Angekommen in der Riege der Top-Manager: Stuttgarts Sport-Vorstand Fredi Bobic (41) über den perfekten Transfer-Sommer, angebotene Bayern-Talente und ein wegweisendes 14-Millionen-Euro-Projekt, das den VfB als Nachwuchs-Macht zementiert.
SPOX: Herr Bobic, am Montag kehrten Sie nach einem dreiwöchigen Urlaub in den USA braungebrannt zurück zur Arbeit. Sind Sie so erholt, wie Sie aussehen?
Fredi Bobic: In der vergangenen Saison habe ich gemerkt, dass ich eine Auszeit brauche, deswegen nahm ich mir zum ersten Mal seit sechs Jahren in dem Business wirklich drei Wochen am Stück frei. Da reichen auch keine zwei Wochen, es ist genau diese dritte Woche nötig, um sich wieder aufzuladen für die kommenden Monate. Eine Saison ist verdammt lange, das haben wir im Vorjahr mit 52 Spielen erlebt - wobei die Spiele nicht mitgezählt sind, die ich dazu noch zum Scouten und Bewerten besucht habe. Umso größer war die Freude, dass ich drei Wochen abschalten konnte.
SPOX: Der für einen Sport-Vorstand vergleichsweise lange Urlaub war nur möglich, weil Sie Ihre Transfers erstaunlich früh vollzogen hatten. Wie fühlt es sich an, von allen Seiten nur Lob zu erhalten für die Weitsicht?
spoxBobic: Wir haben unheimlich viel vorgearbeitet, umso schöner ist es, den Moment mitzunehmen. Es ist ungewöhnlich, fast das komplette Gerüst zu einem solchen Zeitpunkt zusammengestellt zu haben. Aber ich weiß genau: In zwei, drei Monaten könnte es ganz anders aussehen und ich bekomme von außen nur Prügel, weil ich plötzlich doch alles falsch gemacht hätte. Ich bin so gestählt durch den Beruf, dass es mir nichts ausmacht - egal ob ich Feedback von Kritikern oder Schulterklopfern bekomme. Ich kann es werten.
SPOX: Sie sprechen von Ihrem "fast kompletten Gerüst". Schauen Sie sich dennoch weiter um? Bei den Bayern dürften nach der Thiago-Verpflichtung Spieler wie Pierre-Emile Höjbjerg oder Emre Can abkömmlich sein.
Bobic: Es werden einem oft Spieler der Bayern angeboten. Vor allem junge Spieler aus der zweiten oder dritten Reihe. Man muss sich das situationsbedingt anschauen. In München schaffen es nur die Top-Top-Top-Talente nach oben. Für das "normale" Top-Talent, bei dem es nicht ganz reicht, könnte es eine bessere Option sein, bei einem anderen Klub eine große Karriere zu beginnen.
SPOX: Dass Pep Guardiola und jetzt sein Schützling Thiago zu den Bayern wechseln, wird als Beweis für das gestiegene Ansehen der Bundesliga bewertet. Bemerken Sie es ebenfalls?
Bobic: Absolut, die Bundesliga als Ganzes ist sehr viel interessanter. Gerade in Spanien und Italien, auch England, sind richtig gute Spieler von Top-Vereinen, die bei ihren Mannschaften etwas zurückstehen und lieber in die Bundesliga wollen. Vor allem in der Premier League sprach sich herum, wie gut sich ein Kevin de Bruyne entwickelt hat. In Europa wurde man aufmerksam darauf, wie gut die Bundesliga arbeitet und wie hoch die Qualität ist. Nicht nur bei den Bayern und in Dortmund, sondern in der gesamten Liga.
SPOX: Auch in Stuttgart?
Bobic: Auch in Stuttgart. Egal, wen ich treffe: Ich spüre immer, über welch guten Namen der VfB verfügt. Was häufig untergeht: Die kommende Saison miteinberechnet, haben wir in zehn der letzten zwölf Jahre an einem europäischen Wettbewerb teilgenommen. Das ist der Wahnsinn! Nach den Bayern und Leverkusen ist das in Deutschland am dritthäufigsten. Das macht die Marke des Vereins aus - und das kommt bei den nationalen und internationalen Spielern sehr gut an. Regional werden wir häufig sehr kritisch gesehen, dabei darf nicht vergessen werden, dass der VfB Stuttgart von der Mehrheit zu Recht als sehr seriös wahrgenommen wird.
SPOX: Wenig zuträglich für den Ruf war der Konflikt in der Führungsebene, weswegen erst Präsident Gerd Mäuser und zwei Monate später Aufsichtsrats-Boss Dieter Hundt zurücktraten. Wurde Ihre Arbeit dadurch negativ tangiert?
