine Head-Coach-Erfahrung und somit womöglich nicht direkt das interne Standing wie ein McCarthy oder Ron Rivera hat, wird es ohne einen so starken, einflussreichen GM wie Dorsey vermutlich etwas leichter haben. Zumindest was die interne Arbeit angeht.
Florentin Bomhoff, Tim und Ivan_Sorensen: Was fehlt den Bills noch? Werden die Bills ihr Team zusammenhalten können, und wo siehst du die Baustellen, die Buffalo im Draft und in der Free Agency adressieren muss?
Zusammenhalten - das denke ich schon, ja. Die Bills haben nicht allzu viele gravierende und vor allem potenziell außergewöhnlich teure Free Agents. Shaq Lawson, Quinton Spain, von diesen Namen reden wir da in etwa. Und die Bills gehen Stand heute mit dem drittmeisten Cap Space in die kommende Free Agency, Geld ist also generell nicht das große Thema in Buffalo.
Ich bin bei den Bills vor allem optimistisch, weil ich glaube, dass auf den kritischen Verantwortungspositionen die richtigen Leute sitzen. Ich hatte die Bills nach der vergangenen Free Agency als meinen größten Gewinner eingestuft - weil sie sich einerseits sehr clever verstärkt hatten, andererseits aber dabei auch keine verrückten Verträge rausgehauen haben.
Insofern erwarte ich einen ähnlichen Ansatz. Die Bills werden vielleicht nochmals in die Offensive Line (Guard?) investieren, vielleicht gibt es noch einen physischen Possession-Receiver als Ergänzung zu Cole Beasley für das Kurzpassspiel und defensiv wäre mehr Tiefe für den Edge-Rush ein Thema. Falls Lawson geht umso mehr, doch auch mit dem Rücktritt von Lorenzo Alexander geht hier ein Stück Kadertiefe verloren.
Das offensichtliche Thema ist aber natürlich der Quarterback. Josh Allen hat in dieser Saison unbestreitbar Fortschritte gezeigt - auch in Bereichen, die ich so nicht erwartet hatte. Er ist ein guter, ein relativ konstant effizienter Underneath-Passer geworden und das darf Bills Hoffnung machen. Zumal er nach wie vor ein gefährlicher Scrambler und Runner insgesamt ist.
Letztlich steht aber die Frage über allem: Wie viel ist nach oben hin mit Allen möglich? Gegen Houston - wie auch einige Male vor allem in der ersten Saisonhälfte - hat er gezeigt, zu welch gravierenden Fehlern er noch immer neigen kann. Second-Reaction-Plays bleiben problematisch, doch die Entwicklung war klar sichtbar. 2020 wird eine kritische Saison für Allen sein. Ich bleibe bei ihm in der Summe skeptisch, wenn wir davon sprechen, ob er konstant ein Grund dafür sein kann, dass die Bills spiele gewinnen.
Spätestens nach der nächsten Saison sollten wir wissen, ob die Bills sich nach einer Alternative umschauen müssen.
Meko: Nach dem Spiel kann sich Henry Gedanken machen, ob er der bestbezahlte Running Back der Liga wird - sein Vertrag läuft aus. Was sollen die Titans machen?
Schauen wir auf das Spiel im Detail. Tennessee hat die Patriots mit dem Run Game und der Defense geschlagen, da besteht kein Zweifel. Man hatte den Eindruck, dass sie Ryan Tannehill bisweilen verstecken wollten, trotz dessen starker Saison; selbst im Play-Action-Passspiel, aus dem Tennessee in der Regular Season ungeheuer explosiv agiert hat und gerade auch bei Early Downs Defenses vertikal attackieren wollte, verlagerten sich die Titans am Samstagabend vermehrt auf kurze Pässe, Play-Action-Screens und dergleichen.
Das Ergebnis? Die Titans hatten ein spektakuläres Spiel von Henry, selbst als die Pats ihre Front umgestellt und auf Tennessees Ansatz reagiert hatten, konnte der Runs von sechs, sieben, acht Yards hinlegen. Dennoch gelang es Tennessee nie, davonzuziehen. Obwohl Henry individuell betrachtet der dominierende Spieler dieser Partie war.
Was sagt uns das? Wir sollten davon weg kommen, alles in generalisierende Schlussfolgerungen packen zu wollen. Die Erkenntnis bleibt in diesem Fall, dass ein herausragender Auftritt eines Running Backs aber eben mitnichten eine Garantie für einen herausragenden offensiven Auftritt ist und das Run Game trotzdem im Einzelfall ein wichtiger Grund für den Sieg sein kann. Die Titans-Offense hatte in der zweiten Hälfte 20 Henry-Runs und produzierte dabei acht First Downs sowie keinen Punkt.
Der Einfluss eines Running Backs auf das Spiel, da hat sich in meiner Meinung nichts geändert, ist auf eine Saison oder gar eine noch größere Sample Size betrachtet viel zu gering, als dass ich mein Team im Vakuum betrachtet auf der Basis guter Defense und des Run Games aufbauen würde. Insofern ein klares Nein von mir: Ich würde Henry nicht bezahlen um dann die Offense maßgeblich um ihn herum zu gestalten.
Wenn du mich allerdings fragst, was ich erwarte - dann sieht die Antwort anders aus. Ich rechne damit, dass die Titans Henry bezahlen werden.