Die Generalprobe für das Topspiel gegen den FC Bayern ist gelungen: Der BVB hat in der Champions League mit 4:1 beim FC Sevilla gewonnen. Während die Defensive erneut Schwächen zeigte und ein Mittelfeldspieler sich ernsthafte Gedanken über seine Zukunft machen muss, setzte Jude Bellingham ein Ausrufezeichen. In der Stürmer-Debatte kann es zudem nur noch eine Antwort geben. Vier Thesen zu Dortmunds Sieg.
BVB: Die Defensive ist auf Mats Hummels angewiesen
Durch den 4:1-Sieg hat der BVB einen wichtigen Schritt Richtung Achtelfinale gemacht und den direkten Konkurrenten aus Sevilla deutlich auf Abstand gehalten (fünf Punkte Vorsprung). Drei Tore besser als die Gastgeber war Dortmund allerdings nicht. So war es nach dem Spiel auch nicht überraschend, dass sich Trainer Edin Terzic erklären musste.
"Es war auch nicht alles gut heute", bilanzierte er und sprach die 2:3-Niederlage in Köln am Wochenende von sich aus an: "Wir vergessen nicht, was am Samstag passiert ist." Dort hatte Dortmund sogar zwei Treffer kurz nach der Halbzeit kassiert. Anders als bei der dritten Bundesliga-Pleite der Saison ließ die Borussia gegen Sevilla aber auch schon vor der Pause trotz der frühen Führung (6.) reichlich Chancen zu. "Es hätte auch anders enden können", merkte Julian Brandt an.
Das lag allen voran daran, dass sich er BVB nach dem 1:0 unnötig tief fallen ließ und an der abermals schlecht organisierten Abwehr um das neu formierte Innenverteidiger-Duo Niklas Süle und Nico Schlotterbeck. Weiterhin fehlt es bei den beiden Neuzugängen an der Abstimmung, der Ausfall von Mats Hummel überwog einmal mehr.
Über weite Strecken des Spiels lieferten sich Sevilla und der BVB einen offenen Schlagabtausch, am Ende hatten die Anadalusier mit 20 Abschlüssen sogar einen mehr als das Terzic-Team auf dem Konto. Keeper Alexander Meyer wurde zu mehreren Glanzparaden gezwungen. Keine Neuheit: Hummels' Fehlen hatte sich in der Bundesliga schon dreimal deutlich bermerkbar gemacht.
Bei den Pleiten gegen Köln und RB Leipzig (0:3) kam der 33-Jährige gar nicht zum Einsatz - das hatte jeweils drei Gegentore zur Folge. Und auch bei der dritten Niederlage (2:3 gegen Werder Bremen) war auf der Gegnerseite eine Drei zu lesen. Hummels begann zwar, wurde aber in der 62. Minute angeschlagen ausgewechselt. Die drei Gegentore kassierte der BVB in den Schlussminuten.
Hummels, einer von vielen in Dortmunds Lazarett, fehlte zuletzt mit einer Erkältung. Gegen den FC Bayern am Samstag wird seine Rückkehr in den Kader erwartet - angesichts der Zahlen wird Terzic zu Beginn kaum auf seinen mit Abstand konstantesten Innenverteidger verzichten.
gettyBVB: Youssoufa Moukoko muss gegen Bayern spielen
Seit Wochen muss sich Terzic mit der Frage nach dem Stürmer Nummer eins herumschlagen. Nach dem Spiel gegen Sevilla dürfte diese Frage vorerst geklärt sein: An Youssoufa Moukoko führt kein Weg vorbei. Zumal Anthony Modeste, bis auf sein einziges Tor gegen Hertha BSC, noch überhaupt kein Faktor im BVB-Trikot ist.
