"Mein Bruder ist kein Streber"

Jochen Tittmar
18. Dezember 201412:34
Rani Khedira bestritt sein Bundesliga-Debüt am 1. September 2013 für den VfB Stuttgartimago
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Rani Khedira debütierte in der vergangenen Saison beim VfB Stuttgart in der Bundesliga. Im Sommer wechselte der Bruder von Sami allerdings in die 2. Liga zu RB Leipzig - und ist dort unumstrittener Stammspieler. Im Interview spricht Khedira über die Gründe und Auswirkungen seines Wechsels, den Einfluss der Fernsehserie "GZSZ" auf den Zusammenhalt bei RB und seinen zweiten Bruder Denny - nicht aber über Sami.

SPOX: Herr Khedira, haben Sie schon einmal ein größeres Interview geführt, ohne über Ihren prominenten Bruder sprechen zu müssen?

RaniKhedira: So ganz ohne noch nie, nein.

SPOX: Hätten Sie Lust darauf, das mal zu tun?

Khedira: Wir können es gerne einmal versuchen (lacht).

SPOX: Dann lassen Sie uns, um das Familiäre gleich zu Beginn abzuhaken, über Ihren nicht prominenten Bruder Denny sprechen. Es heißt, er hätte fußballerisch das größte Talent mitgebracht, brach sich aber in jungen Jahren den Oberschenkel und litt danach unter Asthma. Wie froh ist er mittlerweile, sich nicht in der Fußballwelt aufzuhalten?

Khedira: Ich glaube, ihm gefällt es ganz gut, keine aktive Rolle in diesem Geschäft auszuüben und ohne den Druck zu leben. Er hat es nicht so gerne, in der Öffentlichkeit aufzutauchen und ist eher der Typ, der sich im Hintergrund hält. Im Grunde ist er ein ganz normaler Fußball-Fan. Wenn er nicht live dabei sein kann, sitzt er vor dem Fernseher und schaut zu. Diese Rolle passt ihm gut in den Kram, er ist rundum glücklich mit seinem Leben.

SPOX: Denny hat Abitur und BWL-Studium mit der Note 1,0 abgeschlossen. Streber?!

Khedira: Mein Bruder ist kein Streber, nein. Im Gegenteil: Er hat mit relativ wenig Aufwand gute Leistungen erbracht. Das scheint bei ihm angeboren zu sein. Sein Talent ist es, die Dinge aus mehreren Blickwinkeln betrachten zu können. Da entdeckt er dann auch etwas, was anderen vielleicht verborgen bleibt.

SPOX: Er kickt zwar immer noch bei Ihrem Heimatverein TV Oeffingen, was aber macht er hauptberuflich?

Khedira: Er macht derzeit noch seinen Master. Nebenher ist er Geschäftsführer der "Khedira 28 Marketing GmbH", die sich um die gesamte Öffentlichkeitsarbeit meines großen Bruders kümmert. Er organisiert Veranstaltungen und leitet Projekte. Dass er diese Herausforderungen annimmt, entspricht einfach seinem Naturell. Er ist also ganz gut beschäftigt.

SPOX: Nehmen Sie innerhalb dieses Dreigestirns eine bestimmte Position ein?

Khedira: Keine besondere. Uns gab es früher immer nur im Paket. Wenn wir draußen gebolzt haben, waren wir drei immer in einer Mannschaft. Da hat kein Blatt Papier zwischen uns gepasst. Es hatte aber niemand eine spezielle Rolle inne, alle waren gleichberechtigt. Wir waren eben Brüder, die schwer auseinander zu dividieren waren.

SPOX: Jetzt trennen Sie beinahe 500 Kilometer von der Heimat, Sie sind zum ersten Mal dem heimeligen Nest entflohen. Was ist denn am lästigsten, wenn man seinen eigenen Haushalt organisieren muss?

Khedira: Das ständige Aufräumen ist mir schon ein Graus.(lacht) Viele sagen, dass 500 Kilometer nicht extrem sind. Ich bin ja auch in vier, fünf Stunden in der Heimat. Doch der Schritt nach Leipzig und all seine Begleitumstände sind für mich wie eine neue Welt. Ich habe 20 Jahre lang zuhause gewohnt, alle tagtäglich gesehen und mit ihnen gegessen. Jetzt bin ich sozusagen alleine in Leipzig und weit weg von meiner Familie. Ich sehe sie vielleicht alle zwei Wochen mal. Das ist für mich daher schon gewaltig und ein neuer Lebensabschnitt. Doch ich bin sicher: Daran werde ich reifen und erwachsener werden. Ich muss jetzt viele Aufgaben alleine bewältigen. Da sieht man, was man im privaten Alltag alles leisten muss.

Die OPTA-Spielerstatistik von Rani Khedira in der Saison 2014/2015

SPOX: Groß geworden sind Sie beim VfB Stuttgart. Sie bezeichneten den Klub mal als Ihren Traumverein, haben ihn dennoch im Sommer verlassen. Wenn Sie die dortige sportliche Entwicklung sehen, wie richtig war dann der Wechsel?

