Paderborns Christian Strohdiek im Interview über das Bayern-Duell, Lewandowski und seine Karriere

Lino Wilczewski
27. September 201911:00
Christian Strohdiek hat mit dem SC Paderborn viele Höhen und Tiefen erlebt.getty
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Kaum ein Fußballer hat wohl in den vergangenen Jahren eine sportliche Achterbahnfahrt erlebt wie Christian Strohdiek mit dem SC Paderborn. Innerhalb von fünf Jahren stürzte der Verein aus der Bundesliga in die Regionalliga ab und schaffte es wieder ganz nach oben. Im Interview mit SPOX und Goal spricht Strohdiek über das emotionale Auf und Ab, fragile Teamchemie und die Begehrlichkeiten von Bundesligaprofis.

Außerdem erzählt das Paderborner Eigengewächs von seiner besonderen Bindung zum SCP, geteilten Fanherzen, zu hohen Ansprüchen, Erinnerungen an den verstorbenen SCP-Präsidenten Wilfried Finke und besonderen Routinen vor Spielen gegen den FC Bayern.

Herr Strohdiek, Sie sind in Elsen aufgewachsen, einem Stadtteil Paderborns. Wie war es für Sie, für Ihren Heimatverein aufzulaufen und ihn mit in die Bundesliga zu führen?

Strohdiek: Für Paderborn zu spielen, war für mich etwas ganz Besonderes. Einem Jugendlichen, der es in den höherwertigen Fußball schafft, tun sich viele Optionen auf. Es gibt viele, die dann andere Wege einschlagen müssen - ab ins Internat, weit weg von zuhause. Ich hatte das große Glück, dass ich direkt vor der Haustür spielen durfte. Es ist natürlich schön, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte und den so nah bei meiner Familie ausüben darf - das ist sehr selten.

Nach dem ersten Aufstieg im Jahr 2014 herrschte in der Paderborner Innenstadt eine totale Euphorie, im Radio liefen Paderborn-Songs auf und ab. Wie haben Sie es damals erlebt, besonders nach der rasanten Rückrunde?

Strohdiek: Es war natürlich unglaublich, dort um den Aufstieg zu spielen. Wir waren ja lange in der Verfolgerrolle und als sich das drehte, haben wir schon gemerkt, dass wir immer mehr in den Fokus rückten. Als wir gegen Aalen ins Aufstiegsspiel gingen, war die ganze Stadt schon darauf eingestellt, dass die Feierei bald losgeht. Und als es dann endlich soweit war, waren die Freude und die Erleichterung riesengroß. Die ganzen Eindrücke konnte man an diesem Abend noch gar nicht richtig verarbeiten, das kam erst mit der Zeit.

In der Saison 2013/14 schaffte Christian Strohdiek (u.) mit dem SC Paderborn den ersten Bundesligaaufstieg der Vereinsgeschichte.getty

Strohdiek: "Der Erfolg weckt Begehrlichkeiten"

Paderborn ist in seiner jetzigen Form noch ein vergleichsweise junger Klub, weshalb es in der Stadt und im Umkreis immer viele Schalke- oder Dortmund-Fans gab. Haben Sie diesbezüglich nach dem Aufstieg einen Umschwung erlebt?

Strohdiek: Es war damals definitiv so, dass die Leute einerseits einem Bundesliga-Klub die Daumen drückten und andererseits eben Paderborn, weil der Verein hier vor der Haustür war. Da sagte man: "Komm, wir gehen eben nach Paderborn ins Stadion", aber die Aufmerksamkeit galt außerdem Dortmund, Schalke oder den Bayern. Das hat sich mittlerweile schon verändert, vor allem viele junge Leute können sich jetzt auch voll mit unserem Verein identifizieren - besonders nach allem, was wir in den vergangenen Jahren durchgemacht haben. Seit wir in der Bundesliga sind, sagen weniger Fans "Eigentlich drücke ich zwei Vereinen die Daumen", sondern viel häufiger "Paderborn ist mein Verein".

Sind die Ansprüche der Fans 2014 vielleicht zu schnell gestiegen, besonders im Hinblick auf das vergleichsweise kleine Budget des SCP?

Strohdiek: Ich glaube, dass wir durch unsere Leistung am Anfang der Saison auch selbst für diese Euphorie verantwortlich waren. Weil wir zeigten, dass wir spielerisch und fußballerisch unseren berechtigten Platz in der Liga hatten. Wir haben das Ganze nicht auf die leichte Schulter genommen, und die Fans haben das gemerkt und uns ein Stück weit getragen. Die Spieler zusammen mit den Fans, die Fans mit dem Verein - das hat für ein "Wir-Gefühl" gesorgt, das es vorher so noch nicht gegeben hatte.

Der Verein hat vor seiner ersten Bundesligasaison 2014/15 verhältnismäßig viel investiert, um das Team mit erfahrenen Spielern zu verstärken. Hat sich dadurch das Gefühl in der Mannschaft verändert? Könnte das mitverantwortlich für den anschließenden Absturz bis in die 3. Liga gewesen sein?

