Ruhig wurde es um Thomas Doll: Der arbeitsuchende 47-Jährige lässt Bedacht walten. Nach Stationen bei Borussia Dortmund, dem Hamburger SV und im Ausland gedenkt er, sportlich sesshaft zu werden. Der nächste Schritt mag gut überlegt sein. SPOX traf Doll bei "Sport & Talk aus dem Hangar 7" von "ServusTV". Im Interview reflektiert er über die DDR, ein "zu jugendliches" Image, Wutreden mit Kult-Faktor, siezenden Mitspieler sowie türkische Tea-Partys.
SPOX: Herr Doll, bei der Recherche stieß ich auf das Gerücht, Sie hätten als Aktiver bei Lazio Rom die Prämien gespendet...
Thomas Doll: Ich beteiligte mich bestimmt an Aktionen für den guten Zweck. Zu sagen, ich verzichtete auf alles, soweit hänge ich mich nicht aus dem Fenster. Für mich war jedoch nie entscheidend, es öffentlichkeitswirksam zu tun. Noch heute helfe ich Menschen, die weniger Chancen hatten, denen das Glück nicht so hold war. Ich sehe mich an solchen Tagen nicht als Promi, Nationalspieler oder Profi.
SPOX: Bodenständigkeit: Ein beinahe ausgestorbenes Gut im millionenschweren Fußball. Inwiefern ist dies auf Ihre Jugendtage zurückzuführen?
Doll: Ich wurde so erzogen, übernahm lange eine Patenschaft für schwerbehinderte Kinder. In Rom besuchten wir oftmals Kliniken: Dort wurden die Kleinen am Herzen operiert. Damit in Berührung zu kommen, als Vater einer Tochter, regt die Gedanken an.
SPOX: Ihre Familie sah sich einst mit den Unwägbarkeiten der DDR konfrontiert.
Doll: Mein Vater war Politiker, Chef von Malchins Rat des Kreises. Dadurch pflegte er Kontakte in den Westen. Irgendwann bekam er ein BRD-Paket, jemand schwärzte ihn bei der Geschäftsleitung an. Drei Tage vor Weihnachten verlor er seinen Job. Eine schwierige Zeit für die Familie. Ich durfte ein halbes Jahr nicht ins kapitalistische Ausland reisen. So konnte ich etwa an einem bekannten Jugendturnier in Groningen nicht teilnehmen.
SPOX: Der Mauerfall kurbelte Ihre Karriere an: Sie wuchsen beim Hamburger SV zur festen Größe. 2004 erreichte Sie ein Hilferuf: Sie sollten die Nordlichter vor dem Abstieg retten. Nicht die besten Voraussetzungen für einen aufstrebenden Trainer, oder?
Doll: Der Verein wuchs mir sehr ans Herz. Ich war Spieler in den Anfangsjahren und am Ende meiner Karriere, danach Nachwuchstrainer. Plötzlich eröffnete sich diese Chance: Zum damaligen Zeitpunkt machte ich bei den Amateuren gute Arbeit, hatte knapp ein Jahr den Fußball-Lehrer. Da überlegte ich keine Sekunde. Wenn die Resultate nicht stimmen, hagelt es nun mal Kritik. Darauf war ich gefasst. Ich hätte es mir nie verziehen, dem Herzensverein abzusagen.
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SPOX: Die Euphorie schwappte über die Hansestadt, sie wurden zum Heilsbringer stilisiert. Es ging steil bergauf - zu steil?
Doll: Viele junge Trainer sind überaus erfolgreich. Die Mannschaft war gut besetzt, wir arbeiteten uns nach oben. UI-Cup, UEFA-Cup und Champions League. Wir verdienten uns bundesweit Anerkennung. Dagegen wehrten wir uns nicht. Wie sooft wuchsen ob der Leistungen die Begehrlichkeiten. Stützen verließen den Verein, das Team brach auseinander.
SPOX: In dieser kurzlebigen Zeit wurde ein Baum zu Ihrer Konstante.
Doll: Ach, die Eiche auf meinem Grundstück. Jeden Tag bewunderte ich sie, wenn ich aus der Garage fuhr. Sie stand da, egal ob es gedonnert oder geblitzt, geregnet oder geschneit hat. Man muss fest verwurzelt sein, darf sich von äußeren Einflüssen nicht beeindrucken lassen, um in unruhigem Gewässer seinen Mann zu stehen. Genau jene Mentalität wollte ich auf meine Jungs übertragen. Für mich, der sich auf dem Schleudersitz befand, war das wichtig.
