Terminator und der doppelte Max

Haruka Gruber
08. Juni 201213:39
Sead Kolasinac (r.) steht beim FC Schalke 04 vor dem Sprung in den Profikader Imago
Werbung

Sechs Jahre nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft durch Schalkes A-Jugend um Mesut Özil, Benedikt Höwedes, Ralf Fährmann und Sebastian Boenisch sorgt die neue S04-Generation für ähnliches Aufsehen. Nach dem Gewinn der Bundesliga West steht nun das Halbfinal-Hinspiel in Wolfsburg an. Mit Oliver Ruhnert, Sportlicher Leiter der Nachwuchsabteilung, stellt SPOX die sechs größten Nachwuchshoffnungen vor.

SPOXImagoSead Kolasinac

Alter: 18

Position: Defensives Mittelfeld/Innenverteidigung

DFB: U-19 Nationalspieler

Erinnert nicht nur wegen der Ähnlichkeit im Gesicht und in der Physiognomie an den zwei Jahre älteren Papadopoulos. Beide spielen mit der selben Robustheit und mit dem Verständnis eines nicht zu stoppenden Terminators. "Sead lebt von seiner überragenden Physis", sagt Ruhnert.

Der Schalke-Nachwuchsboss betont zugleich, dass Kolasinac nicht zu vergleichen sei mit vielen Talenten vor ihm, die nur aufgrund körperlicher Vorteile im Nachwuchsbereich dominierten und bei den Profis, im Wettstreit echter Männer, nichts auszurichten wussten und scheiterten. Ruhnert: "Sead ist nicht so stark, weil er einen Kopf größer ist als andere, sondern weil er sehr gut mit seinem Körper umzugehen versteht. Das ist ein großer Unterschied."

Auffällig außerdem: Kolasinac wird wohl nie ein Vertreter gehobener Fußball-Kunst, doch das Verständnis ist so ausgeprägt, dass er mühelos zwischen den Positionen switchen kann. Ob nun als Sechser oder als Innenverteidiger, seine Leistungen sind beständig gut. In dieser A-Jugend-Saison wurde er sogar erfolgreich im Angriff aufgestellt (6 Toren, 7 Vorlagen) - und sorgt für Verwirrung.

"Den Sturm schließe ich eigentlich aus. Aber wir haben intern oft diskutiert und sind uns noch nicht einig, auf welcher Position Sead am Ende landet", sagt Ruhnert. "Er ist eben extrem flexibel."

Zur Flexibiltät kam eine Reife hinzu, die aus dem früher schwierig zu führenden Kolasinac ein Muster an Verlässlichkeit machte. "Es gab Vorfälle bei seinen vorherigen Klubs. Wir haben ihm unmissverständlich klar gemacht, was wir von ihm erwarten", erinnert sich Ruhnert an die Verpflichtung Anfang 2011. Nach Karlsruhe, Hoffenheim und Stuttgart bedeutete Schalke die vierte Station in seiner jungen Karriere, hinzukamen mehrere Beraterwechsel.

Allerdings: "Den Sead von damals würde man heute gar nicht mehr erkennen. Er hat sich absolut positiv entwickelt", sagt Ruhnert, der in Kolasinac, Kapitän der U 19, das Sinnbild der neuen Generation sieht: "Die Mannschaft um Özil war geprägt von herausragenden Solisten, die aktuellle Mannschaft lebt vom bedingungslosen Teamgeist."

Der Lohn: Kolasinac unterschrieb letzte Woche einen Profivertrag über drei Jahre. Cheftrainer Huub Stevens ist ein großer Befürworter, weswegen er ihn in der abgelaufenen Saison bei der Bundesliga-Mannschaft mittrainieren ließ. Ruhnert: "Sead wird irgendwann in der Bundesliga spielen, das ist Fakt."

SPOXImagoMax Meyer

Alter: 16

Position: Offensives Mittelfeld

DFB: U-17-Nationalspieler

Eine Ode, eigens vom Schalke-Nachwuchsboss verfasst. "Jedem, der Fußball liebt, geht das Herz auf", sagt Ruhnert, wenn er Meyer, das "Next big thing" des deutschen Fußballs, beschreiben soll. Der 16-Jährige erwies sich seinen Altersgenossen als derart überlegen, dass er im Winter 2011/12 aus der U 17 in die U 19 hochzogen wurde - wo er weiter brilliert.

