Das macht Inter so stark

Daniel Börlein
21. Mai 201012:18
Inters zentrale Figuren: Jose Mourinho, Lucio, Esteban Cambiasso und Samuel Eto'o (von links)spox
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Inter Mailand steht im Finale der Champions League - und das nicht ohne Grund. Durch taktisch überragende Auftritte warfen die Italiener nicht nur Mitfavorit Chelsea aus dem Wettbewerb, sondern stoppten auch den FC Barcelona. Die Gründe? Ein ausgeklügeltes Defensivkonzept. Ein Spieler, der überragend antizipiert und eine Offensive, die perfekte Positionswechsel demonstriert. Eine Analyse in vier Teilen.

Die Grundordnung

Jose Mourinho setzt auf ein 4-2-3-1-System. Mit Diego Milito, Samuel Eto'o und Goran Pandew (oder Mario Balotelli) bietet der Inter-Coach in der Regel zwar drei gelernte Stürmer auf, spielen lässt der Portugiese allerdings nur mit einer echten Spitze. Diesen Platz im Angriffszentrum nimmt Stoßstürmer Milito ein.

Die beiden anderen Angreifer sind auf die Außenpositionen einer offensiven Dreier-Mittelfeldreihe zurückgezogen und flankieren den zentralen offensiven Mittelfeldspieler Wesley Sneijder. Dahinter agieren mit Esteban Cambiasso und Dejan Stankovic, der gegen die Bayern den gesperrten Thiago Motta vertritt, zwei klassische Sechser im Zentrum vor der Viererkette.

In der Defensive: Zwei Viererreihen

Bei Ballbesitz des Gegners wird aus dem 4-2-3-1 in der Regel ein 4-4-1-1. Die beiden offensiven Außenspieler (Eto'o und Pandew/Balotelli) lassen sich dann auf Höhe der beiden Sechser fallen und rücken etwas ein, um das Zentrum zu verstärken und von innen nach außen verteidigen zu können (siehe Bild 1). Zwei Viererreihen entstehen.

Aber: Der jeweilige offensive Außenspieler (z.B. Pandew auf links) verschiebt, wenn er sich auf der ballfernen Seite befindet, meist nicht konsequent mit der Mittelfeldreihe Richtung Ball, sondern positioniert sich lediglich so, dass er die Lücke zu seinem defensiven Mittelfeldspieler (Cambiasso oder Stankovic) schließen kann, sobald sich das Spielgeschehen auf seine Seite verlagert (siehe Bild 2). Denn: Bei Ballgewinn sollen sowohl Eto'o als auch Pandew/Balotelli auf der ballfernen Seite starten, um für den schnellen Ball in die Spitze verfügbar zu sein.

Vor den beiden Viererreihen fungieren Sneijder und Milito als Störspieler, deren vornehmliche Aufgabe es ist, die Passwege ins Zentrum der eigenen Hälfte zuzustellen. Sind beide überspielt, ist Sneijder in der Regel von Defensivaufgaben befreit und wartet als erste Offensivstation auf den schnellen Ballgewinn und das Anspiel in den Fuß, während Milito auf Höhe der Innenverteidiger und immer an der Grenze zum Abseits auf den langen Ball lauert.

Die beiden Innenverteidiger (Lucio und Samuel) stehen in der Regel sehr tief, meist nur wenige Meter auseinander und verzichten darauf, auf Abseits zu spielen (siehe Bild 3). Der Pass in die Tiefe durch die zentrale Schnittstelle der Viererkette soll dadurch verhindert werden. Die Folge: Die gegnerischen Angreifer können kein Tempo aufnehmen, dadurch nur wenig Bewegung erzeugen und, wenn überhaupt, nur mit dem Rücken zum Tor agieren. Der direkte Abschluss durch einen Stürmer wird somit erschwert.

Wunder Punkt zwischen Abwehr und Mittelfeld

Ungewöhnlich: Selbst wenn die eigene Mittelfeldreihe aggressiv gegen den Ball arbeitet (meist bei Rückstand oder Remis) bzw. in Ballbesitz nach vorne schiebt, rückt die Innenverteidigung nicht konsequent nach, was man normalerweise tut, um die Abstände zu halten und die Räume nicht zu groß werden zu lassen (siehe Bild 4).

Der Grund: Wird der Gegner unter Druck gesetzt oder der Ball in der eigenen Vorwärtsbewegung verloren, steigt die Wahrscheinlichkeit eines schnellen langen Balles, der umso gefährlicher ist, je größer der Raum hinter den beiden Innenverteidigern ist.

Dieser Gefahr wollen sich Lucio und Samuel nicht aussetzen, wohl vor allem auch, weil Samuel nicht der Schnellste ist. Dennoch: Dieser Raum zwischen defensivem Mittelfeld und Innenverteidigung, der bisweilen verhältnismäßig groß wird, ist ein wunder Punkt des italienischen Double-Gewinners.

