Torrausch, Tiefpunkt und Albanien

Stefan Rommel
06. September 201419:53
Die deutsche Nationalmannschaft 2003 nach dem 0:0 im EM-Quali Spiel gegen Islandgetty
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Mit der Partie gegen Schottland (So., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) startet Deutschland in das Unternehmen EM-Qualifikation. Für die Partie in Dortmund gilt der Weltmeister als klarer Favorit. Ein Blick in die Historie sollte der deutschen Mannschaft aber eine Warnung sein. Ein Rückblick auf historische und dramatische Spiele, auf Gerd Stracks Kopfball und Rudi Völlers Ausraster.


Die ersten zaghaften Schritte:

Das erste Spiel einer deutschen Mannschaft überhaupt im Rahmen einer Europameisterschaft machte die Deutsche Demokratische Republik. Am 21. Juni 1958 empfing die DDR-Auswahl von Trainer Fritz Gödicke in Ost-Berlin mit Portugal einen der Geheimfavoriten im Achtelfinal-Hinspiel.

Der Modus war damals noch so, dass lediglich die Halbfinals und das Finale im offiziellen Gastgeberland ausgetragen wurde, alle Spielrunden davor im K.o.-System mit Hin- und Rückspiel analog zu den Partien des Europapokals auf Vereinsebene. Wohl auch deshalb trug die Europameisterschaft in ihren Anfangsjahren noch den etwas sperrigen Titel "Europapokal der Nationen".

Die DDR hatte sowohl zu Hause in Ost-Berlin (0:2), als auch dann wenige Tage später im Rückspiel von Porto (2:3) kaum eine Chance gegen die Portugiesen und schied früh aus. West-Deutschland hatte wie England und Italien erst gar nicht gemeldet.

Bundestrainer Sepp Herberger war der Meinung, die Zeit zwischen zwei WM-Turnieren nicht mit einer derart unnützen Veranstaltung zu verschwenden. Die Enthaltsamkeit des DFB hatte bis ins Jahr 1966 Bestand, als die UEFA das Turnier im Vorfeld der Austragungsrunde 1968 deutlich aufwertete und ihm auch die bis heute offizielle Bezeichnung "Fußball-Europameisterschaft" verpasste.

Erste Quali-Runde - erste Schmach:

So kam es, dass der Deutsche Fußball-Bund erst im Frühjahr 1967 seine Premiere in der EM-Qualifikation feierte. Gegen den Fußball-Zwerg Albanien, damals eine der kleinsten und unbekanntesten Verbände überhaupt in Europa und für die deutschen Spieler komplettes Neuland, gab es ein standesgemäßes 6:0.

Im Stadion Rote Erde in Dortmund traf Gerd Müller gleich viermal, die Partie hätte bei etwas besserer Chancenverwertung auch gleich zweistellig enden können. Die Freude über den gelungenen Start wich allerdings bereits wenige Wochen später. In Belgrad verlor die Mannschaft von Helmut Schön mit 0:1 und lag in der Dreiergruppe hinter den starken Jugoslawen nur auf Rang zwei.

Da sich nur die Gruppenersten für das Viertelfinale qualifizierten, war Deutschland im Rückspiel in Hamburg mächtig unter Druck. Erst in der Schlussphase der Partie besorgten Müller und Uwe Seeler den nötigen 3:1-Sieg. Deutschland war vor dem abschließenden Spiel in Albanien im Prinzip schon durch - der 17. Dezember 1967 sollte sich aber bis heute ins Gedächtnis der deutschen Fans einbrennen.

Im Stadion Quemal Stafa in Tirana war der Boden hart wie Beton, die Stimmung aufgeheizt und der Gegner bis ins letzte motiviert. Die deutschen TV-Stationen konnten keine aktuellen Bilder in die Heimat senden, lediglich der Hörfunk funktionierte einigermaßen. Deutschland benötigte einen Sieg, biss sich aber an den teilweise überhart spielenden Albanern die Zähne aus. Als dann weit nach Spielschluss doch erste Gerüchte über das Ergebnis die Runde machten, glaubten die meisten Fans an einen üblen Scherz.

