Seit 2011 trainiert der Schweizer Marcel Koller die österreichische Nationalmannschaft , mit der er sich für die EM 2016 qualifizierte. Im Interview spricht Koller über den Imagewandel von Marko Arnautovic, die ideale Position von David Alaba und den richtigen Weg, auf den er zurückfinden muss. Er erzählt von Lukas Podolskis Profi-Anfängen, geheimen Verhandlungen und komplizierten Dialekten.
SPOX: Herr Koller, Sie sind Schweizer und seit etwas mehr als fünf Jahren Nationaltrainer von Österreich. Gibt es zwischen Ihnen und Ihren Spielern manchmal noch sprachliche Verständigungsprobleme?
Marcel Koller: Das soll zwar alles Deutsch sein, was meine Spieler reden, aber bei manchen Dialekten bin ich mir nicht ganz so sicher. Teilweise ist es schon gewöhnungsbedürftig, wenn die miteinander reden. Speziell bei den Steirern muss ich genau zuhören. Da gibt es einige Worte, die ich nicht verstehe. (lacht)
SPOX: Und umgekehrt?
Koller: Sobald die Spieler ihre Augenbraunen hochziehen, weiß ich, dass ich etwas zu viel Schwyzerdütsch gesprochen habe. Mit Marc Janko vom FC Basel haben wir aber auch einen Spieler, der übersetzen kann.
SPOX: Worin unterscheidet sich denn der Schweizer abgesehen von der Sprache vom Österreicher?
Koller: Der Schweizer ist konsequent, genau und pünktlich; der Österreicher steht dem um nichts nach, ist manchmal aber etwas gemütlicher.
SPOX: Etwas Gemütlichkeit wurde in der öffentlichen Wahrnehmung zuletzt auch Ihrem wichtigsten Spieler David Alaba unterstellt.
Koller: Ja, in den vergangenen Monaten wurde er zum ersten Mal in seinem Leben kritisiert, bis dahin war er immer Everybody's Darling. Es ist ihm bewusst geworden, dass es auch möglich ist zwei, drei Mal hintereinander schlechter zu spielen. Jetzt spürt er, was für einer enormen physischen und psychischen Belastung er ausgesetzt ist.
SPOX: Können Sie die Kritik an ihm nachvollziehen?
Koller: Er hat nicht immer gut gespielt, aber auch nicht so grottenschlecht, wie es manchmal geschrieben wurde. Er muss das wegstecken und wieder auf den Weg zurückfinden, den er schon eingeschlagen hatte. Die aktuellen Erfahrungen sind wichtig für seine Entwicklung. Jetzt sind wir gefordert, ihm gut zuzusprechen und dazu beizutragen, dass er wieder seinen optimalen Level erreicht.
gettySPOX: Wo ist Alabas ideale Position auf dem Platz?
Koller: Meiner Meinung nach ist er im zentralen Mittelfeld am besten, er ist aber auch ein sehr guter Linksverteidiger. Überhaupt hat er in seiner Karriere schon fast alle Positionen gespielt und diese immer gut ausgefüllt. David ist ein Spieler, der eine hohe Intelligenz hat und sich schnell an neue Positionen gewöhnen kann.
SPOX: Im Nationalteam spielt er fast ausschließlich in der Mitte.
Koller: Im zentralen Mittelfeld ist er für uns am wichtigsten, aber es ist auch sehr gut möglich, dass wir ihn mal links hinten einsetzen.
SPOX: Dort spielt er meist bei den Bayern. Hätten Sie es gerne, wenn er auch im Klub in der Mitte spielen würde?
Koller: Natürlich wünsche ich es mir, aber es gibt bei den Bayern fünf, sechs andere Spieler mit sehr hoher Qualität, die dort einsetzbar sind und es ist gleichzeitig schwierig, gute Linksverteidiger zu finden. Bei uns lautet die Frage: Was haben wir in der Mitte für Alternativen?
SPOX: Zum Beispiel Alessandro Schöpf, aber auch er spielt bei seinem Verein Schalke 04 auf der Seite.
Koller: Auch bei ihm hätte ich es lieber, dass er im Verein in der Mitte spielt. Alessandro ist aber ähnlich wie David ein Spieler, der sich schnell auf verschiedenen Positionen zurechtfindet.
SPOX: Sprechen Sie mit den jeweiligen Klub-Trainern eigentlich über Ihre Wünsche hinsichtlich der Positionen Ihrer Spieler?
Koller: Nein, ich möchte mich nirgends einmischen. Ich hätte es auch nicht gerne, wenn mir ein anderer Trainer sagen würde, wo der eine oder andere Spieler eingesetzt werden soll.
SPOXSPOX: Guido Burgstaller spielt derzeit bei Schalke auf seiner idealen Position in der Sturmmitte, wo das österreichische Nationalteam dünn besetzt ist. Warum haben Sie ihn zuletzt weitestgehend ignoriert?