Nach elf Toren und zehn Vorlagen in 17 B-Jugend-Bundesliga-Spielen gelangen ihm acht Scorer-Punkte (4+4) in acht A-Jugend-Bundesliga-Spielen. Zwischenzeitlich nahm er mit der deutschen U 17 an der EM teil, wurde Torschützenkönig (drei Treffer) und erreichte mit dem Team das Finale.

Er profitiert besonders vom Umdenken im deutschen Fußball: Früher wurde sklavisch nach Körpergröße gescoutet, mittlerweile entscheidet mehr die fußballerische Klasse, ob ein Talent gefördert wird. Ruhnert: "Ich weiß, dass nicht alle im Verein glücklich waren, als wir ihn als 13-Jährigen geholt haben. Einige waren skeptisch und dachten, er wäre zu klein."

Mittlerweile weiß Meyer den gesamten Verein hinter sich - und das nicht nur, weil er in den letzten Monaten um vier Zentimeter auf 1,69 Meter wuchs.

Schalkes Max Meyer im Interview: "Der Messi-Vergleich ist mir unangenehm"

SPOXImagoPhilipp Max

Alter: 18

Position: Linksaußen/Sturm

DFB: -

Es hatte lange den Anschein, als ob Philipp Max so gar nicht den Weg seines Vaters folgen würde. Während Martin Max als zweimaliger Bundesliga-Torschützenkönig (2000, 2002) zu den besten Stürmern der Neuzeit gehört, versuchte sich der Sohn in der Jugend des FC Bayern vor allem als Linksverteidiger. Mit vielversprechenden Ansätzen, doch ohne den durchschlagenden Erfolg.

Als sich die Familie Max im Sommer 2010 dazu entschloss, aus dem Süden wieder in den Ruhrpott zu ziehen, bot sich die Möglichkeit eines Neubeginns. Philipp Max wechselte zu Schalke - und wurde vom Mitläufer zum Leistungsträger. Und das auf ungewohnter Position.

Bei den Bayern wurde er gelegentlich links offensiv eingesetzt, auf Schalke schob man ihn noch weiter nach vorne: ins Sturmzentrum. Angesichts der Beförderung von Philipp Hofmann zur U 23 entstand eine Vakanz, die der früher schmächtige Max dank neuer Muskeln exzellent ausfüllte (15 Tore, 5 Vorlagen). Ruhnert: "Dass er torgefährlich sein kann, ahnten wir schon. Trotzdem ist es überraschend, auf welchem Niveau er sich bewegt."

Perspektivisch ist aber Max' Rückkehr auf die linke Seite angedacht, "ob vorne oder hinten, müssen wir noch sehen", sagt Ruhnert. Eine defensivere Ausrichtung würde insofern Sinn machen, dass sich in der B-Jugend mit Maximilian Dittgen ein weiterer starker Linksaußen anbietet. Ruhnert über Dittgen, mit Meyer U-17-Vizeeuropameister geworden: "Ein brutal guter Linksfuß."

Teil II: Ein Sturmtank, ein Allrounder und ein Abtrünniger

SPOXImagoPhilipp Hofmann

Alter: 19

Position: Sturm

DFB: U-19-Nationalspieler

Der Nachwuchsspieler mit dem ungewöhnlichsten Werdegang. Oder wie Ruhnert sagt: "Philipp ist ein Quereinsteiger."

Bis zur C-Jugend blieb Hofmann im Verborgenen der sauerländischen Provinz (Wenholthausen, später Neheim) und trainiert erst seit dem Wechsel zur Schalker B-Jugend in einer Intesität, die dem Elitefußball angemessen ist.

Umso erstaunlicher, dass Hofmann kein Keilstürmer im traditionellen Sinn ist, der nur seinen Körper zu nutzen weiß. "Für seine Größe bringt er eine hervorragende Technik mit. Er ist nicht nur groß und breit, sondern kann auch Fußball spielen", sagt Ruhnert.

