Paderborn-Coach Steffen Baumgart im Interview: "Ich habe Cantona wirklich sehr gemocht"

Florian Regelmann
20. August 201914:36
Steffen Baumgart hat den SC Paderborn in die Bundesliga geführt.getty
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Aufsteiger SC Paderborn startet am Samstag (15.30 Uhr im LIVETICKER) mit einem Auswärtsspiel bei Bayer Leverkusen in die Bundesliga-Saison. Im Interview mit SPOX und Goal spricht Coach Steffen Baumgart über seinen Vollgasfußball, den Trainerjob als Berufung und seine Vorliebe für Eric Cantona.

Außerdem erklärt der 47-Jährige, warum er von ganz unten gekommen ist und wie seine Definition von Erfolg aussieht. Baumgart verrät auch, warum er seine Meinung beim Thema "Karten für Trainer" revidieren musste.

Herr Baumgart, sind Sie Kampfsport-Fan?

Steffen Baumgart: Nicht in besonderem Maße, ich schaue mir Kampfsportarten so an, wie ich mir viele andere Sportarten auch anschaue. Mich interessieren vor allem besondere Leistungen, bei denen ich sehen kann, wie viel Arbeit und Leidenschaft dahintersteckt, um sie möglich zu machen. Ich denke da spontan an die Tour de France zum Beispiel. Aber ich weiß, worauf Ihre Frage abzielt. Fußball ist für mich in erster Linie ein Kampfsport.

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Warum?

Baumgart: Weil es im Fußball nicht nur um den Ball geht. In erster Linie geht es um andere Komponenten, um Mentalität und Bereitschaft. Es geht um Zweikämpfe, Mann gegen Mann. Da musst du dich durchsetzen können. Alle taktischen Geschichten folgen später.

Sie sagen gerne, dass der Fußball manchmal zu kompliziert gemacht wird. In welchen Momenten kriegen Sie die Krise?

Baumgart: Wenn ich viele Gespräche höre, in denen dann zum Beispiel die Dreierkette zum neuen Allheilmittel gemacht wird. Dann denke ich mir: Dreierkette haben wir 1994 schon in Rostock gespielt. Was ist daran jetzt so neu? Gerade im Fernsehen wird so viel erzählt, aber so kompliziert, wie es da oftmals benannt wird, ist es in Wirklichkeit gar nicht. Wenn ich das höre, könnte ich meinen, ich müsste mich 100 Stunden lang auf ein Spiel vorbereiten, so viel Zeit habe ich aber gar nicht. Das heißt aber nicht, dass wir keine modernen Techniken benutzen. Das tun wir. Es kommt aber auch immer darauf an, wie man sie nutzt. Eine Power-Point-Präsentation kann auch einfach gestaltet sein und trotzdem Dinge klar aufzeigen.

Steffen Baumgart: "Wir wollen Fußball nicht verhindern"

Sie sind mit Paderborn dafür bekannt geworden, mit offenem Visier zu spielen. Müssen Sie in der Bundesliga nicht angesichts der Qualität der Gegner zumindest ein bisschen davon abrücken?

Baumgart: Nein, warum sollten wir das tun? Wir sind zwar der kleinste Verein mit dem kleinsten Etat, aber das ändert nichts an der Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen. Mit der Betonung auf spielen. Wir wollen Fußball nicht verhindern, auch nicht gegen die Bayern. Wie gut uns das Spieltag für Spieltag gelingen wird, werden wir sehen. Wahrscheinlich werden wir auch in Abwehrschlachten geraten, aber es wäre auch fatal für die Konkurrenz, wenn das gegen das vermeintlich kleine Paderborn nicht so wäre. Dennoch haben wir eine Idee vom Fußball. Wir wollen nicht nur auf Konter spielen. Wir wollen unsere Spiele nicht glücklich gewinnen. Wir wollen unseren Stil 90 Minuten lang umsetzen, egal ob es 1:0, 0:1, oder 4:2 steht. Bislang hat sich dieser Ansatz ganz gut ausgezahlt.

