Die Nobodys der Königsklasse

Sebastian Schramm
13. September 201115:03
Die Nobodys der aktuellen Champions-League-Saison wollen für ordentlich Furore sorgenGetty
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Die Champions League sitzt in den Startlöchern. Neben den arrivierten Top-Klubs wie dem FC Barcelona oder dem FC Bayern, wollen vor allem die unbekannten Teams fur Furore sorgen. Otelul Galati und Co. gehen zwar als große Außenseiter in die Gruppenphase (20.30 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sky), unterschätzen sollte man sie aber auf keinen Fall. SPOX stellt die Mannschaften vor und schätzt die Chancen der einzelnen Teams ein.

Otelul Galati

Qualifiziert durch: direkte Teilnahme (Rumänischer Meister)

Das Roundup: Der Verein aus der Hafen- und Industriestadt Galati durchbrach in der letzten Saison die quasi im Grundgesetz verankerte Vorherrschaft der Hauptstadt-Klubs Steaua und Dinamo Bukarest. Sogar die neureichen Vereine aus Urziceni und Cluj konnten der Truppe nicht das Wasser reichen. Das Gehalt der Spieler ist mäßig, aber es kommt pünktlich, was für rumänische Verhältnisse wohl schon ein gewisses Faustpfand darstellt. Überhaupt ist Galati finanziell nicht gerade auf Rosen gebettet. "Große Gehaltsunterschiede würden das Team spalten und alles würde auseinanderbrechen", sagt Präsident Marius Stan.

Doch die Verantwortlichen machen aus der Not eine Tugend und setzen auf junge Talente aus der Region. Trainer Dorinel Munteanu, ehemaliger Bundesligaprofi bei Wolfsburg und Köln, vertraut den jungen Spielern und setzt auf ein kompaktes 4-2-3-1-System. Aus einem engmaschigem Netz im Mittelfeld soll der Gegner durch überfallartige Konter überrascht werden. Mit Ilie, Ibeh und Antal stehen Munteanu extrem schnelle und wendige Spieler zur Verfügung, die derartige taktische Vorgaben perfekt umsetzen können. Allerdings könnte die Anfälligkeit bei Standardsituationen zu einem Problem werden. Der augenscheinlich größte Nachteil wird aber aller Voraussicht nach die Unerfahrenheit der Mannschaft auf europäischer Bühne sein. Kein einziger Spieler hat bisher in der Königsklasse Erfahrungen sammeln können.

Player to watch: Sergiu Costin (32). Der Kapitän von Galati ist der verlängerte Arm von Trainer Munteanu. Mit seiner taktischen Disziplin und seiner robusten Zweikampfführung hält der Innenverteidiger die Defensive der Rumänen zusammen und sorgt somit für Stabilität. Außerhalb des Platzes hat Costin ein eher ruhiges Gemüt, die jungen Spieler orientieren sich an ihm. Die Königsklasse wird der Höhepunkt seiner Karriere.

SPOX-Fazit: Für den rumänschen Meister wird es verdammt schwer. Mit Manchester United, dem FC Basel und Benfica Lissabon wurde Galati in der Auslosung nicht gerade vom Glück geküsst. Ziel wird vor allem sein, so lange wie möglich die Optionen für einen dritten Tabellenplatz zu wahren, um sich noch für die Europa League qualifizieren zu können. Ein Spaziergang wird es für die anderen Vereine allerdings nicht, die Rumänen sind unheimlich heimstark.