Teil 2: Das Defensivbollwerk

Teil 3: Der Lückenspieler

Teil 4: Das Offensivspiel

Das Defensivbollwerk

Inter hat derzeit sicher die am schwersten zu knackende Defensive im europäischen Vereinsfußball. In der abgelaufenen Saison der Serie A spielte die Mourinho-Elf 17-mal zu Null. In den sechs Begegnungen der K.o.-Phase der Champions League gab's gerade mal drei Gegentreffer.

Um defensiv derart wenig zuzulassen, wählt Inter zwischen zwei Defensivvarianten aus, die sich vor allem nach Spielstand und Stärke des Gegners richten. Bei Remis oder Rückstand versuchen die Nerazzurri, den Gegner frühzeitig zu stellen, den Druck in Ballnähe spätestens ab der Mittellinie zu forcieren und den Ball weit weg vom eigenen Tor zu erobern.

Sechser verdichten den Raum

Dazu rückt Sneijder auf Militos Höhe und stört zusammen mit dem Argentinier den Spielaufbau der gegnerischen Viererkette. Auf dem Flügel schieben Eto'o und Pandew/Balotelli hinterher, sobald der Ball zu einem Außenverteidiger wandert. Nur wenige Meter dahinter versetzt, verdichten die beiden Sechser den Raum im Zentrum und stellen den Gegner nach Möglichkeit noch mit dem Rücken zum eigenen Tor (siehe Bild 1 bis 6).

Zwar entsteht dadurch auch immer ein Loch zwischen Innenverteidigung und defensivem Mittelfeld (siehe Grundordnung). Um Druck auszuüben und den Ball frühzeitig erobern zu können, nimmt Inter dieses Risiko allerdings in Kauf. Zudem verfolgen die beiden Innenverteidiger die gegnerischen Angreifer quasi als Manndecker, wenn diese sich als Anspielstationen in den freien Raum bewegen (siehe Bild 7 bis 10).

Inters Spiel gegen den Ball ist hingegen sehr variabel. Nicht immer wird bei Rückstand oder Remis derart früh und mit allen Angriffs- und Mittelfeldspielern attackiert. Vielmehr streut Inter immer mal wieder einen Rhythmuswechsel ein, lässt sich im Block einige Meter zurückfallen und nur Sneijder und Milito leichtes Forechecking betreiben.

Ist Inter in Führung bzw. mit einem Ergebnis zufrieden, ändert sich das Defensivverhalten nochmals. Die komplette Mannschaft steht dann 15 bis 25 Meter tiefer (siehe Bild 11 bis 14). Die Innenverteidigung ist an der Strafraumgrenze postiert, die Außenverteidiger rücken ein, die Mittelfeldreihe wartet nur wenige Meter vor der Viererkette. Selbst Sneijder muss dann Abwehrarbeit verrichten.

Flanken aus dem Halbfeld möglich

Das Ziel: Der Gegner soll keinen Raum in der gefährlichen Zone vor dem Inter-Tor bekommen, keine Gelegenheit haben, Tempo aufzunehmen, sondern sich stattdessen immer wieder im Defensivnetzwerk festlaufen und genötigt werden, die Bälle quer zu spielen, wodurch die Spielkontrolle völlig nutzlos ist. Lediglich auf den Außenbahnen bietet Inter etwas Luft, ist dort mit Maicon und Zanetti allerdings mit starken Eins-gegen-eins-Verteidigern besetzt, die Dribblings unterbinden sollen, Flanken aus dem Halbfeld aber zulassen.

Eine Besonderheit des Inter-Bollwerks: Stoßen gegnerische Mittelfeldspieler aus der zweiten Reihe ohne Ball in die Spitze, übergeben Inters Mittelfeldspieler diese nicht an die eigenen Innenverteidiger, sondern folgen dem Gegenspieler zum Teil bis in den eigenen Strafraum, wodurch Inter im eigenen Sechzehner zu jeder Zeit in Überzahl ist und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, einen gefährlichen Ball klären zu können (siehe Bild 15 bis 18).

Teil 1: Die Grundordnung

Teil 3: Der Lückenspieler

Teil 4: Das Offensivspiel

Der Lückenspieler

Sechs K.o.-Spiele in der Champions League, fünf Siege, nur drei Gegentore: Inters Bilanz in der K.o.-Phase ist herausragend - und ganz eng mit dem Namen Esteban Cambiasso verknüpft.

Der Argentinier stand in allen sechs Partien über 90 Minuten auf dem Platz, ist seit Monaten in blendender Verfassung und der Schlüsselspieler in Mourinhos Defensivkonzept. Denn: Cambiasso antizipiert Spielsituationen unheimlich gut und hat ein überragendes Stellungsspiel. Da stört es wenig, dass der 29-Jährige nicht unbedingt der spritzigste ist.

Cambiasso ist der defensive Taktgeber. Er entscheidet, wann Inter frühzeitig Druck erzeugt oder sich tief in die eigene Hälfte zurückfallen lässt. An ihm orientieren sich der zweite Sechser und die beiden Außenspieler.

