"Wo kommt denn dieser Tuchel her?"

Jochen Tittmar
08. Januar 201610:13
Andreas Ivanschitz spielt mittlerweile in den USAgetty
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Seit dieser Saison spielt Andreas Ivanschitz für die Seattle Sounders in der amerikanischen MLS. Im Interview spricht der frühere Mainzer über seinen Weg seit dem Weggang aus der Bundesliga, die Hoffnung auf die EM 2016 und gibt Einblicke in seine jahrelange Zusammenarbeit beim FSV mit Trainer Thomas Tuchel.

SPOX: Herr Ivanschitz, als 2013 nach vier Spielzeiten Ihr Vertrag in Mainz nicht mehr verlängert wurde, liebäugelten Sie bereits mit einem Wechsel in die MLS. Zunächst sind Sie aber bei UD Levante gelandet. Wieso hatte sich die MLS damals zerschlagen?

Andreas Ivanschitz: Kurz nachdem klar war, dass ich Mainz verlassen werde, hatte ich bereits zu den Seattle Sounders Kontakt. Ich habe dann aber zusammen mit meiner Familie entschieden, fürs Erste doch lieber in Europa bleiben zu wollen. Als die Möglichkeit aufkam, zu einem interessanten Klub in die erste spanische Liga zu wechseln, fand ich das sehr reizvoll. Die Primera Division hat mich schon immer interessiert und gehört natürlich zu den Top-Ligen der Welt, daher war das letztlich eine leichte Entscheidung.

SPOX: Beim FSV sagte Trainer Thomas Tuchel, dass es dem Verein sehr schwer gefallen sei zu entscheiden, Ihren Kontrakt nicht mehr zu verlängern. Wieso kam es zu keiner Einigung?

Ivanschitz: Wir haben nie konkret über Zahlen gesprochen. Deshalb konnte es ja gar nicht zu einer Einigung kommen. Der Verein hatte zunächst signalisiert, gerne mit mir verlängern zu wollen. Nach einem Gespräch mit Thomas Tuchel wurde dann entschieden, mir doch keinen neuen Vertrag mehr geben zu wollen. Das lief für mich letztlich relativ simpel: erst wollte man, dann doch nicht mehr und so stand dann fest, was Sache ist.

SPOX: Sie wechselten daraufhin nach Valencia zu UD Levante. Das kam überraschend, schließlich haben Sie in Mainz zu den Leistungsträgern eines Bundesligisten gehört.

Ivanschitz: Es gab zu einigen Bundesligisten Kontakt. Ich habe mir nach vier Jahren in Deutschland aber überlegt, ob ich nicht etwas Neues machen möchte. Es ist richtig, dass Levante kein Verein aus den Top-6 in Spanien ist. Doch die Herausforderung und Aussicht bei Levante, einem Verein mit einem ruhigen Umfeld, gegen Klubs wie Barcelona oder Real Madrid zu spielen, hat dann über die Anfragen aus der Bundesliga gesiegt.

SPOX: Während es dort im ersten Jahr noch gut für Sie lief, pendelten Sie besonders in den letzten Wochen der Vorsaison zwischen Tribüne und Bank. Sind Sie in dieser Zeit auch mal ins Zweifeln geraten, wie es mit Ihrer Karriere genau weitergehen wird?

Ivanschitz: Meine Situation wurde in der Tat schwierig, zumal ich mich dort eben grundsätzlich sehr wohl gefühlt habe. In den letzten vier, fünf Monaten hat sich das jedoch in eine Richtung entwickelt, bei der ich gemerkt habe, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Nachdem klar war, dass Trainer Lucas Alcaraz, der mittlerweile entlassen ist, bleiben würde, hat sich mein Abschied angedeutet. Ich wäre gerne in Spanien geblieben, aber eine solche Situation kann im Profisport einfach auftreten. Das muss man akzeptieren können.