Paderborn-Fans hoffen wahrscheinlich auf den Klassenerhalt mit einem Torverhältnis von 70:70.

Baumgart: (lacht) Bei uns ist auf jeden Fall nie Stillstand, da können sich alle sicher sein.

Sie waren als Spieler immer jemand, der seine Meinung gesagt hat, auch Ihrem Coach. Genießen Sie jetzt auf der anderen Seite die kritische Auseinandersetzung mit Ihren Spielern, fordern diese vielleicht sogar ein?

Baumgart: Das entscheidende Wort ist für mich Dialog. Nur weil sich ein Spieler mit Dingen auseinandersetzt und nicht immer meine Meinung teilt, ist das für mich keine Kritik. Solange ein Spieler das nicht in der Öffentlichkeit macht, sondern den Mut hat, es mit mir unter vier Augen zu besprechen, finde ich das richtig und wichtig. Am Ende muss einer das Sagen haben, das bin in dem Fall ich, das ist auch klar. Aber trotzdem freue ich mich, unterschiedliche Sichtweisen aus der Mannschaft zu hören. Es ist doch schön, wenn wir nicht nur stromlinienförmige Spieler im Fußball haben, davon gibt es ohnehin genug.

Steffen Baumgart möchte auch in der Bundesliga mit dem SCP mit offenem Visier spielen.imago images

Steffen Baumgart: "Ich könnte heute auch Bezirksliga-Trainer sein"

Nicht umsonst haben Sie jemanden wie Eric Cantona immer sehr gemocht. Warum ausgerechnet ihn?

Baumgart: Ich habe Cantona wirklich sehr gemocht. Einfach, weil er ein sehr spezieller Spieler war. Cantona war anders, er hat sich nicht alles gefallen lassen. Er hat sich auf dem Platz gewehrt und hatte eine unglaubliche Coolness. Marco van Basten war sonst auch noch jemand, auf den ich immer ein Auge hatte. Diese Jungs hatten differenzierte Meinungen, das hat mir imponiert. Wenn ich heute jemanden nennen müsste, würde ich Toni Kroos nehmen. Es beeindruckt mich, wie er mit Kritik umgeht. Wie er sich von vermeintlichen Experten nicht beeinflussen lässt, sondern seinen Weg weitergeht und trotzdem immer weiter Leistung bringt. Cantona, van Basten, Kroos - das sind besondere Persönlichkeiten.

Wenn man mit Ihnen spricht, merkt man schnell Ihre Begeisterung für den Trainerjob. Warum war es so früh für Sie klar, dass der Trainerjob Ihre Berufung ist?

Baumgart: Das ist eine gute Frage. Ich wusste schon in der Jugend, dass ich einmal Trainer sein will, aber wo es genau herkommt, weiß ich nicht. Vielleicht hat es mit meiner Familiengeschichte zu tun, sowohl mein Vater als auch mein Opa waren Trainer. Irgendwie war es schon immer mein Ding. Schon auf dem Bolzplatz gab es Situationen, die ich ein klein wenig aus Trainersicht analysiert habe. Es hat mir Spaß gemacht, zu überlegen, wie man Situationen auf dem Platz besser lösen kann. Wie bestimmte Abläufe funktionieren, welche Übungen man ins Training integrieren kann. Du lernst als Trainer die ganze Zeit dazu. Was vor fünf Jahren vielleicht gut gewesen ist, muss es heute nicht mehr sein. Mir war früh klar, was ich machen will. Und zwar unabhängig von der Liga. Ich könnte heute auch Bezirksliga-Trainer sein, ich wäre auf jeden Fall Trainer geworden, egal wo.

Sie haben vor Ihrer Spielerkarriere eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht und auch zwischendurch bei der Polizei in Schwerin gearbeitet. Was war das für eine Zeit?