Das 0:0 war aber recht schnell verbürgt und das Entsetzen im Land des Vize-Weltmeisters groß. Jugoslawien stand im Viertelfinale, Deutschland war raus. Als "Spiel aus der Hölle" bezeichnete Bomber Gerd Müller später die Partie, die deutsche Öffentlichkeit prügelte tagelang auf die "Versager" in Weiß und Schwarz ein. Deutschland hatte bei der ersten Teilnahme an einer EM kläglich versagt. Bis heute ist die Endrunde von 1968 das einzige Großereignis, das eine deutsche Mannschaft verpasst hat.

Der historische Sieg:

Vier Jahre später lief es schon deutlich besser. Deutschland spielte sich schwungvoll durch die Qualifikation, mit vier Siegen und zwei Remis wurde die DFB-Auswahl Sieger in der Gruppe 8 - unter anderem gab es übrigens auch zwei knappe Siege gegen das Schreckgespenst Albanien.

Im Viertelfinale kam es zum Klassiker England gegen Deutschland. "Schlimmer ging's nicht, England!", schrieb der "Kicker" nach der Auslosung.

Das Hinspiel am 24. April 1972 im Londoner Wembley-Stadion sollte zur Geburtsstunde der bis dato besten deutschen Mannschaft aller Zeiten werden. Noch nie war einem deutschen Team ein Sieg auf englischem Boden gelungen, an diesem Tag beherrschte die deutsche Mannschaft den Gegner aber in fast allen Belangen. Trotzdem stand es fünf Minuten vor dem Ende nur 1:1.

Vor dem Spiel soll Günther Netzer im Kabinengang Franz Beckenbauer zugeraunt haben, dass "alles unter fünf Gegentoren ein gutes Resultat" sei. Der Mönchengladbacher selbst sollte dann aber zur großen Figur des Spiels werden. Nach einem Netzer-Zuspiel auf Siggi Held holte dieser einen Elfmeter heraus. Netzer lief an, schoss den Ball scharf auf die linke Ecke. Gordon Banks war mit den Fingerspitzen noch dran, vom Innenpfosten trudelte der Ball aber ins Netz.

Netzers Jubelsprünge auf dem Elfmeterpunkt sind bis heute legendär, Gerd Müller machte dann drei Minuten später mit dem dritten Tor den Deckel drauf. Sechs Tage später reichte Deutschland zu Hause ein 0:0, um die Endrunde in Belgien zu erreichen. Nach Siegen über den Gastgeber (2:1) und Russland im Finale (3:0) holte sich der DFB mit seinem "Ramba-Zamba-Fußball" in Brüssel dann erstmals die Krone Europas.

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Die Beinahe-Katastrophe:

Elf Jahre später schien Deutschland zwei Spieltage vor dem Ende quasi schon für das Turnier in Frankreich qualifiziert. Österreich tat der deutschen Elf den Gefallen, mit 1:3 in der Türkei zu verlieren. Ein Sieg im Heimspiel gegen Nordirland hätte die vorzeitige Qualifikation bedeutet. An diesem Abend von Hamburg lief aber rein gar nichts beim Team von Jupp Derwall. Die Nordiren spielten unbequem und schroff - und sie erzielten kurz nach der Pause den einzigen Treffer des Abends durch ManUnited-Legende Norman Whiteside.

Plötzlich lagen die Briten zwei Punkte vor der deutschen Mannschaft, die aber das Glück hatte, am einzigen Spiel des letzten Spieltags noch die beiden nötigen Punkte aus eigener Kraft einfahren zu können. Auf Grund des besseren Torverhältnisses reichte selbst ein 1:0. So weit, so gut - allerdings hieß der Gegner in Saarbrücken einmal mehr Albanien.

Und tatsächlich wurden die schlimmsten Befürchtungen schnell wahr: Genc Tomori schoss die Gäste nach 23 Minuten in Front. Deutschland wankte nur wenige Sekunden, als Karl-Heinz Rummenigge im Gegenzug der Ausgleich gelang. Als sich dann die Gäste mit dem Pausenpfiff wegen einer Tätlichkeit gegen Rudi Völler noch dezimierten, schien alles perfekt für einen glatten Sieg. Aber die deutschen Spieler waren die gelähmt. Kein Briegel, kein Matthäus, kein Littbarski, kein Rummenigge oder Völler - keiner vermochte den Riegel der Albaner zu knacken.