SPOX: Als Sie sich mit Levante auf die Auflösung Ihres Vertrags einigten, mussten Sie sich nach einem neuen Arbeitgeber umschauen. Haben Sie da den Wechsel in die USA forciert?

Ivanschitz: Nein, die USA hätte es nicht zwangsläufig sein müssen. Ich war in alle Richtung offen. Als Seattle dann jedoch erneut an mich herangetreten ist, dachte ich, es würde mit knapp 32 Jahren nun einfach gut passen. Ich hatte die MLS ja irgendwo immer im Hinterkopf. Das sportliche Niveau dort hat sich verbessert und ist längst viel interessanter geworden. Dazu kombiniert mit der Möglichkeit, einmal in Amerika zu leben und diese persönliche Erfahrung kennen zu lernen. Mir war schon immer wichtig, meine beruflichen Entscheidungen so zu treffen, dass damit auch ein klarer Mehrwert für meine Familie verbunden ist.

SPOX: Manche werteten Ihre Stationen nach Mainz als Rückschritt. Nachvollziehbar oder überzogen?

Ivanschitz: Das sind öffentliche Meinungen, die jeder wie er möchte vertreten darf. Daran werde ich nichts ändern können. Ich sehe das naturgemäß vollkommen anders, da ich der Meinung bin, dass die unterschiedlichen Stationen meiner Karriere immer ganz gut zu mir gepasst haben. Ich habe den Großteil meiner Zeit überall eine gute Rolle gespielt. Ich bin von Griechenland in die Bundesliga gekommen und dann in die Primera Division gewechselt - daran kann ich keinen Fehler erkennen. Bei einem Transfer müssen viele verschiedene Komponenten zusammenpassen. Das stellt man sich in der Öffentlichkeit vielleicht häufiger leichter vor, als es tatsächlich ist.

SPOX: Als Sie nach Mainz kamen, wurde nur einen Monat später der Trainerwechsel von Jörn Andersen zu Thomas Tuchel vollzogen. Kam Ihnen das im ersten Moment ungelegen?

Ivanschitz: Naja, wir waren eben überrascht und dachten: Wo kommt denn dieser Tuchel her? (lacht) Als er das erste Mal in der Kabine vor uns stand, sprühte er vor Energie. Er hatte eine große Ausstrahlung und war mit Freude bei der Sache. Auch wenn wir ihn kein bisschen kannten, waren wir von der ersten Minute an sehr offen und ließen uns von ihm anstecken. Da wenige Tage später bereits das erste Bundesligaspiel anstand, blieb gar nicht viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, ob das mit dem neuen Trainer für mich persönlich auch funktionieren würde.

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SPOX: Sie haben in Ihrer ersten Saison unter Tuchel bestens funktioniert, nach elf Partien standen Sie bei sechs Toren und sechs Assists. Wie sah Ihre persönliche Beziehung zueinander aus?

Ivanschitz: Dieser Start war für uns beide sehr wichtig, wir haben voneinander profitiert. Ich wurde auf Anhieb zum Führungsspieler, er hatte zum Start in seine erste Profistation sofort Erfolg. Natürlich ist es dann so, dass man in vier Jahren enger Zusammenarbeit an manchen Stellen auch mal aneckt oder Meinungsverschiedenheiten hat. Tuchel gab viel Feedback an die Spieler ab, war sich aber auch nicht zu schade, Rückmeldungen aus der Mannschaft zuzulassen und sich wenn nötig anzupassen.

SPOX: Tuchel hat zügig viele Dinge verändert und mit einigen Konventionen gebrochen. Wie nahmen Sie das wahr?

Ivanschitz: Jede Trainingswoche unter ihm war sehr fordernd und anspruchsvoll, auch für den Kopf. Man musste immer aufmerksam und konzentriert sein, um das für das kommende Wochenende ausgelobte System zu verstehen und zu verinnerlichen. Das war ihm auch sehr wichtig. Er hat es uns aber dahingehend leicht gemacht, indem er vorab per Videositzungen genau erklärt hat, weshalb er in diesem oder jenem System gegen den nächsten Gegner antreten möchte. Die Trainingseinheiten waren teilweise sehr speziell, aber ich denke, dass das einfach seine Methode war, um die Bereitschaft der Spieler hochzuhalten.