Moukoko erzielte in Sevilla zwar kein Tor, war aber deutlich besser eingebunden in das Spiel als zuletzt Modeste. Vor dem 3:0 zeigte er seine Klasse am Ball, das 4:1 bereitete der 17-Jährige clever vor. Auch wenn er mit 22 Ballaktionen die wenigsten aus der Startelf hatte, schöpfte er aus diesen nahezu das Maximum aus. Er brachte acht seiner neun Pässe an den Mann, kreierte zwei Chancen (darunter eine Großchance) und schloss viermal selbst ab.
Von Terzic gab es anschließend das verdiente Sonderlob: "Er war von Anfang an da. Was mir richtig gut gefallen hat, auch wenn er nicht getroffen hat, war, dass er an sehr vielen Offensivaktionen beteiligt war. Er hat sich immer wieder in den Gegner reingestemmt". Zudem habe er den Ball für seine Mitspieler "herausragend" festgemacht, obwohl dies "nicht seine Paradedisziplin" sei.
Daran habe das Trainerteam "sehr viel mit ihm gearbeitet, auch in der Nationalmannschaft mit der U21 ist das immer wieder ein Thema", ergänzte der BVB-Coach. Schließlich sei das Talent "nicht der größte Stürmer". Mit einer Körpergröße von 1,79 Metern ist Moukoko ein gutes Stück kleiner als Modeste (1,88 m) und der an Hodenkrebs erkrankte Sébastien Haller (1,91 m).
Dennoch muss sich Moukoko die Anmerkung gefallen lassen, dass es bei seiner Effizienz vor dem Tor noch deutlich Luft nach oben gibt. Zu viele aussichtsreiche Chancen ließ er in der Vergangenheit, so auch gegen Sevilla, liegen. Seine bisherige Ausbeute von zwei Saisontoren kann er aber freilich nur bemerkbar ausbauen, wenn er häufiger von Beginn an spielt - und gegen die Bayern spricht kaum etwas gegen seinen vierten Startelf-Einsatz in dieser Spielzeit.
BVB in der Champions League: Die Tabelle
Platz | Team | Spiele | Tore | Diff. | Punkte |
1 | Manchester City | 3 | 11:1 | 10 | 9 |
2 | Borussia Dortmund | 3 | 8:3 | 5 | 6 |
3 | FC Sevilla | 3 | 1:8 | -7 | 1 |
4 | FC Kopenhagen | 3 | 0:8 | -8 | 1 |
BVB: Jude Bellingham ist der beste Teenager der Welt
In Bayern Münchens Jamal Musiala (19), Pedri (19) oder Gavi (18) vom FC Barcelona gibt es derzeit reichlich Teenager mit Weltklasse-Format, einem kann aktuell aber niemand das Wasser reichen: Jude Bellingham.
Der 19-Jährige stellt Woche für Woche unter Beweis, welche Wichtigkeit er für seinen Verein hat. So auch beim 4:1-Sieg des BVB in Sevilla, bei dem er zum zweiten Mal in Serie die Kapitänsbinde trug und mit einer "exzellenten" Leistung (Terzic) wieder einmal den Unterschied machte - als Leader, Torschütze und Assistgeber.
Das 1:0 von Raphaël Guerreiro bereitete er mit einem traumhaften Diagonalball über das halbe Feld - wohlgemerkt mit seinem schwachen linken Fuß - vor, das 2:0 erzielte er nach einem sagenhaften Sololauf gegen die beinahe gesamte Sevilla-Defensive selbst. Es war obendrein sein dritter Treffer im dritten Gruppenspiel. Damit ist er nicht nur der beste Torschütze des BVB in der bisherigen Champions-League-Saison, sondern auch der zweite Spieler nach Erling Haaland, dem dies vor dem Erreichen des 20. Lebensjahrs gelungen ist.
Trotz seines Alters tut man sich beim Gedanken an Bellingham schon fast schwer, das Wort "komplett" auszulassen. Egal, ob auf der Sechs, Acht oder wie in Andalusien als offensiver Part im 4-3-3 hinter den Spitzen: der Engländer liefert. Kein anderer in dieser Altersklasse verfügt über dieses Selbstverständnis und diese Reife - auf sowie abseits des Platzes. Letzteres unterstrich sein gewohnt abgeklärter Auftritt am DAZN-Mikrofon nach Abpfiff.