Strohdiek: Der Verein ist damals die Strategie gefahren, zu investieren, um die Liga zu halten - was uns am Ende leider nicht geglückt ist. Aber es ist schwierig, das jetzt auf einen Punkt zu reduzieren. Ein Teamgefühl gab es schon, das sah man auch an den Erfolgen in der Hinrunde. Aber Erfolg weckt eben auch Begehrlichkeiten. Es gibt natürlich Spieler, die von anderen Vereinen umworben werden oder in Situationen kommen, in denen sie von Spielerberatern oder der eigenen Familie unter Druck gesetzt werden. Da heißt es dann: "Ewig kannst du nicht in Paderborn spielen, wenn du ein Angebot von Verein XY bekommst." Wenn du mit Paderborn in der ersten Liga spielst und andere Erstligisten anklopfen, ist klar, dass sich für einen Spieler zahlreiche Alternativen öffnen. Das war in vielen Köpfen drin, denke ich.

Die Achterbahnfahrt des SC Paderborn

SaisonSpielklassePlatzierung
2013/142. Bundesliga2.
2014/15Bundesliga18.
2015/162. Bundesliga18.
2016/173. Liga18.*
2017/183. Liga2.
2018/192. Bundesliga2.
2019/20Bundesliga18.

*Nach dem sportlichen Abstieg blieb Paderborn wegen Lizenzproblemen des TSV 1860 München in der 3. Liga.

Strohdiek: "Wir befanden uns in einer Negativspirale"

Sie selbst haben die Saison 2015/16 in Düsseldorf verbracht, nach Ihrer Rückkehr zum SCP ein Jahr später aber den sportlichen Abstieg aus der dritten Liga miterlebt. Welche Herausforderungen brachte das mit sich? Zunächst der rasante Aufstieg und nun das Gefühl, als ginge es immer weiter bergab.

Strohdiek: Wir befanden uns einfach alle in einer Negativspirale, auch da hat wieder jeder auf sich selbst geguckt. Gerade nach dem Abstieg stand man vor dem Nichts: Wie machen wir weiter? Wie gehen die einzelnen Spieler damit um? Schafft man es nächstes Jahr überhaupt finanziell, eine Mannschaft aufzustellen? Und als Spieler überlegt man, ob es eine Option ist, in Paderborn zu bleiben.

Wann haben Sie sich dafür entschieden?

Strohdiek: Für mich war klar, dass ich nicht einfach gehen werde und sage: "Ich hab es ja versucht." Ich habe dem Verein relativ früh signalisiert, dass die anderen Jungs und ich bereit sind, das Geschehene wiedergutzumachen. Wir sagten uns: "Wir packen das an und bleiben auch in der vierten Liga."

Zum Abstieg kam es allerdings nicht, weil 1860 München keine Lizenz bekam.

Strohdiek: Die Zeitspanne, in der wir abwarten mussten, ob wir nun absteigen oder nicht, war nicht so einfach. Ich glaube, jeder von uns kann sich noch daran erinnern, wie man ständig aufs Handy guckte und die Nachrichten aktualisierte. Bis dann letztendlich feststand, dass wir die Klasse doch gehalten hatten und im kommenden Jahr wieder in der dritten Liga spielen dürfen.

Strohdiek über Bundesliga-Visionen: "Da haben sie ganz laut gelacht"

Kaum jemand hat den Verein so geprägt wie der langjährige Präsident Wilfried Finke, der nie scheu war, wenn es darum ging, seine Meinung zu sagen. Im Januar 2019 ist er gestorben. Woran denken Sie, wenn Sie seinen Namen hören?

Strohdiek: Er war der Chef des Fußballs in Paderborn. Was Wilfried Finke für die Stadt und den Verein geleistet hat, wird in Paderborn niemand vergessen. Ich habe an ihm geschätzt, dass er ein Typ mit Ecken und Kanten war, der auch unangenehme Themen angesprochen hat, wenn er es für nötig hielt. Dass er bisweilen schwierige Entscheidungen treffen musste, gehört dazu. Er hat sich immer schützend vor den Verein gestellt und alles für dessen Wohl getan. Wilfried Finke ist einem Atemzug mit dem SC Paderborn 07 zu nennen.

Besonders weil er den SC Paderborn in seiner jetzigen Form erschaffen hat. Von der Namensgebung über die Finanzierung bis hin zum Bau eines neuen Stadions.

Strohdiek: Sportlich hatte er immer Visionen. Von vielen wurde er belächelt - als er sagte, Paderborn würde in den bezahlten Fußball kommen oder die Nummer eins in Ostwestfalen werden. Irgendwann sagte er, dass Paderborn einmal in der Bundesliga spielen würde - da haben sie ganz laut gelacht. Man kann immer über Menschen diskutieren, die man nicht kennt, aber letztendlich hat er die Visionen, die er für sein Leben hatte, einfach umgesetzt. Dafür gebühren ihm voller Respekt und Anerkennung.