SPOX: Wurde darüber innerhalb des Teams gesprochen?

Ivanschitz: Wir haben das im Mannschaftskreis gar nicht diskutiert, sondern einfach umgesetzt, weil es eben sehr viel Spaß gemacht hat. (lacht) Tuchel hat uns viele Wege aufgezeigt, wie wir die Gegner schlagen können. Er hatte eigentlich immer Recht, so dass wir ihm auch bereitwillig gefolgt sind.

SPOX: Tuchels berühmt gewordene Matchpläne orientierten sich sehr stark an der Analyse von Stärken und Schwächen des Gegners. Stand der Matchplan zu Beginn einer Woche fest, baute der Rest darauf auf. Wie sah der genaue Ablauf aus?

Ivanschitz: Er hat zunächst der gesamten Mannschaft die Verhaltensweisen des kommenden Gegners per Video aufgezeigt, so dass wir wussten, wo Stärken und Schwächen liegen. Das war sehr gut aufbereitet und vor allem enorm detailliert. Es wurde aber auch erklärt, wie man sich individuell auf seiner Position zu verhalten hat. Manche Dinge hat er dann auch erst auf dem Trainingsplatz genauer verdeutlicht. Im Anschluss wusste dann aber eigentlich jeder, was auf ihn in unterschiedlichen Spielsituationen zukommen wird.

SPOX: Wie ist Tuchel ansonsten gegenüber der Mannschaft aufgetreten?

Ivanschitz: Er war sehr offen und direkt. Man hatte nie das Gefühl, er würde gegenüber der Truppe etwas verbergen. Wenn die Mannschaft sich etwas hat hängen lassen oder er einfach mehr von ihr verlangte, dann hat er das sofort auf den Punkt gebracht und ohne Umschweife angesprochen - ob mit einzelnen Spielern oder in Gruppen. Er ist als Trainer sehr professionell und erfolgsorientiert.

SPOX: In Ihrer zweiten Saison unter ihm ließ Tuchel noch mehr rotieren als zuvor. Für Sie standen dann nur noch drei Spiele über 90 Minuten zu Buche. Tuchel meinte, dass Sie auch immer mal den berühmten Arschtritt bräuchten, um ihr volles Potential abrufen zu können.

Ivanschitz: In gewisser Weise schadet es wohl keinem Profi, wenn er mal angestachelt wird. Tuchels Arschtritte haben mich provoziert, aber damit hatte ich keine Probleme. Im Gegenteil, ich habe das vollkommen akzeptiert, weil ich unter dem Strich ja genauso wie er nur den Erfolg im Sinn hatte. Und es hat ja in vielen Fällen auch der Mannschaft und mir geholfen. Das war also ein probates Mittel des Trainers. (lacht)

SPOX: Mit Seattle sind Sie Anfang November im Halbfinale um die MLS-Meisterschaft gescheitert, für die österreichische Nationalelf standen Sie seit Beginn der EM-Qualifikation nicht mehr im Aufgebot. Ist die EM im kommenden Jahr dennoch Ihr großes Ziel?

Ivanschitz: Ich habe nach wie vor Kontakt zu Trainer Marcel Koller und stehe auf Abruf. Ich bin absolut bereit und werde da sein, wenn man mich brauchen sollte. Das weiß der Trainer auch. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf meine Leistungen zu konzentrieren.

SPOX: Einen Rücktritt wird es aber nicht geben?

Ivanschitz: Aktuell nicht. Solange ich gesund bin, ist der Wunsch weiterhin da, wieder für das Nationalteam aufzulaufen. Dieses Kapitel werde ich nicht frühzeitig beenden.

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