Trabzonspor

Qualifiziert durch: ersetzt den türkischen Meister Fenerbahce

Das Roundup: "Natürlich sind wir stolz darauf, dass wir die Türkei in der Königsklasse vertreten dürfen. Wir hätten uns aber eine andere Form der Teilnahme gewünscht." Präsident Sadri Sender bringt es wohl für die meisten auf den Punkt. Fenerbahce, der eigentliche Teilnehmer der Champions League, wurde im Zuge des immer noch gärenden Manipulationsskandals auf Drängen der UEFA vom türkischen Verband gesperrt, somit wurde der Weg für Trabzonspor in die Gruppenphase frei. Trainer Senol Günes, bereits zum dritten Mal Trainer bei Trabzon, kann auf einen ausgewogenen Kader zurückgreifen. In seinem 4-2-3-1-System ist die Defensive das Prunkstück. In der abgelaufenen Saison stellte Trabzon mit lediglich 23 Gegentreffern die beste Hintermannschaft der Süper Lig. Das Defensivgerüst um die Innenverteidiger Kacar und Glowacki, sowie dem Sechser Zokoro bildet das Rückgrat der Truppe. Vorgabe ist, möglichst schnell die Zweikämpfe zu gewinnen, um dann postwendend Druck über die Außen zu erzeugen. Dort warten mit dem dribbelstarken Halil Altintop und Publikumsliebling Alanzihno zwei extrem gefährliche Spieler. Allerdings hat Trabzonspor zwei große, in sich greifende Probleme: Die heimische Liga hat erst am 9. September begonnen, somit fehlt der Mannschaft noch Wettkampfpraxis. Auf hohem Niveau konnte sich Trabzon noch nicht einspielen, was durch die Kader-Umstrukturierung (Egemen, Selcuk, Umut und Jaja haben den Verein verlassen) noch viel schwerer wiegt.

Player to watch: Burak Yilmaz (26). Von der türkischen Presse hochgejubelt, konnte Yilmaz über einige Zeit die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen. Disziplinlosigkeiten und eine nicht immer profihafte Einstellung verbauten dem torgefährlichen Mittelfeldspieler einen früheren Durchbruch. In der letzten Saison wartete Yilmaz aber dann mit 19 Toren auf und wurde prompt von Guus Hiddink zur Nationalmannschaft eingeladen, wo er auf Anhieb zum Stammspieler und Leistungsträger avancierte.

SPOX-Fazit: Bis auf den eindeutigen Favoriten Inter Mailand scheint die Gruppe sehr ausgeglichen. Mit ZSKA Moskau und dem OSC Lille sind zwei Mannschaften vertreten, mit denen sich die Türken auf Augenhöhe wähnen können. Um sich aber für die K.o.- Runde zu qualifizieren, muss Trabzonspor in jedem Spiel eine absolute Top-Leistung abrufen. Schwer wiegen könnte die Unerfahrenheit, die in großen Teilen der Mannschaft vorhanden ist. Aufgrund der Kaderstärke muss aber die Europa League das Mindestziel darstellen.

Teil 2: Nikosia, Pilsen und Borissow

APOEL Nikosia

Qualifiziert durch: Champions-League-Playoffs (Wisla Krakau 0:1, 3:1)

Das Roundup: Der Traditions-Klub hat ehrgeizige Ziele. Durch die zweite Teilnahme an der Königsklasse in der Geschichte der Zyprioten soll Nikosia in neue Sphären vorstoßen. Der Verein wirtschaftet solide und ist als einziger Klub der heimischen Liga schuldenfrei. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist die sportliche Etablierung im europäischen Spitzenfußball. Mit glorreicher Offensive wird dieses Ziel allerdings nicht forciert. Trainer Ivan Jovanovic setzt größtenteils auf sture Abwehrarbeit. Zur Not werden alle Spieler vor den eigenen Strafraum gezogen, um mit Mann und Maus ein Ergebnis zu verteidigen. Die große Stärke der Zyprioten scheint die homogene Mannschaft zu sein. Der Kern Nikosias spielt seit drei Jahren zusammen, die Automatismen sind einstudiert und die taktischen Vorgaben des Trainers werden, vor allen bei Heimspielen, perfekt umgesetzt. In einem 4-2-3-1-System wird vor allem Wert auf saubere Technik gelegt. Mit vielen kurzen Pässen wird sich in die Hälfte des Gegners kombiniert, um dann Stürmer Ailton Almeida einzusetzen. Was aber zu Hause funktioniert, muss noch lange nicht in anderen Stadien von Erfolg gekrönt sein. Ähnlich wie andere Inselmannschaften zeigt APOEL ein ängstliches Gesicht, wenn das Spiel nicht in der Heimat stattfindet. Mit einer derart latenten Auswärtsschwäche wird es in der Vorrunde der Königsklasse aber alles andere als einfach.