Baumgart: Jede Zeit in meinem Leben war auf eine gewisse Art und Weise prägend. Ich habe im Osten eine sehr schöne Jugend erlebt. Ich hatte nie das Gefühl, eingesperrt zu sein. Im Nachhinein haben viele Leute Geschichten erzählt, aber die Wenigsten haben es besser gewusst. Ich hatte eine schwerelose Jugend, konnte meinen Sport machen und hatte alles, was ich brauchte. Ich habe in meinem Leben immer Sachen durchgezogen und konsequent zu Ende gebracht. Ich habe den Aufnahmelehrgang bei der Polizei absolviert, dann aber gemerkt, dass es nicht das Richtige für mich war. Dann habe ich meine Ausbildung als Kfz-Mechaniker abgeschlossen. Es war mir immer wichtig, am Ende etwas in der Hand zu halten. Für mich ist das eine wichtige Eigenschaft.

Wenn wir einen kurzen Blick auf Ihre Spielerkarriere werfen, Sie haben zweimal im Europapokal gespielt.

Baumgart: Ja, einmal mit Wolfsburg gegen Debrecen. Und einmal sogar mit dem PSV Schwerin gegen Austria Wien.

Vor 835 Zuschauern im Ostseestadion.

Baumgart: Leider konnten wir nicht in Schwerin spielen, da wären 20.000 Zuschauer gekommen. Trotzdem haben wir uns als krasser Außenseiter ganz gut geschlagen. Nach dem 0:2 im Hinspiel haben wir in Wien ein 0:0 geholt.

Eventuell schaffen Sie jetzt als Trainer irgendwann in Ihrer Karriere die Rückkehr nach Europa.

Baumgart: Vielleicht. Aber so denke ich nicht. Ich habe auch nie an die Bundesliga gedacht. Natürlich ist es schön, wenn man die Möglichkeit bekommt, so hoch wie möglich trainieren zu können. Aber es ist nicht alles entscheidend. Vielleicht bin ich irgendwann wieder Trainer in der Oberliga. Für mich ist das Wichtigste am Trainerjob nicht die Liga. Das Wichtigste ist, dass ich den Jungs etwas vermitteln kann. Dass ich den Fußball vielleicht attraktiver und schöner machen kann, so wie ich ihn mir vorstelle. Was heißt es denn, als Trainer erfolgreich zu sein?

Steffen Baumgart: "Ich bin von ganz unten gekommen"

Meistens wird es natürlich am Tabellenplatz gemessen.

Baumgart: Richtig, aber wenn ich Trainer einer Mannschaft bin, die im Vorjahr 4 Punkte geholt hat, und wir verbessern uns dann auf 16 Punkte, ist das für mich auch Erfolg. Oder jetzt auf Paderborn bezogen: Es ist möglich, dass wir nicht die Klasse halten, aber dass es dennoch eine erfolgreiche Saison war. Indem wir Spieler weiterentwickelt haben und vielleicht einen Transferüberschuss generieren, den wir vorher nicht hatten. Ich versuche, meine Spieler besser zu machen. Das ist meine Hauptaufgabe. Die Ziele, die ich mir persönlich stelle und die Definition von Erfolg hat wenig mit dem zu tun, was von außen erzählt und geschrieben wird.

Haben Sie deshalb auch ein Faible für Spieler, die bei anderen Vereinen vielleicht etwas verkannt wurden?

Baumgart: Da müssen wir uns nur den Fall von Kai Pröger anschauen. Kai war ein ganz wichtiger Faktor für unseren Aufstieg. Dass es in meiner bisherigen Trainerlaufbahn eine ganze Reihe solcher Beispiele gibt, freut mich am meisten und ist für mich fast der größte Erfolg. Aber bitte nicht falsch verstehen. Ich würde auch gerne Titel gewinnen, so ist es nicht. Ich habe zwar bislang nur kleinere Titel gewinnen dürfen, aber sie hatten allesamt eine große Bedeutung für mich.

Träume gibt es also schon?