Im Sommer ist der SCP zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren in die Bundesliga aufgestiegen. Welche Erfahrungen haben Sie aus der Achterbahnfahrt der letzten Jahre und dem ersten Bundesligaaufstieg für die Saison 2019/20 mitgenommen?

Strohdiek: Dass es im Fußball schwierig wird, wenn gewisse Mechanismen nicht mehr funktionieren oder auf einmal ein Großteil der Mannschaft egoistischer wird und als Team nicht mehr funktioniert. Wenn Neid entsteht: "Warum kann er das? Warum bekommt er das? Wieso kriege ich das nicht?" Es ist schwierig, auf dem Platz eine Einheit zu bilden, weil der eine oder andere den entscheidenden Meter vielleicht nicht macht. Diese Zeit hat mich gelehrt, dass du auf dem Feld als Kollektiv funktionieren musst - ganz egal, wie hoch die Qualität in der Mannschaft ist. Sonst werden die anderen Vereine, die auch ihre Qualitäten besitzen, die Oberhand behalten.

Der verstorbene SCP-Präsident Wilfried Finke war maßgeblich für die Erfolge des Vereins mitverantwortlich.getty

Strohdiek: "Uns fehlt es nicht an Selbstvertrauen"

In der laufenden Saison konnte Ihre Mannschaft bisher immer gut mitspielen, die Punkteausbeute blieb aber gering. Helfen das Teamgefühl und das Vertrauen innerhalb der Kabine, trotzdem positiv zu bleiben und weiter Offensivfußball zu spielen?

Strohdiek: Definitiv. Wir haben Vertrauen in uns und unser System. Dass es funktionieren kann, haben die bisherigen Spiele gezeigt. Es hat nur bisher nicht über neunzig Minuten gereicht, weil wir immer wieder kurze Phasen haben, in denen wir die Dinge nicht so machen, wie wir es von uns selbst gewohnt sind. Diese Probleme zu beheben, daran arbeiten wir Woche für Woche. Uns fehlt es nicht an Selbstvertrauen, hier kommt keiner mit gesenktem Kopf zum Training. Die Jungs sind alle bereit, weiterzuarbeiten und die Geschichte, die wir in den letzten Jahren begonnen haben, hier fortzuführen.

Nur gut zu spielen, wird am Ende nicht reichen.

Strohdiek: Natürlich wollen wir am Ende auch mal etwas Zählbares sammeln. Trotzdem wir sind weit davon entfernt, dass irgendjemand den Kopf hängen lässt und sagt: "Wir schmeißen alles über den Haufen."

In der aktuellen Saison lassen Erfgolge für den SC Paderborn noch auf sich warten.getty

Strohdiek: "Was der kann, das kann ich auch"

Am Wochenende ist der FC Bayern zu Gast. Die letzten Heimspiele gegen die Bayern verliefen eher schwierig, es setzte zwei 0:6-Niederlagen. Möchten Sie vor heimischem Publikum frei aufspielen, nach dem Motto "Wir haben nichts zu verlieren" - oder spielt man gegen einen solchen Gegner dennoch vorsichtiger?

Strohdiek: Wir haben immer etwas zu verlieren, unabhängig vom Gegner. Weil wir eben daran arbeiten, unsere Abläufe zu verbessern. Bayern ist natürlich eine Klasse für sich, mit einem superstarken Kader, aber dennoch werden wir unseren Fußball weiterspielen.

Ihr Gegenspieler wird Robert Lewandowski sein, der bislang in jedem Ligaspiel getroffen hat. Wie bereiten Sie sich auf ihn vor? Gehen Sie früher schlafen, gibt es etwas Besonderes zu essen?

Strohdiek: Darauf bereite mich vor wie auf jede andere Partie auch. Zweifellos ist er ein anderes Kaliber, aber die Bayern haben eben nicht nur Robert Lewandowski. Am Ende ist jeder gut beraten, seinen normalen Rhythmus beizubehalten. Wir möchten das Spiel möglichst nach unseren Vorstellungen gestalten.

Vor zwei Wochen haben Sie in einem Testspiel gegen einen Verein aus der Paderborner Gegend gespielt und 18:0 gewonnen. Ist es manchmal ganz nett, an die eigene Jugend zurückzudenken und die alten Konkurrenten in die Schranken zu weisen?

Strohdiek: Das Spiel stand in Verbindung mit einer Aktion gegen Rechtsradikalismus in der Gesellschaft und im Fußball. Wir wollten ein Zeichen in die Region senden, aber natürlich auch unsere Mechanismen und Abläufe unter Wettbewerbsbedingungen schärfen. Man will niemandem die Bälle durch die Beine spielen oder ihn bloßstellen. Wir sind ja alle gerne mal Trainer oder sitzen auf dem Sofa und sagen: "Mensch, was der kann, das kann ich auch." Bis wir dann gegen sie spielen und merken: "Nee, können wir doch nicht." (lacht)