Khedira: Ich würde sagen, dass ich zu einhundert Prozent richtig gelegen habe. Ein Wechsel musste sozusagen auch stattfinden, da man mir in Stuttgart keine Perspektive aufgezeigt hat. Der VfB plante nicht mehr mit mir, ich sollte mir etwas Neues suchen. Das Angebot aus Leipzig passte mir deshalb perfekt rein. Ich habe mir hier alles anschauen können und war vom Weg, den man eingeschlagen hat und weiterhin gehen wird, sofort überzeugt. Ich identifiziere mich mit RB Leipzig, weil hier sehr professionell mit vielen jungen Spielern gearbeitet wird. Hier wird nicht mit Geld gewedelt, wie man immer wieder lesen kann.

SPOX: Aber Sie haben noch Sympathien für Stuttgart, oder? SPOX

Khedira: Ich hänge noch am VfB und schaue mir wenn irgendwie möglich jedes Spiel an. Ich habe dort jahrelang gespielt, das kann ich natürlich nicht einfach so abschütteln. Das Ende war nicht so toll, aber da muss ich drüberstehen.

SPOX: Gab es im Sommer eigentlich mehrere Optionen für Sie?

Khedira: Leipzig war der erste Klub, der sich gemeldet hat. Da dort für mich alles gepasst hat und der Transfer schnell über die Bühne ging, war es sozusagen auch das einzige Angebot.

SPOX: Wussten Sie beim VfB nicht, wie groß das Vertrauen in Sie sein würde?

Khedira: Ich glaube, dass man eher gar kein Vertrauen mehr in mich hatte. Mir wurde gesagt, dass ich beim Training der Profis mitmachen kann. Wo ich aber letztlich spielen werde, wurde nicht deutlich. Mir hat da einfach eine klare Aussage gefehlt. Ich wollte kein Jahr erleben, in dem ich keine Heimat habe. Da trainieren und hier spielen - das war mir zu schwammig. Deshalb musste ich den Schritt wagen zu wechseln.

SPOX: Wie erklären Sie sich diese Haltung Ihres Ex-Vereins?

Khedira: Gar nicht. Es war eine Entwicklung. Als ich letzte Saison in den Abstiegskampf hineingeworfen wurde und wir die ersten beiden Spiele ordentliche Leistungen abgeliefert haben, versuchte man gleich, mich als den neuen Mittelfeldstrategen hochzujubeln. Als danach dann aber die Niederlagenserie begann und wir immer tiefer in den Schlamassel geraten sind, hat man Schuldige gesucht. So bin ich wieder aus dem Fokus geraten, unter Huub Stevens habe ich dann gar nicht mehr gespielt. Und dann stehen die Karten eben schlecht.

SPOX: In Alexander Zorniger haben Sie jetzt einen Trainer, der nicht nur auf Sie setzt, sondern wie Sie aus Schwaben kommt. Wie extrem wird denn zwischen ihnen beiden geschwäbelt?

Khedira: Wir schwäbeln schon miteinander, so dass die Hochdeutschen- und Österreicher-Fraktion in unserer Mannschaft nicht immer den Durchblick hat. Allerdings muss ich sagen, dass er natürlich viel extremer ist als ich. Er kommt aus einer Gegend, in der der Dialekt nochmal gesteigert wird im Vergleich zum Raum Stuttgart. Wenn er sein richtiges Schwäbisch auspackt, muss auch ich richtig hinhören.

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SPOX: Zorniger ist dafür bekannt, eine sehr enge Beziehung zu seinen Spielern aufzubauen und viel mit ihnen zu sprechen. War das für Sie anfangs ungewohnt?

Khedira: Ungewohnt schon, aber man lernt das natürlich schnell sehr zu schätzen. Alex Zorniger redet einen regelrecht stärker. Ich kannte es zuvor nicht so, finde es aber bemerkenswert, wie häufig er sich Zeit für den Einzelnen nimmt. Das bringt dich als jungen Spieler sehr voran, wenn du jemanden hast, dem du vertrauen kannst, dir dich im Blick hat und dir Feedback jeglicher Art zukommen lässt. Er sagt mir nicht nur, was ich individuell richtig oder falsch gemacht habe, sondern wie ich mich in unserem laufintensiven Spielsystem am effektivsten bewege. Ich weiß, dass ich noch sehr viel an mir arbeiten muss, bin aber froh, jemanden zur Seite zu haben, der mir pausenlos Tipps und Hinweise gibt.

SPOX: Was sind denn seine größten Eigenheiten?

Khedira: Irgendwelche Extreme habe ich an ihm bislang nicht wahrnehmen können. Die Eigenschaft, die mir am meisten an ihm gefällt ist, dass er sehr ehrlich ist. Er weiß, wie er die Zügel in der Hand halten muss und kann das auch auf unterschiedliche Weisen, bleibt dabei aber immer konsequent und ehrlich.