"Das war die Reaktion, die wir zeigen wollten. Drei Tore in der ersten Halbzeit haben es uns erlaubt, etwas entspannter in die zweite Halbzeit zu gehen", sagte Bellingham und schob damit auch die Kritik an dem teilweise wilden Schlagabtausch gegen Sevilla gekonnt beiseite.
Darüber hinaus verpasste Bellingham seit seinem Wechsel (2020 von Birmingham City) lediglich drei Spiele verletzungsbedingt. Einzig die Ungewissheit über seine Zukunft dürfte den BVB-Verantwortlichen Sorgenfalten bereiten. Die Top-Klubs stehen schließlich schon länger Schlange.
BVB: So verspielt Emre Can seine Zukunft
Als Emre Can im Sommer 2020 für 25 Millionen Euro von Juventus Turin nach einer halbjährigen Leihe fest verpflichtet wurde, erhoffte sich der BVB, die Antwort auf die viel diskutierte Mentalitätsfrage gefunden zu haben. Schon von vielen als Heilsbringer gefeiert, hat sich sein Status in der Mannschaft knapp drei Jahre später jedoch völlig verändert.
Can kam als Nationalspieler, glänzte mit einigen guten Leistungen und war lange Zeit gesetzt. Inzwischen spielt er weder im DFB-Team noch in Dortmund eine besonders gute Rolle. Gegen Sevilla wurde er erst zum dritten Mal in dieser Spielzeit in die Startelf berufen. Das war allerdings wohl hauptsächlich dem Umstand geschuldet, dass Terzic nach den Ausfällen von Marco Reus und Mahmoud Dahoud dazu gezwungen war, sein Mittelfeld umzubauen. Die Systemumstellung - weg von seinem bevorzugten 4-2-3-1 - war bezeichnend.
Im zentralen Mittelfeld ist Can hinter Dahoud, Salih Öczan und Jude Bellingham die klare Nummer vier. Gleiches gilt für seinen Rang in der Innenverteidigung. Hummels, Schlotterbeck oder Süle zu verdängen, liegt in weiter Ferne. Sein zerfahrener Auftritt inklusive dickem Bock in Sevilla (SPOX-Note 4,5, schlechtester BVB-Spieler) half auch nicht wirklich, diesen Status zu verändern. Ganz im Gegenteil.
Der einst so sicherere Rückhalt ist schon seit geraumer Zeit ein Schatten seiner selbst. Eine Partie ohne Fehler ist zur Seltenheit geworden. Auch bei seinem ersten Startelf-Einsatz in dieser Saison gegen Manchester City unterlief ihm ein Lapsus, der sogar zu einem Gegentor führte (1:2).
Wenn Can nicht schleunigst seinen Ruf als Unsicherheitsfaktor verliert, muss er sich ernsthafte Gedanken über seine Zukunft machen. Und selbst wenn er wieder diesen ablegt, ist für den gebürtign Frankfurter erstmal kein Vorbeikommen an der großen Konkurrenz. Nicht von ungefähr hielten sich im Sommer die Gerüchte, wonach er zu den Verkaufskandidaten gehört. Klar: Mit 28 Jahren befindet sich Can im besten Fußballeralter. Den bis 2024 laufenden Vertrag zu erfüllen, wäre mit der derzeitigen Perspektive aber womöglich ein Karrierekiller.
Emre Can: Leistungsdaten beim BVB
Saison | Pflichtspiele | Einsatzminuten | Tore | Assists |
2019/20 (nur Rückrunde) | 15 | 1.136 | 2 | 1 |
2020/21 | 40 | 3.142 | 2 | 5 |
2021/22 | 28 | 1.941 | 5 | 1 |
2022/23 | 9 | 311 | - | - |