Die Tennessee Titans sind die ultimative Wildcard
Die Schlagzeilen nach diesem Spiel werden den Chiefs gehören - Krisenstory ist meist interessanter als Erfolgsstory. Und ehrlicherweise ist es ja auch nicht so, als könnten wir die Titans plötzlich als Erfolgsstory einordnen; auch wenn es mehr als eindrucksvoll ist, dass Tennessee jetzt in aufeinanderfolgenden Wochen erst ein haarscharfes Spiel gegen Buffalo gewonnen und dann die Chiefs in ihre Einzelteile zerlegt hat.
Mein Argument dafür, dass ich bei den Titans als Division-Sieger auch über die ersten Wochen der Saison geblieben bin, war immer das Ceiling. Die Möglichkeiten dieses Teams nach oben sind einfach höher als die der Colts, von Houston und Jacksonville ganz zu schweigen. Und das lag immer an der offensiven Feuerkraft.
Die Möglichkeit, mit Julio Jones und A.J. Brown Eins-gegen-Eins-Coverage Outside konstant zu bestrafen, mit Derrick Henry leichte Boxes zu bestrafen und in Tannehill einen Quarterback zu haben, der gerade die Mid Range sehr gut attackiert und auch den einen oder anderen Deep Shot aus der Pocket Woche für Woche in seinem Arsenal hat - das macht Tennessee gefährlich. Und es gibt den Titans eine Chance, auch mit den Schwergewichten mitzuhalten.
Das erfolgreiche Dreieck in Music City
Es entsteht eine Wechseldynamik, die zunehmend schwer voneinander zu trennen ist: Weil Henry eine ungewöhnlich hohe Workload schultern kann und seine Physis auch in der Schlussphase eines Spiels noch eindrucksvoll anbringen kann, ist Tennessee gewillt und in der Lage, an Henry festzuhalten - auch wenn das Run Game nur bedingt funktioniert.
Die Hoffnung auf das Big Play ist immer da. Viele Defenses fangen früher oder später an, gerade bei Early Down, mehr Verteidiger in die Box zu stellen - davon profitiert Tannehill, der auch dieses Jahr wieder einer der effektivsten Early Down Passer in der NFL ist. Tennessee steht auf Platz 9 was Expected Points Added pro Dropback bei First Down angeht.
Auf der anderen Seite der Gleichung ist Tannehill generell einer der effektivsten Passer in der NFL, seitdem er in Tennessee als Starter übernommen hat, will sagen: er ist in der Lage, die Mid-Level-Shots und zahlreichen In-Breaking-Routes konstant zu treffen, was zu Big Plays führt; die Titans haben dafür die idealen Receiver und Tannehill hat bewiesen, dass er die Aggressivität und die Kontinuität in seinem Spiel hat, um diese Bälle immer und immer wieder zu treffen. Nicht nur, aber häufig via Play Action.
Das wiederum öffnet Räume im Run Game. Henrys Expected Rushing Yards schossen 2020 auf 4,88 Yards pro Run hoch, von 2016 bis 2018 kam er auf durchschnittlich 4,45 Expected Yards, also der durchschnittliche Raumgewinn, den einer seiner Runs via Blocking, Raum und dergleichen erzielen sollte. Und Henry profitierte von den Räumen: 2020 verzeichnete er im Schnitt 0,21 Rushing Yards mehr als die Expected Yards, 2019 waren es im Zuge des Quarterback-Tauschs nochmal deutlich mehr.
Derrick Henry ist die Ausnahme in der NFL
Es ist kein Zufall, dass Henry nicht dieser dominante Runner war, als er das Backfield noch mit Marcus Mariota teilte. Mit Mariota als Starting-Quarterback kam Henry über 49 Spiele auf 4,4 Yards pro Run und 50,7 Yards pro Spiel - seitdem Tannehill den Hawaiianer während der 2019er Saison ersetzte, stand Henry bis zu diesem Spieltag bei 5,4 Yards pro Run und 126,9 Yards pro Spiel.
Wir haben mehr als genug Daten, die eindeutig aufzeigen, dass der Running Back in der heutigen NFL vergleichsweise einfach austauschbar ist. Dinge wie Run Blocking, die Qualität der Passing Offense, Verteidiger in der Box und auch Field Position und Down und Distance sind in den allermeisten Fällen die kritischeren Variablen, wenn man nach der Formel für ein produktives Run Game sucht.
Der Browns-Sieg gegen Denver am Donnerstag wäre das jüngste ganz praktische Musterbeispiel dafür. Der Quarterback ist und bleibt für mich der zentrale Schlüssel, wenn wir über erfolgreiche NFL Offenses sprechen, und das Passspiel die wichtigste Komponente, wenn man eine konstant erfolgreiche Offense aufziehen will.
In Tennessee sind wir allerdings an einem Punkt angekommen, an dem ich zunehmend der Meinung bin, dass Running Back und Quarterback in puncto Relevanz mehr auf Augenhöhe agieren als in irgendeiner anderen Offense in der NFL aktuell. Weil kein anderer Back diese Workload schultern und dabei so eine permanente Gefahr im Laufe eines Spiels bleiben kann, was eben zu Möglichkeiten im Passspiel führt. Henry braucht Tannehill - aber Tannehill braucht Henry auch.
Und dieses Statement für sich betrachtet macht Henry zur Ausnahme in der NFL.