SPOX: Nach der Entlassung beim HSV stürzten Sie sich in das Abenteuer Borussia Dortmund. Wieder als Krisenmanager, mitten in der Konsolidierungsphase. Was fanden Sie damals vor?
Doll: Als ich kam, lag der Verein am Boden. Im Umfeld herrschte Trauerstimmung. Wir starteten eine Serie. Die Spieler glaubten an sich, verinnerlichten das System. Wir beschlossen die Saison auf einem UI-Cup-Platz. Danach fanden Spieler ihre Form nicht, einige hatten ihren Zenit überschritten.
Doll: Ja, wir schlugen uns in der unteren Tabellenhälfte herum, sind aber ins Pokal-Finale eingezogen. Letztlich passte es nicht. Es waren keine Fortschritte erkennbar. Nachdem ich ein halbes Jahr zuvor den Vertrag verlängerte, kamen Hans-Joachim Watzke und ich zum übereinstimmenden Entschluss, es sei besser, getrennte Wege zu gehen. Dortmund startete den Neuanfang, kämpfte sich nach oben.
SPOX: Zu zwei Meistertiteln und in das Champions-League-Finale. Blicken Sie neidisch zurück?
Doll: Neidisch würde ich nicht sagen: Ich finde es großartig, welche Talente hervorkamen. Die Götzes, die Kagawas, die Reus'. Dortmund agiert wie Bayern München auf technisch und taktisch höchstem Niveau. Ich hoffe nur, sie lassen Robert Lewandowski nicht ziehen. Er ist der beste Stürmer Europas. Sein Verbleib wäre ein Zeichen. Ansonsten könnte sich auch bald Mats Hummels mit dem Abschied beschäftigen. Trotzdem begeistert mich die Euphorie. Was dort entstand, war nicht absehbar.
Teil 2: Doll über die legendäre Wutrede
SPOX: Unweigerlich wird der Name Doll beim BVB mit Ihrer Wutrede, die mittlerweile Kult-Faktor erlangte, assoziiert. Schütteln Sie darüber nach mehreren Jahren Erfahrung den Kopf?
Doll: Daran kann ich mich nicht erinnern (lacht). Viele sagen, es war richtig, auf den Tisch zu hauen. Ich würde es allerdings nicht erneut machen, ginge heute souveräner damit um. Ich wollte die Spieler schützen. Ob Robert Kovac oder Christian Wörns - sie bekamen immer ihr Alter vorgehalten. In einer Pressekonferenz fragte man mich dann, ob ich mitbekommen hätte, dass ein Nachfolger für mich gesucht wird. All das prasselte vor dem Pokalfinale ein, Bayern rückte in den Hintergrund. So wie es Jürgen Klopp mit dem Mario-Götze-Transfer erging. Irgendwann willst du das nicht mehr hören, sondern den Moment genießen.
SPOX: Sie erklärten in einem Interview, der Ausbruch hätte an Ihrem Image gekratzt, Sie wären damit nicht sorgsam genug umgegangen. Wie darf man das verstehen?
Doll: Vielleicht war ich zu jugendlich. Manche Spieler traf ich beim Abendessen oder in einer anderen Location. Ich lebte damals in Dortmund im Hotel, hätte vorsichtiger, aufmerksamer sein müssen.
SPOX: Frühere Mitspieler wurden zu Schützlingen: Fehlte die Distanz, um als Trainer respektiert zu werden?
Doll: Eigentlich nicht! Sergej Barbarez wollte mich im Hamburg nach Gesprächen im Trainerzimmer sogar siezen. Nur, bis heute bin ich überzeugt, die Anrede ist nicht entscheidend. Bedeutender ist, Fachkompetenz und Glaubwürdigkeit auszustrahlen, zu zeigen, sie können sich auf mich verlassen und wissen, woran sie sind. Ein Trainer muss dazu stehen, was er sagt, vernünftig mit den Spielern umgehen und eine Vorbildfunktion haben. Damit holt man sich den Respekt. Mittlerweile zogen Jahre ins Land, ich bin 47. Da sind Jungs dabei, die waren, als ich Fußball spielte, noch gar nicht auf der Welt. Den Dolli gibt es nicht mehr, das "Sie" stellte eine normale Entwicklung dar - in Ankara und Saudi-Arabien.