Baumgart: Ich habe mir meinen Traum mit dem Aufstieg gerade erfüllt. Ich bin von ganz unten gekommen. Beim Fußballlehrer-Lehrgang wurde ich beim ersten Mal abgelehnt und musste ein zweites Mal hingehen. Ich bin beim Berliner AK von heute auf morgen rausgeflogen, weil es angeblich nicht gereicht hat. Ich bin zu einer Zeit nach Paderborn gegangen, in der das nicht jeder gemacht hätte. Aber meine Frau hat dann gesagt: 'Mach' es, du kannst es.' Ich musste mir alles hart erarbeiten und bin jetzt ehrlich gesagt schon stolz auf das, was wir als Trainerteam erreicht haben. Das ist mir extrem wichtig. Ich habe das große Glück, Teil eines großartigen Teams zu sein. Viele Menschen haben ihren Anteil am Erfolg, vor allem auch jemand wie Markus Krösche, der jetzt leider nicht mehr bei uns ist.

Steffen Baumgart sieht sich selbst als gefährdet, in der neuen Saison Gelbe Karten zu bekommen.imago images

Steffen Baumgart: "Wir müssen schon aufpassen, welchen Umgang wir pflegen"

Ihr Standing in Paderborn ist extrem hoch, die SZ schrieb einmal davon, man könnte meinen, der Papst erscheint. Ist Ihnen das manchmal unangenehm?

Baumgart: Zum einen muss ich sagen, dass wir uns dieses Standing alle gemeinsam erarbeitet haben. Und zum anderen weiß ich, dass das Pendel in beide Richtungen schnell und gewaltig ausschlagen kann. Ich versuche, ganz bei mir zu bleiben. Für mich ist etwas anderes entscheidend. Ich bin wahnsinnig stolz auf die 800 Zuschauer, die bei meinem ersten Spiel gegen Sprockhövel da waren. Bei gefühlten acht Grad minus. Ich bin stolz auf die 150 Fans, die im Gästeblock gestanden haben, als ich Paderborn vor meiner Trainertätigkeit mal in Rostock gesehen habe. Auf diese Menschen baue ich. Sie sind mir viel lieber als die ganzen Schulterklopfer, die jetzt vielleicht kommen, weil wir Bundesliga spielen.

Die Fans lieben natürlich auch Ihre Emotionen. Wie sehr müssen Sie sich denn im Zaum halten, wenn es jetzt auch Karten für Trainer geben wird?

Baumgart: Ich muss zugeben, dass ich meine Meinung zu dem Thema inzwischen etwas geändert habe. Am Anfang dachte ich wie einige meiner Kollegen auch, dass es schwer wird für mich. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr sehe ich auch die Argumente der Schiedsrichter. Es wird ja kein Schiri zu mir an die Seitenlinie kommen und sagen: 'Herr Baumgart, seien Sie mal nicht so emotional.' Natürlich müssen Emotionen erlaubt sein. Aber wir müssen schon aufpassen, welchen Umgang wir pflegen und uns fragen, ob es da immer den nötigen Respekt gegenüber dem Schiedsrichter gibt. Zumal es ja mittlerweile Szenen gibt, bei denen die ganze Bank meint, aufspringen und rumschreien zu müssen. Da verstehe ich schon auch die Schiedsrichter. Ich glaube, dass es gut ist, wenn hier und da Zeichen gesetzt werden. Jeder, der mich kennt, weiß aber, dass ich in diesem Leben nicht mehr ruhiger werde. Wenn ich die Coaching-Zone um drei Zentimeter verlassen sollte und der Schiri mich dann dafür maßregeln will, werde ich ihn schon fragen müssen, ob er nichts Wichtigeres zu tun hat. Aber wie gesagt, ich habe auch Verständnis für die Einführung der Karten. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte.

Bei so viel Leidenschaft: Wird es jemals eine Zeit im Leben des Steffen Baumgart ohne Fußball geben?

Baumgart: Ich fürchte, ich werde auch mit 80 noch am Platz stehen und mir Spiele anschauen. (lacht) Fußball wird mich mein ganzes Leben lang begleiten, da bin ich mir sehr sicher.