Daher kam Hofmann bereits als 18-Jähriger in der zweiten Mannschaft zum Einsatz, wobei er sich nicht so recht durchzusetzen wusste. Nach 24 Spielen und sechs Toren in der Regionalliga und einer Kaderberufung bei den Profis (Europa League in Haifa) wurde er im März wieder zur A-Jugend abberufen - und schießt munter Tore. Im Saisonendspurt in 7 Spielen gleich neun Mal.

Nach den Deutschen Meisterschaften wird er vermutlich an einen Zweitligisten abgegeben, womöglich nach Duisburg, um an seinen Schwächen zu arbeiten: dem Antritt und dem rechten Fuß. Angedacht ist jedoch nur eine Ausleihe, denn: "Wir glauben an Philipp", sagt Ruhnert.

SPOXImagoKaan Ayhan

Alter: 17

Position: Defensives Mittelfeld/Abwehr

DFB: U-18-Nationalspieler

Gemehin wurde die Meldung im Januar als Rückschlag für die Schalker Nachwuchsarbeit gedeutet: U-17-Nationalspieler Noah Korczowski gab bekannt, dass er ab der kommenden Saison in Nürnberg spielt. Doch die Wahrheit war eine andere: S04 wusste, dass das Behalten von Korczowski und Kaan Ayhan schwierig wird, gab Ersten zum Wechsel frei und Zweitem einen Profivertrag ab 2013.

"Am Ende mussten wir akzeptieren, dass Noah sich anders entschieden hat. Er ist ein sehr guter Innenverteidiger, dem wir einen Profivertrag angeboten hatten. Der Spieler hat seine Perspektiven aber anderswo höher bewertet", sagt Ruhnert.

Ayhan ist anders als Innenverteidiger-Spezialist Korczowski der Prototypus des variablen Spielers: Er ist defensiver Mittelfeldspieler und Innenverteidiger in einem, bei der WM 2011 gehörte er als Rechtsverteidiger zu den Beständigsten der deutschen U 17. "Ein klassischer Allrounder", sagt Ruhnert. Und ein klassischers deutsch-türkisches Talent, um den beide Verbände wetteifern.

SPOXImagoLukas Raeder

Alter: 18

Position: Torwart

DFB: -

Die Strahlkraft des FC Bayern und die Folgen für Schalke: Mit Raeder geht die Nummer eins der A-Jugend im Sommer nach München und wird dort vermutlich der Stammkeeper der zweiten Mannschaft. Anders als bei Korczowski sei dies "sehr ärgerlich", so Ruhnert. Denn: Letzte Saison ließ Schalke bewusst Vorgänger Patrick Rakovsy nach Nürnberg ziehen, um Raeder eine Perspektive zu bieten.

"Wir haben uns damals für Lukas und gegen Patrick entschieden. Leider wurde dann etwas rumgeeiert, was uns geärgert hat. Jetzt müssen wir Lukas' Wechsel akzeptieren", sagt Ruhnert mit Hinweis darauf, was Schalke zu bieten bereit war. Wäre Raeder geblieben, hätte Schalke womöglich darauf verzichtet, den Vertrag mit Hildebrand zu verlängern, damit das eigene Talent bei den Profis die Rolle als Nummer drei einnehmen kann. Zumindest mittelfristig wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, dass Raeder sich direkt mit den ebenfalls auf Schalke ausgebildeten Fährmann und Unnerstall um den Stammposten duelliert.

SPOXspox

So aber verlässt er Schalke und wird sich in der Regionalliga Süd verdingen - ohne realistische Aussicht auf einen Bundesliga-Einsatz.

"Die Bayern werden den Teufel tun und Lukas ins Tor stellen. Die nächsten zehn Jahre ist Neuer gesetzt, und wenn er sich verletzt, kommt ein erfahrener Mann rein wie Starke. Daher ist Lukas' Wechsel für uns nicht schlüssig", sagt Ruhnert.

Umso bitterer: Womöglich markiert der Raeder-Weggang das Ende der berühmten Schalker Torwart-Schule. Der legendäre Torwart-Trainer Lothar Matuschak, Förderer von Neuer, Fährmann, Rakovsky, Wetklo, Heimeroth und Raeder, wurde in dieserm Sommer offiziell in die Rente verabschiedet.

Schalkes A-Jugend: Der Kader, die Daten, die Spielpläne