Und: Cambiasso schließt die wenigen Lücken in Inters Defensivverbund. Schaltet sich beispielsweise Rechtsverteidiger Maicon ins Spiel nach vorne ein, schiebt Cambiasso in dessen Rücken leicht nach rechts und gibt bei Ballverlust und Gegenangriff, wenn nötig, sogar den Rechtsverteidiger, bis Maicon zurück ist (siehe Bild 1 bis 3).

Oder: Wird der Druck auf die eigene Viererkette zu groß bzw. zieht ein gegnerischer Angreifer einen Innenverteidiger aus dem Zentrum, lässt sich Cambiasso als zusätzliches Glied in die Abwehrkette fallen und verringert dadurch den entstandenen Abstand zwischen den einzelnen Teilen der Viererreihe erheblich, wodurch Anspiele in den Strafraum kaum mehr möglich sind, ohne dass ein Inter-Spieler Zugriff hat (siehe Bild 4 bis 7).

In die Offensive schaltet sich Cambiasso dagegen nur äußerst selten ein, den langen Weg aus dem defensiven Mittelfeld in die Spitze geht er kaum. Die Spieleröffnung und vor allem -verlagerung läuft allerdings häufig über den Argentinier, der nach Ballabgabe seinem Pass sofort hinterher schiebt, um auch im Offensiv-Spiel keine zu großen Lücken entstehen zu lassen und dadurch bei Ballverlust schnellstmöglich eingreifen zu können.

Teil 1: Die Grundordnung

Teil 2: Das Defensivbollwerk

Teil 4: Das Offensivspiel

Das Offensivspiel

Wer glaubt, die Mourinho-Elf ist nur aufgrund der starken Defensivleistung so erfolgreich, der täuscht sich. Inter hat auch in der Offensive eine enorme Qualität, wenngleich Inters Spiel vor allem in der Champions League nicht darauf ausgelegt ist, eine Partie mit hohen Ballbesitzzeiten und Spielkontrolle zu bestimmen. Im Offensivspiel soll der Ball vielmehr schnell in die gegnerische Hälfte gebracht werden.

In der Spieleröffnung greifen Keeper Julio Cesar wie auch die beiden Innenverteidiger deshalb häufig auf lange Bälle zurück. Wird der Ball kurz und flach nach vorne getragen, wandert er meist zu einem der beiden Sechser und von dort oft zu Sneijder. Die beiden defensiven Mittelfeldspieler haben damit ihren offensiven Auftrag erledigt.

Wie Cambiasso rücken auch Motta/Stankovic bei eigenen Angriffen kaum mit nach vorne, sondern halten das Zentrum und verschaffen somit anderen Spielern Freiheiten.

Maicon macht Druck über rechts

Einer davon ist Maicon. Anders als Javier Zanetti, sein Pendant auf links, marschiert der Rechtsverteidiger häufig mit nach vorne und bekommt, weil Eto'o einrückt, meist die komplette Außenbahn zur Verfügung (siehe Bild 1 bis 5).

Überzahl schaffen auf der Außenbahn oder klassisches Hinterlaufen, wie es bei den Bayern Robben und Lahm häufig praktizieren, findet bei Inter nur selten statt. Dafür hat Maicon im Idealfall allerdings mehr Zeit und Raum für seine dynamischen Antritte und scharfe Flanken aus dem Halbfeld.

Der Brasilianer ist ein Schlüssel in der Offensive, die große Stärke Inters ist allerdings die offensive Flexibilität. Im Defensivverhalten haben Eto'o, Pandew/Balotelli, Sneijder und Milito klare Aufgaben zu erfüllen, kommt der Ball allerdings in die Offensive, hat dieses Quartett alle Freiheiten.

Ohne Plan oder völlig spontan läuft es allerdings auch im Offensivspiel nicht ab. Die Idee: Andauernde Positionswechsel. Trägt Inter den Ball kontrolliert nach vorne, bewegen sich alle Akteure des Offensiv-Quartetts - und zwar variierend zwischen vertikalen und horizontalen Laufwegen.

Sneijder als fixe Anspielstation

Heißt beispielsweise: Milito startet aus dem Sturmzentrum parallel zur gegnerischen Viererkette nach außen, während Pandew von der linken Außenbahn Richtung Mitte einläuft und Eto'o auf der Gegenseite für den weiten Diagonalpass mit Tempo in die Schnittstelle zwischen Außen- und Innenverteidiger geht (siehe Bild 6 bis 10).

Während Milito, Pandew/Balotelli und Eto'o für Geschwindigkeit und damit Bewegung in der eigenen Offensive sowie der gegnerischen Defensive zuständig sind, geht Sneijder nur selten mit Tempo nach außen oder in die Tiefe, sondern dient als fixe Anspielstation im offensiven Zentrum und fungiert als Ballverteiler (im Idealfall per Direktpass) oder sucht selbst den Abschluss aus der zweiten Reihe (siehe Bild 8 und 9).

Teil 1: Die Grundordnung

Teil 2: Das Defensivbollwerk

Teil 3: Der Lückenspieler