Erinnerungen an die 54er-Legenden: Klammheimlich mausert sich Ungarn zu einem der Aufsteiger in Europa. Ebenfalls bemerkenswert: Israels Tormaschine Tomer Hemed, Jürgen Klinsmanns "Neuner-Zehner-Hybrid" und der "neue" Lionel Messi. Kanada erlebt in Honduras den Reinfall des Jahres. Alle Kontinente im Überblick - ausgenommen Afrika, wo im Oktober die Africa-Cup-Quali ausgetragen wurde.
Europa
Die gesamte Qualifikation im Überblick
Das Team der Stunde: Ungarn. Die Türkei trauert nach den beiden Niederlagen am Doppel-Spieltag sowie dem fast sicheren Verpassen der WM 2014. Und das bereits nach vier von zehn Partien. Es ist die wohl größte Enttäuschung der bisherigen Quali - wovon vor allem Ungarn profitieren dürfte. Hinter den makellosen Niederländern (12 Punkte in 4 Spielen bei 13:2 Toren) liegt Ungarn (9) in der Gruppe D auf Platz zwei, was zur Teilnahme an den Playoffs berechtigt. Dahinter folgen die ballfertigen und punktgleichen Rumänen (9) sowie die abgeschlagene Türkei (3).
Die Ergebnisse sind Zeugnis des Aufschwungs: Die Ungarn besiegten die Türken (mit Sahin, Hamit Altintop, Ekici, Torun, Toprak, Sararer) jüngst mit 3:1 und zuvor Estland mit 1:0. Überhaupt wurde 2012 in neun Spielen nur einmal verloren, und das gegen die derzeit übermächtigen Niederländer (1:4).
Der Protagonist von all dem heißt Sandor Egervari. Der 62-jährige Nationaltrainer verantwortete bereits als Nachwuchscoach den dritten Platz der ungarischen U 20 bei der WM 2009 - der größte Erfolg des Landes seit dem WM-Finale 1954. Um nach der WM 1986 erstmals wieder an einem Großturnier teilzunehmen, verfolgt Egervari seit der Amtsübernahme im Sommer 2010 einen recht einfachen Plan: "Das neue Team soll um die Helden von 2009 gebaut werden."
Entsprechend finden sich in der Mannschaft neben Auslandsprofis wie Gabor Kiraly (1860 München), Tamas Hajnal (Stuttgart), Adam Szalai (Mainz), Anführer Zoltan Gera (West Bromwich), 19-Millionen-Euro-Mann Balazs Dzsudzsak (Dynamo Moskau) sowie dem ewigen Imre Szabics (Graz) eben auch fünf Spieler von der WM 2009 - wobei Egervari seinen Supertalenten von einst durchaus ergeben ist. Stürmer Krisztian Nemeth (Kerkrade), vor einigen Jahren in Liverpool hofiert, spielt ob der Erfolglosigkeit bereits beim achten Klub seiner jungen Karriere. Bei Vladimir Koman (Krasnodar, früher Sampdoria) sind es derer sechs. Dennoch verbleiben sie in der Nationalmannschaft - und das mit Erfolg.
Der Spieler der Stunde: Tomer Hemed (Israel). Der beste Stürmer (5 Tore) der Primera Division nach den großen Drei (je 8: Messi, Ronaldo, Falcao) und ausgestattet mit jeder Menge Selbstvertrauen. Ende September antwortete der Israeli des RCD Mallorca auf die Frage, ob er vor Messi die Torjägerkanone gewinnen könnte: "Ich messe mich nicht mit Messi, er ist in einer anderen Liga. Lasst uns bescheiden sein und uns keine unrealistischen Ziele setzen. Ich würde mich mit dem zweiten Platz zufrieden geben."
In der Torschützenliste der WM-Quali ranigert er jedenfalls gemeinsam mit Edin Dzeko und Mesut Özil auf dem ersten Platz - dank seiner Zielgenauigkeit beim Doppel-Spieltag gegen Luxemburg. Beim 6:0 und dem 3:0 traf er insgesamt fünfmal. Statt übermäßig zu feiern, sprach er allerdings lieber über den im März anstehenden Gegner Portugal: "Das wird eine komplett andere Story." Eine Story mit Finalcharakter, duellieren sich doch Israel (Zweiter, 7 Punkte) und Portugal (Dritter, ebenfalls 7 Punkte) in der Gruppe F um den Playoff-Platz hinter Russland (12).
Der Bundesliga-Legionär der Stunde: David Alaba (Österreich). Während Christian Fuchs zu einer Phrase griff, um das Erlebte zu beschreiben ("Wie aus dem Märchenbuch"), wollte der Gefeierte selbst nichts zur Aufregung beitragen: "Nach so einer Pause war es ganz in Ordnung", sagte Alaba. Dabei war es viel mehr als das: Nach einem Ausfall von drei Monaten wegen eines Ermüdungsbruchs stellte Nationaltrainer Marcel Koller den 20-Jährigen gleich in die Startelf gegen Kasachstan, nachdem das Hinspiel vier Tage zuvor blamabel 0:0 ausgegangen war.