SPOX: Der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft wird von vielen Spielern gelobt. Ist diese Leipziger Kollegialität eine neue Dimension für Sie?

Khedira: Es geht. Wir treten hier als eine große Gruppe, als ein Team auf. Das war in Stuttgart nicht immer so. Die Mischung passt einfach. Man darf nicht vergessen, dass wir auch einige ältere Spieler wie Tim Sebastian oder Marvin Compper dabei haben, die dem Jugendtrend so ein bisschen entgegenwirken. Ich habe es noch nie erlebt, dass man sowohl viel Spaß miteinander haben kann, als auch gemeinsam zielgerichtet arbeitet.

SPOX: Welche Rolle spielt denn beim Thema Zusammenhalt die Fernsehserie "Gute Zeiten schlechte Zeiten"?

Khedira: (lacht) Das habe ich jetzt einmal irgendwo erwähnt und seitdem verfolgt es mich.

SPOX: Zu Recht natürlich.

Khedira: Ich schaue mir die Serie an, seit ich klein bin. Und wir haben eben viele GZSZ-Gucker im Team. Dann tauschen wir uns darüber aus. Das ist auch schon alles. Es ist ja nicht so, dass dies das einzige Thema wäre, über das wir reden. Gute Zeiten, schlechte Zeiten - das ist ein Titel, der auch zu einer Fußball-Mannschaft und zum Leben an sich passt. Sagen wir es so: Der Zusammenhalt hat bisher nicht darunter gelitten, dass viele im Team diese Serie anschauen (lacht).

SPOX: Nicht mehr lange und Sie erreichen als Profispieler in den Ligen 1, 2 und 3 die 100-Spiele-Marke. Ihr Debüt haben Sie vor rund drei Jahren gefeiert. Wie sehen Sie sich momentan selbst? SPOX

Khedira: Ich sehe mich nach wie vor als jungen und entwicklungsfähigen Spieler. Ich muss und will noch viel lernen. Nur so komme ich voran. Ich habe schon öfter gehört, dass man mit 20 kein Talent mehr ist. Ich weiß aber gar nicht, ab wann man ein Talent ist und ab wann dann nicht mehr. Ob man mich daher als Talent bezeichnet oder nicht, ist mir relativ egal.

SPOX: In den 83 Profipflichtspielen, die Sie bislang absolviert haben, schossen Sie nur ein Tor - im September 2013 gegen Wacker Burghausen. Schon eher eine magere Ausbeute, oder?

Khedira: Das können Sie laut sagen.

SPOX: Dabei taucht man als Sechser bei RB Leipzigs extremer Vorwärtsverteidigung doch ungewohnt häufig im gegnerischen Sechzehner auf. Wie ist das Feedback von Zorniger dazu?

Khedira: In erster Linie geht es natürlich ums Kollektiv. Gerade auf meiner Position im defensiven Mittelfeld habe ich Aufgaben, die wichtiger sind als das bloße Toreschießen. Dem Trainer und mir ist es wichtig, dass dies zufriedenstellend erledigt wird. Aber klar, die Ausbeute ist schon dürftig. Der Trainer fordert in den Abschlusssituationen von mir, noch mehr Willen zu entwickeln und mit aller Macht die Bude auch erzielen zu wollen. Und genau das werde ich weiter versuchen.

SPOX: Dass der Verein in Fußball-Deutschland ein Reizthema ist, wussten Sie schon vor Ihrem Wechsel. Wie haben denn Ihre Kumpels reagiert, als die mitbekamen, Sie wechseln ausgerechnet dorthin?

Khedira: Die haben mir alle durchweg gratuliert. Ich bin sowieso der Meinung, dass uns viele Leute sozusagen hinter verschlossenen Türen gerne zuschauen, weil sie wissen, dass wir gute Arbeit leisten.

SPOX: Glauben Sie, RB Leipzig wäre populärer, wenn eine breitere Öffentlichkeit die Mannschaft regelmäßiger spielen sehen würde?

Khedira: Mit Sicherheit. Natürlich wird die 2. Liga deutlich weniger verfolgt als die Bundesliga. Man merkt aber, dass aufgehorcht wird, wenn es um den Verein RB Leipzig geht. Es interessiert, wie sich der Verein entwickelt und man nimmt zur Kenntnis, dass wir gute Ergebnisse abliefern, obwohl wir eben keine mit Dutzenden Millionen Euro zusammengekaufte Truppe sind.

SPOX: Herr Khedira, das wär's gewesen. Vielen Dank für das Gespräch! Jetzt haben wir es tatsächlich geschafft, nicht einmal den Namen Ihres großen Bruders in den Mund zu nehmen.

Khedira: Wahnsinn, das muss ich ihm erzählen (lacht). Danke und gerne!

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