Bis dann elf Minuten vor dem Ende eine Flanke von der rechten Seite in den Strafraum segelte. Der aufgerückte Libero Gerd Strack warf sich vehement in die Flugbahn und wuchtete den Ball zum 2:1 ins Netz. Deutschland zog gewissermaßen im letzten Moment nochmal den Kopf aus der Schlinge. Für Strack blieb es das wichtigste Tor seiner Karriere.

Die gesamtdeutsche Premiere:

Deutschland ging in der Qualifikation zur Endrunde 1992 in Schweden als Weltmeister ins Rennen und wurde nach der Wiedervereinigung verstärkt durch die besten Spieler der ehemaligen DDR. Franz Beckenbauers Bonmot von der Unbesiegbarkeit der Mannschaft war noch nicht recht verhallt, die hätte sich die Mannschaft im ersten Pflichtspiel nach der Zusammenlegung beider Verbände und dem ersten von Berti Vogts als Nationaltrainer beinahe bis auf die Knochen blamiert.

Im 6000-Zuschauer-Stadion Josy Barthel in Luxemburg spielte und traf Deutschland an jedem 31. Oktober 1990 zunächst standesgemäß und führte kurz nach der Pause mit 3:0. Die Amateure aus Luxemburg waren bis dahin nur Staffage, lehnten aber urplötzlich gegen den Weltmeister auf, bei dem kein Spieler aus der ehemaligen DDR-Auswahl zum Einsatz kam. Zwei schnelle Tore ließen Deutschland bis zum Abpfiff zittern, am Ende stand ein schwer erkämpfter 3:2-Sieg zum Auftakt der Qualifikationsrunde, die der DFB dann aber letztlich doch überstehen konnte.

Der tiefere Tiefpunkt:

Die Qualifikationsgruppe zur EM 2004 in Portugal las sich vergleichsweise leicht: Schottland, Island, Litauen und die Färöer waren die Gegner. Aber der Vize-Weltmeister rumpelte sich nur so durch die Gruppe, hatte bereits zu Hause gegen die Färöer (2:1), gegen Litauen (1:1) und in Schottland (1:1) enttäuscht, als es im September 2003 nach Rejkjavik ging.

Neben vier Gelben Karten brachten Kahn, Friedrich, Wörns, Bauman, Ramelow, Ballack, Schneider, Kehl, Rahn, Klose, Neuville, Hartmann und Deisler rein gar nichts zustande.

Die Partie dürfte wohl als die langweiligste aller Zeiten in die Geschichte des DFB eingegangen sein. Auch deshalb war die Kritik danach vernichtend. In der ARD zog Experte Günther Netzer über den Schlafwagen-Fußball der Deutschen her, der Boulevard brachte sich bereits in Stellung.

Da platzte Teamchef Rudi Völler im Interview bei Waldemar Hartmann der Kragen. "Scheißdreck!", "Tieferer Tiefpunkt!", "Drei Weizenbier getrunken...". Das aufregendste am Spie war Völlers Ausbruch danach. Bis heute eine Perle deutscher TV-Unterhaltung.

Der Torrekord:

Die Partie in San Marino im Rahmen der Qualifikation zur EM 2008 in Österreich und der Schweiz wurde zur torreichsten in der Pflichtspiel-Geschichte des DFB nach dem zweiten Weltkrieg.

In der Trostrunde der Olympischen Spiele 1912 gab es mal ein 16:0 gegen Russland, mit dem zehnfachen Torschützen Gottfried Fuchs. Die 13 Treffer von Serravalle bleiben aber eher im Gedächtnis.

Auf 78 Minuten Spielzeit verteilte Deutschland seine Tore, zwischen der 11. und 89. Minute rappelte es im Schnitt alle sechs Minuten.

Die Tore: 0:1 Podolski (11.), 0:2 Schweinsteiger (29.), 0:3 Klose (30.), 0:4 Ballack (35.), 0:5 Podolski (43.), 0:6 Klose (45.), 0:7 Schweinsteiger (47.), 0:8 Podolski (64.), 0:9 Hitzlsperger (66.), 0:10 Podolski (73.), 0:11 Hitzlsperger (73.), 0:12 Friedrich (87.), 0:13 Schneider (89., Elfmeter).

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