SPOX: Zwei Traditionsklubs im Eiltempo durchlebt, ging es in die türkische Abgeschiedenheit zu Genclerbirligi. Ein bewusster Transfer, um der medialen Präsenz zu entkommen und sich selbst zu finden?
Doll: Ich wollte als Profi nie eine Auszeit, jetzt ebenso wenig. Natürlich sollte man nachdenken. Als Trainer ist man mental voll gefordert, muss danach Kraft schöpfen. Ich hatte damals Kontakt zum FC Basel, einem Verein, der ständig unter Druck steht und in der Schweiz immer die Meisterschaft holen muss. Letztlich kam die Anfrage aus der Türkei. Ich fühlte mich damit wohl, mein Trainerteam war bereit. Die Stadien sind dort nicht so modern, weniger Fans strömen ins Stadion. Back to the roots.
SPOX: Mit Ihrem Präsidenten pflegten Sie ein spezielles Ritual.
Doll: Wir trafen uns oftmals zum Gedankenaustausch in seiner Fabrik. Er versorgte das ganze Land mit Mehl, war ein ganz erfahrener Mann und wollte über die Mannschaft informiert sein. Dienstag oder Mittwoch fuhr ich stets zu ihm, er hieß mich in seinem Büro mit einer Tasse Tee willkommen. Es war ein ganz andere Mentalität.
SPOX: In Saudi-Arabien erlebten Sie den nächsten Kulturschock: In unseren Breitengraden ist Al Hilal eine Unbekannte. Der Klub bezeichnet sich als das Real Madrid Asiens. Ein gewagter Vergleich?
Doll: Vom Training und den Bedingungen war es wirklich top, die Kultur mir allerdings völlig fremd. Ich musste Rücksicht auf Gebetszeiten nehmen oder den Ramadan während der Vorbereitung. Die Einheiten fanden nach Sonnenuntergang statt. Beeindruckend: Selbst wenn wir auswärts spielten, hatten wir mehr Fans als der Gegner. Al Hilal ist über das ganze Land verteilt.
SPOX: Über ein strenggläubiges, erzkonservatives Land: Wie lebten Sie mit der veralteten Staatsform?
Doll: Das Leben zu genießen, ist schwer. Schon vor der Unterschrift sagte ich zu meinem Trainerteam, es wird Abende geben, an denen wir uns alleine fühlen. Wobei ich mich schnell akklimatisierte und an die Umstände gewöhnte. Etwa die Geschlechtertrennung. Überall gibt es Single-Sections. Mit Frau musstest du dich woanders anstellen und andere Restaurants besuchen. Oder die Kontrollen. Bevor wir in unser Compound fuhren, wurde das Auto und der Unterboden nach Bomben gecheckt. Eine sehr lehrreiche Zeit.
SPOX: Seither befinden Sie sich auf Jobsuche. Mal direkt gefragt: Gibt es Kontakte?
Doll: Netter Versuch (lacht). Im Sommer bestand Interesse aus der 2. Liga. Kurz zuvor kehrte ich aus Saudi-Arabien zurück. Ich wollte den Schritt nicht sofort wagen, obwohl es eine sehr reizvolle Aufgabe gewesen wäre. Mal abwarten, was in den nächsten Wochen passiert. Falko Götz heuerte nach langer Zeit bei Erzgebirge Aue an, Peter Neururer kehrte zum VfL Bochum zurück.
SPOX: Sie erwecken den Eindruck, geduldig abzuwiegen, um nicht erneut in Gefahr zu kommen, zu scheitern. Liege ich damit richtig?
Doll: Ich würde das nicht als Scheitern bezeichnen. Weder bei Al-Hilal noch in Ankara. Dort wurden Vereinbarungen nicht eingehalten. Mir wurden in der Türkei Neuzugänge versprochen, um den UEFA-Cup zu realisieren. Letztlich wurden Spieler, die ich nie gesehen habe, auf Video-Basis verpflichtet. Bei Al Hilal war das Umfeld problematisch, es gab Unstimmigkeiten mit dem Sportdirektor. Deshalb will ich das Gefühl haben, es passt, das traue ich mir zu. Dafür müssen die Anfragen stimmen. Ich würde lieber in Deutschland bleiben, als nach Vietnam oder Thailand zu gehen. Obwohl es dort schöne Herausforderungen gibt, die Sonne scheint und weniger Druck herrscht. Es wird etwas kommen.
Thomas Doll im Steckbrief
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