Player to watch: Nuno Morais (27). Er ist der Denker und Lenker im Spiel der Zyprioten. Zu seiner Anfangszeit wurde der Portugiese als Innenverteidiger eingesetzt, fiel dort aber vor allem als Sicherheitsrisiko auf. Erst mit der Verpflichtung von Coach Jovanovic wurde Morais zu einer festen Größe von APOEL. Fortan spielte er im defensiven Mittelfeld und lieferte von Woche zu Woche Top-Leistungen ab. Mit seiner Ruhe und Abgeklärtheit verleiht er seinen Mitspielern Sicherheit. Interessant: Fehlt der Portugiese, verliert das heimstarke Nikosia sogar zu Hause.

SPOX-Fazit: APOEL Nikosia geht als krasser Außenseiter in die Gruppe, verstecken müssen sich die Zyprioten aber keineswegs. Durch ihre defensive Grundeinstellung werden sich so manche Gegner die Zähne ausbeißen. Mit Zenit St. Petersburg, Schachtar Donezk und dem FC Porto spielt man sicherlich nicht in der absoluten Todesgruppe, um sich aber für die K.o.-Runde zu qualifizieren, muss schon einiges passieren. Wenn alles normal läuft, ist in der Gruppenphase Endstation.

Viktoria Pilsen

Qualifiziert durch: Champions-League-Playoffs (FC Kopenhagen, 2:1, 3:1)

Das Roundup: In der letzten Dekade gelang Viktoria der Durchbruch auf nationaler Ebene. Nach Jahren in den Niederungen der tschechischen Zweitklassigkeit, konnte man mit dem nationalen Pokalsieg 2010 und der Meisterschaft 2011 Meilensteine in der Vereinsgeschichte setzen. Die Eckpfeiler des Erfolgs sind Trainer Pavel Vrba sowie Kapitän und Spielmacher Pavel Horvath. Beide harmonieren auf und neben dem Platz und sorgen dafür, dass die Mannschaft eine Einheit bildet. Die Taktik des tschechischen Meisters verspricht einige glorreiche Europapokalnächte. Bei Pilsen gibt es nur einen Weg, nämlich den zum gegnerischen Tor. In einem offensiv ausgerichteten 4-2-3-1-System steht die gesamte Truppe bei gegnerischem Ballbesitz extrem hoch, um schnell umschalten zu können und möglichst sofort zum Torabschluss zu kommen. Die Taktik scheint aufzugehen: in der vergangenen Spielzeit schoss Pilsen in 30 Saisonspielen starke 70 Tore. Angst, ins offene Messer zu laufen, haben die Tschechen aber nicht. Die Offensiv-Philosophie wird auch gegen große Gegner gnadenlos umgesetzt. "Wir werden sehen, was kommt", so der 36-jährige Horvath. Allerdings: Hinten ist Pilsen nicht immer sattelfest. Die Innenverteidiger Cisovsky und Bystron haben vor allem in Sachen Schnelligkeit Defizite.

Player to watch: Pavel Horvath (36). Der routinierte Tscheche ist aus der Mannschaft nicht wegzudenken. Mit taktischer Disziplin und einer unheimlich hohen Passgenauigkeit leitet er die Offensivaktionen ein. Als defensiver Mittelfeldspieler verleiht er Pilsen unheimliche Stabilität. Bei Sparta Prag wurde Horvath ausgemustert, bei Pilsen hat er seine zweite Chance bekommen. Innerhalb der Mannschaft ist er extrem angesehen, durch seine konstanten Leistungen, sowie ob des einen oder anderen Scherzes. Was ein Nachteil sein könnte: Ohne den Kapitän scheint Viktoria Pilsen komplett aufgeschmissen.