Alaba sagte vor dem Spiel: "Ich bin kein Heilsbringer" - und wurde es dann doch. Mit zwei Flanken auf Marc Janko leitete er die ersten beiden ÖFB-Treffer ein, das 3:0 erzielte er selbst.
Südamerika: Aufstand der Winzlinge
Nord- und Mittelamerika: Kanada erlebt Reinfall des Jahres
Asien: Robbie Kruse sorgt für Furore
Südamerika
Das Team der Stunde: Ecuador. Nirgendwo verändern sich die Machtverhältnisse so schnell wie in Südamerika: Vor ein, zwei Jahren schickten sich das taktisch brillante Uruguay sowie das wilde Chile an, das Duopol von Argentinien und Brasilien anzugreifen. Statt aber weiter zu prosperieren, rutschten die beiden in eine mittelschwere Sinnkrise: Uruguay ist nach einem 1:4 in Bolivien und einem 0:3 in Argentinien nur noch Fünfter der Südamerika-Gruppe. Chile, 1:2 gegen Argentinien und 1:3 in Ecuador unterlegen, fiel sogar auf den sechsten Platz.
Stattdessen gibt es neue Regenten neben Spitzenreiter Argentinien: Kolumbien etwa, das mit Radamel Falcao den wundersamen Aufstieg fortsetzt (2:0 gegen Paraguay). Und ein Fußball-Winzling, der sich nach zehn Spieltagen und insgesamt sieben Partien ohne Niederlage plötzlich auf Rang zwei wiederfindet: Ecuador. Eine Truppe von Namenlosen, die angeführt wird von Antonio Valencia (ManUtd) und Stürmer Felipe Caicedo (2 Tore beim 3:1 gegen Chile).
Der Spieler der Stunde: Lionel Messi (Argentinien). Was soll man noch zu Messi sagen außer Belanglosigkeiten? Vielleicht das hier: Auf der Suche nach einem Makel wurden zeitlebens seine schwachen Darbietungen für Argentinien angeführt. Seit Alejandro Sabella das Nationalteam übernahm und er Messi zum Kapitän ernannte, sind allerdings keine Unterschiede mehr zu seinen Leistungen für Barcelona auszumachen. Unter Sabella gelangen ihm in 12 Spielen furchteinflößende 14 Tore! Sehenswert zuletzt das 1:0 beim 2:1-Sieg gegen Chile.
Der Bundesliga-Legionär der Stunde: Juan Arango (Venezuela). Eine Bilanz der Traurigkeit: Als einziges südamerikanisches Land hat sich Venezuela noch nie für eine WM qualifiziert und als bestes Abschneiden in der 96-jährigen Geschichte der Copa Amerika steht ein 4. Rang. Dass diese Platzierung im letzten Jahr erreicht wurde, dient jedoch als Beweis für das Vorwärtskommen des Teams.
Und auch in der Quali-Gruppe widersetzt sich Venezuela den Topteams des Kontinents und ist Vierter, womit man erstmals für eine WM qualifiziert wäre. Entscheidender Spieler: Volksheld Arango. Nachdem er für Gladbach gegen Frankurt bereits in der 8. Minute das 1:0 erzielt hatte, sicherte er gegen Ecuador mit seinem Traumtor in der 6. Minute immerhin ein 1:1.
Europa: Tomer Hamed - der Messi-Rivale
Nord- und Mittelamerika: Kanada erlebt Reinfall des Jahres
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Nord- und Mittelamerika
Das Team der Stunde: Honduras. Was ein Festtag! Im entscheidenden Spiel der Gruppe 3 gewann Honduras gegen das stärker eingeschätzte Kanada. Nicht irgendwie, sondern mit 8:1! Carlos Costly und Jerry Bengtson trafen je dreimal. "Unvergesslich", titelte die nationale Tageszeitung "La Prensa".
Durch Honduras' Sieg und Panamas 1:1 im Parallelspiel in Kuba ziehen beide Teams (je 11 Punkte) in die 4. Runde ein, in der die ersten drei der sechs Teams sicher für die WM qualifiziert sind. Der Vierte nimmt an den Playoffs teil. Umso schockierender, wie Kanada ob der prekären Lage in Honduras auftrat: Obwohl die Mannschaft solide besetzt ist mit Atiba Hutchinson (Eindhoven), Kevin McKenna (Köln), Marcel de Jong (Augsburg), Julian de Guzman (früher Hannover), Nicolas Ledgerwood (früher 1860) und Torwart Lars Hirschfeld (Valerenga), erlitt die Mannschaft die höchste Niederlage seit 1993 (0:8 in Mexiko).
Der Spieler der Stunde: Clint Dempsey (USA). Es war eine kleine Geschichte, so unbedeutend wie amüsant: Clint Dempsey hatte beim 1:0-Erfolg gegen Jamaika im September ein recht lustig anzusehende Grimasse gezogen, um seinen Unmut über ein Foul zu zeigen. Die Fans erfreuten sich daran so sehr, dass beim wichtigen 3:1 gegen Guatemala ein überdimensionales Dempsey-Foto mit jener Miene jubelnd hochgehalten wurde, nachdem Dempsey das Tor zum 3:1 gelungen war.