Koller: Er hat 2012 unter mir gegen Finnland sein Debüt im Team gegeben und kam insgesamt neun Mal zum Einsatz. In Nürnberg hat er viele Tore geschossen, aber in der zweiten Liga. Das ist schon ein ganz anderes Niveau als das Nationalteam. Jetzt macht er es aber auch bei Schalke sehr gut und wird eventuell wieder seine Chance bekommen. Wir trauen ihm jedenfalls nicht nur die Position in der Sturmmitte, sondern alle offensiven Posten zu.
SPOX: Somit könnte er auch zu einem Konkurrenten für Marko Arnautovic werden. Er hat unter Ihnen einen erstaunlichen Imagewandel vollzogen.
Koller: Es war von Anfang an unser Ziel, dass wir aus einem sehr, sehr guten Individualisten einen sehr, sehr guten Teamspieler machen. Wir haben ihm erklärt, dass er nicht nur laufen muss, wenn wir den Ball haben, sondern auch wenn wir ihn verloren haben. Das hat er verinnerlicht und stellt seine Qualitäten mittlerweile in den Dienst der Mannschaft.
SPOX: Trotzdem gilt er als schwieriger Charakter, speziell aus seiner Zeit in Bremen gibt es viele fragwürdige Anekdoten.
Koller: Ich habe diese Geschichten alle gehört. Am Anfang wurde ich bei jedem Interview gefragt, ob ich dieses Gerücht gehört hätte oder jenes, wie schwierig er ist und was ich alles machen müsste, um ihn zurechtzubiegen. Das hat mich aber nicht interessiert, denn ich wollte den Menschen selbst kennenlernen und herausfinden, ob er wirklich so ist, wie alle sagen.
SPOX: Und was ist Marko Arnautovic für ein Mensch?
Koller: Ich habe Marko als einen sehr herzlichen und freudigen jungen Menschen kennengelernt. Er ist jemand, der etwas erleben will und Dinge anders macht als andere. Wenn mir davon etwas nicht passt, sage ich ihm das klar und deutlich.
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SPOX: Im vergangenen Sommer hat ihr Spieler Martin Hinteregger im Zuge seines Wechsels von RB Salzburg nach Augsburg klar und deutlich gesagt, was er vom Konstrukt RB und den Transfers von Salzburg nach Leipzig hält. Wie beurteilen Sie diese Äußerungen?
Koller: Ich kenne die Details nicht, aber das ist eben seine Meinung. Prinzipiell finde ich es gut, wenn Spieler eine Persönlichkeit haben und ihre Meinung öffentlich kundtun.
SPOX: Sie persönlich betreiben viel Öffentlichkeitsarbeit über die sozialen Medien, auf Facebook sind Sie sehr aktiv. Was ist die Idee dahinter?
Koller: Für die Fans ist es sehr schwierig, den Teamchef und seine Aufgabenfelder zu fassen. Die fragen sich, was ich zwischen den Länderspielen alles mache. Facebook ist eine sehr gute Plattform, um das zu zeigen. Deshalb poste ich dort zum Beispiel Fotos von Spielen, die ich besuche. So haben die Fans das Gefühl, nah dran zu sein und sie sehen auch, welche Spieler ich beobachte. Wenn ich unter der Woche im Büro sitze, poste ich aber keine Selfies. (lacht)
SPOX: Wie oft sind Sie im Stadion?
Koller: Das variiert, aber am Wochenende bin ich eigentlich immer unterwegs, meistens in Österreich, England oder Deutschland. Ob der jeweilige Klub-Trainer den Spieler, den ich beobachten will, auch tatsächlich einsetzt, weiß man vorher nie. Aber vor dieser Herausforderung stehen alle Teamchefs.
SPOX: Das sind Probleme, die man im Vereinsfußball nicht hat. Vermissen Sie ihn manchmal?
Koller: Im ersten halben Jahr als Nationaltrainer musste ich mich an die neue Arbeitsweise gewöhnen. Beim Verband hat man fast keine Zeit, Dinge zu trainieren und mit den Spielern ausführlich über die Spiele zu sprechen. Wenn die Spieler kommen, haben Sie die Ideen vom Klub-Trainer im Kopf und dann habe ich nur drei, vier Trainingseinheiten Zeit, um meine Ansätze in ihre Köpfe zu bekommen.
SPOX: Ihr Vertrag beim ÖFB läuft nach der WM-Qualifikation beziehungsweise nach der WM aus. Gab es schon Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung?
Koller: Nein, wir haben noch keine Gespräche geführt.
SPOX: Wollen Sie irgendwann in den Klubfußball zurückkehren?
Koller: Das kann ich mir sehr gut vorstellen.
SPOX: In der Saison 2003/04 waren Sie einige Monate Trainer des 1. FC Köln und sind letztlich abgestiegen. Wie beurteilen Sie diese Zeit mit etwas Abstand?
Koller: Damals war das Umfeld in Köln sehr unruhig, alles war hektisch und nervös. Wenn in den Medien immer Geschrei ist und teilweise nicht immer die Wahrheit geschrieben wird, ist es schwierig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
SPOX: Mittlerweile ist in Köln Ruhe eingekehrt.
Koller: Das ist der Verdienst von Präsidium, Manager Jörg Schmadtke und Trainer Peter Stöger. Sie haben die richtigen Spieler ausgewählt, führen die Mannschaft sehr gut und haben so die Hektik aus der Stadt vertrieben.