SPOX-Fazit: Mit dem FC Barcelona und AC Milan warten zwei der besten Mannschaften der Welt auf die Tschechen. Selbst wenn die Spanier und Italiener mit dem zweiten Anzug auflaufen würden, gäbe es kaum realistische Chancen. Primäres Ziel wird also die Qualifikation für die Europa League sein, wo sich Pilsen aller Voraussicht nach mit Borissow um den 3. Platz streiten wird. Trotzdem ist die Truppe um Trainer Vrba für die eine torreiche Überraschung gut.

FK BATE Borissow

Qualifiziert durch: Champions-League-Playoffs (Sturm Graz, 1:1, 2:0)

Das Roundup: Bereits zum zweiten Mal konnte sich BATE Borissow für die Königsklasse qualifizieren. Den für weißrussische Verhältnisse kometenhaften Aufstieg hat der Verein Anatoly Kapski zu verdanken. Der 45-Jährige, der normalerweise Elektroteile für Traktoren herstellt, übernahm den Verein im Jahr 1996 und führte ihn Schritt für Schritt in den europäischen Spitzenfußball. "Wir versuchen uns jedes Jahr zu verbessern und jedes Jahr an einem solchen Wettbewerb teilzunehmen", so Kapski. Einfach ist ein derartiges Unterfangen aber nicht. Die Infrastruktur der weißrussischen Liga lässt zu wünschen übrig, ganz große Namen meiden die höchste Spielklasse. Zwangsläufig ergibt sich dadurch die Chance, junge Talente zu integrieren und sie in der Champions League zu gestandenen Spielern reifen zu lassen.

Trainer Viktor Goncharenko setzt dabei auf ein 4-2-3-1-System, in dem seine jungen Spieler durch hohe Laufintensität schnelle Ballgewinne generieren. Das Umschalten funktioniert meist nach einem Prinzip: Spielmacher Renan soll in Ballbesitz gebracht werden. Der Brasilianer ist Dreh- und Angelpunkt des Offensivspiels. Geschickt setzt er die schnellen Flügelspieler ein, oder versucht selbst Torgefahr zu entwickeln. Eine neue Alternative im Sturm wird Ex-Chelsea-Profi Mateja Kezman sein. Kurz vor dem Ende der Transferperiode wechselte der 31-jährige Serbe in Richtung Weißrussland. Bei all den taktischen Vorzügen haben sie allerdings ein großes Problem. In der eigenen Liga werden sie auf Top-Niveau kaum geprüft, so dass Spiele gegen Barcelona oder Milan wie ein Kulturschock wirken könnten. Die jungen Spieler kennen Messi und Co. wohl nur von der Play-Station. Zudem wurde die komplette Abwehr neuformiert, was zu herben Abstimmungsfehlern führen könnte. Weiterer Nachteil: Borissow muss aufgrund des zu kleinen Stadions und den damit verbundenen UEFA-Auflagen die Heimspiele in Minsk austragen, wo es standesgemäß weniger Fans und Unterstützung geben wird.

Player to watch: Renan (22). Der Weg des Brasilianers scheint ein wenig unorthodox. Von seinem Heimverein Atletico Tuborao wechselte er 2007 in den Abstiegskampf der weißrussischen Liga. Er überzeugt mit guten Leistungen, Borissow griff sofort zu. Mit zum Teil genialen Vorlagen und 15 geschossenen Toren führte er seine Mannschaft quasi im Alleingang zur Meisterschaft und zum Pokalsieg. Der Traum ist, einmal für einen großen Klub in Europa zu spielen. Vielleicht wird ja schon nach dieser Champions-League-Saison.

SPOX-Fazit: Genauso wie für Viktoria Pilsen wird es in der Gruppe mit Barca und AC Milan unheimlich schwer, überhaupt irgendwelche Punkte zu sammeln. Die Unerfahrenheit spielt Borissow sicherlich nicht in die Karten. Was die Weißrussen aber für sich nutzen können, sind die unangenehmen Auswärtsfahrten für ihre Gegner. Es ist kalt, gespielt wird auf einem Kunstrasen. Für Techniker wie Messi oder Ibrahimovic könnte es ein größerer Nachteil werden. Trotzdem: Mehr als eine Qualifikation für die Europa League ist nicht drin.

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