Dabei hätte es gar nicht des Posters bedurft, um Dempseys Bedeutung für Jürgen Klinsmanns Mannschaft zu illustrieren. Der 29-Jährige ist neben Schalkes Jermaine Jones der einzige US-Fußballer, der gehobene Güte verkörpert und regelmäßig bei einem Topklub (Tottenham) eingesetzt wird. Was Dempsey so wertvoll macht: Wie in der Vorsaison bei Fulham bewiesen (17 Tore, 7 Assists), versteht er es meisterhaft, im Mittelfeld zu verharren und im richtigen Zeitpunkt in den Sturm zu marschieren und dort den Abschluss zu suchen. Ohne Dempseys 5 Tore in 6 Quali-Spielen wäre Team USA wohl blamabel ausgeschieden.
Der Bundesliga-Legionär der Stunde: Maza (Mexiko). Es gibt nur selten Kunde aus dem fernen Mittelamerika, demnach weiß kaum jemand, wie gut Maza und sein mexikanisches Nationalteam derzeit spielen. Das abschließende 5:0 in Guyana und das 2:0 zuvor gegen El Salvador waren nur die letzten Belege dafür, dass Mexiko im Weltfußball eine der heißesten Mannschaften überhaupt ist. Anders als Rivale USA erreicht Mexiko mühelos die entscheidende 4. Quali-Runde - verlustpunktfrei und mit einem Torverhältnis von 15:2 aus sechs Partien.
Und mittendrin Maza: In Stuttgart ist ihm ein Stammplatz sicher, genauso in Mexiko, für das er mit Espanyols Hector Moreno die starke Innenverteidigung bildet. Mittlerweile gibt es erste Interessenten, darunter Atletico Madrid.
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Südamerika: Aufstand der Winzlinge
Asien: Robbie Kruse sorgt für Furore
Asien
Das Team der Stunde: Usbekistan. Nach misslungenem Quali-Start (0:1 gegen Iran, 1:1 in Libanon) berappelt sich Usbekistan immer mehr und macht den beiden Power Houses in Asien, Südkorea und Iran, das WM-Ticket streitig. Gegen Südkorea gab es im September ein 2:2, nun wurde in Katar 1:0 gewonnen. Ein Sieg am nächsten Spieltag in Iran vorausgesetzt, ist eine Sensation angesichts der Tabellenkonstellation denkbar: Die ersten beiden Plätze in der Gruppe A, die derezeit von Südkorea und Iran (je 7 Punkte) eingenommen werden, berechtigen zur WM-Teilnahme. Dahiner lauert Usbekistan (5).
Wer nach bekannten Spielern beim potentiellen WM-Teilnahmer sucht, wird kaum fündig. Der einzig geläufige Name ist Server Djeparow, zweimaliger asiatischer Fußballer des Jahres und nach Stationen in Bunyodkor und Seoul inzwischen in Saudi-Arabien bei Al Shabab tätig.
Der Spieler der Stunde: Javad Nekounam (Iran). Einer der kuriosesten Transfers des Sommers, von dem kaum jemand etwas mitbekam. Obwohl etablierter Primera-Division-Profi und einer der Stars von Osasuna, entschloss sich Nekounam, Spanien zu verlassen und nach Iran zu Esteghlal zurückzukehren. Offenbar wollte er sich mit einer Gehaltskürzung nicht abfinden.
Wie gut der 32-Jährige noch Fußball zu spielen vermag, bewies er gegen Südkorea. Nachdem Iran ab der 56. Minute in Unterzahl war, traf Nekounam, ohnehin der beste Spieler des Abends, zum 1:0-Siegtreffer - und das vor über 90.000 Fans. Damit schloss Iran auf Südkorea auf und ist punktgleich Zweiter.
Der Bundesliga-Legionär der Stunde: Robbie Kruse (Australien). Das Gesicht des neuen, frischen Australiens. Nationaltrainer Holger Osieck sah sich nach dem peinlichen 1:2 in Jordanien zu weitgehenden Änderungen veranlasst - was weniger die Aufstellung und mehr die zu lasche Trainingsintensität betraf. "Hoffentlich können wir Jungen die etablierten Spieler pushen, damit das Nationalteam davon profitiert", sagt Kruse. Er selbst gehört bereits zur Stammelf - zu Ungunsten wesentlich bekannterer Spieler wie Mainz' Nikita Rukavytsya.
Beim eminent wichtigen 2:1 in Irak war Kruse - auch in Düsseldorf überzeugend - der Auffälligste, wofür er ein Lob von Teamkollege Tommy Oar einheimste: "Robbie war fantastisch. Die Gegenspieler hätten zehn Gelbe Karten sehen müssen, so oft wurde er gefoult. Hoffentlich macht es Osieck mehr Mut, Talenten das Vertrauen zu schenken." Womöglich schon in den nächsten Partien gegen Oman und im Topspiel gegen Japan. Um sicher an der WM teilzunehmen, muss Australien (5) auf dem zweiten Platz hinter Japan (10) und vor Oman (5) und Jordanien (4) bleiben.
Europa: Tomer Hamed - der Messi-Rivale