Bobic: Es hat mich in meinem Zeitmanagement tangiert. Durch meine Ernennung in den Vorstand kamen ohnehin viel mehr Vereinsthemen auf mich zu als zuvor. Nachdem das Präsidentenamt vakant wurde, band man mich aber noch mehr in repräsentative Pflichten ein, sei es für Sponsorentermine oder für Vorträge. Das hat mich zeitlich extrem belastet. Gott sei Dank habe ich ein gutes Team in meinem Back Office, das mir sehr viel abnahm, sonst wären die Transfers gar nicht zu realisieren gewesen. Dennoch ist mir bewusst, dass der Verein wegen den letzten Wochen nicht im besten Licht dastand. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir für die Zukunft gut aufgestellt sind.
SPOX: Was erwarten Sie sich von Mäuser-Nachfolger Bernd Wahler, der am Montag bei der Mitgliederversammlung zum Präsidenten gewählt werden dürfte?
Bobic: Der Mann steht nach Jahrzehnten im Marketing eines Weltunternehmens für Innovation und Knowhow. Und was wichtig ist: Trotz seiner Erfahrung kommt er nicht an und erzählt direkt etwas von irgendwelchen Visionen. Stattdessen wählt er den richtigen Ansatz und will erst einmal das eigene Haus richtig kennenlernen. Man merkt, dass er ein Mann der Mitte ist. Er besitzt ein sympathisches Erscheinungsbild und ein lockeres Auftreten, mit dem er bei jedem gut ankommt. Gleichzeitig ist er ein Antreiber. Er wird uns mit Sicherheit sehr bereichern, auch auf der persönlichen Ebene. Die Leute, die ihn nicht kennen, werden alle positiv überrascht sein.
SPOX: Sie treiben parallel eine der wichtigsten Projekte der jüngeren Klub-Geschichte voran: den Bau eines neuen Nachwuchsleistungszentrums. Warum ist es Ihnen 14 Millionen Euro wert? Der VfB ist mit dem bestehenden Setup immerhin deutscher Rekord-Jugendmeister.
Bobic: Als ich zum VfB kam, wusste ich, dass ich nicht viel verändern muss. Die Erfolge sprachen für sich. Allerdings habe ich Bedarf zu einer Umstrukturierung im Nachwuchsbereich gesehen. Einerseits wollte ich einen neuen Geist und eine neue Dynamik im Miteinander. Andererseits wollten wir die Infrastruktur verbessern. Fast 14 Millionen Euro sind viel Geld und es gab auch Widerstände. Das änderte aber nichts daran, dass wir das Projekt vorantreiben mussten, um das jetzige Niveau weiterhalten oder sogar noch verbessern zu können.
Seite 2 - Bobic über Stuttgarter Nachwuchstalente und einen sympathischen FC Bayern
SPOX: Anfang der Woche wurden die Gewinner der Fritz-Walter-Medaillen veröffentlicht. Als Deutschlands bester U-17-Spieler wurde Ihr Stürmer Timo Werner ausgezeichnet. Kann er die Nachfolge eines Mario Gomez antreten?
Bobic: Ich mag solche Vergleiche nicht, weil sie gefährlich sind. Zu meiner aktiven Zeit gab es an jeder Ecke einen zweiten Lothar Matthäus. Sie spielten später überall, nur nicht in der Bundesliga. Timo kann einen sehr guten Weg gehen, das ist ihm selbst auch bewusst. Er ist voller Selbstvertrauen. Nur: Er ist auch unheimlich jung, ein 1996er Jahrgang. Bei allen überdurchschnittlichen Fähigkeiten weist er Defizite in Bereichen wie im taktischen Verständnis und im Defensivverhalten auf. Das ist für einen Spieler seines Alters nicht ungewöhnlich. Umso spannender wird zu beobachten sein, ob er sich an die Robustheit bei den älteren Jahrgängen und den Profis gewöhnt. Die entscheidende Frage im Übergang von der Jugend zu den Erwachsenen lautet: Wie schnell lernt ein Talent dazu? Timo bringt unheimlich gute Voraussetzungen mit, so wie viele andere aus der B-Jugend, die fantastischen Fußball gezeigt hat und Deutscher Meister wurde. Da kommen noch einige nach. Aber wir werden allen die nötige Zeit geben.
SPOX: Hilft es Werner, dass Sie und Trainer Bruno Labbadia früher zu den besten Bundesliga-Stürmern zählten?