SPOX: In Ihrer kurzen Zeit in Köln haben Sie bleibenden Eindruck hinterlassen, indem Sie Lukas Podolski in die erste Mannschaft geholt haben.
Koller: Ich habe gesehen, dass er Power und einen hervorragenden linken Fuß hat und ihm einfach vertraut. Er wusste immer, dass er viel trainieren muss und wenn er das nicht gemacht hat, habe ich es ihm klar gesagt. Es freut mich jedenfalls, welche Karriere er gemacht hat. Besonders finde ich an Lukas, dass er nie abgeboben ist und sich von außen nicht beeinflussen lässt. Er ist sehr herzlich und will immer allen helfen.
SPOX: In Bochum, Ihrer zweiten Station in Deutschland, waren Sie knapp viereinhalb Jahre tätig.
Koller: Ich habe den Klub in der zweiten Liga übernommen und bin direkt aufgestiegen. Trotz geringer finanzieller Mittel habe ich den VfL drei Jahre lang in der Bundesliga gehalten. Mittlerweile ist Bochum seit sieben Spielzeiten in der zweiten Liga und der Weg geht eher Richtung dritte.
SPOX: Nach ihrer Tätigkeit in Bochum waren Sie knapp zwei Jahre ohne Job. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Koller: Ich habe eine Pause gebraucht und erstmal Urlaub gemacht, um ein bisschen Abstand zu gewinnen. Dann habe ich mich fortgebildet, etliche Spiele im Stadion angeschaut und mit vielen Leuten gesprochen. Ich hatte auch das eine oder andere Angebot, aber es hat nie hundertprozentig gepasst - bis die Österreicher gekommen sind.
spoxSPOX: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie das Angebot erhalten haben?
Koller: Dass ich für so einen Job noch viel zu jung bin. (lacht)
SPOX: Und dann?
Koller: Ich habe mir ein paar Spiele angeschaut und gesehen, dass die Mannschaft über viel individuelles Potenzial verfügt. Die Gespräche mit den handelnden Personen waren auch gut und so sind wir zusammengekommen.
SPOX: Von großen Teilen der österreichischen Öffentlichkeit und vielen Experten wurde Ihre Anstellung sehr kritisch beurteilt. Waren Sie von der Wucht der Ablehnung überrascht?
Koller: Ich habe schon mit Kritik gerechnet, weil es immer erst einmal negativ gesehen wird, wenn ein Ausländer Nationaltrainer wird. Entscheidend an der Wucht war eventuell auch, dass meine Verhandlungen mit dem ÖFB erst sehr spät publik wurden.
SPOX: Inwiefern hatte das Auswirkungen?
Koller: Die Medien wussten lange nichts von den Verhandlungen und erst um etwa 22 Uhr am Tag vor der Vorstellungs-PK sind erste Informationen durchgesickert. Die Journalisten und Experten standen deshalb unter Zeitdruck und konnten nur wenig recherchieren, bevor sie ihre Meinungen abgeben mussten. Der eine oder andere hat sich später für sein vorschnelles Urteil bei mir persönlich entschuldigt. Jetzt ist die Kritik aber wieder am Kommen, weil die Ergebnisse derzeit nicht stimmen.
SPOX: Österreich hinkt in der WM-Qualifikation hinterher, glauben Sie noch an eine Teilnahme?
Koller: Es ist noch nichts verloren.
SPOX: An der zurückliegenden EM hat Österreich teilgenommen, nach einer überragenden Qualifikation aber ein schwaches Turnier gespielt. Hat das Team in der Qualifikation über seinem Leistungsvermögen gespielt, oder beim Turnier darunter?
Koller: Wir haben in der Qualifikation zwar gut gespielt, hätten aber auch da Spiele verlieren können. Im Vorfeld der EM haben wir das nötige Glück verloren und beim Turnier selbst waren zur gleichen Zeit vier, fünf Schlüsselspieler nicht in Form und dann wird es für ein Land wie Österreich sehr schwierig. Ein Grund für die schwache EM war aber unsere mangelhafte Chancenverwertung.
SPOX: Womöglich war auch die Erwartungshaltung im Land zu hoch.
Koller: Es gab in Österreich einen enormen Hype und den wollten wir natürlich nicht sprengen. Hier gibt es nur himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt und dazwischen nichts. In vielen Situationen wäre aber ein Mittelweg besser.
SPOX: Worauf legen Sie beim Zusammensein mit dem Nationalteam besonderen Wert?
Koller: Für mich ist es wichtig, dass sich die Spieler wohlfühlen und gerne herkommen, weil ich davon überzeugt bin, dass sie so ihre besten Leistungen abliefern können. Wenn die Spieler verklemmt sind und unter großer Anspannung stehen, funktioniert es nicht.
SPOX: Fast alle Ihrer Nationalspieler sind Legionäre. Tendieren Sie bei zwei ähnlich guten Spielern zu dem, der im Ausland spielt?
Koller: Nein, das spielt keine Rolle. In diesem Fall entscheiden wir uns für den jüngeren.
Marcel Koller im Steckbrief