Bobic: Das ist definitiv ein großer Vorteil für ihn. Wir reden häufig miteinander, dabei geht es nicht nur um Ratschläge von Stürmer zu Stürmer. Timo hatte zwischendurch den geraden Weg verlassen, dann wieder zurückgefunden. Wir können uns gut in ihn hineinversetzen.
SPOX: Ein weiteres großes Talent verlässt hingegen Stuttgart: Joshua Kimmich, als zweitbester U-18-Spieler ausgezeichnet, unterschrieb für eine Ablöse von 500.000 Euro beim Drittligisten RB Leipzig. Warum?
Bobic: Vorweg: Dass uns Spieler im Nachwuchsbereich verlassen, ist ganz normal. Das gehört dazu und besorgt uns nicht. Bei Kimmich speziell war es so, dass er jetzt schon unbedingt in der 3. Liga spielen möchte und diese Möglichkeit wohl in Leipzig erhält. Bei uns wäre es schwieriger, weil bei uns dort ein gewisser Stau entsteht durch gestandene Spieler und Nachwuchsspielern wie Robin Yalcin oder Rani Khedira, die in ihrer Entwicklung bereits weiter sind. Bei Vereinen, die eine gute Jugendförderung betreiben, kommt es manchmal vor, dass es auf gewissen Positionen zu einem Stau kommt. Das ist nicht weiter schlimm. Wir haben eine Rückkaufoption vereinbart, und beobachten, wie er sich weiterentwickelt.
SPOX: Die Vertragsgestaltung mit einer Rückkaufoption ist in Deutschland, anders als in Spanien, eher ungewöhnlich. Was steckt dahinter?
Bobic: Nichts Großes. Man muss bei der Vertragsgestaltung manchmal flexibel sein. Ein Ausleihgeschäft ist üblich, diesmal haben wir uns auf ein alternatives Modell geeinigt, indem wir erst Geld erhalten, um eventuell später Geld wieder auszugeben. Die Dortmunder machen das auch ganz gerne, wie am Beispiel Bittencourt und Hannover. Die Vertragsgestaltung ist wirklich egal. Viel entscheidender ist die Überlegung, wie man es schafft, Talenten Einsatzzeit zu garantieren. Wir haben Raphael Holzhauser und Kevin Stöger nach oben gebracht und trotzdem im Sommer verliehen, weil sie in ihrem Stadium der Karriere so viel spielen müssen wie möglich. Deswegen geben wir sie ab und schauen in ein, zwei Jahren, ob sich der Stau auf ihren Positionen aufgelöst hat.
SPOX: Sie sprachen Rani Khedira an. Ist er ähnlich begabt wie sein großer Bruder?
Bobic: Es gibt viele Parallelen. Optisch natürlich, auch vom Laufen, vom Bewegungsmuster. Rani hat bereits ein halbes Jahr bei den Profis trainiert, aber die Belastung nicht so gut verkraftet und kleinere Verletzungen erlitten. Dennoch wird er Spielzeiten erhalten. Was mir gefällt: Rani ist geduldig und wartet auf seine Chance. Sami war auch keiner, der von heute auf morgen durchgestartet ist, sondern er gab sich die Zeit zur Entwicklung.
SPOX: Sie selbst entwickelten sich ebenfalls: Als Spieler galten Sie anfangs als Heißsporn, bevor Sie zu einem in sich ruhenden Veteranen wurden. Als Manager sorgten Sie für einige verbale Aufreger, seit einigen Monaten treten Sie diplomatischer auf. Oder täuscht der Eindruck?
Bobic: Der Eindruck täuscht, ich werde weiterhin einen raushausen, wenn ich es für nötig halte. Das gehört dazu. Wenn mir etwas auf den Keks geht, zeige ich Emotionen. Das ist gut, solange man die Grenzen kennt. Und ohne entsprechende Äußerungen könnte das Internet und der Boulevard zumachen. Und das will doch keiner. (lacht)
SPOX: Erwarten Sie, dass die Bayern mit dem noch intensiveren Wettstreit um die Stammplätze für die Schlagzeilen sorgen werden?
Bobic: Die Frage lautet: Können sich die Bayern erneut so disziplinieren, dass sie eine Saison ohne Nebengeräusche zu Ende bringen? Das war das eigentlich Sensationelle im Vorjahr: Wie es der Mannschaft gelang, die Strömungen von außen und von innen zu ignorieren und sich nicht aufheizen zu lassen. Stattdessen - und das war das Schöne - wurde nur über den Erfolg des deutschen Fußballs geschrieben. Das war rundum positiv. Ich sage es sehr ungern: Aber in der Vorsaison waren mir die Bayern mit Ihrem Auftreten sogar sympathisch.
Fredi Bobic im Steckbrief